Die verlorene Ehre der Politmafia
Von Peter Haisenko
Wenn ein Vorstandsvorsitzender 20 Prozent seiner Kunden verliert, jeder fünfte den Anbieter wechselt, dann wird er vom Aufsichtsrat, den Aktionären, entlassen. Bei den Wahlen am Sonntag haben die Aktionäre, die Wähler, gesprochen, aber der Aufsichtsrat, die Parteigremien, stellen sich taub. Hat der Konzernvorstand auch nur einen Funken Ehre, dann tritt er selbst zurück. Das kann er gleich den Politikern tun, ohne um seine üppige Versorgung fürchten zu müssen. Bei dieser Entscheidung geht es folglich nur um ehrbares Verhalten und den Fortbestand des Unternehmens.
Die CDU/CSU hat 20 Prozent ihrer Wähler verloren, ebenso wie die SPD. Die Vorsitzende Merkel hat dazu zwei Dinge gesagt, die unter normalen Umständen nur den sofortigen Rücktritt von allen Ämtern nach sich ziehen müsste. Sie hätte den Wahlkampf bestens geplant und wüsste auch jetzt nicht, was sie besser hätte machen können und, noch schlimmer, sehe sie keinen Grund, ihre Politik zu ändern. Man müsse dem Wahlvolk ihre (alternativlose) Politik nur besser kommunizieren. Übersetzt heißt das wohl: Man müsse den Wähler besser erziehen. Diese Demonstration von Arroganz und Unvermögen ist kaum zu übertreffen.
Trotz Medienunterstützung konnten die Altparteien die AfD nicht klein halten
Auch die SPD hat 20 Prozent ihrer Wähler eingebüßt. Was macht Herr Schulz? Auch er klebt an seinem Sessel und tritt die Flucht in die verantwortungslose Opposition an. Alles mögliche ist Schuld am Debakel, nur er, der Chef, nicht. Er will die SPD verjüngen, das soziale Profil schärfen, und setzt dann ausgerechnet Frau Nahles auf den Posten der Fraktionsführerin. Die Nahles, die noch vor Kurzem der Versicherungswirtschaft das Geschenk mit dem Betriebsrentenförderungsgesetz gemacht hat. Dieses Gesetz entlastet die Arbeitgeber und wird die Rentner noch schlechter stellen, wenn sie denn so dumm sind, darauf einzugehen. Wer kann da einen Neuanfang in Richtung „sozialdemokratischer Werte“ erwarten, mit Nahles in führender Position? Da war Herr Oppermann glaubwürdiger und kompetenter.
Seehofer ist eine tragische Figur in dem Drama. Die herben Verluste der CSU sind die Folge seines Einknickens vor Merkel. Aber welche Alternative hatte er denn? Wahlkampf gegen Merkels Kurs? Da hätte er bereits vor der Wahl die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU aufkündigen und aus der Koalition austreten müssen und damit hätte er das gesamte politische System in Deutschland schon vor der Wahl explodieren lassen. Seehofer konnte gar nicht anders handeln und er wusste, wie gefährlich dieser Kurs war. Die falschverstandene „Staatsräson“ hat sein Handeln für ihn alternativlos gemacht, der Wähler hat es bestraft. Mehr als zehn Prozent Stimmenverlust in Bayern kommt für die CSU einem Erdrutsch gleich und auch Seehofer hätte hier als „Ehrenmann“ persönliche Konsequenzen ziehen müssen.
Die Grünen hatten sich wohl bereits vor der Wahl mit einem Ergebnis knapp über fünf Prozent abgefunden und waren nur noch darauf bedacht, ihre ideologisch fixierten Stammwähler an die Urnen zu holen. Das Gestammel von Özdemir zur Abschiebung von schwerkriminellen Migranten hat gezeigt, dass er die Tür offen halten wollte für eine unmögliche Koalition, ohne die Stammwähler zu verschrecken. Ähnlich Herr Lindner von der FDP. Er hat alles bedient, was irgendwie Stimmen bringen könnte. Von der Volte von „refugees welcome“ vor einem Jahr, zu Flüchtlinge abschieben und den Status der Krim zu akzeptieren kurz vor der Wahl. So konnte er einiges von dem Protestpotential der AfD abziehen. Er hat sich sogar der AfD-Forderung angeschlossen, einen Untersuchungsausschuss gegen Merkel einzuberufen, wegen ihrer Flüchtlingspolitik. Man wird sehen, was seine Wahlparolen wert sind, wenn die AfD genau das im Bundestag einbringen wird.
Vereint waren alle in ihrer Position gegenüber der AfD und haben es versäumt, den Wählern zukunftsfähige Strategien zu präsentieren. Hauptsache, die AfD bleibt klein. Diese Strategie ist trotz massiver Medienunterstützung gescheitert und so darf sich keine der Altparteien als „sieg- oder erfolgreich“ bezeichnen.
Für eine „Jamaika-Koalition“ hat der Wähler keinen Auftrag gegeben
Merkel reklamiert den Wahlsieg für sich. Das kann nur als klassischer „Pyrrhussieg“, als Realitätsverweigerung bezeichnet werden. Wie kann man den Verlust eines Fünftels der Wähler einen Sieg nennen? So, wie sich die Berliner SPD nicht entblödete, sich in Berlin mit weniger als 22 Prozent als Wahlsieger zu feiern? In welchem Universum leben denn diese Realitätsverweigerer? Und jetzt die widersinnige Behauptung, der Wähler hätte einen Auftrag für eine „Jamaika-Koalition“ gegeben? Das hat er sicher nicht! Der Wähler hat die Altparteien abgestraft für die fortlaufende Missachtung seiner Ängste und Bedürfnisse. Für die Arroganz und Unfähigkeit, sich wirklich zu erneuern, Fehler einzugestehen. Wenn denn tatsächlich eine „Jamaika-Koalition“ zustande kommen sollte, was ich nicht glaube, dann nur aus dem einzigen Grund, dass die Altparteien ihre Pfründe retten wollen, unter Aufgabe aller „heiligen“ Prinzipien. Das wäre eine Schande für die Demokratie – und der Untergang der CSU.
Seehofer, Schulz und Merkel haben versagt und müssen von ihren Ämtern zurücktreten. Mit ihnen die gesamten Führungsriegen, die den Kurs mitgetragen haben. Die Demokratie vor der AfD schützen, retten? Das Gegenteil ist die Wahrheit. Immerhin hat die AfD mehr als eine Million Wähler an die Wahlurnen zurückgeholt. Wenn das kein Verdienst für die Demokratie ist, weiß ich nicht, was es sonst sein soll. Aber es waren nach Ansicht der Altparteien die falschen Wähler, wie Herr Altmeier vor der Wahl verkündet hatte. DAS ist undemokratisch und davor muss die Demokratie geschützt werden! Das ist die Wahrheit! Herr Kauder gibt das nächste Beispiel für Realitätsverweigerung: Nach seiner Wahl zum Fraktionsvorsitzenden mit nur 77 Prozent spricht er von Harmonie. Nein, Herr Kauder, auch Sie sind von der eigenen Fraktion abgestraft worden.
Frau Nahles und die Gossensprache – Ausdruck politischer Unkultur
Merkel hat keine Ahnung, was sie falsch gemacht haben könnte und was sie besser machen müsste. Herr Schulz hat wenigstens verstanden, dass der Wähler ihn und die SPD in diesem Zustand nicht in der Regierung sehen will. Was er besser hätte machen können und in Zukunft machen will, weiß er auch nicht. In jeder privaten Firma, in jedem Konzern, würden derart ratlose Führungspersonalien umgehend aus der Führungsverantwortung entlassen. Nicht so die Politmafia, die offensichtlich ganz andere Ziele verfolgt, als den Willen der Wähler zu respektieren. Da muss man sich schon fragen wie lange der Klebstoff hält, gemeinsam gegen die AfD zu agitieren. Da hilft es auch nicht, wenn Merkel sagt, 2015 darf sich nicht wiederholen, aber gleichzeitig darauf beharrt, keinen Fehler gemacht zu haben. Ja wie? Wenn sie keinen Fehler gemacht hat, also alles richtig war, warum darf es dann nicht wiederholt werden?
Die Decke ist dünn, die Nerven liegen blank und da bleibt die politische Kultur dann gern mal schnell auf der Strecke – wie Frau Nahles eindrucksvoll demonstriert hat. Ist es nur das im Stress manifestierte ungenügende Niveau für eine politische „Führungsperson“ oder zeigt es ihr wahres Gesicht, wenn sie, begleitet von einem dreckigem Lacher, vor laufender Kamera verkündet: „Und ab morgen kriegen sie in die Fresse“? Zumindest demonstriert sie mit dieser Gossensprache, dass sie nicht in der Lage ist, sich eines gepflegten Deutsch’ zu bedienen. 20 Semester Germanistik-Studium waren da offensichtlich immer noch zu wenig. Abgesehen davon zeugt es von menschlicher Unzulänglichkeit in höchstem Maße, den Koalitionspartner, mit dem sie vier Jahre lang zusammen gearbeitet hat, in derart kruder Manier zu attackieren. Auch wenn sie ihren Ausfall im Nachhinein als „Scherz“ abtut – die Stillosigkeit bleibt und kultivierte Menschen können darüber nicht lachen. Wie kann man einer solchen Person noch mehr oder überhaupt noch Führungsverantwortung geben? Die Wahl am Sonntag war tatsächlich ein Weckruf für die Demokratie, aber nicht, weil die AfD drittstärkste Kraft geworden ist.
Wenn die „Volksparteien“ die Demokratie retten wollen, dann müssen sie ihr gesamtes Führungspersonal auswechseln. Ja, Herr Gauland ist auf dem richtigen Weg, wenn er die Altparteien jagen will. Dabei müssen ihm die jungen Unzufriedenen in den Altparteien helfen, die ewig gleichen Versager und Realitätsverweigerer in Pension zu schicken, die in starren Seilschaften nur ihre Pfründe verteidigen, ohne Rücksicht auf Wählerbefindlichkeiten. Die „Volksparteien“ müssen sich komplett neu aufstellen, grundrenovieren, ihre „Echokammern“ verlassen, die sie immer wieder den Unzufriedenen vorwerfen. Solange Merkel und Co. ehrlos an ihren Sesseln kleben, kann das nicht geschehen. Nur wenn sie den radikalen Wechsel schaffen, muss sich die AfD warm anziehen. Wenn nicht, ist der nächste Erfolg der AfD programmiert. Ja, Frau Merkel, ein besseres Geschenk können Sie der AfD nicht machen, als weiterhin starrsinnig an ihrem Posten und wählerverachtenden Kurs festzuhalten. Die Niedersachsenwahl kommt!
Seit einem Jahr gibt es ein unterhaltsames, aber juristisch ausgefeiltes Werk, wie der politische Stillstand in Deutschland beendet werden könnte: Der Staatsstreich – ein politisch unkorrekter Roman. So undenkbar dieser Ansatz erscheinen mag, wird der Leser feststellen, dass es eben nicht undenkbar und sogar mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Ganz nebenbei werden Abgründe im Polittheater amüsant aufgedeckt. Für alle, die Merkel nicht mögen, ein exquisites Lesevergnügen. Der Staatsstreich, erhältlich im Buchhandel oder direkt zu bestellen beim Verlag hier.