Laschets Wahl zum CDU-Chef konterkariert die Demokratie
Von Peter Haisenko
Mit der Wahl Laschets zum CDU-Chef ist das Schlimmste verhindert worden: Röttgen. Dennoch zeigt auch dieses Wahlergebnis, wie Demokratie ad absurdum geführt wird.
Während der letzten Jahre mussten wir immer wieder zusehen, wie in Stichwahlen der ursprünglich Zweitplatzierte zum Sieger gemacht worden ist. Das bedeutet, dass anschließend jemand den Chefsessel innehat, den zuvor nur eine Minderheit dort sehen wollte. Macron in Frankreich (absolut nur 14 Prozent) oder van der Bellen in Österreich, um nur zwei prominente Beispiele zu nennen. Wie U.v.d.Leyen auf ihren EU-Posten gehievt worden ist, hat sowieso nichts mehr mit Demokratie zu tun. So befinden wir uns in einem Zustand, wo Personen Macht ausüben dürfen, die nicht dem ehrlichen Willen einer Mehrheit entsprechen. Die Macht der EU-Kommissare hat mit Demokratie schon gar nichts gemein.
Koalitionen heben den eigentlichen Wahlsieger aus
Nach Willy Brandt wird auch in Deutschland meist negativ gewählt. Das heißt, man gibt jemandem seine Stimme, um einen anderen zu verhindern. Dieses Votum sagt aber nicht, dass man von demjenigen begeistert ist, dem man die Stimme gegeben hat. So habe ich bereits in meinem Werk „England, die Deutschen, die Juden und das 20. Jahrhundert“ vorgerechnet, dass Frau Merkel bei ihrer ersten Wahl zur Kanzlerin 2005 nur 16 Prozent absolut der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Das letzte Mal, dass in Deutschland ein Kanzler mit seiner Partei die absolute Mehrheit erringen konnte, war Konrad Adenauer 1957. Die folgenden vier Jahre blieben einmalig, wie sehr Deutschland voran gebracht worden ist. Fortan regiert das Mittelmaß der untauglichen Kompromisse. Aber es ist noch schlimmer.
Helmut Kohl ist bei seinem ersten Anlauf aufs Kanzleramt 1976 nur haarscharf an der absoluten Mehrheit vorbeigeschrammt. Obwohl er mit 48,6 Prozent weit vor allen anderen lag, durfte er nicht Kanzler werden. SPD und FDP haben das mit einer Koalition verhindert. War das schon ein Affront gegen die zwar relative demokratische Mehrheit, so mussten wir weitere derselben Art fortlaufend erleben. Zuletzt in Bremen, wo der Siegerpartei CDU von einer unmöglichen Koalition das Regierungsamt verweigert worden ist. Angesichts dessen muss man sich nicht wundern über die frustrierten Nichtwähler, die schon lange die relative Mehrheit sind. Es war die AfD, die 2016 Nichtwähler an die Urnen zurückgeholt hat, weil sie als einzige Alternative zu den Blockparteien wahrgenommen worden ist. Wir wissen, mit welch unfairen Mitteln diese Störenfriede bekämpft werden.
Die CDU ist nach wie vor tief gespalten
Doch nun zur aktuellen Wahl des CDU-Vorsitzenden. Im ersten Wahlgang hat Laschet 380 Stimmen bekommen und Merz 385. Röttgen war mit 224 raus. Bereits in diesem Moment war klar, dass es Laschet werden wird. Wer Röttgen gut findet, der will keinen Merz. Dennoch war der Sieg von Laschet alles andere als überzeugend. Mit seinen 521 Stimmen liegt er knapp zehn Prozent über seinem Konkurrenten. So ist festzustellen, dass die CDU nach wie vor tief gespalten ist, in Merkelknechte und diejenigen, die wieder eine konservative CDU wollen. Von da an wird es lustig, zumindest was die Medienberichterstattung betrifft.
In einer ersten kurzen Ansprache dankte Laschet "für das große Vertrauen", wird unreflektiert berichtet. Ich habe schon länger vermutet, dass es Laschet nicht so sehr mit der Mathematik hat. Wie kann man bei diesem Ergebnis von großem Vertrauen reden? Fast die Hälfte hat ihm das Vertrauen nicht bestätigt. Aber derart lästige Kleinigkeiten können die Merkelmedien nicht irritieren. Hauptsache, ihre Merkel hat jetzt keine Probleme, die ihr Merz sicherlich bereitet hätte. Aber es wird immer besser. In ihrer Reportagereihe titelt ntv: „Spahn erleidet Klatsche bei Wahl zum CDU-Vize“
Nicht, dass ich für diesen Ministerimitator irgendeine Sympathie empfinden könnte, so regt sich doch mein Gerechtigkeitsempfinden. Laschet erntet großes Vertrauen mit 521 Stimmen und Spahn erleidet eine „Klatsche“ mit 589, also 68 Stimmen mehr. Dass das das schlechteste Ergebnis unter den angetretenen Vizes war, zeigt unter anderem, wie wahrhaftig die angeblichen Umfrageergebnisse sein können, die Spahn während der letzten Wochen zum angeblich beliebtesten Politiker Deutschlands gekürt haben. In der CDU selbst ist er das offensichtlich nicht. Immerhin haben seine Konkurrenten zwischen 670 und 806 Stimmen einfahren können, was aber auch nicht totale Begeisterung vermuten lässt.
Wer seine Karriere nicht gefährden will, verhält sich still
Der Parteitag der CDU spiegelt den Zustand Deutschlands und seiner Parteien. Überall dominiert eine tiefe Spaltung, selbst innerhalb aller Parteien. Auch in der AfD mit ihrem Freimaurer Meuthen. Herr Laschet selbst ist in meinen Augen ein typisches Exemplar der Gattung „Versicherungsvertreter“. Auch das spiegelt den Zustand der Republik. Alles muss geregelt sein und jeder muss „geschützt“ werden, auch vor den unwahrscheinlichsten Unbilden. Dass mit dieser Mentalität nichts mehr vorangeht, darf niemand verwundern. Ebenso wenig wie der Umstand, dass einem Mann wie Laschet diese wichtige Position zugeschanzt werden kann. Von Merkel selbst habe ich zumindest nichts dazu gehört. Sie kann aufatmen, Merz sofort eine Absage auf seine Ambitionen als Wirtschaftsminister erteilen und ihren Fingernägeln eine Chance geben, einen halben Millimeter auf dem Fleisch zu wachsen.
In Deutschland regieren Feiglinge, denen ihre (Partei-)Karriere vor Ehre und Wahrhaftigkeit geht. Schon 2010 gab es ansatzweise einen Aufstand in der CDU gegen Merkel, weil sie, die ML-geschulte Meisterin der Intrige, alles weggebissen hat, was ihrer Macht hätte gefährlich werden können. Siehe Merz. Der Aufstand ist in sich zusammengefallen, weil niemand seine Karriere gefährden wollte. Aber das ist eines der Merkmale unserer Demokratieform. Niemand will, und muss auch nicht, für irgendetwas Verantwortung übernehmen. Schon gar nicht als „Königsmörder“. Da ist die Gefahr zu groß, bei der nächsten Aufstellung der Wahllisten unten rauszurutschen. Nein, der Wähler kann gar nicht entscheiden, wer ihn vertritt oder regiert. Er kann nur die Wahlliste abnicken, die völlig undemokratisch von oben ausgekungelt wird. Volksentscheide könnten das ändern, aber die sind uns auf Bundesebene verboten – von den Siegermächten.
Die Mittelmäßigkeit am unteren Rand wird zementiert
Deutschland, nicht nur Deutschland, braucht einen Neustart, wie der gesamte „Wertewesten“. Laschet, der männliche Merkelklon, ist das sicher nicht. Unvoreingenommen frei analysiert, müssten alle Parteien aufgelöst werden. Anschließend müssten Parteiprogramme veröffentlicht werden, die klar und verbindlich sind. Dann, erst dann, können sich Menschen, die in der Politik tätig sein wollen, eine Partei aussuchen, die wirklich ihren persönlichen Zielen nahe steht. Da wird es große Wanderungen geben, von CDU zu SPD, von grün zu links und natürlich umgekehrt. Die Parteien werden wieder unterscheidbar, intern geschlossen und der Wähler weiß wieder, was er tut, wenn er seine Stimme vergibt. So, wie es jetzt ist, kann sich nicht einmal ein Parteichef auf eine klare interne Mehrheit stützen. Alle Parteitage aller Parteien der letzten Jahre haben das immer deutlicher gezeigt und so nur noch farblose Niemande und Kompromisskandidaten an ihre Spitze gestellt. Charismatische Vorsitzende sind nicht in Sicht, aber genau die darf es in Deutschland nach 1945 nicht mehr geben.
Laschet, der 53-Prozentmann der CDU, wird seine Partei nicht zu neuen Höhenflügen führen. Er wird die Partei nicht „einen“. Seine Wahl zementiert die Mittelmäßigkeit am unteren Rand. Sie sorgt dafür, dass die – immer noch – größte Partei nicht zu alter Größe finden wird und sich weiterhin mit faulen Kompromissen mit untauglichen Koalitionspartnern von jeglicher Verlässlichkeit entfernt. Das allseits zu beobachtende Verfahren, hoffnungsvolle Alternativen zu zerschlagen, indem sich die Verlierer des ersten Wahlgangs gegen den stärksten zusammen rotten, konterkariert den Sinn der Demokratie. Es ist die Herrschaft der Mittelmäßigkeit, oder darf man das sogar die Diktatur der Versager und Feiglinge nennen? So oder so, noch niemals hat ein Land in Wohlstand und Würde überlebt, das Mittelmäßigkeit zur Staatsdoktrin gemacht hat. Aber vielleicht ist genau das das Ziel und dann hat Merkel wirklich ganze Arbeit geleistet. Da wird Laschet ein „würdiger“ Nachfolger sein, wenn uns der Coronator Söder erspart bleibt.