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Polen am Scheideweg – Zukunft oder Mittelalter

Von Hubert von Brunn

„Noch ist Polen nicht verloren“ singen unsere Nachbarn mit ihrer Nationalhymne innbrünstig. Nach den Präsidentschaftswahlen vom vergangenen Sonntag keimt immerhin ein Funken Hoffnung auf, dass dem so sei, wenn sich bei der Stichwahl am 12. Juli der liberale Rafal Trzaskowski gegen den erzkonservativen Amtsinhaber Andrzej Duda durchsetzt. Wenn nicht, wird der am Gängelband der nationalkonservativen PIS-Partei hängende Duda das Land weiter in Richtung Mittelalter führen: Weg von einem demokratischen Rechtsstaat, weg von Meinungsfreiheit, weg von Europa.

Trzaskowski, derzeit Oberbürgermeister von Warschau, sieht sich selbst als „Kandidat des Wandels“ und hat nach seinem Achtungserfolg mit 30,8 Prozent der Wählerstimmen deutlich gemacht, dass die zweite Runde auch eine Wahl ist „zwischen einem offenen Polen und einem Land, das ständig den Konflikt sucht“. Dass der 48-Jährige jetzt überhaupt antrat, ist der Verschiebung der Wahl Anfang Mai wegen Corona und verfassungsrechtlicher Probleme geschuldet. Und dass er weiß, wie man Stimmen gewinnt – zumindest bei der gebildeten, aufgeklärten, urbanen Wählerschaft –, hat er 2018 bei der Kommunalwahl in Warschau bewiesen, wo er einen Erdrutschsieg gegen den Kandidaten der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PIS) schaffte. Jetzt ist ihm bei der Präsidentschaftswahl eine bemerkenswerte Aufholjagd gelungen. In den gebildeten Wählerschichten hat ihn sicherlich auch Stimmen gebracht, dass er signalisierte, die umstrittene Justizreform der PIS-Partei kippen zu wollen, um eine unabhängige Justiz zu gewährleisten.

Mit dem Dreiklang Nation – Kirche – Familie geht die PIS auf Stimmenfang

Auf der anderen Seite Duda, der voll und ganz hinter der Politik von PIS-Strippenzieher Jaroslaw Kaczynski steht, und auf die Gemeinschaftswerte „Nation“, „Kirche“ und „Familie“ setzt. Hinzu kommt die Betonung der „sozialen Fürsorge“, was natürlich bei den „einfachen“ Leuten besonders gut ankommt: Herabsetzung des Rentenalters, eine 13., womöglich sogar 14. Rente (in Höhe der Mindestrente), Einführung des staatlichen Kindergeldes… Mit dem Dreiklang Nation – Kirche ­– Familie gewinnt man insbesondere auf dem Land und bei den weniger gebildeten Schichten die Herzen der Wähler. Hier zeigt sich in Polen eine enorme Diskrepanz zwischen der städtischen und der ländlichen Bevölkerung – ähnlich wie in der Türkei oder China und in vielen anderen Ländern mit extremem Bildungsgefälle. Auf dem Land leben die Leute vielfach wie vor Hunderten von Jahren, pflegen ihre alten Sitten und Gebräuche, sind tief in ihrer Religion verwurzelt und wollen nur eines: Ein auskömmliches Leben in Ruhe und Frieden. Von der großen Politik verstehen sie nicht viel, die Hauptstadt ist weit weg – Europa noch viel weiter. Brüssel ist aus Sicht der nationalkonservativen Polen eine Beleidigung, ja Provokation und nur geduldet, solange von dort genug Geld ins Land kommt.

Der Nationalstolz der Polen ist extrem ausgeprägt, ebenso ihr Katholizismus, der mitunter mystische Züge trägt. Man denke nur an die „Schwarze Madonna“ von Tschenstochau, die als nationales Symbol verehrt wird und zugleich die heiligste Reliquie des Landes darstellt. Nicht zuletzt diese fundamentalistische Gottgläubigkeit hat dazu geführt, dass sich inzwischen mehr als 80 Kommunen in etwa einem Drittel des Landes zu LGBT-freien Zonen erklärt haben. LGBT steht für Lesben, Gay, Bisexual, Transgender – also für alle Lebensformen, die dem traditionellen Mann-Frau-Schema nicht entsprechen. Damit wir uns richtig verstehen: Ich bin ein ganz normaler Hetero-Mann und habe nicht die geringste Veranlassung, mich für diese Gruppe besonders stark zu machen. Aber wenn Herr Duda bei seinen Wahlkampfveranstaltungen verkündet: „Das sind keine Menschen, das ist pure Ideologie“ – dann regt sich mein humanistischer Widerstand.

Die Stichwahl kann zur Schicksalswahl für Polen werden

Auch mir geht es hierzulande mitunter auf den Wecker, dass ständig und bei jeder Gelegenheit alles, was sich außerhalb der Norm bewegt, in den Vordergrund gestellt und als besonders schützenswert hervorgehoben wird. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Individuen, die der LGBT-Gemeinde angehören, Menschen sind. Mit Ideologie hat das gar nichts zu tun und manch einer wäre womöglich froh, er würde nicht dazu gehören, wäre „normal“. Die Haltung, die Duda an der Stelle zum Besten gegeben hat, kann man nur als menschenverachtend bezeichnen. Und dafür bekommt er von katholischen Priestern und Bischöfen auch noch Rückendeckung von der Kanzel. Diese Lebensformen entsprächen nicht dem christlichen Ideal von Ehe und Familie. Von der Toleranz gegenüber Schwächeren und der christlichen Nächstenliebe, von der Jesus gepredigt hat, ist bei diesem Verdikt keine Rede.

Die Stichwahl in 14 Tagen kann in der Tat, wie eingangs gesagt, zu einer Schicksalswahl für Polen werden. Der fundamentale Katholizismus wird auch unter einem Präsidenten Rafal Trzaskowski weiterleben und von Millionen Polen praktiziert werden. Das liegt in den Genen der Polen. Aber vielleicht gelingt es ihm, seinem Volk zu vermitteln, dass Europa nicht nur da ist, um Subventionen von Brüssel nach Warschau zu transferieren, sondern dass es hier auch um Solidarität geht – etwa bei Umweltschutz und Klimawandel (wir legen unsere Kohlekraftwerke still, Polen betreibt uralte Dreckschleudern und baut neue dazu); etwa bei der Flüchtlingsproblematik, die ja noch lange nicht beendet ist. Ich habe zwar noch von keinem einzigen Migranten gehört, der den Wunsch geäußert hätte, unbedingt in Polen untergebracht zu werden. Aber darum geht es nicht. Wenn Polen ein gewisses Kontingent akzeptiert, dann muss der Eritreer oder Iraker eben dahin. Basta. Und wenn den Polen die Statuten des Clubs Europa, in den sie unbedingt eintreten wollten, nun nicht mehr gefallen, dann müssen sie eben austreten – PLexit!

Vielleicht gelingt es Trzaskowski aber auch, seinen Landsleuten den Unterschied zwischen Nationalstolz und überheblichem Nationalismus beizubringen. Ein Ansatz hierzu wäre endlich eine seriöse und ehrliche Aufarbeitung der polnischen Geschichte im 20. Jahrhundert. Dann würde die allzu bequeme und über Jahrzehnte sorgsam gepflegte Opferrolle Risse bekommen und der alles andere als menschliche Umgang mit den Juden und später mit der deutschstämmigen Minderheit würde ins Bewusstsein der heutigen Generation treten. – Das wären einige der Herausforderungen für den neuen Präsidenten, und die Nationalkonservativen werden es ihm nicht leicht machen. Aber er tritt ja an für ein neues, offenes Polen, das endlich seinen Platz im Europa des 21. Jahrhunderts finden soll. Dafür kann man ihm nur Glück wünschen und hoffen, dass die zukunftsorientierte Stadtbevölkerung bei der Stichwahl die Oberhand gewinnt. Andernfalls müssten sie ihre Nationalhymne eines Tages umdichten. 

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Es ist zu wenig bekannt, dass Polen im Zuge des „Münchner Abkommens“ auch kräftig zugelangt hat, was die Erweiterung seines Territoriums betrifft. Noch weniger ist bekannt, wie Polen mit Hitler zusammengearbeitet hat und bereits vor dem Abkommen mit der UdSSR einen „Nichtangriffspakt“ mit dem Deutschen Reich abgeschlossen hat. Dass Polen in der Zeit zwischen den Kriegen mit den im Land lebenden Minderheiten brutal unmenschlich umgegangen ist, wurde sogar im Britischen Parlament angeklagt, jedoch ohne Konsequenzen auszulösen. Daran zu erinnern, dass die Regierung in Warschau alle zweieinhalb Millionen Juden ausweisen wollte, dann Hitler bei der Vernichtung derselben kräftig zugearbeitet hat, steht in Polen sogar unter Strafe. Wenn Sie mehr darüber erfahren wollen, empfehlen wir die Werke von Peter Haisenko „England, die Deutschen, die Juden und das 20. Jahrhundert“ und die von Reinhard Leube im AnderweltVerlag. Bezüglich Polens Schandtaten insbesondere Band drei: „Septemberrevolution“. Eine Rezension zu „Septemberrevolution“ können Sie hier einsehen:
https://www.anderweltonline.com/kultur/kultur-2020/reinhard-leubes-geschichte-dritter-teil-septemberrevolution/

Alle Bücher sind erhältlich im Buchhandel oder direkt zu bestellen vom Verlag hier.

Sehen Sie dazu auch das kurze Video (16 Min.): „Die deutsche Geschichte muss neu geschrieben werden“
https://www.youtube.com/watch?v=EscvuzFuZ30

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