War die DDR ein Unrechtsstaat? – Ostalgische Verklärung nach 25 Jahren
Von Hubert von Brunn
Ein Vierteljahrhundert nach dem Untergang des Arbeiter- und Bauernstaats auf deutschem Boden flackert plötzlich wieder eine Diskussion in den Medien auf, die jeder halbwegs denkende Mensch für längst erledigt gehalten hatte: „War die DDR ein Unrechtsstaat?“ Mit dem gesunden Menschenverstand betrachtet, lautet die Antwort ganz eindeutig JA! Aus der Perspektive juristischer Rabulistiker wie Gregor Gysi und Peter-Michael Diestel, Berufs-Ostalgiker wie Dagmar Frederic oder Ex-Parteibonzen wie Egon Krenz war die DDR ein Rechtsstaat, weil sie ja ein Rechtssystem hatte. Für all jene, die unter der kommunistischen Diktatur zu leiden hatten – und das waren nicht wenige – ist diese Argumentation noch nachträglich ein Schlag ins Gesicht.
Betrachten wir doch einmal einige der wesentlichen Grundlagen, die einen wirklich demokratischen Rechtsstaat ausmachen:
Gewaltenteilung – also eine unabhängige Justiz;
freie, allgemeine und geheime Wahlen;
Meinungs- und Pressefreiheit (ohne Zensur);
Freizügigkeit – also freie Wahl des Wohnorts, des Berufs; Reisefreiheit.
Wurden diese Kriterien von dem deutschen Staat, der sich ausdrücklich „demokratisch“ nannte, auch nur annähernd erfüllt? Ganz und gar nicht!
Die Justiz war alles andere als unabhängig. Da wurden Strafverfolgungsakten manipuliert, Geständnisse unter Gewalteinwirkung (man könnte auch Folter sagen) erpresst, Urteile frisiert, missliebige Bürger enteignet, deren Kinder zur Zwangsadoption freigegeben oder in Erziehungsheime gesteckt… Das Sagen hatte am Ende die Stasi. Was, bitteschön, haben solche Auswüchse mit Rechtsstaatlichkeit zu tun? Mir fallen da eher Parallelen zur Gestapo ein.
Vier Genossen empören sich – alles was Recht ist!
Peter-Michael Diestel, letzter Innenminister der DDR, etwa versteigt sich (als Gast bei Maischberger) zu der ungeheuer intelligenten Aussage: „Gott hat die Strolche in Ost und West gleichermaßen verteilt.“ – Wohl wahr, Herr Diestel, die Frage ist nur, was einer tun musste, um in der DDR zum „Strolch“ zu werden und wie die Justiz mit ihm umgegangen ist. Oder nehmen wir die rosarote Nachtigall Dagmar Frederic, die, nachdem sie wenige Tage zuvor neben dem wächsernen Honi bei „Madam Tussauds“ in Berlin stramm salutierte, in derselben Sendung bei Maischberger die Naive gibt: „Wir haben doch nicht von morgens bis abends an die Mauer gedacht. (…) Die meisten haben gerne in der DDR gelebt.“ – Sieh an, sieh an, Frau Frederic! Für Sie und die anderen linientreuen, mit allen erdenklichen Privilegien gesegneten Künstler war die Mauer in der Tat nicht wirklich existent. Sie durften ja reisen, wann und wohin Sie wollten. Und wenn das Leben in der DDR so toll war, dann muss man sich doch fragen, was die Menschen vor 25 Jahren bewogen haben mag, diesem Operettenstaat ein Ende zu machen.
Egon Krenz, der letzte SED-Chef, verkündet bei einer Veranstaltung in Berlin-Mitte vor 100 handverlesenen Jüngern im Brustton der Überzeugung: „Die DDR hat nicht 40 Jahre lang gegen das Volk regiert.“ – Ach woher denn, nie und nimmer! Schließlich war die Partei immer im Bilde, was für den Einzelnen das Beste ist und hat es nur gut gemeint. So lange, bis die Menschen im Herbst ’89 auf die Straße gingen und unmissverständlich deutlich machten: „Wir sind das Volk“!
Schließlich Gregor Gysi, Fraktionschef der Linken im Bundestag, der sich in der „Super Illu“ vehement dagegen verwehrt, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen. Seine schwiemelige Argumentation: „Wenn ich die DDR als Unrechtsstaat bezeichne, dann erkläre ich, dass die drei Westmächte das Recht hatten, die Bundesrepublik zu gründen, die Sowjetunion aber als Antwort nicht das Recht hatte, die DDR zu gründen.“ – Hää! Oh Mann, Gregor G. ich habe aus Ihrem Mund wirklich schon sehr kluge Sätze vernommen, aber das als Begründung heranzuziehen, weshalb die DDR kein Unrechtsstaat war… Da fällt mir nichts mehr ein. Fehlte nur noch, dass Sie die Stasi als eine Art sozialistische Heilsarmee glorifizieren.
Ein Rechtssystem macht noch keinen Rechtsstaat
Versuchen wir einmal, dem Gedankenkonstrukt auf die Spur zu kommen, das der Haltung, die DDR sei kein Unrechtsstaat gewesen, zugrunde liegt. Ich stelle mir das so vor:
Die Partei, der Staatsrat und dessen Vorsitzender haben grundsätzlich immer Recht. Mit solchermaßen absolutistischen Befugnissen ausgestattet, zimmert sich die Nomenklatura ein Rechtssystem zusammen, das demokratisch aussieht, in Wahrheit aber die blanke Diktatur repräsentiert. In Paragraphen fixiert wird dem Untertan minutiös vorgeschrieben, was er darf – und vor allem was er nicht darf. Auf mehr oder weniger eindringliche Weise wird dem Untertan zusätzlich klar gemacht, dass er die Vorschriften und Gesetze penibel einzuhalten, nicht nach links und nicht nach rechts zu blicken, seinen Mund zu halten und nur das zu tun hat, was die Partei ihm vorschreibt. Dann kannst du ein zufriedenes sozialistisches Leben führen und nichts wird dir geschehen. Wenn du allerdings dagegen verstößt, können, müssen und werden wir dich nach Recht und Gesetz bestrafen. Und unsere Strafen können sehr hart ausfallen, je nachdem wie sehr die Stasi dich auf dem Kieker hat. (Der letzte Satz wurde so natürlich nicht ausgesprochen.)
Ultimatives Recht = die Freiheit zu gehen
Reduziert man also Rechtsstaatlichkeit alleine auf die Tatsache, dass es eine geschriebene Rechtsordnung gab, dann, ja dann haben juristische Rabulistiker wie Diestel und Gysi – und mit ihnen viele Ostalgiker, die mit dem Ende der DDR ihrer Privilegien verlustig gegangen sind – schon recht. Was aber, wenn dieses von der Nomenklatura geschnürte Korsett dem einen oder anderen Bürger zu eng geworden ist, was nachweislich der Fall war? Wenn es ihm die Luft zum Atmen genommen hat und er nicht länger als Marionette am Faden zappeln, sondern als freies Individuum ein selbstbestimmtes Leben führen wollte? Dann hat der sogenannte „Rechtsstaat“ gnadenlos zugeschlagen. Einen letzten Rest von Rechtsstaatlichkeit hätte sich die DDR noch bewahren können, wenn die Staatenlenker gesagt hätten: Nun gut, du undankbarer Untertan, wenn dir unser Rechtssystem nicht passt, dann geh doch! Aber genau das Gegenteil war der Fall. Die Regierenden haben ihr Volk hinter Mauern und Stacheldraht eingesperrt, gerade weil immer mehr Bürger diesem dubiosen Rechtssystem in den 1950er Jahren scharenweise den Rücken gekehrt haben.
Seit 25 Jahren dürfen all jene DDR-Verklärer in einem demokratischen Rechtsstaat leben und jede Menge Rechte für sich in Anspruch nehmen, von denen der gemeine DDR-Bürger nicht einmal zu träumen wagte. Sie dürfen sogar öffentlich gegen diesen Staat, gegen die Regierung, gegen das Rechtssystem – gegen alles wettern und stänkern, ohne dass sie irgendwelche Repressalien zu befürchten hätten. Und wenn es ihnen hierzulande ganz und gar nicht mehr gefällt, können sie einfach ihre Koffer packen, jederzeit das Land verlassen und sich irgendwo auf der Welt niederlassen, wo immer sie das Paradies wähnen. Niemand wird sie daran hindern.
Das Buch zum Thema: Wundersame DDR. Hier berichtet eine Diplomatengattin aus der StäV (Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin), wie schön und skurril das Leben in der DDR sein konnte, wenn man über dem oder außerhalb des Rechts steht. Mal lustig, mal nachdenklich. Auch Ex-DDR-Bürger werden in diesem Buch Dinge über ihr Land erfahren, die sie so noch nicht wussten. Und wir im Westen schon gar nicht. Im Buchhandel oder direkt beim Verlag. (Zur Bestellung hier klicken.)