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Die demokratische Türkei – ein schauerliches Oxymoron

Von Hubert von Brunn 

Demokratie auf Türkisch ist ganz einfach. Wenn Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ein Wahlergebnis nicht gefällt, torpediert er notwendige (und mögliche) Koalitionsverhandlungen, um einen Grund zu haben, fünf Monate später Neuwahlen ansetzen zu können. Damit dann aber auch alles im Sinne des Kalifen von Ankara läuft, nutzt er die Zeit, um politische Gegner, regimekritische Journalisten und nicht korrumpierbare Juristen und Polizeibeamte einzuschüchtern oder, besser noch, mundtot zu machen bzw. aus dem Amt zu entfernen. Und schon hat er die Hälfte des Volkes da, wo er sie haben will.

Die in jedem Staat, der das Attribut „demokratisch“ auch nur annähernd verdient, hochgehaltene Presse- und Meinungsfreiheit, ist Erdogan auf seinem Weg zur absoluten Macht ein echter Dorn im Auge. Aber auch der schmerzt nicht wirklich, wenn man entschieden genug gegen diese „Vaterlandsverräter“ vorgeht. Vier Tage vor der Wahl stürmt die Polizei die Räume regierungskritischer Fernsehsender in Istanbul, nimmt Redakteure fest und zieht den Stecker aus der Wand. Bürger, die auf der Straße vor dem Medienzentrum gegen diesen durch nichts zu rechtfertigenden Angriff auf die Pressefreiheit protestieren, werden brutal unter Einsatz von Gummiknüppel, Wasserwerfern und Tränengas niedergemacht. Viele jener „Randalierer“ landen im Gefängnis.

Brutale Angriffe gegen Presse- und Meinungsfreiheit

Einen Tag später fragen die Türken an den Kiosken vergeblich nach den Zeitungen „Bugün“ und „Millet“, die sich ebenfalls nicht unbedingt als Sprachrohre von Erdogans AKP hervorgetan haben. Kein Problem. Am Freitag erscheinen die Blätter wieder – allerdings mit einer für die Stammleser völlig ungewohnten Tonart. Über Nacht hatte man nämlich die regimekritischen Redakteure ausgetauscht gegen willfährige, linientreue Erdogan-Fans, die nun nicht müde wurden, wahre Lobeshymnen über den Staatspräsidenten und seine Marionette, Ministerpräsident Davutoglu, zu singen.

Man stelle sich vor, derartige Vorgänge wären aus Russland gemeldet worden. Ein Aufschrei der Empörung wäre durch die westlichen Medien gegangen und man hätte Putin als verkommenen Despoten angeprangert, der die Demokratie mit Füßen tritt. Nicht so im Falle der Türkei. Die deutschen Medien haben zwar kurz darüber berichtet, aber ich habe keinen Kommentar gehört oder gelesen, in dem sich irgendjemand lautstark über diese skandalösen Polizeieinsätze aufgeregt hätte. Schließlich ist die Türkei Mitglied der Nato, und in einem Land, das Mitglied der Nato ist, hat selbstverständlich alles seine Ordnung. Dort herrscht Demokratie, was sonst! Dieser als conditio sine qua non hingenommenen Unterstellung ist es wohl auch zu verdanken, dass noch nicht eine einzige Stimme zu hören war, die kritisch hinterfragt hätte, ob bei diesen Wahlen denn auch alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Zweifel sind angebracht. Aber es gab keine unabhängigen Wahlbeobachter und so werden diese Zweifel weder eine Bestätigung, noch eine Entkräftung erfahren.

Wahlen in einer Atmosphäre von Gewalt und Angst

Der Urnengang des türkischen Volkes am vergangenen Sonntag geschah in einer Atmosphäre von Gewalt und Angst. Das war gewollt und von langer Hand vorbereitet. Je größer die Verunsicherung in der Bevölkerung – vor allem unter den weniger gebildeten Schichten in den Städten und bei der traditionell konservativen Landbevölkerung – desto leichteres Spiel für die AKP, sich als die einzig wahre politische Kraft zu gerieren, die für Ruhe und Ordnung sorgen kann. Zwei grausame Anschläge – vermutlich begangen von Selbstmordattentätern des IS – kamen dieser Strategie der allgemeinen Verunsicherung sehr zupass: Im Juli im südtürkischen Suruç mit 34 Toten; am 10. Oktober in Ankara mit mehr als hundert Toten. Das erste Attentat führte dazu, dass die seit März 2013 bestehende Waffenruhe zwischen der türkischen Regierung und der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK scheiterte. Endlich hatte Erdogan wieder einen legitimen Vorwand, um Luftangriffe gegen Stellungen der PKK zu befehlen. Vor allem im Osten des Landes wurde der seit drei Jahrzehnten andauernde Konflikt wieder virulent; Angst machte sich breit unter den Menschen.

Beim zweiten Attentat auf eine Friedenskundgebung in Ankara kamen viele Mitglieder und Anhänger der prokurdischen HDP ums Leben – jener Partei also, die der AKP bei den Juni-Wahlen die absolute Mehrheit verhagelt hatte. Aus Angst vor weiteren Anschlägen hat die HDP daraufhin fast alle Wahlkampfkundgebungen abgesagt. Besser hätte es für Erdogan doch gar nicht laufen können. Ein politischer Gegner, der drei Wochen vor der Wahl in der Öffentlichkeit nicht mehr in Erscheinung tritt, ist ein guter Gegner.

Jede Menge Trumpfkarten im Ärmel des Falschspielers

Zwar hat Erdogans islamisch-konservative Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) bei den letzten Wahlen die absolute Mehrheit erreicht (Stimmenplus gegenüber der Juni-Wahl: 5,5 Millionen!) – die für eine Verfassungsänderung nötige Zweidrittelmehrheit jedoch wurde verpasst. Genau das aber ist es, was Erdogan unbedingt erreichen will, um seinen Traum zu verwirklichen, als Kalif von Ankara von seinem hässlichen Protzpalast aus die Strippen zu ziehen. Schon drei Tage nach der Wahl hat der Staatspräsident das Parlament aufgefordert, umgehend eine Verfassungsreform auf den Weg zu bringen, die seine Machtbefugnisse als unangreifbaren Alleinherrscher erweitert und festigt.

Ministerpräsident Davutoglu wurde losgeschickt, um bei der Opposition die dafür notwendigen Stimmen zu besorgen. Für den Fall, dass diese Gespräche nicht zu dem erwünschten Erfolg führen, hat Erdogan bereits angekündigt, welche Trumpfkarte er dann aus dem Ärmel ziehen wird: Einen Volksentscheid, den er „nach Kräften unterstützen“ will. Wie „Meinungsbildung“ auf Türkisch geht, ist hinreichend bekannt und damit dürfte auch klar sein, wie ein solcher Volksentscheid ausgehen wird. – Demokratie auf Türkisch eben.

Solche „Demokraten“ braucht Europa

Aber nicht nur innenpolitisch hat der Falschspieler aus Ankara Trümpfe in der Hand, auch im außenpolitischen Poker kann Erdogan nach Belieben etliche Joker ziehen. Die schwergewichtige Flüchtlingskarte hat er beim jüngsten Türkei-Besuch der Bundeskanzlerin bereits ungeniert auf den Tisch gelegt: Wenn ihr wollt, dass die 2,5 Millionen Flüchtlinge, die derzeit in türkischen Lagern untergebracht sind, hier bleiben, verlange ich fürs Erste drei Milliarden Euro, Visa-Erleichterungen für türkische Bürger und kräftige Unterstützung bei den EU-Beitrittsverhandlungen. Bekomme ich das nicht, mache ich die Tore der Lager auf und schicke die Leute auf den Trip nach Europa. Dann werdet ihr schon sehen, was ihr davon habt.

Dann natürlich die Nato-Karte, mit der er von je her gerne spielt, vor allem wenn es darum geht, das Wohlwollen der Amerikaner zu gewinnen und sich als unverzichtbaren Bündnispartner hervorzutun. Nicht zu vergessen, die Terrorismus-Karte. Als Frontstaat zu Syrien und dem Irak könnte/müsste die Türkei eine wichtige Rolle spielen im Kampf gegen den IS. Für Erdogan ist das aber wiederum nur ein willkommener Vorwand, um seine Kampfjets auf Stellungen seiner Erzfeinde, der PKK zu hetzen, während er hinten herum Geschäfte mit den islamistischen Terrorbanden macht. Und wenn erst einmal seine Inthronisierung als Kalif von Ankara stattgefunden hat, wird er die Islamisierung des Landes weiter vorantreiben, ob es den modernen, aufgeklärten Türken gefällt oder nicht. – Auf solche „Demokraten“ hat Europa nur gewartet.

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