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Kinderarbeit ist ein Luxusproblem

Von Peter Haisenko   

Geschrieben im Jahr 2006

Mal ehrlich, wir haben von vielem zu viel. Damit meine ich jetzt nicht die Geschichten über Paris Hilton oder das Kohlendioxid. Von manchem haben wir auch zu wenig. Zum Beispiel haben wir zu wenig Platz in unseren Kleiderschränken. Das liegt nicht daran, dass die Kleiderschränke zu klein wären. Vielmehr lassen wir uns von der Werbung und dem Modediktat verleiten, Kleidungsstücke zu kaufen, die wir eigentlich nicht brauchen. Und mit den Textilien kaufen wir das schlechte Gewissen gleich mit. Tragen wir doch tief in unserem Unterbewusstsein das Wissen mit uns, dass viele unserer ach so schönen und billigen Erwerbungen von Kinderhand hergestellt wurden.

Die einfache Formel „daran kann ich sowieso nichts ändern“ darf unser Gewissen aber nicht ruhig stellen. Denn die Wahrheit ist: Wir können sehr wohl und wir müssen! Und das Beste dabei ist, dass wir dafür nicht mehr Geld ausgeben müssen oder ernsthaften Mangel leiden. Und es ist erstaunlich einfach. Nehmen wir an, jeder würde nur noch die halbe Menge an Kleidungsstücken einkaufen. Unser Kleiderschrank wäre erfreut und das allmorgendliche Problem der Kleiderwahl wäre nur noch halb so groß. Nackt oder frierend müsste deswegen niemand herumlaufen.

Schon höre ich den lauten Protest der Kaufleute: Das können sie nicht machen! Da wird viel zu wenig Geld umgesetzt! Nun, dieses Problem ist einfach zu lösen: Wir verdoppeln die Preise. Der Geldumsatz ist wieder auf dem alten Niveau und alle können zufrieden sein. Aber auf der anderen Seite der Welt, in den Ländern der so genannten „Dritten Welt“, wird die Auswirkung dramatisch sein. Dramatisch positiv. Der erste Gedanke, dass man so den Menschen dort die Arbeit nimmt, ist zutreffend. Aber die haben sowieso schon so viel Arbeit, dass sogar achtjährige Kinder arbeiten müssen. Kinder, die eigentlich in die Schule gehen sollten, um das Wissen für eine bessere Zukunft zu erwerben.

Diese Kinder müssen arbeiten, weil sie zum Lebenserhalt der Familie beitragen müssen und weil es diese Arbeit gibt. Bekäme der Vater für seine Arbeit eine halbwegs gerechte Entlohnung, die die Ernährung seiner Familie sicherte, so müssten die Kinder nicht arbeiten und könnten die Schule besuchen. Abgedroschene Weisheiten, könnte man sagen. Geht nicht! Geht eben doch: wenn der Preis für Textilien in den westlichen Ländern verdoppelt wird – und diese doppelte Summe tatsächlich den Produzenten zugeleitet wird -, kann der Arbeiter in der dritten Welt mindestens den doppelten Lohn erhalten. Mindestens! Schon ist die Quadratur des Kreises geschafft! Mit dem erhöhten Lohn kann der Familienvater seine Familie ernähren und die Kinder in die Schule schicken. Die Kinder können gar nicht mehr arbeiten, weil ihre Arbeit nicht mehr benötigt wird. Die Nachfrage ist ja halbiert.

So einfach können wir unser Gewissen nachhaltig entlasten und die Welt verbessern. Denn mit dieser „kleinen“ Veränderung unseres Konsumverhaltens geht noch ein Rattenschwanz von positiven Änderungen einher: Der Kohlendioxidausstoß wird verringert, weil weniger Transportkapazitäten verbraucht werden. Flächen, die von der Baumwollproduktion beansprucht werden, können für die Produktion von Nahrungsmitteln genutzt werden und so zur Reduzierung des Hungers in der Welt beitragen. Wir produzieren weniger Müll. Die Liste ist lang.

Wer also daran interessiert ist sein Gewissen nicht nur durch seinen Mitgliedsbeitrag bei Greenpeace zu entlasten, der sollte sich für eine angemessene Bezahlung der Arbeit in allen Ländern unserer Erde einsetzen. Er muss dafür keinen Mangel in Kauf nehmen. Im Gegenteil: Er gewinnt eine neue Freiheit. Freiheit von Konsumterror. Und er schafft sich ein besonderes Problem vom Hals: Das neue Hemd, das ich nur erworben habe, weil es so ein Schnäppchen war, und das zu Hause gar nicht mehr so toll war, und das ich deswegen noch nie an hatte, wie kann ich das entsorgen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben?

Mehr zum Thema: Günther Jauch: Ist der deutsche Konsument Schuld am Tod der Näherinnen in Bangladesch?

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