Hier Datenschutz – dort publicitygeile Selbstdarstellung im Netz
Von Hubert von Brunn
In welch einer schizophrenen Gesellschaft leben wir? Sobald von offizieller Seite irgendeine Neuerung, Änderung, Verbesserung eingeführt werden soll, erschallt – noch bevor eine sachlich-inhaltliche Prüfung vorgenommen wurde, der Warnruf: Datenschutz! Datenschutz über alles. Bestes Beispiel: Die angeblich beste Corona-App der Welt, die sich als veritabler Blindgänger erwiesen hat, weil die strengen Hüter des Datenschutzes es nicht gestatteten, genau die Funktionsweisen zu installieren, die notwendig gewesen wären, um diesem Instrument zur Identifikation von Begegnungen mit Covid-19-Infizierten irgendeinen praktischen Sinn zu verleihen. Zig Millionen Euro Steuergelder in den Sand gesetzt für nichts – Hauptsache Datenschutz.
Damit wir uns richtig verstehen: Ich brauche diese App nicht und ich hätte sie auch nicht heruntergeladen, wenn sie ordentlich funktionieren würde. Darum geht es hier aber nicht. Es geht mir vielmehr um das Datenschutz-Gekrähe bei jeder Gelegenheit auf der einen und den unbändigen Drang nach Selbstdarstellung im Netz auf der anderen Seite. In den sozialen Medien geben die Leute – gerade jene aus der wohl situierten, links-grün orientierten Mittelschicht, die am lautesten nach Datenschutz schreien – so gut wie alles aus ihrem Privatleben preis. Das ist OK. Google, Facebook, Amazon etc. dürfen getrost alles wissen – ein staatliches Gesundheitsamt hingegen steht sofort unter Generalverdacht, mit den personengebundenen Daten Schindluder zu treiben.
Jede noch so banale Situation wird auf Instagram gepostet
Dabei ist „Alexa“, die ihre elektronischen Ohren überall in der Wohnung, selbst im Schlafzimmer, spitzen darf, noch die harmlosere Variante der Selbstentblößung. Als ganz schlimm erachte ich es, wenn der Selbstdarstellungs-Wahn seinen Niederschlag in unzähligen Fotos und Videos auf Facebook oder Instagram findet. Irgendwelche banalen Situationen oder Verrichtungen des Alltags müssen unbedingt gepostet werden, damit die Follower auch ganz genau Bescheid wissen, was ich den lieben langen Tag treibe. Wer es sich leisten kann, der kauft dann auch noch Follower, damit die Anzahl der Klicks in die Höhe schnellt und die Herde der Verblödeten, die sich diesen Mist ansehen, noch größer erscheint als sie wirklich ist. Wie armselig muss das analoge Leben dieser Menschen sein, wenn sie im virtuellen Nirwana Aufmerksamkeit und Bewunderung suchen ohne eine konstruktive Leistung zu erbringen? Dass egozentrische Stars und solche, die es werden wollen, dieses Mittel zur penetranten Eigenwerbung einsetzen, mag ja noch angehen. So lange es hirnlose „Fans“ gibt, die hin und weg sind zu beobachten, wie Heidi Klum Spaghetti mit Tomatensoße in sich hineinschiebt oder Kim Kardashian ihren dicken Hintern auf dem Sofa räkelt – bitteschön, wer’s braucht!
Bedenklich um nicht zu sagen kriminell wird es, wenn Eltern meinen, auch jedes noch so alltägliche Vorkommnis im Leben ihrer Kinder mit bunten Bildern im Netzt breittreten zu müssen: Der Dreijährige, der im Pool planscht, die Fünfjährige, die mit ihrem Teddy kuschelt, der Siebenjährige, der in Badehose auf der Sonnenliege sitzt und sein Eis schleckt… Das sind ganz private Momentaufnahmen, die nur für die Abgelichteten selbst als Erinnerung und für die nächsten Angehörigen von Bedeutung sind. Früher hat man solche Fotos in dicken Alben gesammelt, die dann bei irgendwelchen Familienfeiern oder zu Weihnachten herausgeholt und unter großem „Hallo“ und mit ganz vielen Kommentaren versehen betrachtet wurden. Wer es sich leisten konnte, hatte eine Super-8-Kamera und durfte bei diesen Gelegenheiten seine Aufnahmen vorführen. Noch einmal: Dieses private Bildmaterial war ausschließlich gedacht für Betrachter aus dem engsten Familien- und Freundeskreis. Da gehört es hin und nirgendwo sonst.
Kinderfotos ins Netz zu stellen, ist fahrlässig bis kriminell
Wozu also müssen solche Fotos und Videos bei Instagram eingestellt werden? Wenn Erwachsene ihre Profilneurosen auf diese Weise ausleben wollen, kann man das ja noch achselzuckend als Ausdruck geistiger und seelischer Verarmung zur Kenntnis nehmen. Wenn Eltern aber ihre Kinder auf Instagram prostituieren – ja, ich benutze bewusst dieses Wort –, dann bewegen wir uns am Rande höchster Fahrlässigkeit. Es sollte sich doch inzwischen auch in den Kreisen jener egomanen Selbstdarsteller herumgesprochen haben, dass im Netz nicht nur Gutmenschen unterwegs sind. Dass dort vielmehr ein hohes Maß an krimineller Energie nur darauf lauert, rücksichtslos ungeschützte Daten abzugreifen und für eigene Zwecke zu missbrauchen.
Folgender Vorgang aus jüngster Vergangenheit macht diese Gefahr überdeutlich: Ein Team von Journalisten stellt sich die Aufgabe, einmal ins Dark Net einzudringen und zu recherchieren, auf welchen Ebenen und auf welche Weise die Cyber-Kriminellen dort aktiv sind. Was dort alles im Angebot ist und wie sich in dieser dunkelsten Ecke des Internets die Verfahrensabläufe zwischen Angebot und Nachfrage darstellen. Bei diesen Recherchen landet eine Kollegin auf einer Seite für Kinderpornografie. Sie traut ihren Augen nicht, als sie hier jede Menge Fotos vorfindet von einem kleinen Jungen, den sie kennt. Es ist der Sohn einer guten Freundin. Umgehend setzt sie diese von ihrer Entdeckung im Dark Net in Kenntnis. Natürlich ist die Mutter über diese Nachricht völlig aus dem Häuschen und wird nicht müde zu betonen, dass sie doch ganz harmlose Fotos von ihrem Jungen bei Instagram eingestellt hätte. Niemals seien Nacktfotos dabei gewesen.
Cyber-Kriminellen im Dark Net auf die Spur zu kommen, ist sehr schwer
Wie naiv muss man da sein. Perversen Pädophilen reicht schon das Foto eines Knaben in Badehose, um auf dumme Gedanken zu kommen. Es ist ja noch gar nicht lange her, als die Medien über Tage und Wochen über einen gelungenen Coup der Polizei berichteten, bei dem tatsächlich einmal ein großer Pädophilen-Ring aufgeflogen ist und etliche Täter dingfest gemacht werden konnten. Das ist dieser Mutter sicherlich nicht entgangen. Dennoch ist sie dämlich genug, Fotos von ihrem spärlich bekleideten Sohn zu posten.
Mithilfe der Journalistin meldet die empörte Mutter den Vorgang bei der Polizei und erstattet Anzeige gegen Unbekannt. Ein eher hilfloses Unterfangen, denn die jeweiligen Server stehen zumeist irgendwo im Ausland und es ist verdammt schwer, die Accounts der Akteure zu entschlüsseln und die dahinter stehenden Personen zu identifizieren. Wenn da nicht „Kommissar Zufall“ zu Hilfe kommt, sieht es schlecht aus. Entsprechend gering ist ja auch die Aufklärungsquote bei Cyber-Kriminalität. Der kleine Junge, der nichts dafür kann, dass Fotos von ihm durchs Netz schwirren, tut mir leid. Das hat seine publicitygeile Mutter verbockt – und die tut mir überhaupt nicht leid. Wenn von Missbrauch die Rede ist, dann beginnt er genau an der Stelle, wo verblödete Eltern meinen, auf Instagram Reklame für ihren wohlgeratenen Nachwuchs machen zu müssen. Hört auf damit! Ihr versündigt euch an euren Kindern.
Ich weiß ja nicht, was Alexa wirklich kann, wie komplex Fragestellungen sein dürfen, damit sie noch Antworten finden. Also konstruiere ich eine Situation: Die ach so verzweifelte Mutter fragt: „Alexa, was hältst du von Persönlichkeitsrechten und Datenschutz?“ Darauf die Quatschbüchse: „Persönlichkeitsrechte sind ein hohes Gut und deshalb ist Datenschutz wichtig.“ – Na also, wenn Alexa das sagt!