„Fly Dubai“-Unfall in Rostow legt eine Kette von Systemfehlern offen
Von Peter Haisenko
Der Absturz der Fly Dubai B 737 in Rostow mit mehr als 60 Todesopfern ist in der Berichterstattung bestenfalls gestreift worden. Es gab sogar einen „Tweet“ von einem deutschen Politiker, dass es ja „nur Russen“ unter den Opfern gab. Geht uns dieser Unfall wirklich so wenig an? Tatsächlich kann ein ähnlicher Unfall jeden Tag passieren und es könnten dann 100 Deutsche die Opfer sein. Die Katastrophe von Rostow war in mehrfacher Hinsicht systemimmanent. Da diese Fakten in der üblichen Berichterstattung verschwiegen werden, will ich als ehemaliger Lufthansa-Kapitän, der mit den Gegebenheiten dieses Flugzeugtyps vertraut ist, etwas Licht ins Dunkel bringen.
Beginnen wir mit dem Ablauf. Der Flug führte von Dubai nach Rostow und sollte nach etwa vier Stunden gegen Mitternacht dort landen. Wegen widrigen Wetters musste durchgestartet werden. Anschließend hat sich der Kapitän entschieden, keinen Ausweichflughafen anzusteuern, wie es etliche andere getan haben. Er flog stattdessen für zwei Stunden Warteschleifen und versuchte dann einen erneuten Anflug, der beim Durchstarten in der Katastrophe endete. Von Anfang an fiel der extrem steile Absturzwinkel auf, der nur mit einem totalen Strömungsabriss zu erklären ist. Wie konnte es dazu kommen?
Wenig erfahrener „Schönwetterpilot“ unter Sparzwang
Der Kapitän, dem Namen nach ein Grieche, wird mit 5.700 Flugstunden als erfahren bezeichnet. Das ist anzuzweifeln, in mehrfacher Hinsicht. 5.700 Flugstunden sind für einen Kapitän eher wenig. Vor allem sollte betrachtet werden, wie und wo er diese Stunden absolviert hat. Das Streckennetz der Fly Dubai beschränkt sich im Wesentlichen auf sonnenverwöhnte Ziele, die wenig Gelegenheit bieten, Erfahrungen mit Schnee, Eis und Winterstürmen zu sammeln. In dieser Hinsicht dürfte der Kapitän nicht als erfahren beurteilt werden, ebenso wenig wie sein Copilot. Man befand sich in einer wenig geübten Ausnahmesituation. Umso mehr ist die Entscheidung zu hinterfragen, nicht einen geeigneten Ausweichflughafen anzusteuern und damit kommen wir zur allgemeinen Firmenpolitik von Fly Dubai.
Nach dem Unfall haben sich viele aktive und ehemalige Piloten von Fly Dubai und Emirates zu Wort gemeldet – unter dem Mantel der Anonymität. Fly Dubai ist eine (Billig-)Tochter von Emirates und betreibt offensichtlich dieselbe Knebelungspolitik wie die Mutter, was den Umgang mit Dienst- und Ruhezeiten anbelangt sowie mit Krankmeldungen. Das Einfordern eines korrekten Umgangs damit ist ein Karrierehindernis bis hin zur Entlassung. Es ist nichts darüber bekannt geworden, ob es ähnliche Sanktionen gibt, wenn ein Ausweichflughafen angesteuert wird, aber das wird generell nicht gern gesehen, denn es verursacht erhebliche Kosten. Das alles könnte ein Grund dafür gewesen sein, warum sich der Kapitän gegen eine Ausweichlandung entschieden hat. Weiterhin ist zu beachten, dass man nach einer Ausweichlandung an Dienstzeitgrenzen gekommen wäre, was gravierende weitere Verzögerungen und noch mehr Kosten verursacht hätte, die sich eine Billigfluglinie wie Fly Dubai nicht leisten will. Hier gibt es also einen fundamentalen Systemfehler.
Ich stelle fest: Die Piloten waren zur Unfallzeit in den frühen Morgenstunden nicht in Bestform, wenn nicht total übermüdet und sie hatten wenig bis keine Erfahrung mit den meteorologischen Bedingungen am Zielort.
Ein dritter Autopilot hätte die Katastrophe verhindert
Jetzt zum technischen Teil des Ablaufs. Der fatal endende Anflug ist mit dem Autopilot durchgeführt worden, was bei den Wetterbedingungen nicht empfehlenswert ist, aber dem Ermüdungsstand geschuldet sein kann. Relativ kurz vor der Landung musste ein Durchstartmanöver geflogen werden, das mit dem Autopilot problemlos sein sollte. Aus irgendeinem Grund hat sich der Autopilot jedoch während dieses Manövers „verabschiedet“, sei es wegen eines technischen Fehlers oder aktiver Entkoppelung. So oder so beginnen hier Probleme, die der technischen Auslegung der B 737 geschuldet sind.
Die B 737 war in ihrer ursprünglichen Auslegung eher ein Schönwetterflugzeug. Erst in der Weiterentwicklung wurde ihr eine Schlechtwetterkapazität verpasst. Dies geschah aber nur halbherzig. Um Landungen mit dem Autopilot durchführen zu dürfen, sind normalerweise drei unabhängige Autopiloten notwendig, die sich zusammengeschaltet gegenseitig überwachen. Die B 737 hat aber nur zwei davon und so hat Boeing einen Trick angewendet. Für „normale“ Durchstartmanöver muss sichergestellt sein, dass das Flugzeug nicht weiter absinkt und Bodenberührung haben kann. Kein Problem, wenn man drei Autopiloten hat.
Die B 737 funktioniert anders. Wird ein Anflug auf „Autoland“ programmiert, dann beginnt der Autopilot kurz über dem Boden – etwa ab 300 Metern – das Flugzeug zu „vertrimmen“. Das Höhenruder wird Richtung „nose up“, also Nase hoch aus dem ausgewogenen Trimmzustand genommen. Fällt jetzt der Autopilot aus, dann wird das Flugzeug die Nase steil nach oben richten, wenn nicht eingegriffen wird. Für die Piloten entsteht ein perverser Zustand. Normalerweise, natürlicherweise wird die Nase von den Piloten während eines Durchstartmanövers nach oben gezogen. Wenn man aber mit der B 737 nach einem Autoland-Anflug von Hand durchstarten will, muss man genau das Gegenteil tun. Man muss mit erheblichem Kraftaufwand das Steuerhorn nach vorne, also Richtung Nase nach unten drücken, weil sonst der Flugwinkel zu steil wird und die Leistung der Motoren nicht ausreicht, um die notwendige Geschwindigkeit zu halten. Genau das ist in Rostow passiert. Die Strömung ist abgerissen, die Nase kippte steil Richtung Boden und der Aufschlag war nicht zu vermeiden.
Kapitän und Copilot im Streit behindern sich gegenseitig
Aus anonymer Quelle ist berichtet worden, dass im Cockpit Chaos herrschte. Offensichtlich war zumindest einer der Piloten von der Reaktion ihrer Boeing restlos überrascht. Man war sich uneins, was zu tun ist und so hat einer der beiden Piloten mit aller Kraft nach oben gezogen, während der andere versuchte, die Nase unten zu halten. Begleitet war das Ganze von unkoordiniertem Gebrüll. Jeder der Piloten war sich offensichtlich seiner Sache so sicher, dass sie mit aller Kraft gegeneinander gearbeitet haben und die Verbindung zwischen den Kontrollsäulen ausgeschert ist, was allerdings von Boeing für einen solchen Fall so vorgesehen ist. Das Flugzeug war somit praktisch steuerlos, zumindest was die Höhenkontrolle anbelangt. Es stieg zu steil in die Höhe, verlor Geschwindigkeit und näherte sich schnell dem Zustand eines fatalen Strömungsabrisses. Erschwerend kam hinzu, dass die Landeklappen nach Standardverfahren teilweise eingefahren worden sind, was das Flugzeug noch schneller an die Abrissgeschwindigkeit gebracht hat.
Man wird es sich einfach machen und als Absturzursache „Pilotenfehler“ feststellen. Das ist zwar richtig, aber eben nur die halbe Wahrheit. Es ist ein multipler Systemfehler, der letztlich dem allgemeinen Primat des Gewinnstrebens geschuldet ist. Und zwar sowohl Seitens Fly Dubai, als auch Boeings. Boeing ist mit der B 737 den billigsten Weg gegangen und hat auch bei den neuesten Modellen der B 737-Familie die Kosten gescheut, einen anständigen Autopiloten einzubauen, der modernen Anforderungen für Schlechtwetteranflüge gerecht wird. Ich selbst habe die B 737 fünf Jahre lang geflogen und bei Lufthansa zum Beispiel wird im Simulator genau für diesen seltenen Ausnahmefall gründlich trainiert. Aus dieser Erfahrung heraus kann ich sagen, dass es wirklich großer Kraftanstrengung bedarf, die B 737 aus dieser prekären Situation heraus zu steuern, wenn sich der Autopilot nach einem Autolandversuch im Durchstarten verabschiedet hat.
Gewinnstreben und Flugsicherheit vertragen sich nicht
Was allerdings den Umgang der Dubai-basierten Airlines mit seinen Piloten angeht, so dürfte das eher ein allgemeines Problem von Billigairlines sein. Die Kaufleute führen hier das Kommando und die Statistik gibt ihnen erst einmal recht. Das gilt jedoch nur dann, wenn alles bei gutem Wetter ohne größere Probleme abläuft und das ist zu 99 Prozent der Fall. Für das restliche eine Prozent wenden solide Fluggesellschaften viel Geld auf – und das beschränkt sich nicht nur auf das Pilotentraining. Um Flugzeuge in einem technischen Zustand zu halten, der sie für Schlechtwetteranflüge qualifiziert, muss ein hoher Aufwand betrieben werden, der viel Geld kostet und das tun sich Billigairlines nur ungern an. Auch das Training der Piloten für diese Extremzustände ist nicht billig.
Fazit: Gewinnstreben und Flugsicherheit vertragen sich nicht. Zwar können die zwangssparenden Kaufleute die Statistik für ihr Vorgehen reklamieren, denn die Luftfahrt war noch nie so sicher wie heute. Das gilt auch für Billigairlines – solange alles bei schönem Wetter und ohne besondere Vorfälle abläuft. Wenn aber auch bei widrigen Wetterverhältnissen zuverlässig und pünktlich operiert werden soll, dann bedarf es eben erhöhter Sicherheitsstandards, und die kosten Geld. Wenn man einen Billigflug bucht, weiß man noch nicht, wie das Wetter während des Fluges und bei der Landung sein wird. Folglich heißt meine Empfehlung: Do not „Fly Dubai“ und das gilt auch für Emirates, denn die gehen offensichtlich ähnlich unverantwortlich mit den Ruhe- und Dienstzeiten ihrer Piloten um.
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In diesem (Alt-)Fall ist es gerade noch mal gut gegangen: Air Berlin Unfall in Dortmund – technische Hintergründe