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Erdogans Referendum und das Privileg der doppelten Staatsbürgerschaft

Von Peter Haisenko 

Wer eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzt, ist doppelt privilegiert. Er kann mit seiner Stimme Einfluss auf das Schicksal mehrerer Staaten nehmen. Wenn es dann in einem Land seiner Staatsbürgerschaften nicht nach seinen Vorstellungen läuft, kann er sich für das andere entscheiden. Im Dezember 2016 haben die CDU-Mitglieder mehrheitlich gegen die doppelte Staatsbürgerschaft votiert, doch Merkel hat dieses Votum selbstgefällig vom Tisch gewischt. Warum tut sich Deutschland so schwer mit diesem Thema?

Die Geschichte der letzten 100 Jahre hat Deutschland einige Probleme auferlegt, die souveränes Handeln in zu vielen Bereichen unmöglich machen. Ich will hier nicht weiter darauf eingehen, ob wir immer noch ein besetztes Land sind, das zum Beispiel nicht darüber bestimmen darf, ob und wie viele fremde Truppen und Atomwaffen im Land stationiert sind. Obwohl das Thema Doppelpass in letzter Zeit vor allem auf die Türkei fokussiert ist, liegt das Problem ganz woanders. Es geht um den Gleichbehandlungsgrundsatz, um Israel und die USA. Daraus ergibt sich nicht nur ein Paradoxon.

Bürger der USA und Israels haben grundsätzlich Anrecht auf den deutschen Pass

Im Grundgesetz ist festgeschrieben, dass alle Menschen gleich sind und dementsprechend auch gleich behandelt werden müssen. Wenn aber jemand zwei Staatsbürgerschaften besitzt, dann ist er gegenüber allen jenen privilegiert, die nur in einem Staat ein Wahlrecht genießen. Das widerspricht als solches schon dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Als Folge des verlorenen Kriegs und der Gräueltaten des NS-Regimes wird es als selbstverständlich hingenommen, dass Bürger der USA und Israels neben der deutschen eine zweite Staatsbürgerschaft innehaben. Damit sind sie gegenüber „normalen“ Deutschen per se privilegiert. In diesen Fällen wird die Frage nicht einmal andiskutiert, ob das mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Wie soll dann aber argumentiert werden, wenn zum Beispiel ein Türke auch die doppelte Staatsbürgerschaft beansprucht mit der Begründung, dass er dieselben Rechte einfordert, die einem Amerikaner oder Israeli zugestanden werden?

Mit dem Jahr 1990 gab es einen weiteren Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Wie Evelyn Hecht Galinski, die Tochter des ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, berichtet hatte, hat ihr Vater seine Zustimmung zur Wiedervereinigung Deutschlands davon abhängig gemacht, dass alle Juden aus dem kommunistischen Osten sofort mit vollen Bürgerrechten in der BRD aufzunehmen sind. Helmut Kohl hat dem zugestimmt und so entstand der Zustand, dass Juden aus Osteuropa gegenüber Nichtjuden bevorzugt worden sind. Sie erhielten nicht nur die sofortige deutsche Staatsbürgerschaft, sondern auch das Recht auf lebenslange deutsche Rentenzahlungen, wenn sie im Rentenalter umgesiedelt sind. Dieser Umstand ist den Deutschen verschwiegen worden, ja noch schlimmer, man hat sie über die Probleme der Rentenfinanzierung belogen.

Bevorzugung jüdischer Zuwanderer aus dem kommunistischen Osten

Nach der Wiedervereinigung wurde behauptet, die Rentenbeiträge müssten erhöht werden, weil so viele Rentner aus den neuen Bundesländern Ansprüche hätten. Die Wahrheit ist, dass es die zusätzliche Belastung durch zugewanderte Juden im Rentenalter war, die die Erhöhung der Rentenbeiträge notwendig gemacht hat. So ist auch erklärbar, warum vor etwa zehn Jahren die Rentenbeiträge wieder gesenkt werden konnten. Die meisten derer, die mit Rentenanspruch Anfang der 1990-er Jahre zugewandert sind, sind nach etwa zwanzig Jahren verstorben. Wir können auch an diesem Beispiel sehen, wie problematisch der Umgang mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz in Deutschland ist. Ich kann mich noch gut an den Zorn erinnern, den meine Freunde aus der Ukraine hatten, weil sie als Nichtjuden Probleme mit der Aufenthaltsgenehmigung hatten, die ihre jüdischen Freunde nicht erleiden mussten.

Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes war von Anfang an Makulatur. Er kann gar nicht eingehalten werden, wenn es aus Gründen der Geschichte eine Fülle von Ausnahmen gibt. Aber die Berufung auf eben diesen Grundsatz in dem Sinn, dass man gegenüber Ausnahmen gleichbehandelt werden will, dasselbe Recht genießen will, zeigt, dass wir in dieser Hinsicht von einem Paradoxon ins nächste rutschen müssen. Und damit bin ich zurück bei Erdogan und der doppelten Staatsbürgerschaft für Deutsch-Türken. Sie werden gegenüber Deutschen privilegiert behandelt, aber gegenüber den stillschweigend akzeptierten Ausnahmen nicht. Die Frage müsste gestellt werden, welches das höhere Gut ist. Sie kann aber nicht gestellt werden, weil dann auch über die Ausnahmen diskutiert werden müsste und das ist selbst 70 Jahre nach Kriegsende immer noch ausgeschlossen.

Deutsch-Türken können aus sicherer Entfernung das Erdogan-Experiment beobachten

Die Mehrheit der Deutsch-Türken in Deutschland, die ihr Wahlrecht in Anspruch genommen haben, hat für Erdogans Referendum gestimmt. Das zeigt einmal mehr, welch große Privilegien diese doppelte Staatsbürgerschaft beinhaltet. So kann man bequem und aus sicherer Entfernung für ein Experiment stimmen, dessen Ausgang ungewiss ist. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die undemokratischen, zum Teil rabiaten Mittel, die der türkische Staatspräsident schon im Vorfeld des Referendums eingesetzt hat, um seinen Weg zum Alleinherrscher zu ebnen, kann ich nicht gut heißen. Gleichwohl gehöre ich nicht zu jenen, die Erdogans Weg von vorn herein verdammen. Ich denke, man sollte genau hinsehen, wie sich die Verhältnisse in der Türkei in den nächsten Jahren entwickeln – eben aus der sicheren Distanz. Dass die Demokratie auch bei uns und in anderen Ländern durchaus reformbedürftig ist, steht außer Frage. So gesehen, erachte ich es als sehr interessant und wohl auch lehrreich, dieses türkische Experiment zu beobachten. Ich weiß nicht, ob die deutsch-türkischen Pro-Erdogan-Wähler so differenziert gedacht haben, aber auf jeden Fall bleibt ihnen die privilegierte Situation, dass sie ihren türkischen Pass in den Schredder werfen können, wenn ihnen die Entwicklung in ihrer zweiten Heimat nicht gefällt.

Ich bin grundsätzlich gegen doppelte Staatsangehörigkeiten, genauso wie ich es ablehne, dass sich Deutsche durch einen Wohnsitz im Ausland der deutschen Besteuerung entziehen können. Der deutsche Pass ist ein sehr guter. Er beinhaltet keinerlei Beschränkungen, in welche Länder man reisen will. Das unterscheidet ihn von vielen anderen. So hat zum Beispiel ein Israeli Probleme mit Reisen in manche arabische Länder. Hat er aber auch einen deutschen Pass, dann kann er mühelos eben als Deutscher dorthin reisen. Auch im US-Pass steht nicht „gültig für alle Länder“ wie in dem unseren. Es ist also durchaus ein Privileg, die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen und es ist nicht einzusehen, dass man neben dem deutschen noch einen weiteren Pass haben muss.

Der Doppelpass ist ein Hindernis für die Integration

Die doppelte Staatsbürgerschaft ist eines der größten Hindernisse für Integration. Warum sollte man sich ohne Wenn und Aber in die deutschen Gebräuche einordnen, solange man noch ein Bein in einem anderen Land stehen hat? Auch die Sprache ist dabei ein Problem. Wenn selbst in der zweiten oder gar dritten Generation immer noch die doppelte Staatsbürgerschaft angestrebt wird, muss selbstverständlich auch die zweite Sprache gepflegt werden. Die Frage ist dann nur, welche die primäre ist, also die, die in der Familie gesprochen wird. Solange in der Familie nicht deutsch gesprochen wird, ist die Integration nicht vollzogen. Betrachtet man den Umgang mancher Doppelstaatler mit der deutschen Sprache, wird deutlich, wie nachhaltig dieses Problem ist.

Nach dem Krieg sind die Deutschen gründlich umerzogen worden mit dem Ergebnis, dass jeglicher Nationalstolz verpönt ist. Wie kann man dann erwarten, dass sich ein Zugewanderter in eine Gesellschaft integrieren will, die sich über weite Strecken selbst verleugnet und mehrheitlich jede Form von Patriotismus verachtet? Könnte es sein, dass mancher Pro-Erdogan-Wähler eben deshalb so gewählt hat, weil der Kalif von Ankara genau diesen Nationalstolz anbietet, den er bei uns nicht finden kann? Dafür spricht, dass es in Bayern, in der Landeshauptstadt, kaum Probleme gibt, obwohl die Ausländerquote in München höher ist als in Berlin. In Bayern gibt es einen bayrischen Nationalstolz, nicht unbedingt einen deutschen. Der Slogan „Mir san Mir“ drückt selbstbewusste Heimatverbundenheit aus und ist über die Landesgrenzen hinaus bekannt.

„Normale“ Deutsche haben ein Recht auf Gleichbehandlung

70 Jahre nach Kriegsende, in der dritten Generation, ist es höchste Zeit, dass das deutsche Selbstverständnis reformiert wird. Niemand unter 90 kann und darf für Geschehnisse vor 1945 verantwortlich gehalten werden. Eine Erbschuld gibt es nicht. Dazu gehört eben auch, dass der Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft selbstverständlich als ein Privileg anerkannt wird, und zwar als ein exklusives. Es muss aufhören, dass „normale“ Deutsche unterprivilegiert sind gegenüber Zuwanderern mit doppelter Staatsbürgerschaft, die zweimal wählen und über die Politik in zwei Ländern mitbestimmen dürfen. Und das in dem Bewusstsein, dass es für sie überhaupt nicht existentiell ist, wie die Wahl ausgeht – weder hier noch dort. Vergessen wir nicht, dass der Ausgang von Erdogans Referendum vielleicht in Deutschland entschieden wurde. Und zwar von Deutsch-Türken, die vielleicht anders votiert hätten, wenn sie nicht über zwei Pässe verfügten und hautnah mit den Konsequenzen leben müssten.

 

 

Die Sieger des Zweiten Weltkriegs, die Alliierten und allen voran die USA, haben den Deutschen nach 1945 eine Sicht auf die deutsche Geschichte verordnet, die Deutschland zum alleinigen Bösewicht abstempelt und (Kriegs-)Verbrechen der Alliierten völlig ausblendet ebenso, wie Verbrechen, die gegen Deutsche begangen worden sind, nach 1945 bis 1949. Während dieses Zeitraums sind mindestens 13,4 Millionen Deutsche ermordet worden, sei es in den Lagern auf den Rheinwiesen oder unter denjenigen, die aus den Ostgebieten vertrieben worden sind. Die Potsdamer Verträge, die die Vertreibung angeordnet haben, – die Gebiete sollten „vom deutschen Element gereinigt“ werden – haben keinerlei Schutz für die Vertriebenen vorgesehen. Es ist für das deutsche Selbstverständnis unumgänglich, dass auch diese Dinge aufgearbeitet werden und genau das habe ich getan in meinem Werk: England, die Deutschen, die Juden und das 20. Jahrhundert. Wer es gelesen hat, wird sich leichter tun, als Deutscher mit erhobenem Haupt durch das Leben zu schreiten. Im Buchhandel oder direkt zu bestellen beim Verlag hier.

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