Merkel will wieder kandidieren – Wirklich?
Von Peter Haisenko
Die Ankündigung unserer Kanzlerin, noch einmal antreten zu wollen, war alternativlos. Diesmal wirklich. Zur Absage hätte die Präsentation eines/r Nachfolgers/in gehört, der/die hätte sorgfältig aufgebaut sein müssen und den/die gibt es nicht. Dafür hat Frau Merkel in langen Jahren selbst gesorgt. Sie hat alle weggebissen, die ihr annähernd gefährlich hätten werden können und so konnte sie gar nicht anders, als ihre erneute Kandidatur anzukündigen. Die Frage muss gestellt werden, wie ernst sie das selbst meinen kann.
Merkels Interview bei Anne Will war eine einzige Bankrotterklärung. Wie üblich verlor sie sich in gehaltlosem Geschwafel, das allerdings eher einem SPD-Programm Ehre gemacht hätte. Kein einziger konkreter Punkt ist von ihr ohne Konjunktiv benannt worden, warum man nun ausgerechnet sie wiederwählen sollte. Kann sie auch nicht, denn sie hat keinen Plan und wenn doch, ist er wohl nicht öffentlichkeitsfähig. Da folgt sie ihrer Tradition, als sie bereits vor einem Jahr sagte, sie hätte einen Plan, diesen aber nicht kommunizieren will. So hat sie sich in populistische, aber planlose Generalaussagen geflüchtet, Fragen mit Fragen beantwortet: Soziales verbessern, Flüchtlingsstrom eindämmen, mehr auf die Menschen zugehen. Wie? Woher soll ich das wissen? Der Wähler darf sich fragen, warum sie in den letzten elf Jahren nichts davon verwirklicht hat und warum er jetzt glauben soll, dass sie es tun wird. Dieselbe Frage musste sich auch Clinton stellen lassen.
Trumps Meinung über Merkel – und das Problem „Kanzlerakte“
In der folgenden Diskussion bei Anne Will ist denn auch festgestellt worden, dass Merkel Teil des Problems ist und so kaum glaubhaft Teil der Lösung sein kann. Siehe Einstein: „Probleme lassen sich niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind“. Aber es wurde auch die richtige Frage aufgeworfen: Was wäre gewesen, wenn sie abgesagt hätte? Man kam überein, dass sie es nicht tun konnte – und dem stimme ich zu, aus mehreren Gründen.
Punkt 1: Es gibt keinen präsentablen Nachfolger in den Führungsreihen der CDU.
Punkt 2: Eine Absage wäre das Eingeständnis gewesen, grandios gescheitert zu sein und dann hätte sie eigentlich auch direkt ihren Rücktritt vom Amt bekanntgeben müssen. Das wiederum hätte sie nicht gekonnt – siehe Punkt 1.
Punkt 3: Eine Absage wäre schnell als Reaktion auf Donald Trump identifiziert worden und das wollte sie unbedingt vermeiden.
Damit bin ich bei einem heiklen Thema: Die Kanzlerakte. Dass es sie gibt, dürfte mittlerweile unbestritten sein. Was aber bedeutet das für Merkel? In ihrer Arroganz hat sie völlig auf Clinton gesetzt und restlos versäumt, auch nur Kontakt aufzunehmen mit dem Team Trump. Den bräuchte sie aber jetzt dringend, denn jeder Kanzler(-Kandidat) muss vorab das Plazet aus Washington haben. Donald Trump hat sich jedoch bereits geäußert, und das nicht freundlich. Es ist wohl kaum anzunehmen, dass er jemanden zulässt, den er als „geisteskrank“ identifiziert hat. In diesem Sinn muss Merkels Ansage unter vorläufig eingeordnet werden. Die Machtpolitikerin Merkel befindet sich in einem riesigen Dilemma. Einen Abgang in Würde hat sie verpasst, wenn er überhaupt noch möglich erscheint. Mit ihrer Kandidatur hat sie dieses Problem erst einmal verschoben.
Vier Wochen – ein Freud’scher Versprecher?
Wir dürfen davon ausgehen, dass Merkel auf dem Parteitag im Dezember als Vorsitzende und Kanzlerkandidatin bestätigt wird, allerdings wahrscheinlich mit einem deutlichen Dämpfer. Wenn sie in einer – geheimen – Abstimmung 80 Prozent erreicht, dürfte sie froh sein. Aber was dann? Die Aussichten auf eine Wiederholung der GroKo sind zweifelhaft und das Wahlvolk ist keineswegs begeistert von dieser Option. Merkel selbst ist kaum noch als Zugpferd tauglich. Eine Regierungsbildung wird 2017 in jedem Fall schwierig sein. Vorbei die Zeiten der Zweidrittelmehrheit im Parlament. Mit wem sollte sie koalieren (können)? Dazu kommt, wie gesagt, sie ist Teil des Problems, nicht der Lösung – wenn nicht sogar das ganze Problem. Eben zum Beispiel deswegen, weil sie jeden möglichen Nachfolger, jede Alternative, zu verhindern wusste.
Im Interview mit Anne Will hat sich Merkel einen bemerkenswerten Freud’schen Versprecher geleistet – wenn es denn einer war. Sie sprach von vier Wochen, denen sie sich gespannt gegenüber sieht. Natürlich hat sie das dann auf vier Jahre korrigiert. Sie hat aber auch bereits in diesem Interview einen Hinweis auf ein mögliches Ausstiegsszenario beschrieben: Wenn meine Gesundheit mitmacht. Nun, so richtig gesund und tatkräftig hat sie in diesem Interview nicht gewirkt, die dicke Schminke hat nicht einmal diese zwanzig Minuten unbeschadet überstanden. Hat uns unsere Kanzlerin mit dem Versprecher und dem Hinweis auf die Gesundheit einen Hinweis auf ihren möglichen Ausstiegsplan gegeben?
Spekulativ, aber denkbar: Rückzug aus gesundheitlichen Gründen
Ich werde hier ein mögliches Szenario beschreiben, mit dessen Hilfe Merkel noch einen halbwegs würdigen Abgang gestalten könnte. Der wäre allerdings ein ganz perfider machtpolitischer Winkelzug, der die Republik in ernsthafte Probleme stürzen würde. Es ist nur meine Beschreibung einer theoretisch denkbaren Zukunft – ohne Anspruch auf Realität. Was wäre, wenn Merkel um Weihnachten herum – eben nach vier Wochen – aus gesundheitlichen Gründen ihr Amt nicht mehr ausüben kann? Dann natürlich auch nicht mehr Kandidatin sein kann? Sie hätte ihren Abgang, wegen höherer Gewalt, der ihr wenigstens noch einen Rest an Würde lassen könnte. Betrachten wir die möglichen Folgen.
Es herrscht Weihnachtsfriede und die Republik befindet sich im alljährlichen Stillstand „zwischen den Jahren“. Vizekanzler Gabriel wäre jetzt Kanzler. Damit hätte sie Gabriels Plan durchkreuzt, aus seinem Ministeramt auszuscheiden, um soliden Wahlkampf machen zu können. Sie hätte sich der Schmach entzogen, einem Veto aus Washington nachgeben zu müssen, was auch schwer erklärbar gewesen wäre, ohne die Existenz der Kanzlerakte offiziell zu bestätigen. Das wiederum hätte ein Erwachen, einen Aufschrei zur Folge gehabt und so darf man spekulieren, was Merkel in ihrem intimen Gespräch mit Obama tatsächlich von diesem als Plan/Taktik ans Herz gelegt worden ist. Da bleibt eigentlich nur der vorzeitige Ausstieg aus gesundheitlichen Gründen.
Reinigendes Gewitter für einen echten Neuanfang
Bis zur Wahl sind es dann noch neun Monate. Das wäre sozusagen der letzte Drücker für die CDU, eine/n neue/n Kanzlerkandidat/in aufzubauen und zu küren. Ob das allerdings gelingen kann in dem Chaos, in dem Merkel ihre Partei dann hinterließe, darf angezweifelt werden. Schließlich hat sie die CDU zum Kanzlerwahlverein, fixiert auf ihre Person, degradiert. Auf der anderen Seite aber wäre auch Rot-Rot-Grün kaum noch denkbar. Es müsste schon ein Wunder geschehen, wenn sich Gabriel als Kanzler Sympathien verdienen könnte. Der nächste Effekt wäre aber auch, dass der AfD ihre Lieblingsgegnerin abhanden gekommen ist. Der Ausgang der Bundestagswahl wäre völlig offen, ebenso wie die Bildung einer neuen Regierung schwierig werden dürfte.
Dummerweise hat sich Merkel nach dem Besuch von Obama nochmals für eine Verlängerung der Sanktionen gegen Russland stark gemacht. Das kann nur als ein trotziges „weiter so“ gesehen werden, denn damit stellt sie sich schon vorab gegen die Pläne des neuen US-Präsidenten Trump, der ein konstruktives Verhältnis zu Russland wünscht. Wie will sie dann den Wählern ihre nächste Kehrtwende erklären, wenn die Order aus Washington kommt, ordentlich mit Russland umzugehen? Allein das dürfte Grund genug sein, an der Ernsthaftigkeit ihrer erneuten Kandidatur zu zweifeln. Die Politik, die sie bislang betrieben hat, kann sie nicht fortsetzen. Auch gegenüber Syrien und Assad, den Trump bereits als Stabilitätsfaktor für die Region bezeichnet hat. Merkel müsste sich komplett drehen und dann wäre es besser, sie selbst würde komplett ersetzt. Ich denke, Merkel ist sich dieser ihrer Problemlage bewusst und auch deswegen hege ich Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Kandidatur.
Die Ankündigung ihrer Kandidatur war alternativlos, aber sie signalisiert auch ein fröhliches, lernunfähiges „weiter so“ und das wird nicht gewünscht. Auf üblichem Weg kann sie sich nicht aus der Affäre ziehen. Jedenfalls nicht, ohne komplettes Versagen einzugestehen und das will sie auf keinen Fall. Mit einem vorzeitigen Ausscheiden aus gesundheitlichen Gründen hätte sie ihre eigene „Würde“ einigermaßen gerettet, die deutsche Politik jedoch in eine unabsehbare Ungewissheit gestürzt. Es könnte das reinigende Gewitter sein, das einen echten Neuanfang auslöst. Es könnte aber auch ihre Rache sein an ihren Kritikern und Schmähern. Die CDU und noch mehr die CSU haben mit einer Kandidatin Merkel größte Probleme. Sie ist nicht mehr das Zugpferd von einst. Ob sie überhaupt noch eine Wahl gewinnen kann, ist ungewiss. Ich bezweifle stark, dass sie tatsächlich den Wahlkampf anführen wird.
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