Der NSU, Zschäpe und das politische Urteil
Von Peter Haisenko
Hätte ein Prozess, wie der gegen Beate Zschäpe und andere NSU-Helfer nicht in München, sondern in China, der Sowjetunion oder gar im heutigen Russland in dieser Weise und mit diesem Ausgang stattgefunden, wäre die Beurteilung in den deutschen Qualitätsmedien schnell gefunden: Das war ein politischer Schauprozess. So aber herrscht allgemeine Freude über das Urteil und die Stimmen, die feststellen, dass eigentlich nichts aufgeklärt worden ist gehen unter.
Die Fülle an Ungereimtheiten rund um diesen Prozess ist kaum vollständig aufzuzählen. Das Urteil selbst stellt den Rechtsstaat auf den Kopf. Es folgt dem seit Jahren schleichend vorangegangenen Trend, die Unschuldsvermutung beiseite zu legen, wenn es politisch opportun erscheint. Es hätte nicht nur mich aufs Höchste erstaunt, wenn Zschäpe auch nur einen teilweisen Freispruch erhalten hätte. Von Anfang an war eigentlich klar, dass Zschäpe unter Lebenslänglich nicht davon kommen kann, obwohl ebenfalls von Anfang an klar war, dass sie selbst keinen Mord begangen hat. Dennoch ist sie jetzt wegen zehnfachen Mordes verurteilt worden mit dem Zusatz der besonderen Schwere.
Wichtige Zeugen wurden nicht gehört, Akten vernichtet
Es gab einen Untersuchungsausschuss des Bundestags zum NSU-Komplex. Wie ein Beteiligter von der CDU sogar im Fernsehen festgestellt hat, sind an keinem Tatort DNA-Spuren der verdächtigten Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt aufgefunden worden. Tatsächlich gibt es keinen stichhaltigen Beweis, dass die zwei “Uwes” die zehn Morde wirklich begangen haben. Es steht aber im Gegensatz dazu unzweifelhaft fest, dass sich an mehreren Tatorten Personal des Verfassungsschutzes aufgehalten hat. Die Einvernahme dieser Personen während des Prozesses hat aus fadenscheinigen Gründen nicht in ausreichendem Maße stattgefunden. Das korrespondiert mit der Tatsache, dass zumindest in Thüringen Akten zu diesen Vorgängen vernichtet wurden, was ebenfalls nicht aufgeklärt oder strafrechtlich gewürdigt worden ist. Die Krone wird diesem Schmierentheater aber aufgesetzt durch die Tatsache, dass der Aktenberg rund um den gesamten Vorgang für 120 Jahre gesperrt ist. Welche Schandtaten sollen hier für sechs Generationen vor der Öffentlichkeit verborgen werden? Wer wird hier “geschützt” bis in die nächsten Generationen und warum?
Auch die Nebenkläger haben bemängelt, dass von Anfang an ein weiteres Umfeld als die drei Haupttäter ausgeschlossen worden ist. Das erinnert an das “Oktoberfestattentat” von 1986. Auch hierbei wurde nur auf einen Einzeltäter ermittelt, obwohl es reichlich Zeugen und Beweise gibt, die ein größeres Umfeld belegen könnten. Auch hier muss die Frage gestellt werden, wer geschützt werden soll. Erinnern wir uns dazu kurz an den Anschlag in Bologna am 2. August 1980 mit 85 Toten. Dieser sollte Linksradikalen angehängt werden bis klar wurde, dass es sich um eine Aktion von der NATO-Geheimorganisation “Gladio” gehandelt hat. Auch der Mord an dem italienischen Spitzenpolitiker Aldo Moro am 9. Mai 1978 konnte schließlich “Gladio” unzweifelhaft zugeordnet werden. Diese Geheimorganisation ist bis heute nicht aufgelöst und so muss auch bei den “NSU-Morden” die Frage ganz oben stehen, wer zumindest im Hintergrund noch daran beteiligt war. Gerade bei der ermordeten Polizistin in Heilbronn war “zufällig” ein amerikanischer Agent in der Nähe. Auch dieser “Zeuge” ist im Prozess nicht vernommen worden.
Schlampige Ermittlungsarbeit oder gar Beweismittel-Vernichtung?
Beim “Selbstmord” der zwei Uwes kann nicht von Aufklärung gesprochen werden. Der Umgang mit Beweismitteln wie dem Wohnmobil, in dem die zwei Leichen aufgefunden wurden, kann nur noch als vorsätzliche Beweismittel-Vernichtung bezeichnet werden. Ganz abgesehen davon, dass die Tatwaffe durchgeladen vorgefunden wurde. Ein Toter kann nicht noch einmal durchladen. Warum wurde dem Gerichtsmediziner der Zugang zu den Leichen verwehrt, bevor das Wohnmobil mit den Leichen abtransportiert worden ist? Wie kann es sein, dass in der ausgebrannten Dachwohnung, die Zschäpe angezündet haben soll, Bekennervideos die Hitze der Flammen unbeschädigt überstanden haben? Fragen über Fragen und nichts davon ist in dem Prozess aufgeklärt worden.
Beate Zschäpe hat ausgesagt, dass sie von der Planung der Morde nichts gewusst und bestenfalls danach darüber Kenntnis erhalten hat. Einen gegenteiligen Beweis dazu gibt es nicht, kann es nicht geben. Wo bleibt der Grundsatz, “im Zweifel für den Angeklagten”, der DIE tragende Säule unseres Rechtsstaats ist? Wie kann jemand des zehnfachen Mordes verurteilt werden, wo es keinen Beweis für die Taten selbst und nicht einmal Indizien dazu gibt? Wenn selbst das Gericht feststellen muss, dass Zschäpe an keinem dieser Morde direkt beteiligt war? Ich würde ja noch einsehen, wenn das Urteil auf Beihilfe gelautet hätte, was aber auch nicht nachweisbar ist. Aber mit Beihilfe ist Lebenslänglich mit besonderer Schwere nicht zu begründen. Ganz allgemein stellt dieses Urteil die gesamte Rechtsprechung bezüglich Mittäterschaft infrage.
Der NSU-Prozess war von Anfang an von politischen Motiven dominiert
Es mag weit hergeholt erscheinen, aber müsste angesichts dieses Urteils nicht noch ein ganz anderer Personenkreis verurteilt werden? Kann man davon ausgehen, dass zum Beispiel die Gattin von Uli Höneß nichts vom Steuerbetrug ihre Mannes gewusst hat? Muss man nicht eher annehmen, dass sie Kenntnis davon hatte, doch – wie Zschäpe – nicht eingeschritten ist? Müsste sie dann nicht auch wegen Steuerhinterziehung für einige Zeit eingesperrt werden? Unzählige solcher Beispiele ließen sich finden, wo Gatten oder Lebensgefährten von verurteilten Verbrechern über deren Taten Bescheid wussten, diese jedoch nicht verhinderten oder anzeigten und dennoch straffrei ausgingen. Hat man jemals daran gedacht, die Gattin des Herrn Middelhoff wegen möglicher Tatbeteiligung vor Gericht zu stellen? Nein, Sippenhaft darf es in einem Rechtsstaat nicht geben! Warum also wird dieser elementare Grundsatz im Fall Zschäpe mit Füssen getreten?
Der Prozess um Zschäpe und den sogenannten NSU war von Anfang an von politischen Motiven dominiert. Immerhin hat er dafür gesorgt, dass uns über Jahre immer wieder ins Gedächtnis gerufen wurde, dass es in Deutschland mörderischen Rechtsterror gibt. Er hat aber auch dafür gesorgt, dass verborgen bleibt, wer an diesen Terrorakten noch alles beteiligt war und welche Motive dieser Personenkreis hat. Weder der Prozess selbst, noch das jetzige Urteil können das Vertrauen in den Rechtsstaat festigen. Im Gegenteil muss ich feststellen, und damit stehe ich nicht allein, dass mit diesem Prozess vorgeführt worden ist, wie die deutsche Justiz politisch motiviert ordentliche Aufklärung verhindert.
Warum wird der gesamte Aktenberg für 120 Jahre geheim gehalten?
Es ist müßig darauf hinzuweisen, dass auch ich Morde und Terrorakte jeglicher Provenienz zutiefst verabscheue und angemessene Strafen für die Täter fordere. Mein persönliches Rechtsempfinden kann es aber nicht gutheißen, wenn die Aufklärungsarbeit selektiv betrieben wird und damit stehe ich an der Seite mancher Nebenkläger in diesem Prozess. Gänzlich unerträglich empfinde ich aber, dass vorhandenes Wissen über den gesamten Vorgang für 120 Jahre geheim gehalten werden soll. Für die “üblichen” politischen Schweinereien gilt meist eine Geheimhaltungsfrist von 50 Jahren. Jacky Kennedy hat ihr Interview zum Tod ihres Mannes für 100 Jahre sperren lassen. Welches Ausmaß müssen folglich die Verbrechen im Umfeld des NSU haben, dass sie für 120 Jahre gesperrt bleiben sollen? Nochmals: Wer soll dadurch geschützt werden?
Wenn etwas geheim gehalten wird, “werden muss”, dann handelt es sich immer um Vorgänge oder Taten, die in irgendeiner Weise nicht “sauber” sind und so dem natürlichen Rechtsempfinden der Bürger nicht vermittelt werden können. Die Geheimhaltung schützt niemals den Bürger, sondern immer die Täter, die sich andernfalls vor Gericht verantworten müssten. Dabei sollte man sich im Klaren sein, dass die schlimmsten verbrecherischen Absprachen auch auf höchster Ebene niemals schriftlich dokumentiert werden oder worden sind. Die können bestenfalls durch Sekundärdokumente halbwegs aufgeklärt werden und werden dann ganz schnell in den Bereich der Verschwörungstheorien verbannt, eben weil es keine Primärdokumente gibt.
Nein, man muss keine Sympathie für Beate Zschäpe haben, aber jedem Mensch steht in einem Rechtsstaat ein ordentliches Verfahren zu. Zu einem ordentlichen Verfahren gehört eine unvoreingenommene, sorgfältige Aufklärung und die hat es in dem NSU-Prozess nicht gegeben, wie Nebenkläger und Prozessbeobachter feststellen mussten. Es ist nichts wirklich aufgeklärt und so ist das Urteil gegen Zschäpe eine Schande für unseren Rechtsstaat. Ich kann nicht anders, als diesen Prozess mit diesen Urteilen als einen politischen Schauprozess zu bezeichnen, der eines Rechtsstaats nicht würdig ist. Ich bin gespannt, was die Revision ergeben wird. Oder wird auch die Revision von politischen Vorgaben dominiert sein?
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Auch in der ehemaligen DDR war mancher Prozess politisch beeinflusst und es gab Menschen, die über dem Gesetz standen: Diplomaten und ihre Angehörigen. In welchem Ausmaß diese ihren Status ausgenutzt haben und welche manchmal kuriosen Geschichten dadurch entstanden sind, wird in dem Werk “Wundersame DDR” beschrieben. Hier berichtet eine Diplomatengattin unter dem Pseudonym “Margot H.” von ihren persönlichen Erlebnissen in unterhalsamen Einzelepisoden, die wohl auch manchem Ex-DDR-Bürger so nicht bekannt gewesen sein dürften. “Wundersame DDR” ist erhältlich im Buchhandel oder direkt zu bestellen vom Verlag hier.