Bröckelnder Beton am Holocaust-Mahnmal
von Hubert von Brunn
Die dereinst hoch gelobte deutsche Ingenieurskunst ist längst nicht mehr das, was sie einmal war. Speziell im Baugewerbe und in den affinen Gewerken wird gepfuscht und gestümpert, was das Zeug hält. Pleiten, Pech und Pannen allenthalben. Stolz propagierte Vorzeigeprojekte wie Stuttgart 21, Elbphilharmonie und BER sind zu einer nicht enden wollenden Serie an Peinlichkeiten mutiert – und die Welt lacht uns aus. Jetzt gibt es noch einen Grund mehr, den Nimbus der „deutschen Wertarbeit“ in Zweifel zu ziehen. In diesem Falle geht es nicht um ein komplexes Großprojekt, sondern um 2711 graue Betonklötze am Brandenburger Tor in Berlin.
Die Rede ist vom Holocaust-Mahnmal, das mit einem Investitionsaufwand von 27,2 Mio. Euro nach zweijähriger Bauzeit am 10. Mai 2005 eröffnet wurde. Bereits wenige Monate später, im Januar 2006, werden bei 20 Quadern Risse im Beton festgestellt. Weitere 393 schadhafte Stelen kommen im Laufe des Jahres dazu. Im Jahr 2011 werden 2200 (!) Betonklötze gezählt, die Risse aufweisen. In den beiden darauffolgenden Jahren müssen 44 Stelen mit Stahlmanschetten gesichert werden. Einer dieser Klötze war dann offenbar derart marode, dass ihn die Denkmal-Stiftung in einer Nacht-und-Nebel-Aktion hat abräumen lassen. Jetzt sind es nur noch 2710, und weitere werden folgen.
Pfusch am Bau für 9 Mio. Euro
Diese Stelen (eine recht beschönigende Begrifflichkeit für schmucklose Betonquader) haben keinerlei statische Funktion zu erfüllen. Sie liegen einfach da auf ebener Erde, sonst nichts. Die einzige Beanspruchung, die sie zu erdulden haben, sind die hierzulande sehr gemäßigten klimatischen Bedingungen mit Sonne, Regen, Schnee und leichtem Frost. Manchmal turnen auch ein paar übermütige Touristen darüber. Kann das einen tonnenschweren Betonklotz zermürben? Muss wohl so sein, denn Berlin liegt in einer ausgesprochen erdbebensicheren Zone, Überschwemmungen gibt es – jedenfalls am Brandenburger Tor – nicht, und Tsunamis schon gar nicht.
Also, worüber reden wir: Über miserable Betonmischungen, die eine brandenburgische Firma in Quader gegossen der Denkmal-Stiftung für 9 Mio. Euro verhökert hat. An der Stelle kann man nur froh sein, dass dieser Schrott nicht in die Pfeiler einer Autobahnbrücke verbaut wurde. Denn ein Beton, der nicht einmal sich selbst tragen kann, wäre wohl kaum geeignet, die tonnenschweren Lasten eines Überbaus, geschweige denn die durch den Verkehr verursachten Belastungen auszuhalten. Dieses Material in einer Autobahnbrücke wäre eine Katastrophe. Aber solche Brücken, zum Teil sehr große Brücken, wurden in den letzten Jahren gebaut. Und sie halten Wind und Wetter und extremen Gewichtsbelastungen Stand. Warum, fragt man sich, ist eine strenge und effiziente Qualitätskontrolle des Baumaterials, wie sie im Straßenbau offensichtlich funktioniert, bei Betonklötzen für ein Mahnmal nicht möglich?
Mehr Millionen für die Erbschuld
Bei den mehr als 27 Mio. Euro, die dafür ausgegeben wurden, hätte das Honorar für einen unabhängigen Sachverständigen schon noch drin sein sollen. Das peinliche Zerbröseln der Quader wäre so zu verhindern gewesen. Aber an derlei Petitessen hat Lea Rosh, die Initiatorin des Holocaust-Mahnmals, damals wohl nicht gedacht. Zu euphorisch war sie, nachdem sie nach langen, heftigen Diskussionen letztlich den Sieg davon getragen hatte. Zu den gerissenen und derzeit 44 mit Manschetten versehenen Stelen meinte sie: „Sieht doch gar nicht schlimm aus“. Na bravo, Frau Rosh, immer locker übern Hocker. Ist ja nicht Ihr Geld. Wenn die Dinger in ein paar Jahren vollkommen verrottet sind, und auch Stahlmanschetten nichts mehr helfen, steigen Sie wieder in die Bütt und werden vom deutschen Steuerzahler mit erhobenem Zeigefinger fordern, dass er für die Wiederherstellung des maroden Mahnmals gefälligst wieder ein paar Millionen locker zu machen hat. Schließlich müssen wir unserer Erbschuld bewusst sein – koste es, was es wolle.
Dass die früher oder später (eher früher) nötige Grundsanierung des Holocaust-Mahnmals eine Stange Geld kosten wird, ist klar. Dass dafür in erster Linie der gemeine Steuerzahler aufzukommen hat, ist auch klar (Asche auf sein Haupt). Was bleibt, ist die Hoffnung, dass dann ein unabhängiger Sachverständiger eingeschaltet wird, der die Güte des Betons nach den im Brückenbau gültigen Kriterien prüft, und die neuen Betonklötze (liebevoll „Stelen“ genannt) dann wenigstens eine Lebensdauer von 50-70 Jahren haben. Ein weiteres peinliches Versagen möge so der Zunft der deutschen Bauingenieure erspart bleiben