Die Leute verschaukeln? Das schaffen wir! – Kommunikation in Zeiten der Flüchtlingskrise
Von Jean-Patrick Lavalle
Flüchtlingskrise? Welche Flüchtlingskrise? Na klar – wir beten sie einfach weg. Man reibt sich die Augen. Aber es steht dort schwarz auf weiß. Für den Staatsminister im Bundeskanzleramt, Peter Altmeier, ist mit dem EU-Türkei-Deal die Flüchtlingskrise – wörtlich – „nachhaltig gelöst“. Als er dies auf der Homepage der Bundesregierung verbreiten ließ, waren gerade einmal 200 Flüchtlinge von Lesbos in die Türkei zurückgebracht worden. 900 weitere zur Rückkehr Verpflichtete dagegen hatten in Griechenland Asylanträge gestellt und können erst einmal bleiben. Weitere 20.000 sitzen in griechischen Lagern fest, allein 11.000 in Idomeni. Und als der Minister diese Einschätzung am 11. April vor einem hochkarätigen Gremium in Berlin wiederholte, hatte man gerade wieder einmal 300 Bootsflüchtlinge vor Italien gerettet.
Der libysche Strand ist lang, eine lückenlose Überwachung so gut wie unmöglich und eine handlungsfähige Regierung weit und breit nicht in Sicht. Hunderttausende warten auf die Chance zur Überfahrt. Schon sind es wieder 6.000 Migranten, die in Italien angekommen sind. Was eigentlich ist „gelöst“? Und vor allem: nachhaltig? Die Bevölkerung Afrikas wird sich in den kommenden 20 Jahren verdoppelt haben. Der Wanderungsdruck wird weiter steigen.
Schönfärberei im „Vorjahresvergleich“
Statistiken, man kennt das, bergen grandiose Manipulationschancen – nicht nur für die Regierenden. Seit wir Statistiken kennen, vergleicht man in Vergleichszeiträumen. Das galt stets auch für Asylbewerberzahlen. So schrieb beispielsweise am 10. April 2015 DIE WELT: „Im ersten Quartal 2015 hat sich die Zahl der Asylbewerber im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Insgesamt beantragten laut Bundesinnenministerium von Januar bis März 85.394 Personen in der Bundesrepublik Asyl. Dies sind 47.574 mehr als im selben Vorjahreszeitraum. Das entspricht einer Zunahme um 125,8 Prozent.“
2016 zählte man offiziell vom Januar bis März bereits 181.405 Flüchtlinge in Deutschland. 2015 kamen von Januar bis März mit rund 85.300 deutlich weniger. Dies, so FOCUS online, „bedeutet keine Abnahme der Einwanderung, sondern im Gegenteil eine drastische Zunahme um 132 Prozent! Mit keiner Silbe wird das erste Quartal 2015 als Vergleichswert erwähnt.“ Wer dagegen auf der redlichen Basis desselben Vorjahreszeitraums vergleicht, dem könnte angesichts der weiteren Entwicklungen des dramatischen Jahres 2015 eher mulmig werden.
Kurzum: Eine seriöse, an Fakten orientierte Berichterstattung hätte uns aktuell wie folgt informiert: „Flüchtlingszahlen bereits im 1. Quartal 2016 signifikant höher als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.“ Oder: „Flüchtlingszahlen von Januar bis März 2016 gegenüber dem Vergleichszeitraum 2015 mehr als verdoppelt!“ Was aber tat man? In genialer Schönfärberei verdrehte man diese bedrohliche Nachricht in ihr Gegenteil: Man feierte die Flüchtlingszahlen für das erste Quartal 2016 als grandiosen „Rückgang“. Ohne Skrupel vergleicht man plötzlich die Zahlen des 1. Quartals 2016 mit den Rekordzahlen von Oktober bis Dezember 2015.
Wirksame "nationale Maßnahmen"? - Fehlanzeige!
Ein pfiffiger Trick. Denn ein Vergleich der aktuellen Zahlen von 2016 mit dem entsprechenden Vorjahreszeitraum hätte schlagartig jeden Hinweis auf eine „Lösung“ ad absurdum geführt! Verkauft werden soll uns auf Biegen und Brechen der „Rückgang“. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten schwenken ihre Kameras lang und breit durch leere Erstaufnahme-Einrichtungen. Man berichtet in der Tonart nationaler Katastrophen. Liebt man uns nicht mehr? Wir sind doch die Guten. Leere Erstaufnahmelager! Was nun!
Und der Bundesinnenminister? Er legt locker noch eine Schippe drauf: Die drastisch rückläufigen Zahlen zeigten, dass die von der Bundesregierung ergriffenen nationalen Maßnahmen greifen und vor allem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine „erfolgreiche Arbeit“ leistet, so de Maizière laut FAZ vom 8.April 2016.
„Drastisch rückläufig“? Es klingt ja so grandios! Die Fakten stehen oben. „Nationale Maßnahmen“? Welche meint er? Auf die Schaukel mit Euch, Ihr Bundesbürger? Aber das hat Grenzen. Es dürfte wohl kaum jemandem in der Republik verbogen geblieben sein, dass dieser Rückgang gegenüber November und Dezember 2015 nicht etwa dem windigen EU-Türkei-Deal geschuldet ist, der mit der künftigen Visafreiheit für eine Türkei im Kurdenkrieg im Gegenteil ungeahnte neue Asylbewerberströme auslösen dürfte. Und schon gar nicht verdanken wir diese Atempause angeblichen „nationalen Maßnahmen“, auf die man – das allein ist Fakt – im In- wie im Ausland bis heute vergebens wartet.
Temporärer Rückgang dank der beherzten Politik der Balkanstaaten
Nein, zu verdanken ist der augenblickliche temporäre Rückgang des Zustroms nach Deutschland ausschließlich einer beherzten Politik der Balkanstaaten – allen voran des tapferen Mazedonien. Einer Politik, die die Wahlerfolge der AfD im März 2016 vermutlich eher begrenzt hat. Umso grotesker, dass unsere Bundeskanzlerin genau diese mutige Realpolitik verschärft an den Pranger stellte, kritisierte, geißelte. Nicht ihre irrationale Flüchtlingspolitik, die nun sogar Altkanzler Helmut Kohl im europäischen Kontext als „nationalen Alleingang“ kritisiert, war an diesem Punkt „alternativlos“; alternativlos und staatspolitisch unausweichlich angesichts der Völkerwanderung der Herbstmonate 2015 war vielmehr die Sicherung der Grenzen, wie sie Österreich und die Balkanländer zum Schutz der eigenen Bevölkerung zwingend realisieren musste.
Noch nie, so schreibt der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff im Handelsblatt, habe sich Deutschland in der EU so sehr von seinen Partnern entfernt. Stur hält unsere Administration an einem Kurs fest, der längst zu einer Spaltung Europas im Verhältnis 27 zu 1 geführt hat. Die Quittung liegt auf dem Tisch: Von Januar bis März 2016 kamen mehr als doppelt so viele Flüchtlinge nach Deutschland als im korrekten Vergleichszeitraum des Jahres 2015 – und bereits signifikant mehr Flüchtlinge als im gesamten Jahr 2013. Nur zur Erinnerung: Im Jahr 2013 wurden beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge insgesamt 127.023 Asylanträge gestellt, 49.372 mehr als im Vorjahr. Es war die höchste Zahl seit 14 Jahren. Dies bedeutete seinerzeit bereits eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um etwa 64 Prozent. 2016 erleben wir solche Entwicklungssprünge bereits innerhalb der ersten drei (Winter-) Monate.
Angesichts der nicht zu widerlegenden Zahlen fragt man sich verwundert: Was genau soll hier 2016 „nachhaltig gelöst“ sein?
Zum Thema empfehlen wir das Buch „Auf nach Germania“. Hier wird von einem Insider beschrieben, wie die deutsche Politik seit Jahrzehnten Einwanderung einfach ignoriert, anstatt einen brauchbaren Gesetzesrahmen zu schaffen. Ja, es ist noch schlimmer und das wird an personifizierten Fehlleistungen beschrieben. So wird zum Beispiel belegt, wie der ehemalige Außenminister Fischer die illegale Zuwanderung aus der Ukraine gefördert hat. Wer die aktuellen Probleme verstehen will, sollte dieses Buch gelesen haben. Im Buchhandel oder direkt vom Verlag hier.