Die USA morden in Kabul und der Wertewesten applaudiert
Von Peter Haisenko
Seit dem Abzug der NATO-Truppen aus Afghanistan ist dieses Land wieder ein souveräner Staat. Zumindest nominal. So verletzen die USA Völkerrecht, wenn sie mit Drohnen in den Luftraum eindringen. Insbesondere dann, wenn sie in der Hauptstadt Menschen ermorden. Wo bleibt der Aufschrei des Wertewestens?
Gerade jetzt, zur Sonderoperation Russlands in der Ukraine, schwadroniert der Westen darüber, Russland würde die regelbasierte Ordnung verletzen. Betrachtet man dazu die jüngste Aktion der USA in Afghanistan, muss man sich fragen, ob es auch zu dieser ominösen Ordnung gehört, nach Belieben Menschen in fremden Ländern zu ermorden. Nichts anderes tun die USA seit vielen Jahren, indem sie tausende Menschen in allen möglichen Ländern mit Drohnenangriffen ermorden. Und zwar nach Belieben, denn die Opfer sind nicht einmal von einem Gericht für irgendetwas schuldig gesprochen worden. Es genügt die Unterschrift des US-Präsidenten, einen solchen Mord zu vollstrecken, bei dessen Ausführung zu oft zu viele unbeteiligte Zivilisten einen vorzeitigen Tod finden. Das heißt dann Kollateralschaden und wird billigend hingenommen.
In ihrer imperialen Arroganz bemühen sich die USA nicht einmal, ihren Mordaktionen einen völkerrechtlichen Anstrich umzuhängen. Das können sie, denn die westlichen Monopolmedien schweigen dazu, wenn sie nicht sogar applaudieren. Man erinnere sich an den Mord an Osama bin Laden, als Kanzlerin Merkel ihre Freude über diesen völkerrechtswidrigen Akt ausgedrückt hatte. So ergibt sich das Bild, dass sich die USA als Herren über die regelbasierte Ordnung aufführen und diese beliebig auslegen. Sie gilt nur für die anderen. Was aber ist das anderes als ein weltweites Terrorregime, basierend auf dem Recht des Stärkeren? Wir machen was wir wollen, maßen uns aber an darüber zu bestimmen, welche „Regeln“ für alle anderen zu gelten haben. Etwa so, wie man es vom brutalen Schläger in der Schule kennt.
Moskau und Peking reden Klartext
Es war schon lange überfällig, dass die einzigen Staaten, die den USA Paroli bieten können, nämlich Russland und China, die Samthandschuhe ausgezogen haben. Beide haben erklärt, dass sie es nicht länger hinnehmen, wie die USA ihre ständig wechselnden „Regeln“ der ganzen Welt aufzwingen. Ihnen selbst schon gar nicht. Wie weit das geht, mag man daran erkennen, dass sich vor allem Russland aus immer mehr internationalen Organisationen verabschiedet, denn alle diese sind US-dominiert und dienen nur den Zielen der USA. Es ist abzusehen, dass sich diese beiden auch aus der UNO ausgliedern. Die ist sowieso schon lange zu einem Debattierverein verkommen, den die USA sowieso nicht respektieren. Alle Sanktionen der letzten Jahre sind nicht von der UNO abgesegnet, sondern entstammen ausschließlich der Willkür Washingtons. Wofür braucht man da noch die UNO, wenn sie nicht einmal die USA diesbezüglich zur Ordnung ruft?
Mit den Anschlägen in New York am 11. September 2001 haben die USA den „Krieg gegen den Terror“ erklärt. Wer oder was aber „Terror“ ist, darüber befinden allein sie selbst. Wieder ohne die UNO. Damit geben sie sich das Recht, ihren eigenen Terror jederzeit weltweit auszuüben, wieder nach Belieben. Und sie tun es reichlich, von ihren etwa 1.000 Militärbasen, die sie weltweit installiert haben. Den jüngsten Mord in Kabul begründet der US-Präsident Biden so: „Der Einsatz in Kabul sei ein klares Signal an jeden Feind der USA. Wer eine Bedrohung für die amerikanische Bevölkerung sei, werde gefunden und ausgeschaltet.“ Und weiter: „Jetzt wurde der Gerechtigkeit Genüge getan. Und diesen Terroristenführer gibt es nicht mehr."
Was man in den USA unter Gerechtigkeit versteht
Was aber soll dieser Mord mit Gerechtigkeit gemein haben? Recht wird vor Gericht gesprochen, nach gültigen und anerkannten Gesetzen. Keinesfalls kann es sich um Recht oder Gerechtigkeit handeln, wenn ohne Beweisführung und Gerichtsverhandlung ein Mord angeordnet wird, vom Präsidenten selbst. So wird nur in grausamen Diktaturen verfahren. Selbst unter Stalin oder Hitler wurden zumindest Scheinprozesse abgehalten, vor der Verurteilung. In ihrer imperialen Arroganz bemühen sich die USA nicht einmal, ihren weltweiten Morden wenigstens das Mäntelchen des Scheins umzuhängen. Der größte Skandal daran ist aber, dass es die westliche „Wertegemeinschaft“ einfach hinnimmt, ohne auch nur den leisesten Protest zu äußern; ohne ein rechtsstaatliches Verfahren anzumahnen, wie es nach „westlichen Werten“ Standard sein müsste.
Bei diesen Morden der US-Führung steht außer Zweifel, wer die Morde verübt hat. Ja, man brüstet sich sogar damit, wie toll es wäre, wenn wieder ein Feind der USA eliminiert worden ist. Im Gegensatz dazu wird aber von den US-Schlächtern Russland verdammt und sanktioniert, wenn einfach behauptet wird, auf Befehl Moskaus wäre jemand umgebracht worden. Wie bei ihren eigenen Morden bedarf es für die USA dabei keinesfalls einer schlüssigen Beweisführung. Es wird einfach gesagt, Putin war´s und das muss genügen. Schließlich sind wir ja die Guten und das gibt uns jedes Recht. Wer die letzten Jahrzehnte beobachtet hat, wird dabei nicht einmal ausschließen wollen, dass es die USA selbst, die CIA, waren, die die Morde begangen haben, die dann Russland in die Schuhe geschoben werden. Schließlich sollte jeder wissen, wie viele Präsidenten und andere unliebsame Führungspersönlichkeiten im Laufe der letzten Jahrzehnte von der CIA umgebracht worden sind.
Der Westen und die Lizenz zu töten
Die Sache hat Methode. Seit sechzig Jahren gibt es „James Bond Filme“ und andere, in denen immer der Held, ein Engländer oder Amerikaner, die „Welt rettet“. Mit größter Selbstverständlichkeit agieren diese „Helden“ in allen Ländern der Erde jenseits irgendeiner Rechtsstaatlichkeit. Es ist das Recht Londons und Washingtons, ihre Killer überall einzusetzen, mit der „Lizenz zu töten“, um Feinde umzubringen. Auch die massenweisen „Kollateralschäden“ sind besonders in den Bond-Filmen zu beobachten, mit dem Tod von Nebendarstellern und Komparsen.
So hat es Hollywood, die größte Propagandamaschine der Welt, geschafft, in den Köpfen einzupflanzen, dass es gut und richtig ist, wenn US- oder britische Agenten mordend und ohne Prozess „bösen“ Menschen in der ganzen Welt „Gerechtigkeit“ zukommen lassen. Ich sehe das nicht nur als Unterhaltung, sondern auch als ein langfristiges Propagandaprogramm. Wussten Sie, dass jedes, ja jedes, Drehbuch in Hollywood vom US-Militär genehmigt werden muss, bevor der Film produziert werden darf? Wenn dann das US-Militär im Film thematisiert wird, erhält man volle Unterstützung desselben. Hollywood muss nicht bezahlen, für die Auftritte von Flugzeugen oder anderem Material.
Handelt Russland völkerrechtskonform?
Im Gegensatz zu den Angriffskriegen der USA und der NATO, hat sich Russland bemüht, seinem Eingreifen in der Ukraine einen völkerrechtlich tragfähigen Unterbau zu geben. Die zwei ostukrainischen Volksrepubliken, DVR und LVR, haben sich nach Referenden zu unabhängigen Republiken erklärt. Die hat Moskau anerkannt. Dann erst haben diese neuen Republiken ein Hilfsersuchen an Moskau gesandt und Moskau hat das positiv beschieden. Irgendwann wird man sich mit diesem Vorgang befassen müssen und dann darüber befinden, inwieweit dieser Ablauf tatsächlich rechtmäßig war. Bedenkt man dazu, dass Kiew seit acht Jahren Krieg gegen diese Ostprovinzen führt, mit mehr als 14.000 toten Zivilisten, sehe ich gute Chancen, dass die Welt zu einem Ergebnis kommen wird, das Moskaus Position bestätigen wird. Wie Putin sagte: Wir haben diesen Krieg nicht begonnen, aber wir werden ihn jetzt beenden.
Die „pax americana“ scheitert an sich selbst
Niemand, auch nicht die USA, hat das Recht, in fremden Staaten Menschen zu ermorden. Selbst dann nicht, wenn ein ordentlicher Prozess vorangegangen wäre. Geschieht es doch, ist das eine grobe Missachtung des Völkerrechts. Im Fall der USA ist es brutale Ausübung von (militärischer) Macht gegenüber wehrlosen Staaten. Jetzt aber müssen die Herren in Washington lernen, dass das mit Russland und China nicht mehr geht, wie der Ablauf der Ukraineoperation zeigt. Oder der in Syrien.
Die „pax americana“, die Friedensordnung unter Führung der USA, hat sich selbst zerlegt. Und zwar deswegen, weil sie sich nicht einmal an ihr selbst aufgestelltes Recht hält. Das aber ist die Grundvoraussetzung für eine solche Ordnung. Jetzt ist es am Westen, die USA streng zu ermahnen und so vielleicht eine Besserung herzustellen. Der erste Schritt müsste sein, laut und deutlich den Mord in Kabul zu verdammen. Solange das aber nicht geschieht, sogar dazu applaudiert wird, wird das Ende des US-Imperiums immer schneller kommen. Der aktuelle Zustand ist schon, dass nur noch die NATO-Staaten auf Seiten der USA stehen. Viel braucht es nicht mehr, bis sich eine Weisheit der alten Römer manifestiert: Ein Imperium im Niedergang tut alles, um diesen zu beschleunigen. Es ist höchste Zeit, aus diesem Strudel auszusteigen und sich neue Allianzen zu suchen. Bis dahin werden die USA weiter zündeln, im Kosovo und Taiwan.