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Weltgeschichte für Anfänger
Von Reinhard Leube
Eine kurze Erklärung zur Rolle des Krieges um die Ukraine, die in den fünf Minuten vor dem Beginn der Nachrichten zu hören sein sollte, damit man versteht, worum es dort geht.
Wenn ein erwachsener Mensch seine Probleme mit der Welt hat, gehen Experten in die Kindheit zurück, um zu verstehen, was da schiefgelaufen ist. Machen wir es mit Russland genau so. Nachdem Europäer auf dem Kontinent viele der von ihnen benötigten Industrieprodukte über Jahrhuderte aus England eingeführt hatten, mauserten sich Frankreich, die USA, Deutschland, Italien und nicht zuletzt Russland in wirtschaftlicher Hinsicht mit der Zeit zu Konkurrenten des British Empire. Zu jener Zeit gab es noch die Weltreiche der Briten, der Spanier, der Franzosen, und auch Deutschland hatte sich nach 1880 Kolonien gesichert. Sogar Zwergstaaten wie Portugal, Belgien und die Niederlande hatten ihre Kolonien. Da ließ man billig produzieren wie die Bundesrepublik später in der DDR. Russland hatte unter den Zaren kurzerhand seine ganze Nachbarschaft bis an den Pazifik eingemeindet. England beherrschte zum Beispiel ein Fünftel der Erdoberfläche bzw. ein Viertel aller Menschen und wollte trotz der ungünstigen Entwicklungen auf dem Kontinent seine Weltgeltung behalten. Für die Engländer gibt es bis heute nur den Kontinent und England – für alle, die noch nie mit Engländern gesprochen haben.
Zu einem tiefen Einschnitt war 1871 die Vereinigung der vielen Landfetzen zwischen der französischen und der russischen Grenze zu einem Deutschen Kaiserreich geworden. Großbritannien bekam das zu spüren, indem sein Anteil am Welthandel zwischen 1867 und dem Ende der 1880er Jahre von 24 Prozent auf nur 18 Prozent schrumpfte. Das waren keine heiteren Aussichten, wenn das so noch ein paar Jahrzehnte hätte weitergehen sollen. Im Januar 1904 machte der Geograph Halford John Mackinder die Regierung Seiner Majestät, des Königs von England und einem Viertel der Welt, auf die Problemlage aufmerksam. Die Insel im Atlantik hatte zu wenige Einwohner, um auf die Dauer ihr Weltreich militärisch sichern zu können, produzierte zu wenig auf der Insel für die Ernährung seiner Bevölkerung und hatte keine anderen Bodenschätze als Kohle unter grünen Wiesen, die absehbar auch nicht mehr ewig vorrätig sein würde. Schön detailliert finden Sie alles, was hier steht, mit Quellenangaben im ersten von sieben Bänden meiner Geschichtsserie, die im Anderwelt Verlag erscheint. (https://anderweltverlag.com/)
Eigentlich ist es keine Überraschung; es geht immer um die Wirtschaft und darum, wie man den eigenen Lebensstandard für die Zukunft sichern kann. Ob dafür Frieden herrscht in der Welt oder Krieg zum Wohle der Lords, ob fremde Menschen irgendwo jenseits der Ufer Englands eingesperrt werden wie die Karnickel, gefoltert oder gleich umgebracht, ist völlig egal. Erzählt mir mehr von den westlichen Werten, liebe Verbrecher und unschuldige, gedankenlose Mitmenschen. In England trank man um fünf seinen Tee aus seinen Besitzungen in Indien. Ein Kernpunkt bei Mackinder war 1904 schon, dass man dafür sorgen müsse, namentlich Russland und Deutschland fein-säuberlich getrennt zu halten, um sein Weltreich nicht im Handumdrehen an einen Kontinentalblock zu verlieren. Übrigens ging es in London auch immer darum, wie man einen Keil zwischen die Deutschen und die Juden treiben kann, die Deutschland nach 1871 das Wirtschaftswunder im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts durch ihre internationalen Verbindungen und das Geld ihrer Bankiers ermöglicht hatten. Das Ende vom Lied kennen wir alle. Was dazwischen passierte, lesen Sie bei mir.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts installierten London und große amerikanische Firmen mit Geschick und genug Geld wilde Gesellen in den Hauptstädten Europas: Lenin und Stalin in Russland, Mussolini in Italien, Hitler in Deutschland und Franco in Spanien. Darüber wird zwar überall geschrieben, aber kaum in Deutschland. Man darf sich auch nicht täuschen: Kritik wurde an den so entstandenen autoritären Regimen in den Anfangsjahren nicht geübt – abgesehen von Russland. Das konnte sein Süppchen allein kochen. Moskau konnte zucken wie ein Karpfen und wurde vehement vom Westen separiert. Immerhin sollte es ja nach dem Londoner Fahrplan keine Kooperation mit Berlin geben, sondern Krieg. Von 1936 bis 1939 versuchte Stalin einen Vertrag mit London und Paris auszuhandeln, um nicht von Hitlers antikommunistischem Deutschland angegriffen zu werden, und heraus kam gar nichts. Dabei führte das Moskauer Regime gerade in dieser Zeit seinen verbissenen Kampf gegen den Trotzkismus, also gegen die Vorstellung des toten Lenin, der von einer Weltrevolution träumte. Stalin versuchte nach dem Tod Lenins seinen Sozialismus in einem Land, nämlich nur in seinem Land durchzupeitschen. Das war eigentlich die ideale Basis für eine friedliche Kooperation mit dem kapitalistischen Westen.
Vor dem Ersten Weltkrieg galt Russland unter den Großmächten der Welt als die rückständigste. Stalins Kampf gegen eine Weltrevolution à la Lenin und Trotzki dürfte der naheliegenden Annahme geschuldet gewesen sein, dass sein Russland nach gelungenen sozialistischen Revolutionen in Ländern wie den USA, Frankreich oder Deutschland auch unter den dann sozialistischen Ländern wieder Schlusslicht geworden wäre und nicht Leuchtturm des Fortschritts bleiben konnte, wenn auch nur für den halbseitig blinden Teil der Arbeiter in der Welt. Für schnelle Fortschritte war das Land auch einfach zu groß. Gerade durch den bewussten Verzicht auf weitere Revolutionen in der Welt war das Schreckgespenst des Sozialismus doch gebannt. Für die Länder westlich der Grenze Russlands wie auch für Japan hätte es durch seine nahezu unerschöpflichen Bodenschätze und den Bedarf an modernen Industriegütern attraktiv genug sein sollen. Aber London blieb bei dem Wunsch nach Krieg zwischen Hitlers Reich und Stalins Sowjetunion und Paris verließ sich lieber auf London als auf die europäischen Länder. Wie zum Hohn entsandten London und Paris Unterhändler nach Moskau, die keine Vollmacht besaßen, um einen Vertrag zu unterzeichnen. Letzten Endes wurde am 23. August ‛39 in Moskau ein Nichtangriffsvertrag mit Hitlers Drittem Reich unterschrieben und das größte Geschrei kam ausgerechnet aus London. Mit den Unterschriften unter diesem Vertrag vom 23. August 1939 schlug der rote Zar mehrere Fliegen mit einer Klappe.
Nachdem es Polen fast 200 Jahre lang gar nicht mehr auf der Karte Europas gegeben hatte und es erst durch die Festlegungen von Versailles 1919 wieder existierte, griff es sofort danach alle (!) seine Nachbarländer an und besetzte Teile ihrer Staatsgebiete. Von Litauen verschwand mehr als die Hälfte im Bauch der Polen; in Deutschland und in der Tschechoslowakei waren es vergleichsweise kleine Gebiete. Die größten Eingemeindungen betrafen das Russische Reich. Wer das weiß, wird sich nicht darüber wundern, dass die Republik Polen in den 1920er und den 1930er Jahren nicht die Sympathie des Kreml genoss.
Auch Rumänien hat die Schwäche Russlands durch den revolutionären Bürgerkrieg nach dem Ersten Weltkrieg schamlos ausgenutzt, um sein Staatsgebiet mit Gewalt auszudehnen. Das hatte sich auch übel auf die Lebensumstände der Juden in den eroberten Gebieten ausgewirkt. Danach waren Polen und Rumänien vertraglich verbunden, um zusammen noch mehr von der Ukraine in ihren Besitzstand zu übernehmen. Ab 1934 hätte Warschau das gerne auch zusammen mit Hitlers Drittem Reich in Angriff genommen. Im Kreml war man nicht amüsiert. Die drei baltischen Staaten hatten nach dem Ersten Weltkrieg stets die gleiche Nähe und den gleichen Abstand von Hitlers Reich wie von Stalins Reich gehalten. Das sicherte ihnen zwei Jahrzehnte lang eine friedliche Existenz in der Nachbarschaft der Sowjetunion, die in den 1930er Jahren die Kooperation mit den Westmächten anstrebte. Schon aus diesem Grund schloss sich eine expansionistische, imperialistische Machtpolitik aus. Gott weiß, was sie geritten hat, als sie im Sommer ‘39 eine Delegation des Generalstabs von Hitlers Deutscher Wehrmacht unter Franz Halder in ihre Länder ließen und dann mit dem Bau von militärischen Anlagen an den Grenzen zur Sowjetunion begannen. Man müsste im Mikrowellenbereich suchen, um Unterschiede zur Politik der osteuropäischen Staaten gegenüber Russland in den Jahren von 1990 bis 2022 zu entdecken. Sie gaben Stalin nachträglich recht, der diese Länder am Beginn des Kalten Krieges als Sicherheitskorridor einkassierte. Als ob keiner der Einwohner dieser Staaten Geschichte studiert hätte, spielen sie sich heute erneut auf als die ewigen Opfer.
Als die Toten des Zweiten Weltkrieges begraben waren, beantragte Stalin 1949 die Aufnahme in die taufrische NATO und bekam einen Korb. Das hätte streng genommen die Gründung der NATO zum Schutz vor Moskau überflüssig gemacht. Das wiederholte sich 1954 unter seinem Nachfolger Chrustschow. Davon sprach danach kein Mensch mehr. Ja gut, der westdeutsche Außenminister Genscher und andere Pappnasen. Aber erst ein halbes Jahrhundert danach. Nachdem der Ausgleich der Sicherheitsinteressen zwischen Moskau und dem Rest der Welt auf diese Art vehement verhindert worden war, baute der Kreml 1955 in Ost-Europa seinen Warschauer Vertrag auf. Wer beim Besprechen geschichtlicher Ereignisse nicht in der chronologischen Reihenfolge bleibt, wird sich keine Hoffnungen machen müssen, mein bester Diskussionspartner zu werden.
Nachdem Moskau 1990 der Vereinigung Deutschlands zugestimmt hatte und ein Ende des Kalten Krieges erreichen wollte, strebte Moskaus neue Nummer 1 Boris Jelzin 1991 wieder die Aufnahme in die NATO an und im Jahr 2000 dessen Nachfolger Wladimir Putin noch einmal. Wäre Russland 1949 oder 1954 oder 1991 oder 2000 in die NATO aufgenommen worden, hätten sich alle Sicherheitsbedenken der Nachbarn über Nacht in Wohlgefallen aufgelöst. Kein Zirkus mit dem Baltikum, kein Ärger mit Georgien oder mit der Ukraine. Aber wo England und Amerika mitmischen, geht es nicht um die Interessen anderer Staaten. Von London und Washington werden nur die kindischen Animositäten der Ethnien und Religionen in der Welt zu ihrem eigenen Nutzen ausgebeutet. Lesen Sie Halford John Mackinder oder den US-Polen Zbigniew Brzezinski; sie waren einst die Strategen für England bzw. Amerika.
Putin sollte dann einen Aufnahmeantrag ausfüllen und sich nach den Klein- und Kleinststaaten des Balkans und Osteuropas in der Wodkaschlange anstellen und dachte sinngemäß: „Denkste, Puppe. Ihr nehmt alle auf, ich warte ab, und wenn Ihr fertig seid, greift Ihr mich alle zusammen an. Ich ziehe meine Hosen auch nicht mit der Kneifzange an.“ In den Jahren der absprachewidrigen Ost-Ausdehnung der NATO hat er immer wieder gesagt, dass man den Spaß nicht übertreiben solle. Insbesondere sei es ausgeschlossen, dass die NATO womöglich auch noch ihre friedlichen Kriegsbasen in der Ukraine aufbaut. Wie aus Funk und Fernsehen bekannt ist, festigen diese etwa 900 Kriegsbasen nicht den Frieden in der Welt, sondern Amerika macht die Länder der Welt der Reihe nach mit Bomben und Raketen platt. Wenn wirklich einmal ein Mann zum Präsidenten der USA gewählt wird, der keinen neuen Krieg anzetteln will, dann wird er mit Schmutzkampagnen mit allen vorstellbaren Fußangeln bekämpft – vor, während und nach seiner Amtszeit. Viele Grüße an Donald Trump. Als das Jahrhundertspiel um die Rohstoffe Russlands auch vor der Ukraine nicht haltmachte, war Schluss mit lustig. Jetzt fließt Blut. Es folgen die Nachrichten.
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