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Krim-Krise: Kann eine Volksabstimmung illegal sein?

Von Peter Haisenko 

Ich verstehe die Logik nicht: Die Bürger der Krim haben abgestimmt, und Russland wird geprügelt. Was kann Russland dafür, wenn die Bürger der Krim zu Russland gehören wollen? Wäre es moralisch zu verantworten, wenn Russland das Begehren der Krim ablehnt? Kann eine Volksabstimmung illegal oder gar undemokratisch sein? Vor allem dann, wenn mehr als 80 Prozent an dieser Abstimmung teilgenommen haben?

Demokratisch ist eine Abstimmung oder Wahl anscheinend nur dann, wenn das Ergebnis den USA genehm ist. Als vor einigen Jahren Palästinenser der „falschen“ Partei die Mehrheit beschert hatten, sperrte die EU sofort finanzielle Hilfen. Sieht so Respekt vor dem Volkswillen aus? Im Westen wird apodiktisch darauf beharrt, die Volksabstimmung auf der Krim verstoße gegen Völkerrecht. Inwiefern das so sein soll, wird nicht ausgeführt. Es ist halt so, weil wir es sagen. Sollte die Abstimmung auf der Krim tatsächlich gegen Völkerrecht oder ukrainisches Recht verstoßen, dann muss die Frage gestellt werden, ob diese „Rechtsordnungen“ überhaupt demokratischen Grundsätzen genügen. Die ukrainische Verfassung ist in den letzten 24 Jahren mehrmals geändert worden. Welche Version ist denn nun die „richtige“?

Reicht das kollektive Gedächtnis der Deutschen 25 Jahre zurück? „Wir sind das Volk“, haben sie in Leipzig gerufen, und Russland bzw. die Sowjetunion hat sie gehen lassen. Deutschland hat sich „wiedervereinigt“, obwohl es keine, ich wiederhole keine Volksabstimmung gegeben hat. Russland hat es gefördert, hat sich komplett zurückgezogen. Die amerikanischen Atomwaffen sind immer noch in Deutschland stationiert. War das völkerrechtlich einwandfrei? Es ist übrigens derselbe Gorbatschow, der jetzt Putin einwandfreies Verhalten in der Krim-Frage bescheinigt.

Die Willensentscheidung der Mehrheit ist zu akzeptieren

Demokratie muss immer heißen, der freie Wille der Mehrheit bestimmt darüber, was geschehen soll. Auch wenn es einer Minderheit nicht gefällt, was in der Regel der Fall ist. Das Ergebnis demokratischer Prozesse darf keinesfalls von Kräften außerhalb außer Kraft gesetzt werden. Schon die Androhung von Sanktionen im Fall eines bestimmten Abstimmungsergebnisses ist ein aggressiver Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Wähler. Die Reaktion der selbsternannten ukrainischen Führung auf das Abstimmungsergebnis der Krim ist die sofortige Teilmobilisierung der Streitkräfte. Wollen diese Kriegstreiber den erklärten Willen der Krim-Bewohner mit Waffengewalt revidieren? Gandhi hat dazu gesagt: Was mit Gewalt erworben wurde, kann nur mit Gewalt erhalten werden. Droht jetzt auf der Krim die Fortführung der Kiewer Gewalt, von der sie bislang verschont geblieben ist?

Russland hat die Krim nicht besetzt. Möglicherweise – wir wissen es nicht – hat Russland geholfen, auf der Krim Gewaltakte und Tote zu vermeiden, wie sie in Kiew zu beklagen sind. In Kiew und dem Rest der Ukraine herrschen weiterhin Chaos und Gewalt. Nur auf der Krim nicht. Welches Verbrechen ist also von wem auch immer auf der Krim begangen worden, das nach Sanktionen verlangen könnte? Vor allem Sanktionen gegen jemand, der nicht einmal aktiv eingegriffen hat? Der nicht mehr getan hat als zu signalisieren, dass er gegenüber den Krim-Bewohnern freundlich gesinnt ist? Dass Ruhe und Ordnung erhalten bleiben?

Die Angst des Westens vor Volksabstimmungen

Ich denke der Westen hat eine Heidenangst vor Volksabstimmungen. Es gibt einige Regionen, die in Volksabstimmungen Entscheidungen treffen würden, die „althergebrachte“ Strukturen komplett über den Haufen werfen würden. Diverse Sezessionsbewegungen sind mittlerweile weltweit zu beobachten. Barcelona (Katalonien) will weg von Spanien. Ließe man die Südtiroler frei entscheiden, dann wäre Südtirol die längste Zeit ein Teil von Italien. Texas, die neureichen Fracking-Staaten des US-Mittelwestens, selbst Kalifornien kann nicht sicher sein, dass ihre Bürger weiterhin integraler Teil der USA sein wollen. Schottland wird abstimmen. Wann wird Wales folgen? Da gibt die Krim eindeutig das falsche Signal im Sinne derjenigen, die zumeist willkürlich festgelegte Grenzen unbedingt erhalten wollen. Geht doch! – wird mancher sagen. Lasst es uns probieren.

Betrachten wir realistisch die Grenzen in Europa: So wie sie jetzt sind, sind sie durch Gewalt und Willkür entstanden. Oder durch Zufall. Bis zum Ersten Weltkrieg hat Lemberg zu Österreich gehört. Wer schon einmal dort war, sieht das sofort an den Baulichkeiten der Stadt. Meine Lemberger Freunde sagten anlässlich eines Besuchs in Bozen: Sieht aus wie Lemberg. Gerade Lemberg hat im Lauf der Geschichte mehrmals den Herren wechseln müssen. Aber jetzt darf nie wieder etwas verändert werden? Auch nicht, wenn das Volk es will? Von ebendiesen Lemberger Freunden weiß ich, dass die Region Lemberg ganz schnell die Ukraine verlassen wollte, wenn man sie denn fragte.

Willkürliche Grenzziehungen

Der Nahe Osten: Die Grenzen, die wir heute kennen und auch als unumstößlich, ja geradezu gottgegeben, hinnehmen, sind vom British Empire 1917 in absoluter Willkür mit einem Bleistift auf die Karten gemalt worden. Wir wissen, welche Probleme daraus entstanden sind. Pakistan, Kaschmir, Bangladesch, ein ewiger Konfliktherd. Die Grenzen? Vom British Empire willkürlich festgelegt. Deutschland selbst? Wäre Churchill Linkshänder gewesen, hätte er den Strich am anderen Ufer der Elbe gezogen, als er in Jalta Deutschland aufteilte. Dann wäre das Wasser der Elbe Ostzone gewesen. Wie brave Schafe haben wir es 50 Jahre lang einfach akzeptiert. 1918, nach den Versailler Verträgen fanden in einigen ehemaligen deutschen Ostgebieten Volksabstimmungen statt mit dem Ziel, die Bevölkerung entscheiden zu lassen, ob sie zu Deutschland oder Polen gehören wollen. Die Entscheidung fiel eindeutig für Deutschland. Auch das wurde vom British Empire schlicht abgelehnt, obwohl sie selbst die Verträge so aufgesetzt hatten.

Und jetzt die Krim. 80 Prozent Wahlbeteiligung. Davon kann man im Westen nur träumen. 96 Prozent für Russland. Geht’s noch eindeutiger? Jeder aufrechte Demokrat muss jetzt den Bürgern der Krim hilfreich zur Seite stehen, damit sie in Zukunft so leben können, wie sie es selbst bestimmt haben. Alles andere ist eine Absage an die Demokratie. Welche Demokratie, höre ich jetzt schon öfter. Plutokratie herrscht im Westen – und in der Ukraine.

Was wäre, wenn…?

Putin wird schon als Diktator verunglimpft. Nur deswegen, weil er Zustimmung von seinen Bürgern erhält in einem Ausmaß, von dem westliche Politiker nur träumen können? Putin hat „seine“ Oligarchen in ihre Schranken gewiesen. Wer wäre nicht glücklich, wenn im Westen wenigstens die Bankster zur Ordnung gerufen würden? Per Gesetz gezwungen würden, einigermaßen moralisch integer zu handeln? Eine Volksabstimmung über dieses Thema würde ähnlich eindeutig ausfallen wie auf der Krim.

Ist es deswegen, warum man uns nicht über Themen abstimmen lässt, die uns wirklich berühren? Ist es deswegen, warum man mit der Krim kein Beispiel zulassen will? Oh ja, dürften wir im goldenen demokratischen Westen wirklich über wichtige Themen abstimmen, dann würde sich sehr schnell sehr viel ändern. Zum Guten und nach dem wirklich freien Willen der Menschen. Eine Volksabstimmung kann nicht undemokratisch oder illegal sein. Ich fürchte, unsere Regierungen wollen das Ergebnis der Krim-Abstimmung nicht akzeptieren, weil sie Angst haben, dass wir fragen könnten, warum wir nicht im selben Maß unseren freien Willen äußern dürfen, wie es sich die Krim-Bewohner jetzt ertrotzt haben.

Was glauben Sie, wie eine Volksabstimmung in Deutschland darüber ausgehen würde, ob wir weiterhin Atomwaffen der Amis oder amerikanische Soldaten bei uns haben wollen? Und glauben Sie, die Amis würden sich einen Dreck darum scheren, was unser Volkswille ist?

 

Lesen Sie dazu auch: Diktatur der Minderheiten – Zwei Lehrstücke in Sachen Demokratie in Deutschland

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