Hat die AfD ausgedient und zerlegt sich deshalb selbst?
Von Peter Haisenko
SPD und CDU vertreten mittlerweile Positionen in der Migrationspolitik, für die noch vor Jahresfrist nicht nur die AfD als rassistisch, rechtspopulistisch und fremdenfeindlich beschimpft wurde. Die LINKE hält sich da ambivalent und einzig die Grünen stehen mit Claudia Roth nach wie vor fest zur unbegrenzten und unkontrollierten Zuwanderung. Dafür werden sie in Umfrageergebnissen abgestraft mit einem Absturz auf sieben Prozent. Die AfD hat ihr Kernthema der letzten Jahre verloren an die Wendehälse der „Volksparteien“.
In der letzten Sendung mit Maischberger ist eine Umfrage vorgestellt worden, welcher Standpunkt zur Migration in Deutschland präferiert wird. Wieder einmal war die Präsentation tendenziös. Es wurde zwar herausgestellt, dass 55 Prozent keine weitere Zuwanderung von Muslimen wünschen, aber geflissentlich ausgelassen, dass weitere 25 Prozent das eher neutral sehen und nur 20 Prozent diese befürworten. Die Granden von SPD und CDU haben das wohl richtig erkannt und so darf man sich wundern über Positionen, die eine direkte Rückführung von Mittelmeermigranten nach Afrika fordern. Auch die populistisch demonstrativen Abschiebungen nach Afghanistan von Thomas de Maizière hätten zu einem „Shitstorm“ geführt, wenn sie von einem AfD-Politiker auch nur angedacht worden wären. Einzig Frau Merkel hält sich zu diesem Thema komplett bedeckt, denn sie will unter allen Umständen vermeiden, ihre faktisch vollzogene Kehrtwendung zuzugeben.
Eine klare Linie ist derzeit bei der AfD nicht erkennbar
Die AfD hat in den letzten beiden Jahren Großes für die Demokratie geleistet. Sie hat Wähler zurück an die Urnen gebracht und ohne ihre klare Position in der Migrationsfrage, die ihr die guten Wahlergebnisse gebracht hat, wäre die Rückbesinnung der Volksparteien auf den Wählerwillen kaum vorstellbar. Hat die AfD also ihr Ziel bereits erreicht und ist sie deswegen überflüssig geworden? Zerlegt sie sich deswegen jetzt selbst? Ich denke, so einfach ist es nicht.
Die AfD ist mit ihrem Vorsitzenden Lucke als Protestpartei gestartet. Das Hauptthema Euroaustritt war aber zu wenig populistisch – im positiven Sinn – um nennenswerte Wahlerfolge zu erreichen. Ganz abgesehen davon, dass die Galionsfigur Lucke nun wirklich kein Sympathieträger sein kann. Man muss sich schon fragen, welch Geistes man sein muss, sich Männern wie Lucke oder Henkel unterzuordnen. Die Spaltung der AfD im Frühjahr 2015 hätte eigentlich zum Untergang der Dreiprozentpartei führen müssen, wenn sie sich nicht auf das Migrationsproblem eingeschossen hätte. Der Absturz in die Bedeutungslosigkeit der anderen Hälfte der Ur-AfD, jetzt Alpha, zeigt das deutlich.
Die neue AfD ist alles andere als geschlossen, was die politische Ausrichtung betrifft. Es gibt Transatlantiker und Nationalkonservative. Das Ur-Thema Euroaustritt spielt praktisch keine Rolle mehr. Das Führungspersonal kommt aber von der Ur-AfD und so ist der Konflikt mit den Neumitgliedern programmiert, die Migration und ein vernünftiges Verhältnis zu Russland, Ukrainepolitik und Syrien als ihre Aufgabe sehen. Hierzu gibt es keine klare Linie, die sich von der Führungsebene im Bund bis zu den Ortsvereinen durchzieht. Selbst im Kleinsten findet ein Kampf zwischen Alt-AfD-lern und aufstrebenden Neuzugängen statt. Dazu sollte man betrachten, wer von den Alt-AfD-lern in der Partei geblieben ist und warum.
Kampf um die Fleischtöpfe schadet der Glaubwürdigkeit
Im Frühjahr 2015 war abzusehen, dass die massenhafte Zuwanderung ein vitales Thema sein wird. Man darf deswegen davon ausgehen, dass einige das rechtzeitig erkannt haben und aus Karrieregründen in der Partei geblieben sind, obwohl sie nicht unbedingt mit den Zielen der Neugründung konform gehen. Die Spaltung mit dem Abgang von etwa der Hälfte der Mitglieder und Funktionäre hat sie ohne Aufwand in bessere Positionen gespült. Man kann ihr Verbleiben also durchaus auch als opportunistisch sehen. Die rasanten Wahlerfolge haben der AfD ein Problem beschert, das die Altparteien schon lange kennen: Den Kampf um die Fleischtöpfe, der thematische Ausrichtungen in den Hintergrund stellt.
Betrachtet man den Zirkus um Björn Höcke, muss auch hier festgestellt werden, dass es keine klare Linie gibt. Ein Teil distanziert sich opportunistisch, während ihm ein anderer nicht weniger opportunistisch die Stange hält. Sachargumente wie der Hinweis, dass sich ein Herr Augstein bereits 1998 wesentlich schärfer zum selben Thema geäußert hat, werden nicht einmal diskutiert. Es geht also nicht um Richtungs- oder Sachfragen, sondern parteiinterne Machtfragen. Wenn die AfD so weiter macht, wird sie bis September an den Rand der Bedeutungslosigkeit abgleiten, denn sie wiederholt die andauernden Fehler der „Etablierten“.
Angesichts der jetzigen Positionen der Etablierten zur Migrantenfrage verliert die AfD ihr Alleinstellungsmerkmal. Betrachtet man dazu den Hype um den neuen Heilsbringer der SPD, Martin Schulz, sind zwei Umstände festzustellen: Jedes neue Gesicht wird als Erlösung empfunden und wenn dann noch die Frage der sozialen Ungerechtigkeit thematisiert wird, hat man schon fast gewonnen. Sogar dann, wenn man wie Schulz nur vage Allgemeinplätze besetzt, ohne konkrete Handlungsziele zu benennen. Wer also Erfolg haben will, muss unverbrauchte Köpfe präsentieren und ein klares Sozialprofil. Beides ist bei der AfD zur Zeit nicht zu erkennen. Schafft sie sich also jetzt selbst ab, weil sie es nicht vermag, deutlich zu machen, dass sie gebraucht wird?
Den Posten des Bundeskanzlers öffentlich ausschreiben
Die CDU hat dieselben Probleme. Frau Merkel ist kein Zugpferd mehr. Die anderen Gesichter in der Führung, die man schon viel zu lange kennt und deren Unfähigkeit zu fundamentaler Neuorientierung unübersehbar ist, können sie nicht ablösen. Alles, was an Kompetenz hätte nachwachsen können, hat sie konsequent weggebissen. Sowohl die CDU als auch die AfD haben nur eine Chance: Sie müssen einen Kopf an ihre Spitze setzen, der am besten nicht aus der etablierten Politikriege kommt. Eben so, wie Martin Schulz, der innerhalb der deutschen Politik unverbraucht ist, oder Donald Trump, der als kompletter Außenseiter versprochen hat, das Establishment aufzumischen.
Die Welt ist aus den Fugen geraten und so schlage ich vor, wirklich neue Wege zu beschreiten. Wie wäre es denn, einfach eine öffentliche Ausschreibung zu machen für den Posten des Bundeskanzlers? Und zwar nicht parteigebunden, aber dann doch möglicherweise an der Spitze einer Partei. Es gibt in Deutschland genügend Persönlichkeiten, die unser Land sicher besser führen könnten, als alle Politsaurier zusammen. Diese werden sich aber nicht in den Parteienklüngel stürzen wollen, mit der Ochsentour von ganz unten. In allen Vorstandsetagen ist es üblich, Vorstände zu berufen, die nicht aus dem eigenen Unternehmen kommen. Warum also sollte dieses durchaus bewährte Prinzip nicht auch in der Politik Anwendung finden? Wieder siehe Donald Trump.
Im Wahlkampf geht es um Emotionen, weniger um Fakten
Der Erfolg der AfD ist zwar oberflächlich betrachtet ihrer Position zur Migrationspolitik geschuldet. Tatsächlich war es aber eher der Ausdruck einer allgemeinen und tiefen Verunsicherung, die im sozialen Auseinanderdriften der Gesellschaft begründet ist. Die Migrationskrise war nur der Katalysator. Jetzt, wo die diesbezüglichen Positionen von SPD, CDU und AfD kaum noch zu unterscheiden sind, kann ein Wahlerfolg nur erzielt werden mit einem schlüssigen Sozialprogramm, einer eindeutigen Positionierung zur NATO, zu Atomwaffen auf deutschem Boden und einer konstruktiven Haltung gegenüber Russland. Es ist dabei unwesentlich, ob und wie glaubwürdig die Positionen der Altparteien zur Migrationspolitik sind. Es geht um Wahlkampf und da geht es um Emotionen, weniger um Glaubwürdigkeit oder Fakten. Ginge es darum, könnte Schulz mit seinem gehaltlos populistischen Gesülze keinen Blumentopf gewinnen.
Der Absturz der Grünen auf sieben Prozent zeigt, dass eine Pro-Migrationspolitik nur einstellige Zustimmung erfährt. Das haben alle außer eben den Grünen verstanden und ihre Pflöcke im Kielwasser der AfD eingerammt. Der Schulz-Effekt zeigt, dass neue Gesichter Erfolg bringen und dieser nur möglich ist, wenn das soziale Thema zumindest andiskutiert wird. Die FDP wird folglich weiterhin mit der Fünfprozenthürde zu kämpfen haben, weil sie in ihren alten Mustern verharrt, was Wirtschaftspolitik anbelangt und sich auch in der Migrationsfrage eher bedeckt hält. Die LINKE ist in letzterer ambivalent und die SPD jagt ihr im Sozialthema mit Schulz die Stimmen ab. Das wird auch nichts. Solange die CDU von Frau Merkel beherrscht wird, ist ihre Neuausrichtung in der Migrationspolitik und echter Sozialpolitik unglaubwürdig. Der Absturz ist programmiert. Da bleibt nur noch die Frage, was aus der AfD werden kann.
Wenn die AfD weiterhin Erfolg haben will, muss sie sich im Führungskader und Stil auf eine klare Linie besinnen. Sie muss die internen Machtspiele einstellen und eine Persönlichkeit an ihre Spitze stellen, die über das Charisma verfügt, die Flügel zu disziplinieren und zu einen. Wenn ihr das nicht gelingt, dann dürfte sie bis September wieder da angelangt sein, wo sie vor der Spaltung stand: An der Fünfprozenthürde. Ich will nicht annehmen, dass die Führung der AfD glaubt, ihren Auftrag erfüllt zu haben, indem sie die Migrationspolitik der Regierung in eine halbwegs annehmbare Richtung gezwungen hat und sich jetzt aus der Politik verabschieden kann. Der Ausgang der Wahl im September ist so offen, wie es noch keine Wahl in der Bundesrepublik war. Es liegt jetzt an der Führungsmannschaft der AfD, ob sie dabei eine gewichtige Rolle spielen werden.
Faktencheck: Wer ist "Rechtspopulist": Höcke oder Augstein?
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Ergänzend zu diesem Artikel empfehlen wir das Werk von Hans-Jürgen Geese: „Die Deutschen – Das klügste Volk auf Erden verabschiedet sich von der Geschichte“. Schonungslos und mit spitzer Feder zerlegt er unsere „Eliten“ und zeigt auf, wie diese Deutschland verraten haben. Sein frischer Stil und eine gehörige Portion Humor machen dieses Buch zu einem echten Lesevergnügen, obwohl das Thema alles andere als lustig ist. Im Buchhandel oder direkt vom Verlag hier.
Eine Rezension zu diesem Buch finden Sie hier: Blick von außen auf eine Gesellschaft, die sich selbst zerlegt