Merkel und Petry: Geht den „Powerfrauen“ auf der Zielgeraden die Luft aus?
Von Peter Haisenko
Es ist an sich schon ungewöhnlich, dass die Kanzlerin persönlich ein Buch (1) vorstellt, das sie nicht direkt betrifft. Oder doch? Es ging um Verhaltensethik, wo persönliche Überzeugungen mit der Realität kollidieren und wie weit man sich „verbiegen“ darf, bevor ein Rücktritt unumgänglich wird. Diese Grenze hat Frau Merkel für sich selbst beschrieben. Frau Petry hingegen hat kurz und knapp ihr weiteres Leben in politischen Spitzenpositionen infrage gestellt.
Der Rücktritt von Frau Merkel ist schon lange überfällig. Zu weit hat sie sich vom Wählerwillen, noch mehr von ihrer eigenen Partei und ihren eigenen Überzeugungen entfernt. Ihren anfangs noch bejubelten „humanitären Imperativ“ hat sie spätestens mit den katastrophalen Zuständen an der griechisch-mazedonischen Grenze nach deren Schließung verraten. Ebenso hat sie ihre gesamte Haltung zur Migration den vormals als „rechtspopulistisch“ diffamierten Positionen der AfD angepasst, verleugnet das aber. Ihre eigene Partei hat sie vor den Kopf gestoßen, als sie nach dem Parteitagsvotum im Dezember 2016 den ablehnenden Beschluss zum Doppelpass für sie als „nicht bindend“ abgetan hatte. Die Krone hat sie aber ihrer Hybris aufgesetzt, als sie in Washington von Donald Trump die schnelle Umsetzung von TTIP einforderte, obwohl sie weiß, dass das von der Mehrheit der deutschen Wähler nicht gewünscht wird.
Frau Merkels Rücktritt ist überfällig
Ich hatte für das Weihnachtsfest 2016 den Rücktritt der Kanzlerin vorhergesagt. Da hatte ich die politische Intelligenz Merkels wohl überschätzt. Oder es ist noch schlimmer, und Merkel hat diesen eleganten Zeitpunkt bewusst verstreichen lassen, um ihrer Partei und damit Deutschland Schaden zuzufügen? Merkel kennt die Kanzlerakte und weiß, dass sie nur mit der Zustimmung aus Washington Kanzlerin bleiben darf. Dass sie diese von Trump nicht erhalten wird, stand besonders nach ihren unsäglichen Attacken auf den neuen US-Präsident außer Frage. Wie der Eklat mit dem Händedruck gezeigt hat, hat sie offensichtlich nichts getan, ihr Verhältnis zu Trump zu verbessern. Mit nur 15 Minuten war das vorangegangene Vieraugengespräch auch beispiellos kurz ausgefallen. Es hat wohl gerade ausgereicht, dass Trump ihr den „Kopf gewaschen“ hat und von ihr ist das offensichtlich nicht mit beschwichtigenden Höflichkeitsfloskeln beantwortet worden. Ich gehe davon aus, dass sie die klare Ansage mitnehmen musste, dass sie von Washington als wiedergewählte Kanzlerin nicht mehr akzeptiert wird. Für sie selbst geht es jetzt nur noch darum, ob sie „freiwillig“ von ihren Ämtern zurücktritt oder abgewählt wird.
Während der letzten Jahre war Merkel die treibende Kraft bei den Sanktionsforderungen gegen Russland und auch, was das Hofieren der Putschregierung in Kiew anbelangt. Auch in dieser Hinsicht steht sie gegen den Wählerwillen, denn eine Mehrheit in Deutschland wünscht ein vernünftig entspanntes Verhältnis zu Russland, eben Frieden und Zusammenarbeit. Ihr Umgang mit Erdogan beflügelt auch nicht gerade Begeisterungsstürme. In manchen Umfrageergebnissen zeigten sich achtzig Prozent unzufrieden mit ihrer Arbeit. Innerhalb der CDU brodelt es und es gibt reihenweise Parteiaustritte. Wie gesagt, ihr Rücktritt ist überfällig und den hat sie nun in den Raum gestellt mit der Aussage, dass sie zurücktreten werde, „wenn ich zu der Überzeugung gelange, dass es zu einer persönlichen dauerhaften Deformation kommt.“ Das ist längst geschehen, wie ich bereits im September 2015 festgestellt hatte mit dem Artikel „Ist Frau Merkel reif für die Psychiatrie?“ – Es fehlt nur noch Merkels „Überzeugung“.
Frau Petrys Aufgaben als Mutter haben Vorrang
Nun zu Frau Petry. Die öffentlich ausgetragenen Flügelkämpfe in der AfD zeigen es auf: Frauke Petry ist keine Integrationsfigur und versteht es auch nicht, der AfD eine klare Linie zu verpassen. Eine für den Wähler klar erkennbare strategische Zielsetzung der AfD ist jedoch für einen nachhaltigen politischen Erfolg zwingend notwendig. Hinzu kommt, dass es auch noch einige „Leichen“ in ihrer Biographie gibt, die zur Unzeit, also kurz vor der Wahl, von AfD-Gegnern revitalisiert werden können.
So sehr ich Frauke Petry das Mutterglück zum wiederholten Male gönne – als Wahlkämpferin wird sie mit ihrer Niederkunft im Mai für eine wichtige Zeitspanne ausfallen. Die AfD stellt den Wert der Familie in den Vordergrund. Das Mutter-Kind-Verhältnis hat einen hohen Wert. Kann das jemand glaubhaft vertreten, die, wie Frauke Petry, bereits jetzt parteiintern nach Freiwilligen sucht, die ihren jüngsten Sprössling bereits drei Wochen nach der Niederkunft betreuen sollen? Der Vorwurf Rabenmutter, womöglich mit dem Zusatz „machtgeil“, wird noch die harmlosere Variante der Angriffe ihrer Gegner sein. Abgesehen davon ist es aus einer humanen Sichtweise nicht vertretbar, als Hochschwangere oder Mutter kurz nach der Entbindung seine ganze Kraft der Politik zu verschreiben. Nein, Schwangerschaft ist keine Krankheit, aber immer ein einschneidendes Erlebnis, das die volle Aufmerksamkeit verdient.
Dunkle Punkte in Petrys Vita kommen zunehmend ans Licht
Petrys Abneigung gegenüber Höcke ist nicht neu. Sie zeigte sich bereits beim Spaltungsparteitag in Kassel, als sie nur mit großer Mühe zu einem Burgfrieden mit Höcke überredet werden konnte. Bis heute hat sie keinen vertrauensvollen oder konstruktiven Umgang mit ihm herstellen können, respektive wollen. Das ist kein Zustand, den eine Partei lange aushält, vor allem nicht in einer Konsolidierungsphase. Diese interne Rivalität, die sich bis zur Basis durchzieht, und die latent die Gefahr einer Spaltung birgt, dürfte denn auch ein Grund sein, warum die AfD in ihrer Öffentlichkeitswirkung keine klare Linie erkennen lässt. Petry selbst hat zwar einen Pressesprecher, ist mit diesem aber über Kreuz und folglich ist dieser unbekannt und unwirksam. All das sind nun wirklich nicht die besten Voraussetzungen für einen erfolgreichen Wahlkampf, der das Vertrauen der Bürger gewinnen soll.
Zu allen genannten Überlegungen bietet Petrys Vergangenheit noch weitere Angriffspunkte. Ihr Familienkonstrukt mit dem frisch angetrauten Marcus Pretzell hat bereits in Nordrhein-Westfalen zu Irritationen geführt wegen des Hauptwohnsitzes, den Pretzell nach dortigem Recht auch dort haben sollte. Dann die Sache mit der Insolvenz. Eine solche ist an sich kein Verbrechen, aber wie Petry dieses Problem gelöst hat, darüber kursieren Versionen, die an ihrer uneingeschränkten Loyalität gegenüber der AfD Zweifel aufkommen lassen können. Ist der Verzicht von nahezu neunzig Prozent auf die Forderungen schon als ungewöhnlich zu sehen, stellt sich darüber hinaus die Frage, wie dieser seltsame „Deal“ zustande gekommen ist. Ein Vergleich mit der KFW ist wohl zuerst an politischer Einflussnahme gescheitert. Umso mehr sollte jetzt hinterfragt werden, zu welchem Preis die jetzige Lösung erkauft wurde, zumal im Rahmen dieses Verfahrens der Name des ehemaligen CDU-Ministerpräsidenten Sachsens, Milbradt, auftaucht.
Petrys instinktlose Russland-Reise
Parteiinterne Rangeleien um Listenplätze haben Petry und damit der AfD ein weiteres Problem beschert. Es ging um Darlehen von Aspiranten, die im Erfolgsfall in Spenden umgewandelt werden sollten. In diesem Zusammenhang existieren Dokumente, die im Rahmen dieser Streitigkeiten Frau Petry des Meineids beschuldigen. Der damit befasste Staatsanwalt hat nach meinen Informationen einem Verfahrensaufschubs-Antrag von Frau Petry stattgegeben. Das aber verschiebt die möglicherweise heiße Phase des Vorgangs in die Nähe des Wahltermins im September. Keine Partei kann sich wünschen, dass ihr Führungspersonal zu einem derart prekären Zeitpunkt mit so etwas belastet wird. Welches politische Kalkül steckte also dahinter, als Frau Petry diesen Aufschub erbeten hatte?
Die letzte Reise von Frau Petry nach Moskau ist ebenfalls kein Lehrstück für gelungene interne Abstimmung. Gänzlich instinktlos muss ihr Treffen mit Schirinowski gewertet werden, das manchen in der AfD überrascht, wenn nicht zu verständnislosem Kopfschütteln veranlasst hat. Schirinowski ist seit Jahren bekannt als Radikaler, dessen Positionen nicht nur hierzulande zurecht als rechtsradikal gesehen werden. Wie passt es zusammen, wenn Petry sich einerseits von Höcke distanziert, um Wähler aus der Mitte nicht zu vergrämen, sich dann aber mit Schirinowski trifft? Ist das noch Dummheit oder schon parteischädigendes Verhalten?
Niemand ist unersetzlich
Noch vor zwei Jahren hat Petry gesagt: „Meine Kinder sollen mir auch später nicht vorwerfen, dass ich überhaupt nicht mehr für sie da war.“ Zumindest ihr fünftes Kind wird ihr vorwerfen können – wenn sie weiterhin Wahlkampf macht –, dass sie als Mutter gerade in den ersten Monaten seines Lebens nicht da war, und diese ersten Monate sind enorm wichtig für die Entwicklung eines Neugeborenen. Wäre es da nicht besser, für Mutter und Kind und die AfD, wenn Frau Petry ihre Ämter für einige Zeit ruhen ließe? Niemand ist unersetzlich, auch wenn manche Politiker und Manager vom Gegenteil überzeugt sind und diese Tatsache nicht wahr haben wollen. Offensichtlich ist der parteiinterne Druck inzwischen so weit gediehen, dass Frau Petry nun vorsichtig eine Neuorientierung ihrer Lebensplanung ankündigt: „Weder die Politik, noch die AfD sind für mich alternativlos“, sagte Petry dem Berliner „Tagesspiegel“.
Merkel und Petry haben einiges gemeinsam: Ihr weiteres Verbleiben an der Parteispitze schädigt die Partei und stellt einen Wahlerfolg im September infrage. Beide sind nicht (mehr) glaubwürdig. Beide spüren Druck, aus Washington und/oder aus der eigenen Partei. Beide stellen den Willen der Basis offensichtlich hinter ihre ureigenen Ziele und diese sind nicht unbedingt das, was bei Merkel ihrem Amtseid entspricht oder bei Petry der AfD dienlich sein könnte. Wir können jetzt nur hoffen, dass den verklausulierten Rücktrittsbegründungen auch ein schneller Rücktritt folgt. Die Zeit zur Bundestagswahl ist nicht mehr lang, könnte aber gerade noch ausreichen, dass sich Deutschland bis dahin neu sortiert und mit neuen Köpfen im September ein Wahlergebnis ermöglicht, das unser Land nicht in die Unregierbarkeit stürzt. „Berliner Verhältnisse“ oder eine neue GroKo können nicht das erstrebte Ziel sein.
(1) Leutheusser-Schnarrenbergers gerade im Kösel-Verlag erschienenes Buch „Haltung ist Stärke“
Gerade Frau Merkel scheint daran zu arbeiten, dass sich „Deutschland von der Geschichte verabschiedet“, wie Hans-Jürgen Geese so unterhaltsam wie bissig in seinem Werk darlegt. Sollte man gelesen haben. Im Buchhandel oder direkt vom Verlag hier.