Meinungsfreiheit? – Von wegen: Sagbarkeitsregeln, Maulkorb für Kritiker und Lehrverbot
Von Hubert von Brunn
Ja, ja, mit der Meinungsfreiheit in unserem Land ist das so eine Sache. Theoretisch gibt es sie uneingeschränkt für jeden (GG, Art. 5, Abs. 1), praktisch wird sie vielfach aber nur jenen zuteil, die die „richtige“ Meinung vertreten. Welches die richtige Meinung ist, wird hauptsächlich von den Wortführern aus dem links-grünen Spektrum vorgegeben und – nicht zu vergessen – von der selbst ernannten Sprach-Polizei, die sich u.a. berufen fühlt, das „Unwort des Jahres“ zu küren: Für 2018 hat sich die Jury der so genannten „Sprachkritischen Aktion“ für Alexander Dobrindts „Anti-Abschiebe-Industrie“ entschieden.
Ich bin wirklich weit davon entfernt, ein Fan des CSU-Landesgruppenchefs Dobrindt zu sein, aber seiner im Mai 2018 öffentlich vorgetragene Analyse zur gängigen Praxis im Umgang mit Migranten und Asylanten kann ich nur zustimmen: „Es ist nicht akzeptabel, dass durch eine aggressive Anti-Abschiebe-Industrie bewusst die Bemühungen des Rechtsstaates sabotiert und eine weitere Gefährdung der Öffentlichkeit provoziert wird.“ Diese Aussage hat er bezogen auf zahlreiche Initiativen und Anwälte, die Migranten gezielt Hinweise geben, wie sie sich der Abschiebung entziehen können und nicht selten diese sogar warnen, damit sie rechtzeitig untertauchen können. Sofort brach ein mächtiger Shitstorm über Dobrindt herein und mehrere Anzeigen wurden gegen ihn erstattet, die jedoch allesamt abgewiesen wurden. Die Gerichte haben übereinstimmend befunden, dass der Begriff weder als „Schmähkritik“ noch als „Beleidigung“ zu werten sei.
Selbsternannte Sprach-Polizei kürt das „Unwort des Jahres“
Die nach eigenen Angaben institutionell unabhängige und ehrenamtlich arbeitende Sprach-Polizei lässt sich von diesen Gerichtsurteilen jedoch nicht beirren. Für die Jury, bestehend aus vier Sprachwissenschaftlern, einem Journalisten und einem Kabarettisten steht Dobrindt nun mal auf der falschen Seite und damit muss seine „Anti-Abschiebe-Industrie“ zum „Unwort des Jahres“ werden. Eine Begründung für ihre Wahl hat die Truppe, die mich unwillkürlich an die Gedankenpolizei in Orwell’s „1984“ erinnert, dann auch noch geliefert: Der Ausdruck zeige, „wie sich der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben hat und sich damit auch die Sagbarkeitsregeln in unserer Demokratie in bedenklicher Weise verändern.“
Sagbarkeitsregeln!? Was ist das denn und wer legt sie fest? Dazu die Linguistik-Professorin und Jury-Mitgliedin Nina Janich: „Wir meinen mit ‚Sagbarkeitsregeln’ keine im wörtlichen Sinne irgendwo festgeschriebene Grundsätze, sondern das, was wir in einer Demokratie üblicherweise noch akzeptabel finden (…).“ Ah ja! „Wir“ meint also die sechs wackeren Streiter für eine „saubere“ Sprache, die sich anheischig machen zu wissen, was „üblicherweise noch akzeptabel“ ist. Alles was ihrem sprachlichen Reinheitsgebot zuwider läuft, gehört in die Tonne getreten – und der verantwortliche Sprachverschmutzer am besten gleich mit dazu. – Hören wir auf rumzumäkeln. Letztendlich sollten wir froh und dankbar sein, dass es „wissende“ Menschen gibt, die sich völlig uneigennützig für das Wohl der Allgemeinheit einsetzen und dem dummen Volk sagen, was gut und richtig ist. Bestimmt werden die selbstlosen Sprachwächter demnächst für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen.
Für Ex-Handballstar Kretschmar gibt es keine echte Meinungsfreiheit mehr
Beinahe zeitgleich zur öffentlichen Verkündung des „Unworts“ hat der Ex-Handballstar Stefan Kretschmar mit seiner dezidiert gegenläufigen Position für Furore gesorgt. In einem T-Online-Interview hat er die angebliche Meinungsfreiheit in Deutschland entschieden angezweifelt. „Wir haben keine Meinungsfreiheit im eigentlichen Sinnen. Sobald wir eine gesellschaftskritische Meinung äußern, haben wir von unserem Arbeitgeber mit Repressalien zu rechnen, oder wir haben mit unseren Werbeverträgen Probleme, dass die gekündigt werden, wenn es nicht ins Konzept passt.“ Und weiter: „Es sei denn, es ist die Mainstream-politische Meinung, wo man sagt ‚wir sind bunt’ und ‚Refugees welcome“, wo man gesellschaftlich eigentlich nichts falsch machen kann. Hat man eine einigermaßen kritische Meinung zu einigen Themen, auch vielleicht gesellschaftskritisch oder regierungskritisch, dann darf man das in diesem Land auch nicht sagen. Da wird dir sofort jedes Wort vorgeworfen.“
„Kretsche“, wie der Handballer in seiner aktiven Zeit von Mitspielern und Fans genannt wurde, hat seine Kritik natürlich in erster Linie auf den Bereich des Profisports bezogen. Auf dem Terrain kennt er sich aus. Aber die von ihm angesprochenen Abhängigkeiten und die möglichen negativen Konsequenzen bei nicht willfährigem Verhalten betreffen Prominente in anderen Bereichen: Schauspieler, Musiker, Maler, Literaten … ganz genauso. Und Journalisten, denen die Wahrheitsfindung wichtiger ist, als die im Redaktionsstatut festgelegten „Rahmenbedingungen“ riskieren ihren Job. Das Fazit des Sportlers: „Ich kann jeden Menschen verstehen, der in der Öffentlichkeit steht, wenn er sich heutzutage nicht mehr kritisch äußert und demzufolge auch nicht mehr aneckt.“ – Für diese despektierlichen Worte hat sich „Kretsche“ als „Nestbeschmutzer“ umgehend herbe Kritik eingefangen. Stromlinienförmige Jasager sind natürlich besser gelitten als aufmüpfige Typen mit Ecken und Kanten. Die machen nur Ärger und stören den Schein der schönen, heilen Welt.
TU Dresden wirft Professor raus, weil er dem Mainstream nicht folgen mag
Als unliebsamer Störenfried hat sich jetzt auch der Politik-Professor Werner J. Patzelt (65) vorzeitig in Rente gekickt. Weil er sich wissenschafts-kritisch mit dem Phänomen Pegida auseinandergesetzt hat, weil er als CDU-Mitglied am Wahlkampf-Programm der Union in Sachsen mitschreibt, weil er bei AfD-Veranstaltungen als Redner aufgetreten ist, setzt ihn sein Arbeitgeber, die Technische Universität Dresden, vor die Tür. Sein Antrag auf eine Senior-Professur wurde abgelehnt mit der Begründung, Patzelt habe Politik und Wissenschaft „derart vermischt, dass dem Ruf der TU Dresden und der Fakultät dadurch geschadet worden sei.“ Laut einem Schreiben der Uni-Leitung an den Professor „könnten seine Aktionen und Äußerungen“ gegen das für Beamte geltende „Treue- und Mäßigungsgebot“ verstoßen haben. „Könnte haben“ – ein Beleg dafür, dass er tatsächlich dagegen verstoßen hat und in welcher Form, gibt es nicht.
Studenten halten sich ja von jeher für besonders progressiv und so haben die Studierenden an der TU Dresden schon vor Jahren – da gab es noch keine Pegida-Bewegung – mit Flugblättern und anderen Aktionen gegen den „rechten Professor“ protestiert. Ob sie auch für den Brandanschlag auf sein Auto vor zwei Jahren verantwortlich sind, konnte nicht nachgewiesen werden. Er sei zu AfD-nah, lautete der Vorwurf. Dabei hat er als Redner bei einer AfD-Veranstaltung in Berlin die Partei-Mitglieder u. a. explizit davor gewarnt, sich mit Worten und Taten gegen das Grundgesetz zu stellen. – Für seine Kritiker ist das unerheblich, denn um eine sachliche Auseinandersetzung mit Patzelt geht es gar nicht. Der Professor hat sich einfach zu weit vom Mainstream entfernt, will bestimmte gesellschaftliche Phänomene erforschen, um sie besser verstehen zu können, anstatt sie von vorn herein als Teufelswerk zu verdammen. Das war und ist sein Vergehen. An der Stelle hört offensichtlich auch die Freiheit von Wissenschaft und Lehre auf (vgl. GG, Art. 5, Abs. 3).
Manch einem mag der Verweis auf das Grundgesetz zu abstrakt, zu akademisch erscheinen. Gut denn, für all jene, die es gerne griffiger haben, erinnere ich an den markigen Ausspruch von CDU-Generalsekretär Peter Tauber: „Wer nicht für Angela Merkel ist, ist ein Arschloch“ (zitiert in der „Welt“). Da bei der letzten Bundestagswahl 76 Prozent die CDU nicht gewählt haben, bzw. gar nicht zur Wahl gegangen sind, müssen wir zerknirscht feststellen: Wir sind eine Republik von Arschlöchern. Ich bekenne: Ich bin eines davon.
Nachtrag der Redaktion: Dass man in deutschen Parlamenten nicht mehr frei debattieren darf, ohne des Saals verwiesen zu werden, dokumentiert dieses kurze Video (4Min30): https://www.youtube.com/watch?v=J5UEpyLzlZA
Nicht nur mit den „Sagbarkeitsregeln“ verabschiedet sich Deutschland von echter Demokratie. Schlimmer noch wirkt sich aus, wer als „Spitzenpolitiker“ in Deutschland die Richtung vorgibt. Hans-Jürgen Geese zeigt in seinem Werk „Die Deutschen – Das klügste Volk auf Erden verabschiedet sich von der Geschichte“ auf, wie gezielt Deutschland und seine Kultur marginalisiert wird, und zwar von seinen eigenen Politikern. Dieses Werk ist erhältlich im Buchhandel oder direkt zu bestellen beim Verlag hier.
Eine Rezension dieses Werks finden Sie hier: https://www.anderweltonline.com/kultur/kultur-2016/blick-von-aussen-auf-eine-gesellschaft-die-sich-selbst-zerlegt/