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Morgenröte des Lebens – als der „Lebensfunke“ übersprang

Von Hans-Jörg Müllenmeister

Eines unserer größten Mysterien ist die Entstehung des Lebens im Archaikum der Erdurzeit, vermutlich vor knapp vier Milliarden Jahren. Man fragt sich, wie konnte sich überhaupt die erste „lebende“ Proto-Zelle entwickeln, die Urzelle der biologischen Evolution. Dazu bedurfte es mehr als nur einiger chemischer Zutaten der toten Materie, die unter den Bedingungen der frühen Erde miteinander interagieren konnten.

Die Kernfrage ist aber: Wie konnte aus toter Materie Leben entstehen und was zeichnet das Leben überhaupt aus? Darauf gibt es bisher keine präzise Antwort mit apodiktischer Gewissheit. Das Problem ist, dass die frühen Stadien des Lebens sich in der Evolution komplexer Moleküle abspielte und daher keine Spuren hinterließ. Komponenten des Lebens, wie Aminosäuren und Nukleinsäuren können sich spontan gebildet haben. Wie es dann zu einem System kommt, dass sich selber reproduzieren kann, liegt im Dunklen der Erdgeschichte. Mit manischer Begierde versuchen wir noch immer, das große Faszinosum der Entstehung des Lebens wissenschaftlich zu entschlüsseln.

Die kleinste Lebenseinheit und ihre Komponenten

Einfache Zellen waren die ersten Pioniere des Lebens: Proto-Zellen von etwa 0,1 Mikrometer Durchmesser. Das derzeit einfachste und bekannteste Modell für so eine Proto-Zelle besteht aus nur zwei Molekül-Klassen: den Lipiden und Nukleotiden. Lipiden bauen die Zellmembran auf, Poly-Nukleotide „bevölkern“ das Innere der Zelle. Bereits die Minimalausgabe des Lebens erfüllt alle Lebensanforderungen, sie ist ein selbständiger Organismus: Die einzigen organischen Strukturen, die bei ausreichender Stabilität gleichzeitig ungeheure Informationsmengen speichern kann: die RNA und DNA. Das irdische Leben beruht also auf der Ribonukleinsäure, eine Kette aus Nukleotiden und der Desoxyribonukleinsäure: ein Makromolekül aus dem Zucker Desoxyribose, Phosphaten und vier verschiedenen Basen.

Selbst diese minimalistisch geprägten Lebensinseln können nur existieren im ständigen Austausch von Stoffen und Energie mit ihrer Umwelt. Anders könnten sie die innere Ordnung nicht aufrecht erhalten. Sie befinden sich nämlich im sog. thermodynamischen Un-Gleichgewicht zum umgebenden Ökosystem. Der „Lebensfunke“ ist in der Art ihrer atomaren Austauschvorgänge angelegt. So organisiert sich das Leben selbst. Erstmals erschafft es auf molekularer Ebene Strukturen, die sich durch Reproduktion entwickeln und erhalten. Dazu braucht es vor allem geeignete Bedingungen, also einen konstanten Energiefluss und eine Umgebung, in der sich Strukturen aufbauen und wieder lösen können. Aber was benötigt Leben, damit sich einfache chemische Bausteine zu komplexen Biomolekülen zusammenschließen, Moleküle also, die sich selbst erzeugen. Das ist die wichtigste Antriebsfeder für den Ursprung des Lebens. Ein Molekül also, das sich sowohl eigenständig kopieren als auch flexibel ändern kann und damit immer bessere und effizientere Kopiermechanismen entwickelt. Der beste Kandidat für dieses Molekül ist die RNA. Die zentrale Frage: Wie schlossen sich aus den einzelnen Bausteinen komplette RNA-Stränge zusammen? Zur RNA-Welt als Hypothese, zum Ursprung des Lebens, gibt es noch andere, etwa die Ursuppe oder die Hydrothermalquellen, wie die Weißen Raucher der Tiefsee.

Nur kurz etwas zur Doppelfunktion der RNA

Die RNA kann flexible Ketten bilden. Diese deutlich längeren Sequenzen schaffen lose Querverbindungen durch Basenpaare innerhalb derselben Kette. So entsteht ein neuer komplexerer Bauplan: eine „geknäulte“ RNA-Kette, die als Katalysator wirkt und so beim Verknüpfen einzelner Nukleotiden hilft. Damit enthält RNA nicht nur den Bauplan für eine komplementäre RNA, sondern im Prinzip auch den Bauplan für sich selbst. Nach diesem Prinzip könnten sich RNA-Ketten innerhalb von Zellen reproduzieren.

Die spannende Story vom Leben. Erklärungsmodelle, warum Leben stattfand

Selbst wenn man Atom für Atom einer Zelle nachbilden könnte, entsteht daraus keinesfalls Leben. Fest steht aber: Die Naturkräfte gaben einer auserwählten Materie die Eigenschaften, um interagierend Molekülketten zu bilden. Das geschieht auf der einfachsten Ebene durch die elektromagnetische Wechselwirkung.

Vor Jahrmilliarden bildeten sich die ersten Ur-Meere — die Wiege des Lebens auf unserem Planeten. Diese leblose, chemische Ur-Suppe war bloß eine wässrige Lösung aus verschiedenen Elementen. Von ersten Organismen gab es noch keine Spur. Durch welche Ereignisse auch immer, irgendwann kam es zu Stoffwechselreaktionen. Gewisse Zutaten der Ur-Suppe organisierten sich: Der göttliche Funken der Evolution zündete. Was aber der wahre Zündfunken der Evolution war, liegt eher im Dunkeln — ich vermute stark, beim Schöpfer selbst.

Später übernahm zweiwertiges Eisen als Katalysator für die chemischen Prozesse eine wichtige Rolle. Davon gab es damals schon riesige Mengen. Wie gut sich Eisen-Ionen mit organischen Molekülen vertragen, sehen Sie daran, dass es „heute“ einen zentralen Bestandteil des eisenhaltigen Proteinkomplex im Hämoglobin gibt: Der Blutfarbstoff in den roten Blutkörperchen, sicher verpackt in Protein-Strukturen. Sie binden den Sauerstoff, um ihn so im Blutkreislauf zu transportieren.

Erst Milliarden Jahre später hatten sich die einfachsten organischen Gebilde weiterentwickelt. Einzelligen Cyanobakterien gelang der größte Geniestreich der Evolution. In Kooperation mit dem Sonnenlicht erfanden sie die Photosynthese. Abfallprodukt war erstmals der molekulare Sauerstoff, der sich in der Erdatmosphäre anreicherte. Eisen-II oxidierte zu Eisen-III und ging dabei unlösliche Verbindungen mit anderen Ionen ein. Diese stellen Zwischenprodukte zweier wichtiger biochemischen Reaktionsketten dar: Der Glykolyse und der sogenannte Pentosephosphatweg (das Verwerten von Kohlenhydraten, beispielsweise von Glucose, bei der ein bestimmtes Enzym gebildet wird). Beide spielen im zellulären Metabolismus aller Lebensformen eine zentrale Rolle: Sie ermöglichen die Energiegewinnung aus Kohlenhydraten und stellen die Bausteine für Proteine und Fettsäuren bereit. 

Kann das Leben auch auf Silizium-Basis beruhen, statt auf Kohlenstoff?

Eine durchaus berechtigte Frage, mit der vielfach Science fiction-Romane mit Fleiß außerirdisches Leben alternativ belegen. Es ist m.E. sogar denkbar, dass es andere Universen mit skurrilen Lebensformen gibt, denen eine ganz andere Physik zugrunde liegt, mit ganz anderen Elementen und Naturkonstanten. 

Aber zurück zum Silicium, das nicht von ungefähr der Nachbar von Kohlenstoff im Periodischen System der Elemente ist. Es besitzt also sehr ähnliche atomare Eigenschaften. Die Crux ist aber, dass Silizium wesentlich „Atom-korpulenter“ ist als Kohlenstoff. Das heißt, Si-Atome liegen zu weit auseinander, um feste Mehrfachbindungen einzugehen. Silizium hat nämlich eine kleinere Elektronennegativität als Kohlenstoff. Langkettige Silicium-Verbindungen sind zudem deutlich starrer und unflexibler als entsprechende Kohlenstoff-Verbindungen. Nach außen heißt das: Silizium-Strukturen (Silane) sind nicht stabil, also „lebensuntüchtig“. 

Da sind C-Atome als Gerüst-Elemente perfekt geeignet, um sogenannte kovalente Mehrfachbindungen mit anderen Stoffen einzugehen, also eine Wechselwirkung der Außenelektronen (Valenzelektronen) mit den Außenelektronen der beteiligten Atome. Als Grundbaustein für das Leben scheidet Silizium als Wackelkandidat zwischen Reaktivität und Stabilität aus. Nur der Kohlenstoff kann eine Doppelhelix bauen — die molekulare Struktur des DNA-Moleküls. Meines Wissens gibt es nur eine Festverbindung mit Silizium, nämlich Siliziumdioxid, mit der man höchstens leblose Sandmännchen bauen kann. 

Alles Zufall, oder steckt mehr hinter dem Leben?

Man kann erklären, warum nur bestimmte organische Verbindung lebensbildende Eigenschaften besitzen, etwa die Zellteilung, vielleicht sogar bereits selbstreplizierende Moleküle. Einige Wissenschaftler setzen danach keinen Punkt, sondern bemühen den Zufall als Erklärung für entstandenes Leben: Es setzt sich das durch, so unwahrscheinlich es auch ist, denn die Natur hatte ja zig-Milliarden Versuche und dafür zig-Millionen Jahre Zeit. Entsteht so mit hoher Wahrscheinlichkeit das Unwahrscheinliche, also das Leben? Nehmen wir folgendes Bild: Was wäre, wenn z.B. Beethoven seine Partitur zur Schicksalssymphonie an einen starken Windstoss verloren hätte? Die meisterliche Notensetzung wäre sicher in Kürze „zufällig“ chaotisch zerfetzt und zerstreut. Kein zufälliger Gegenwind könnte den chaotischen Notensalat des Meisterkomponisten wieder „zufällig“ richtig zusammengesetzt zurückwehen. 

Schlussbetrachtung 

Selbst mit der kühnsten Künstlichen Intelligenz lässt sich die Entstehung des Lebens nicht tieflotend erklären oder gar nachbilden. Dabei kann KI das augenblickliche Weltwissen der Wissenschaft in Sekunden durchforsten. Noch gebricht es der KI an entsprechenden Algorithmen, vor allem aber besitzt sie keine göttliche Kreativität, mit der unser Schöpfer die Partitur des Lebens schrieb. Und vergessen wir nicht: Unsere Naturwissenschaft ist immer nur der aktuelle Stand des Irrtums. Mit Fleiß versucht die Naturwissenschaft das Rätsel des Lebens zu lösen und es gar zu reproduzieren, bisher fand sie aber noch keine endgültige Antwort. 

Für die tiefe Urzeit des Lebens gibt es m.W. keine Zeitzeugen wie in der übrigen Paläontologie. Aber gibt es womöglich ein Ur-Relikt in der chemischen Struktur von Vitamin B12? Merkwürdig, neben dem Zentralatom Kobalt enthält dieses Coenzym in seiner Struktur einen Baustein der RNA (nämlich Adenosin, ein Mittel gegen Herzrythmusstörungen). 

Halten wir fest: In jedem lebenden Organismus müssen zwei Schlüsselprozesse ablaufen. Dieser braucht einen Stoffwechsel, um seinen Körper aufzubauen und zu erhalten; er muss eine Art von Informationsspeicher haben, zum Beispiel ein Gen oder Gene, die kopiert und an die Nachkommen weitergegeben werden können.

Von der Ur-Zelle bis zum Vielzeller Mensch, verging eine lange Geschichte, die sich über vier Milliarden Jahre hinzog. Komprimieren wir diese Zeitspanne gedanklich überschaubar auf einen Tag, dann entstand die erste Zelle bei Sonnenaufgang. Während die Dinosaurier etwa 21 Minuten vor den Menschen ausstarben, erschienen wir ersten Zweibeiner auf der Weltbühne, und das nur eine halbe Sekunde bevor der Tag zur Neige ging. 

Lassen wir unser ernsthaftes Streben nach unseren Ur-Wurzeln zu forschen, humorvoll mit Heinz Erhardt ausklingen, der die Ur-Zelle so ins Gespräch brachte: 

„Das Leben kommt auf alle Fälle aus der Zelle, 
Doch manchmal endet’s auch — 
bei Strolchen — in einer solchen“

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