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Goethe wusste es besser
Von Hans-Jürgen Geese
Vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 fand im Reichstagspalais in der Berliner Wilhelmstrasse die „Afrika-Konferenz“ statt. Die Kolonialmächte legten die Grenzen ihrer Besitztümer in Afrika fest. Haben Sie gewusst, dass die deutschen Kolonien 1914 das an Fläche drittgrößte Kolonialreich auf Erden bildeten? Nur die Briten und die Franzosen hatten noch mehr zusammengerafft.
Es heißt im Artikel 35 der Generalakte, die am 26. Februar 1885 unterzeichnet wurde: „Die Signatarmächte anerkennen die Verpflichtung, das Vorhandensein einer Obrigkeit zu sichern, welche hinreicht, um erworbene Rechte zu schützen.“ Und man wolle, so heißt es weiter, die „Hebung der sittlichen und materiellen Wohlfahrt der eingeborenen Völkerschaften fördern.“ Soweit die Theorie.
Am 12. Januar 1904 erklärten die Hereros in der deutschen Kolonie Namibia den dort lebenden Deutschen den Krieg. Am 11. August 1904 kam es zu der entscheidenden Schlacht. Die Hereros, Männer, Frauen und Kinder wurden von den deutschen Truppen umzingelt. Tausende der Hereros kamen ums Leben. Im Oktober 1904 gab der kommandierende General, Lothar von Trotha, den Befehl zur Auslöschung der Hereros. Ende des Jahres lebten von einst etwa 80.000 Hereros nur noch 16.000. 14.000 von denen hatten die Deutschen in Konzentrationslagern zusammengepfercht. Man nannte und nennt das Völkermord. Genozid. Was hatte die Deutschen dazu gebracht, solche Verbrechen in ihren Kolonien zu begehen?
Das Deutsche Kaiserreich
Am 18. Januar im Jahre 1871 wurde im Versailler Schloss zu Paris das Deutsche Kaiserreich ausgerufen. Wie viele Kolonien hatte Deutschland an dem Tag? Antwort: Nicht eine einzige. Sie müssen wissen, dass am 18. Januar 1871 nicht nur dieses neue Reich quasi über Nacht zu einer Weltmacht und bald darauf Kolonialmacht wurde. Auch die Menschen, die in dem Reich lebten, waren nicht mehr die gleichen wie vorher, als sie als Bürger in einem von einst über 300 Ländern und später dann in einem von 38 kleinen Ländern in der Mitte Europas lebten.
In den tausend Jahren vor 1871 waren die Deutschen eines der friedlichsten Völker in Europa. Doch nachdem Bismarck am 30. September 1862 seine „Blut und Eisen“ Rede gehalten hatte, ging es los mit Krieg. Krieg und immer wieder Krieg. Allein die drei Vereinigungskriege gegen Dänemark, Österreich und Frankreich. Und dann die Kolonialkriege. Dann der Erste Weltkrieg. Dann der Zweite Weltkrieg. Das Deutsche Reich war auf „Blut und Eisen“ aufgebaut und ging durch „Blut und Eisen“ 1945 unter. Die Geschichte des Deutschen Reiches ist fast eine Kriegsgeschichte. Was war nur in diese Deutschen gefahren?
Nun, es ist ein riesiger Unterschied ob man als Bürger eines Kleinstaates oder als Bürger einer Großmacht lebt. Kleinstaaten und Großmächte verhalten sich nach unterschiedlichen Lebensgesetzen. Die deutsche Bescheidenheit, die einst berühmte deutsche Bescheidenheit, die blieb nach 1871 bald auf der Strecke. Man wollte jetzt so sein wie Frankreich, so wie Großbritannien. Man wollte ein Weltreich. Und ein Weltreich braucht nun mal eine Bande von skrupellosen Gesellen, die gnadenlos Macht projizieren und einsetzen und durchsetzen. Die sich nehmen was sie haben wollen. Die stehlen und morden. Solche Typen werden dann, über kurz oder lang, auch das eigene Land beherrschen und den Grundton vorgeben, nach dem jetzt auf allen Ebenen der Macht geherrscht wird. Was von oben vorgegeben wird, wird im Kleinen nachgemacht, imitiert. Kaiser Wilhelm wurde doch millionenfach imitiert. All diese kleinen Wilhelms hielten sich für die Herrscher der Welt. Und was dann dabei herauskam sah man auch in Namibia. Und später dann im Holocaust.
Und dann noch ein weiterer großer Wandel: Niemand in Europa hatte vor den 38 deutschen Ländern Angst. Allerdings hatten nach 1871 die anderen Völker um Deutschland herum auf einmal Angst vor diesen Größenwahnsinnigen in dem riesigen Reich. Und da sie Deutschland allein nicht zur Vernunft bringen konnten, bildeten sie Koalitionen gegen Deutschland. Sogar Großbritannien, eigentlich damals undenkbar, sogar Großbritannien wandte sich gegen Deutschland. Das hatte es noch nie gegeben. Und dann selbst Russland. Dabei hatten doch Preußen und Russland über die vorherigen 100 Jahre ausgezeichnete Beziehungen. Ja, auch die Russen wandten sich schließlich gegen Deutschland.
Das wirklich Traurige an der Geschichte der Deutschen seit 1871 ist, dass sie immer weniger deutsch wurden. Was da heute in deutschen Landen herumspaziert hat doch mit „deutsch“ nur noch wenig zu tun. Ein Mann sah das ganz klar voraus. Dabei brauchte es nicht einmal ein Genie, um zu erkennen, welche Konsequenzen sich aus einem vereinten Deutschland ergeben. Selbst der alte Bismarck hatte im hohen Alter sehr mulmige Gefühle hinsichtlich der Zukunft dieser Schöpfung, die er da in die Welt gesetzt hatte. Selbst Bismarck. Zu spät.
Johann Wolfgang von Goethe
Ich lasse jetzt den Größten aller Deutschen selbst sprechen (aus „Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens“ von Johann Peter Eckermann):
„Mir ist nicht bange, dass Deutschland nicht eins werde; unsere guten Chausseen und künftigen Eisenbahnen werden schon das ihrige tun. Vor allem aber sei es eins in Liebe untereinander, und immer sei es eins gegen den auswärtigen Feind. Es sei eins, dass der deutsche Taler und Groschen im ganzen Reich gleichen Wert habe; eins, dass mein Reisekoffer durch alle sechsunddreißig Staaten ungeöffnet passieren könne. Es sei eins, dass der städtische Reisepass eines weimarischen Bürgers von den Grenzbeamten eines großen Nachbarstaates nicht für unzulänglich gehalten werde, als der Pass eines Ausländers. Es sei von Inland und Ausland unter deutschen Staaten überhaupt keine Rede mehr. Deutschland sei eins in Maß und Gewicht, in Handel und Wandel und hundert ähnlichen Dingen, die ich nicht alle nennen kann und mag.“
„Wenn man aber denkt, die Einheit Deutschlands bestehe darin, dass das sehr große Reich eine einzige große Residenz habe, und dass diese eine große Residenz, wie zum Wohl der Entwicklung einzelner großer Talente, so auch zum Wohl der großen Masse des Volkes gereiche, so ist man im Irrtum.“
Mein Gott, ist es nicht ein Genuss, solche Worte lesen zu dürfen? Was für ein Mann, was für eine Sprache. Welche Klarheit der Gedanken. Und als ganz große Lektion für uns Nachfahren hier die Begründung, warum Deutschland niemals hätte vereint sein dürfen:
„Wodurch ist Deutschland groß als durch eine bewundernswürdige Volkskultur, die alle Teile des Reiches gleichmäßig durchdrungen hat. Sind es aber nicht die einzelnen Fürstensitze, von denen sie ausgeht und welche ihre Träger und Pfleger sind? – Gesetzt, wir hätten in Deutschland seit Jahrhunderten nur die beiden Residenzstädte Wien und Berlin, oder gar nur eine, da möchte ich doch sehen, wie es um die deutsche Kultur stände, ja auch um einen überall verbreiteten Wohlstand, der mit der Kultur Hand in Hand geht!“
Man beachte das Ausrufezeichen. Ich wiederhole: „Wohlstand, der mit der Kultur Hand in Hand geht.“ Nein, es ist wirklich nicht kompliziert. Was über die letzten 153 Jahre passierte in Deutschland, war, dass nämlich alles lediglich um seiner selbst willen verkompliziert wurde, in Einheit, ohne uns fürwahr Fortschritt zu bescheren, der wirklich zählt. Natürlich hätten die technischen Segnungen ohnehin integriert werden können. Man muss deswegen aber nicht seine Kultur aufgeben. Man darf niemals seine Kultur aufgeben. Niemals. Aber dieses schlimmste aller Verbrechen ist in Deutschland passiert. Heute redet doch kaum noch jemand über Kultur. Nicht nur das: Über deutsche Kultur zu reden, über „Deutschtum“ zu reden, ist ja geradezu gefährlich geworden. Was für ein Wahnsinn.
Goethe hat auch all das vorhergesehen. Hier seine Schlussworte: „Würden sie aber wohl bleiben, was sie sind, wenn sie ihre eigene Souveränität verlieren und irgendeinem großen deutschen Reich als Provinzialstadt einverleibt werden sollten? Ich habe Ursache, daran zu zweifeln.“
Von Bismarck zu Hitler
Einer der führenden Journalisten und Schriftsteller des letzten Jahrhunderts, Sebastian Haffner, hat in seinem Buch „Von Bismarck zu Hitler“ (erschienen 1987) diese Logik aufgezeigt, die nach 1871 Deutschland vernichtete. Zitat: „Und damit ging eine Art Charakterwandel der Deutschen einher – der nun freilich kein Wandel zum Besseren genannt werden kann. Die Deutschen der Zeit vor 1848 und auch noch der Bismarckzeit waren eine im Grunde bescheidene Nation gewesen. Aber seit Bismarcks Abgang bildete sich so etwas wie ein Großmachtsgefühl heraus. Sehr viele Deutsche der Wilhelminischen Zeit, und zwar Deutsche aus allen möglichen Schichten, erblickten plötzlich eine große nationale Vision, ein nationales Ziel vor sich: Wir werden Weltmacht.“
Im Nachhinein muss man sich wohl fragen, was denn nun als Segen für die Deutschen aus der Vereinigung von 1871 oder auch von 1990 herauskam? Schauen Sie sich um in Deutschland heute. Einigkeit und Recht und Freiheit? Von Einigkeit konnte nie die Rede sein. In Österreich leben Deutsche. In der Schweiz leben Deutsche. Und in anderen Teilen Europas. Das sogenannte vereinte Deutschland ist ein willkürlich vereintes Deutschland, vereint letztendlich, um es zu kontrollieren und zu vernichten. Daher musste es groß werden. Denn das Große ist immer viel einfacher zu kontrollieren und zu vernichten als das viele Kleine.
Und wie steht es um das Recht? Nun, das Recht ist längst auf der Strecke geblieben. Was da im Grundgesetz steht ist weitestgehend nur noch Theorie in hehren Worten. Das Gesetz wird nach Belieben den politischen Erfordernissen angepasst und nähert sich immer weiter der Willkür an. Und der Verfassungsschutz, der schützt die Regierung, aber bestimmt nicht die Verfassung.
Und wenn Sie über die Freiheit mehr wissen wollen, dann fragen sie lediglich die Leute von der AfD. Fragen Sie vor allem Björn Höcke. Warum lassen die den Mann und seine Familie nicht in Ruhe? Was hat der denn kriminelles gemacht? Nichts. Gar nichts. Freiheit hat etwas mit Toleranz und dem Aushalten von Alternativen zu tun. Und abweichende Meinungen müssen respektiert werden. Alles simple Grundvoraussetzungen für eine funktionierende Gemeinschaft.
Nach Covid ist doch der Glaube an eine funktionierende Gemeinschaft nur noch schwer am Leben zu erhalten. Das Grundrecht der Unversehrtheit des Körpers, das Grundrecht aller Grundrechte, wurde von Diktatoren aufgrund von fadenscheinigen Erkenntnissen brutal außer Kraft gesetzt. Illegal. Denn ein Grundrecht heißt Grundrecht, weil es immer gilt. Immer. Es gibt da keine Ausnahmen.
Die Schaffung eines Staates
Was 1871 geschah war die Schaffung eines Staates, der sich im Laufe der Jahre immer mehr und mehr verselbständigte. Bis zum Exzess. Bis zur Karikatur. Dargestellt in der Person des Hauptmanns zu Köpenick. Der Deutsche als Anbeter von Autorität. Der Staat als eine Art Religion. Die Politiker wollen angebetet werden. Sogar Annalena Baerbock: „Egal was meine deutschen Wähler denken.“
Eine Entwicklung hin zum Größenwahn seit damals, bis schließlich der Staat ein Eigenleben führte und heute auch noch führt. Der Staat und das Volk sind nicht eins, sondern zwei völlig verschiedene Welten. Was die da in Berlin treiben hat doch mit dem Wohl des Volkes kaum noch etwas zu tun. Und darum geht es auch nicht. Die Politiker werden nämlich nicht gewählt, sie werden eingesetzt, von Mächten, die ihre Interessen durchsetzen wollen. Demokratie als Farce. Als Theater. Ihnen präsentiert von den Medien. Eine Scheinwelt.
Das Problem: Da der sich verselbständigende Staat alle Macht in seinen Händen hält, ist es äußerst schwierig für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, aus diesem Schlamassel jetzt da wieder herauszukommen.
Die Umkehr der Einheit
Die Deutschen müssten sich ein paar knallharte Erkenntnisse zu eigen machen und sich eine Reihe von äußerst unangenehmen Fragen in der ehrlichen Absicht stellen, das Schicksal Deutschlands wieder selbst zu gestalten.
Frage: Wenn die Deutschen über tausende von Jahren lebten wie sie lebten, warum musste es dann 1871 zu dieser Vereinigung kommen? Welche wichtigen Vorteile ergaben sich daraus? Über die Nachteile haben wir bereits gesprochen. Überwiegen die Vorteile die Nachteile? Oder umgekehrt?
Ohne die deutsche Einheit hätte es all die Kriege nicht gegeben. Auch keinen Ersten Weltkrieg, keinen Hitler, keinen Holocaust, keinen Zweiten Weltkrieg. Keine Angela Merkel. Keinen Scholz und keine Baerbock. Vor allem aber wäre die deutsche Kultur nicht zerstört worden. Die deutsche Kultur ist die Wurzel unseres Lebens. Aus dieser Wurzel erhalten wir unsere Lebenskraft. Wir sind gerade dabei, diese Wurzel herauszureißen und wegzuwerfen. Das war es dann. Dann wird es nur noch ein Land geben, das Bundesrepublik Deutschland heißt, das aber mit Deutschland, dem Land der Deutschen, nur noch wenig und bald nichts mehr zu tun haben wird. Das ist doch nicht schwer zu erkennen.
Meiner Meinung nach muss sich daher eines der Bundesländer von dieser Bundesrepublik Deutschland trennen, um die deutsche Kultur zu retten. Das wird wahrscheinlich nur in einem der Länder im Osten möglich sein. Die Menschen dort sind nicht so total von den Amerikanern hirngewaschen wie die Deutschen im Westen. Und die haben auch mehr Mumm.
Goethe heute
Käme Goethe heute zurück auf die Welt, würde er uns Deutschen folgende Worte um die Ohren hauen: „Ich habe es euch doch gesagt. Warum habt ihr nicht auf mich gehört? Versteht ihr kein Deutsch mehr?“
„Seht euch diesen Wahnsinn an, den ihr da angerichtet habt. Hornochsen regieren heute im Lande. Wobei man von regieren gar nicht reden kann. Ich frage euch noch einmal: Was ist Deutschland? Antwort: Deutschland ist eine Kulturgemeinschaft, verdammt noch mal. Ist das so schwer zu kapieren? Deutschland ist eine Kulturgemeinschaft. Und wenn ihr die deutschen Kulturen platt macht, dann ist da nicht mehr viel. Kultur und Wohlstand, ich wiederhole, Kultur und Wohlstand gehen Hand in Hand, sind eine Einheit. Wie kann ein Volk so verblöden, dass es selbst die Grundlagen von Leben nicht mehr kapiert? Die Grundlagen des Lebens! Armes, armes, armes Deutschland.“
Da haben Sie es gehört. Ich kann nur noch hinzufügen: Wie um alles in der Welt soll ein Mensch aus Afghanistan oder aus Syrien oder aus der Türkei die deutsche Kultur bereichern? Das ist doch genauso irrsinnig als wenn Sie als Deutscher in die Türkei ziehen, um deren Kultur zu bereichern. Was meinen Sie wie begeistert die Türken über ihre geniale Idee wären?
Goethe war übrigens nicht der einzige, der das Offensichtliche damals erkannte und offen aussprach. Hier ist ein Zitat von Wieland in seiner Einleitung zu Schillers „Geschichte des Dreißigjährigen Krieges“: „...mit gutem Grunde behaupten, dass die Vorteile, welche aus dieser Zerteilung im ganzen für uns entspringen, das Nachteilige bei weitem überwiegen; oder vielmehr, dass sie es gerade ist, der wir diese Vorteile zu verdanken haben.“ Dazu gebe ich nur noch mein „Amen.“
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Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Ist es nicht beeindruckend, wie Hans-Jürgen Geese vom anderen Ende der Welt die Lage auch in Deutschland treffend analysiert? Da können wir Ihnen nur empfehlen, das Werk desselben Autors zu genießen. Mit dem Titel „Ausverkauf vom Traum Neuseeland“ spannt Geese den Bogen von Neuseeland zu Deutschland. Seine messerscharfen Analysen zeigen auf, wie die Bürger weltweit von den immer gleichen Akteuren mit den immer gleichen Methoden unterdrückt und ausgebeutet, ja zu Sklaven gemacht werden. Täuschen Sie sich nicht. Was Geese in Neuseeland wie unter dem Brennglas aufzeigt, findet auch in Deutschland statt. Es ist nur nicht so leicht zu erkennen. „Ausverkauf vom Traum Neuseeland“ ist erhältlich im Buchhandel oder bestellen Sie Ihr Exemplar direkt beim Verlag hier.
Hier können Sie eine Rezension zu diesem Werk ansehen:
https://www.anderweltonline.com/kultur/kultur-2020/ausverkauf-vom-traum-neuseeland-wie-ein-bluehendes-land-verramscht-wurde/