Der Fall Khashoggi zeigt die ganze Verlogenheit des Westens auf
Von Peter Haisenko
Jetzt steht fest, dass im Gebäude des Konsulats von Saudi-Arabien in Istanbul der Journalist Khashoggi ermordet wurde. Stückweise sickerten Informationen durch, über grausamste Folter und fünfzehn saudische "Spezialisten", von denen einige namentlich bekannt sind. Dem unsäglichen Herrn Röttgen fällt dazu nur Kritik an Donald Trump ein.
Es sollte auffallen, dass die deutschen Berichte über diesen Mord verharmlosend das falsche Wort „getötet“ verwenden. Ein Mensch wird nicht getötet wie ein Tier. Ein Mensch stirbt, wird ermordet, fällt einem Unfall zum Opfer oder fällt als Soldat im Krieg. Es war wieder einmal Frau Merkel, die sich diesen abscheulichen Ausdruck der „Tötung“ eines Menschen zu eigen gemacht hat, als sie ihre Freude über den Mord an Osama bin Laden verkündete.
Der Journalist Khashoggi ist also ermordet worden und dem CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen fällt dazu nichts besseres ein, als die Reaktion von US-Präsident Donald Trump auf das „Verschwinden“ Khashoggis zu kritisieren. "Der Hase im Pfeffer liegt im Verhalten des amerikanischen Präsidenten", sagte er am Mittwoch in der ARD. Trump habe dem saudischen Thronfolger Mohammed bin Salman praktisch einen Freifahrtschein für alles gegeben, solange dieser nur Waffen in den USA kaufe. Diese Haltung der USA müsse korrigiert werden, sagte Röttgen. Aha, kann man da nur sagen. Was sagt dieser feine Herr Röttgen denn über die Reaktion der Bundeskanzlerin? Natürlich nichts, denn von dieser Seite hat es bis dahin gar keine gegeben. Für Röttgen selbst ist der Mord an einem Journalisten offensichtlich weniger wichtig, als die Reaktion des amerikanischen Präsidenten darauf.
Der Mord an Khaschoggi war geplant
Was tatsächlich in Istanbul geschehen ist, ist noch nicht wirklich aufgeklärt. Fest steht nur, dass Saudi-Arabien nach massivem Druck vor allem aus USA zugegeben hat, dass Khashoggi im Istanbuler Konsulat zu Tode gekommen ist. Aus verschiedenen Versatzstücken ergibt sich folgendes Bild: Khashoggi war schon am Freitag den 30. September im Istanbuler Konsulat. Man sagte ihm, er solle am Montag wiederkommen. Am Montag den 2. Oktober betrat er dann um 13.14 Uhr die Botschaft. Seine Verlobte wartete draußen mit dem Auftrag, dass sie die Medien verständigen solle, falls er in zwei Stunden nicht wiederkehre,. Um 16:20 tat sie dies dann auch.
An diesem Tag hatten alle in der Botschaft Beschäftigten (türkischen) Angestellten frei bekommen. Zufall? Auch der normale Besuchsverkehr wurde an diesem Tag nicht durchgeführt. Warum? An diesem Morgen landeten auch 15 Saudische "Touristen" in Istanbul, ein Teil mit einem Privatjet. Diese "Besucher" betraten vor Khashoggi die Botschaft. Nur Stunden später flogen diese Personen (alle!) wieder ab, obwohl sie ihre Hotelzimmer für mehrere Tage reserviert hatten. Dieser Ablauf lässt die These von einem "zufälligen Streit", der außer Kontrolle geriet, alles andere als glaubhaft erscheinen. Auch weil Khashoggi wohl eine Vorahnung hatte und deswegen seiner Verlobten den Presse-Auftrag erteilt hat .
Ursprünglich wollte der Journalist seine privaten Angelegenheiten in der saudischen Botschaft in den USA erledigen. Dort sagte man ihm aber, dies könne er nur in der Türkei. Deshalb flog er nach Istanbul. Offenbar wussten einige Saudis was mit Khashoggi passieren würde und wollten keinen diplomatischen Streit mit den USA haben. Deshalb wurde er wahrscheinlich nach Istanbul gelockt. Auch die Entfernung zu Saudi-Arabien spielte hier wohl eine Rolle. So, wie es aussieht, handelte es sich um einen eiskalt geplanten Mord an einem unliebsamen Journalisten, der wahrscheinlich als Neffe des ehemaligen Finanzmoguls Adnan Khaschoggi über andere gefährliche Informationen verfügte.
Aus Berlin war lange keine Reaktion zu vernehmen
Wir sehen uns hier also konfrontiert mit einem grausamen Mord, Vertuschungsversuchen dazu und einem verharmlosenden Geständnis der saudischen Täter. Einzig Donald Trump hat sich dazu geäußert. In für Trump ungewöhnlich diplomatischer Art hat er erklärt, er schenke der saudischen Darstellung solange Glauben, bis die Angelegenheit endgültig aufgeklärt ist und verlangt diese Aufklärung. Wo bleibt der Aufschrei der anderen Staatschefs der "Westlichen Wertegemeinschaft" mit Forderungen nach umfangreicher Aufklärung und folgender Bestrafung der Täter? Merkel schweigt dazu. Dabei gibt es wirklich viele offene Fragen, die einer Aufklärung bedürfen.
Wer hat den Mord angeordnet? War es der Kronprinz Mohammed bin Salman al-Saud selbst? Oder waren es Leute aus seinem Umfeld, die wohlmöglich mit dieser Aktion den Reformer kaltstellen wollen? Bin Salman hat im eigenen Land viele Feinde. Er ist es aber auch, der von Anfang an den völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Jemen vorangetrieben hat. Bin Salman ist eine schillernde Figur, deren Ziele nicht einfach zu erkennen sind. Dennoch sollten von allen Seiten Reaktionen auf diesen Mord erfolgen, aber aus Berlin habe ich bislang keine wirkliche gehört. Kein Wort darüber, dass man nun endgültig Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien einstellen müsse und schon gar nichts über mögliche Sanktionen.
Ich bin sicher nicht der einzige, dem sich hier ein Vergleich aufdrängt. Da gab es doch vor etwa einem halben Jahr einen Fall in England. Ein Ex-Spion ist vergiftet worden, aber nicht daran gestorben. Bis heute ist unklar, wer wann und wo welches Gift genau appliziert hat. Die britische Regierung hat reflexartig Russland als Täter benannt, natürlich Putin selbst als Auftraggeber beschuldigt und nichts vorgelegt, was ansatzweise als Beweis tauglich sein könnte. Dennoch hat die westliche Wertegemeinschaft umgehend Duzende russische Diplomaten ausgewiesen und sofort weitere Sanktionen gegen Russland gefordert. Den geradezu zwanghaften Attributen zu Russland wurde ein neues angefügt: Neben den alten Lügen, wie "Annektion der Krim", Militäreinsatz gegen die Ukraine und dem "aggressiven Russland" wird Russland/Putin nun auch als Giftmörder verunglimpft.
Geht es darum, die Saudis nicht als Terrorfinanzierer zu verlieren?
Ich sehe einen erheblichen Unterschied zwischen einem Mord an einem Journalisten und einem Spion. Während einem Journalist besonderer Schutz zusteht, nimmt ein Spion seinen vorzeitigen Tod bereits in dem Moment in Kauf, da er sich für diesen "Beruf" entscheidet. Wie wir bei "James Bond" gelernt haben, dürfen Spione straflos morden und wenn es sie selbst erwischt, dann ist das halt "blöd gelaufen", Berufsrisiko. Wie sehr sind folglich die "westlichen Werte" verkommen, wenn jetzt auf den Mord an einem Journalist praktisch überhaupt keine Reaktion erfolgt? Vor allem angesichts dessen, dass vor einem halben Jahr die Hölle los war wegen eines Spions, der noch dazu ein Doppelagent war.
Es wäre zu einfach, das auf "Geld frisst Moral" zu reduzieren. Sowohl Saudi-Arabien als auch Russland exportieren Öl und Gas. Gerade Europa kann auf saudisches Öl leichter verzichten, als auf russisches Gas und Öl. Die USA selbst haben sich zum Energieexporteur gewandelt und sind in dieser Hinsicht nicht mehr auf die Saudis angewiesen. Mit dem Dollar, dem "Petro-Dollar“, sieht es da noch anders aus, aber dieses Monopol ist bereits ziemlich ausgefranst. Geht es also darum, die Saudis nicht als Terrorfinanzierer zu verlieren, der die anti-iranische Haltung Trumps vehement unterstützt? Der den Jemen mit US-Unterstützung in die Steinzeit zurückbombt, wobei die großartige westliche Wertegemeinschaft billigend einfach wegsieht? Geht es auch hier um den Bau einer Pipeline, wie im Fall Syrien? Einer Pipeline, die bin Salman durch den Jemen zum Indischen Ozean bauen will, um die Engstellen der arabischen Meere der Kontrolle Irans zu entziehen?
Wieder einmal wird mit zweierlei Maß gemessen
Die Gemengelage um Saudi-Arabien ist undurchsichtig. Der Clinton-Clan hat engste Verbindungen mit den Saudis. Osama bin Laden war ein Saudi. An der Zerstörung des World Trade Center waren Saudis beteiligt. Dem 9/11, der der amerikanischen Politik so zu pass kam. (Schröder: uneingeschränkte Solidarität; Krieg gegen den Terror.) Die Saudis beherbergen riesige amerikanische Militärbasen, von denen aus die USA Irak zerstört haben, den Feind von Saudi-Arabien und die unabdingbar sind, wollten die USA Krieg gegen Iran führen. Und so muss man sich auch fragen, wie es also wirklich aussieht, mit dem Verhältnis Trump-Saudi-Arabien?
Immerhin war es Trump, der wegen des Journalistenmords die härteste Sprache gegenüber den Saudis hat ertönen lassen. Hat er ein Interesse, das Verhältnis zu den Saudis zu verändern? Da kann man momentan nur spekulieren, aber es würde seiner Absage an den „amerikanischen Interventionismus“ entsprechen. Doch da taucht sofort die nächste Frage auf: Wie will Trump gegen den Iran vorgehen, wenn er den Saudis auf die Finger klopft? Ist das schon der Weg in den Isolationismus? Ja, die Agenda Trumps ist schwer zu durchschauen.
„Schon“ nach drei Wochen eine wachsweiche Reaktion
So bleibt die Tatsache, dass der Westen mal wieder mit zweierlei Maß misst und das ist so offensichtlich, dass man schon hoffen kann, dass es ihnen endlich um die Ohren fliegt. Es kann nicht sein, dass wegen eines ungeklärten Giftanschlags mehr als 70 russische Diplomaten ausgewiesen werden und dann bei einem bewiesenen Journalistenmord der Saudis keine Reaktion erfolgt und dem Russlandhasser Röttgen dazu nur einfällt, auf Trump zu schimpfen. Über Außenminister Maas braucht man da gar nicht reden, der die Sanktionen wegen Skripal für unbedingt gerechtfertigt bezeichnet und erst vor kurzem seinen Kotau vor den Saudis gemacht hat. Jetzt aber, knapp drei Wochen später, fühlen sich Merkel und Maas genötigt, doch noch Stellung zu nehmen. Was sie aber dazu zu sagen haben, kommt in der üblichen substanzlosen Form daher: Man betont „große Betroffenheit“, beschwört „Mitgefühl mit der Verlobten und Angehörigen“ und erwartet „Transparenz im Hinblick auf die Todesumstände“.
Ich bezweifle, dass diese wachsweichen „Erklärungen“ ehrlicher Überzeugung geschuldet sind. Sie dürften eher eine Reaktion auf die Forderung der Grünen sein, die von der Bundesregierung eine „deutlich härtere Gangart im Umgang mit dem Königreich“ gefordert haben. So dreht auch Röttgen sein Fähnchen in den grünen Wind und stellt einen Stopp für Waffenlieferungen in Aussicht, wenn es nicht kurzfristig „zu Konsequenzen innerhalb der saudischen Führung kommt“. Nach wie vor gibt es also seitens der Regierung keine Forderungen nach Sanktionen und schon gar nicht wird angedacht, Diplomaten auszuweisen. So drängt sich abschließend nochmals der Vergleich zu Skripal und Russland auf, als nach nur gefühlten Minuten Sanktionen und Diplomatenausweisungen nicht nur gefordert, sondern blitzschnell durchgeführt worden sind.