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Russland verbrennt mehr als 500 Tonnen geschmuggelte West-Lebensmittel

Von Hubert von Brunn 

Strenge Verbote seitens der Staatsmacht lösen bei manchen Menschen sofort und reflexartig den Impuls aus, Strategien zu entwickeln, wie diese Verbote zu umgehen sind – zumal wenn damit richtig Geld zu verdienen ist. Jüngstes Beispiel dafür, das jetzt in die Schlagzeilen geraten ist, ist die Vernichtung von Hunderten von Tonnen West-Lebensmitteln durch die russischen Behörden, die Schwarzhändler ins Land schmuggeln wollten. Man muss kein gläubiger Christ sein, um die Verbrennung von genießbaren Nahrungsmitteln als „Sünde“ zu apostrophieren.

Das Lebensmittelembargo, das Präsident Putin vor einem Jahr als Reaktion auf die EU-Sanktionen verhängt hat, mag – politisch gesehen – ein nachvollziehbares Zeichen der Stärke gewesen sein, um Europa zu klar zu machen: „Wir brauchen euer Fleisch, eure Milch, euer Obst usw. nicht. Wir sind in der Lage, unser Volk selbst zu ernähren. Das habt ihr jetzt davon. Mit euren ungerechten Sanktionen schadet ihr nur euren eigenen Bauern.“ Im Spiel des politischen Kräftemessens ist diese Haltung, die natürlich auch dem vom Westen betriebenen Gesichtsverlust entgegen wirken soll, durchaus nachvollziehbar. Doch bei allem Wohlwollen für die Bemühungen des russischen Präsidenten, sich nicht vom Westen pauschal als „bösen Buben“ und Alleinschuldigen an den bekannten Konflikten diffamieren zu lassen: Die mutwillige Vernichtung von guten Lebensmitteln ist inakzeptabel und treibt mir die Zornesröte ins Gesicht.

Vielen notleidenden Menschen hätte geholfen werden können

Objektiv betrachtet, ist es keineswegs der Fall, dass Russland in der Lage wäre, seine Bevölkerung aus eigener Kraft mit allen notwendigen Lebensmitteln zu versorgen. Vielmehr ist es so, dass beinahe 23 Millionen Russen unterhalb des Existenzminimums leben. Einem Teil dieser Menschen hätte man durchaus helfen können, wenn der Ukas nicht lautete: „Die eingeschmuggelten Lebensmittel aus Europa müssen vernichtet werden.“ sondern: „Diese Waren werden konfisziert und Organisationen überlassen, die dafür sorgen, dass damit Bedürftige unterstützt werden.“ Beispielsweise an Einrichtungen der Orthodoxen Kirche, an Waisenhäuser, an Obdachlosen- und Flüchtlingsheime oder auch zur Linderung der Not der Menschen in der Kriegsregion in der Ostukraine. Solche humanitären Hilfen wären allemal besser für notleidende Menschen – und auch für das Ansehen des russischen Präsidenten, der für seine Vorgehensweise in dieser Sache auch aus den eigenen Reihen heftig kritisiert wird.

Eine internet-Initiative fragt: „Warum Lebensmittel zerstören, anstatt sie Menschen zu geben, die besonders unter den wirtschaftlichen Problemen leiden, mit denen Russland nicht erst seit den westlichen Sanktionen zu kämpfen hat?“ Mehr als 250.000 Menschen haben diese Petition inzwischen unterzeichnet und sie fordern das Parlament auf, ein Gesetz über die Abgabe von Lebensmitteln an Bedürftige zu verabschieden. Die Regierung zeigt sich bisher davon unbeeindruckt, will mit aller Macht unabhängig sein von westlichen Importen. Agrarminister Alexander Tkatschow indes lässt keinen Zweifel daran, dass Russlands Landwirtschaft noch fünf bis zehn Jahre brauchen wird, um die riesigen Anbauflächen ausreichend zu nutzen, damit eine Selbstversorgung der russischen Bevölkerung gewährleistet ist.

Putin will Zeichen setzen – in dem Fall kein gutes

Derweil aber werden weiterhin Lebensmittel-Schmuggler an den Grenzen gefasst, werden weiterhin die kostbaren Ladungen der Lkw verbrannt. Nach Darstellung von Vizepremier Arkadi Dworkowitsch wurden seit vergangenem August zwischen 700 und 800 Schmuggelfälle von den Behörden aufgedeckt. Mehr als 500 Tonnen illegaler Lebensmittel seien in den ersten sechs Monaten dieses Jahres von den Zöllnern beschlagnahmt und verbrannt worden. Während bislang die Waren in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt wurden, will Putin mit dieser rigorosen Vorgehensweise offensichtlich ein Zeichen setzen. Kein gutes Zeichen, wie ich meine. Ein Zeichen, das innerhalb und außerhalb der Grenzen Russlands auf wenig Akzeptanz stößt. Die mutwillige Vernichtung von Lebensmitteln geht den meisten Menschen – vor allem auch in Russland – vollkommen gegen den Strich. Dagegen erscheint Wladimir Putins vor laufender Kamera geäußerter Vorschlag, den Weltmeister der Korruption, Fifa-Präsident Joseph „Sepp“ Blatter, für den Friedensnobelpreis zu nominieren, geradezu als mokanter Scherz, über den man nur den Kopf schütteln kann.

Vielleicht wendet sich ja auch Papst Franziskus, von dem wir wissen, dass er mit seiner Meinung nicht hinterm Berg hält und dem diese „Sünde“ nicht gefallen kann, an den russischen Präsidenten, etwa mit den Worten: „Lieber Wladimir, was Du da machst, verstößt gegen jedes Prinzip christlicher Nächstenliebe und ich kann das nicht gutheißen. Wenn Du schon meinst, diese ‚verbotenen’ Lebensmittel Deinem eigenen Volk aus Prinzip nicht zumuten zu können, dann schicke die abgefangenen Lkw in die Flüchtlingslager im Libanon oder in der Türkei. Millionen Menschen dort wären überglücklich und Dir sehr dankbar, wenn sie sich mit Deiner Hilfe endlich mal wieder satt essen könnten. Für sie wärst Du im Handumdrehen der Größte. – Herzlichst Papa Franziskus.“

Nachtrag

In diesem Zusammenhang wollen wir natürlich auch nicht unter den Tisch kehren, dass in Deutschland nach Schätzungen etwa 30 Prozent der Nahrungsmittel im Müll landen. Wir wissen, dass Obst und Gemüse im großen Stil vernichtet wird, bevor es in den Handel kommt, wenn es nicht „EU-konform“ ist. Hinzu kommt, dass jeder Deutsche – laut Statistik –jedes Jahr 82 Kilogramm Lebensmittel einfach in den Müll wirft. Multipliziert mit 80 Millionen ergibt das die sagenhafte und beschämende Menge von 6.560.000 Tonnen (6,56 Millionen Tonnen!) an Lebensmitteln, die nur in Deutschland einfach jedes Jahr weggeworfen werden. Das ist ein Skandal, mit dem wir uns bei anderweltonline demnächst einmal eingehend auseinander setzen werden.

In Russland leben 144 Millionen Menschen (2013). Teilen wir die „skandalösen“ 500 Tonnen verbrannter Lebensmittel durch die Anzahl der Einwohner, dann werden etwa 3,6 Gramm – nicht Kilogramm – pro Einwohner dem Verzehr entzogen (wobei natürlich nicht jeder Russe bedürftig ist). Rein statistisch gesehen müssten wir uns über lächerliche 3,6 Gramm gegenüber 82 Kilogramm also nicht aufregen. Aber die Zahlen in einer Statistik sind das eine, Menschen in Not – hier wie dort – das andere.

Wenn in Deutschland jedes Jahr 23.000 Mal mehr Lebensmittel pro Einwohner unbeanstandet vernichtet werden, als jene 500 Tonnen an Schmuggelware in Russland jetzt, ist das ein grobes Missverhältnis. Und wenn man noch jene Lebensmittel hinzunimmt, die gar nicht erst den Weg in den Handel finden, weil sie nicht EU-Normen entsprechen, dann wird es höchste Zeit, dieser unsäglichen Verschwendung einen Riegel vorzuschieben. Genauso wenig können wir es gutheißen, wenn angesichts von Hunger in der Welt Lebensmittel zu Treibstoffen verarbeitet werden (Mais, zum Beispiel). Wir und die meisten unserer Leser haben Hunger nie am eigenen Leib erfahren müssen. Umso mehr sind wir, die wir im Wohlstand leben dürfen, gefordert, alles dafür zu tun, dass andere Menschen, denen es nicht so gut geht, keinen Hunger leiden müssen.

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