Alles Zigeuner – oder was?
Von Peter Haisenko
Neulich kam die Meldung: Paris will 200 Roma oder Sinti ausweisen. Zigeuner darf man ja nicht mehr sagen. Aber ganz gleich, wie man sie nennt: Wenn es um Aufenthaltsrechte innerhalb der EU geht, ist jede sprachliche Abgrenzung solcher Art falsch. Sie wird benutzt, um einen rechtlichen Vorgang emotional aufzuladen.
Zu viel Aufmerksamkeit wird darauf verwandt, nur ja nicht das Unwort „Zigeuner“ zu verwenden. Vor lauter politischer Korrektheit geht dabei völlig unter, dass es im Falle der Zuwanderung gar nicht darum gehen darf, ob es sich um Zigeuner handelt. Rechtlich gesehen handelt es sich um „ganz normale“ Armutsmigration von Rumänen oder Bulgaren. Diese neutrale, allein die nationale Zugehörigkeit benennende Bezeichnung, wird von den Medien auch beibehalten, wenn sie darüber berichten, dass nach dem jüngsten Urteil des Landessozialgerichts NRW jetzt rund 130.000 Rumänen und Bulgaren das Recht haben, Hartz IV zu beantragen. Wie viele von diesen Sozialschmarotzern werden wohl den Stämmen der Sinti und Roma zuzuordnen sein? – Vermutlich sehr viele, aber man wird es nie erfahren.
Wenn über den Missbrauch des Sozialstaates oder über Straftaten von Ausländern in Deutschland berichtet wird, ist niemals die Rede von Roma oder Sinti, sondern lediglich von Rumänen und Bulgaren. Wenn es aber darum geht, sozial-schmarotzende Zigeuner aus Rumänien und Bulgaren auf der Suche nach einem besseren Leben in Deutschland als arme, hilfsbedürftige Menschen darzustellen, dann werden diese Roma oder Sinti genannt. Dann wird Deutschland an sein Stigma aus der Nazi-Zeit erinnert. Damit wird es den Behörden unmöglich gemacht, diese Armutszuwanderer als solche ohne Vorurteil zu behandeln und gegebenenfalls auszuweisen.
Die Sprache ist eine mächtige Waffe. Sie definiert unser Sein. Ihr Gebrauch bestimmt wesentlich unsere Einstellung und unser Denken – nicht nur zu heiklen Themen. Im Fall der Zigeuner wird die Sprachwahl (das Sprachdiktat) missbraucht, um gültiges Recht nicht unterschiedslos anzuwenden. Ich will hier nicht darüber spekulieren, welche Zielsetzung dahinter steht. Fest steht, es ist nicht förderlich für den vorurteilslosen Umgang der Menschen miteinander, wenn Fallweise zwischen Nationalitäten und ethnischen Zugehörigkeiten unterschieden wird, je nach dem, welche Intention mit der Berichterstattung verfolgt wird. So viel steht fest: Wenn es um ausländerrechtliche Fragen geht, sind ethnische Differenzierungen zur Nationalität überflüssig.
Noch ein Wort zu Zigeunern, ganz allgemein. Als Zigeuner noch Zigeuner genannt werden durften, gab es wohlgelittene Begriffe wie Zigeuner-Romantik oder Zigeuner-Geiger. Die Filme der 1950er Jahre thematisierten oftmals sehnsuchtsvoll die Liaison einer schönen (deutschen) Frau mit einem feschen Zigeuner („Ich denke oft an Piroschka“). Niemand unterschied zwischen Roma oder Sinti. Eines der besten und beliebtesten Restaurants in München hieß „Piroschka“, und die Besucher erfreuten sich an Zigeuner-Musik und dem exotischen Flair.
Heute haben Sie ein Problem, wenn Sie sich ein „Zigeuner-Schnitzel“ bestellen wollen: Ist es nun ein „Roma-Schnitzel“, ein „Sinti-Schnitzel“ oder gar ein „MEM-Schnitzel“? (MEM = Mitglied Ethnischer Minderheiten, der politisch korrekte Name für Zigeuner in den 1970er Jahren.) War die Welt nicht schöner und korrekter, ehrlicher und einfacher, als man einen Zigeuner noch Zigeuner nennen durfte? Oder einen Neger einen Neger, ohne Gefahr zu laufen, als Rassist in die „rechte Ecke“ gestellt zu werden?