Selbstbezichtigungen eines (fast) Mutlosgewordenen
Von Hubert von Brunn
Ich, männlich, weiß, deutsch (west), 50 plus, regelmäßiger Steuerzahler (außer Kirchensteuer), unzweifelhaft heterosexuell, nicht beschnitten und nachweislich ohne Migrationshintergrund, keine Vorstrafen (nicht einmal wegen leichter Körperverletzung oder einfacher Bestechung), überdurchschnittlicher IQ und dennoch dem Irrsinn nicht verfallen – ich, ein Mann ohne Lobby!
Mit einer derartigen Ansammlung von Negativeigenschaften ist in unserem Staat kein Staat zu machen. Um in unserer medial verblödeten Gesellschaft Aufmerksamkeit zu erregen und sich entsprechend in Szene zu setzen, bedarf es irgendeiner von der Norm abweichenden Qualität. Könnte ich von all den genannten Eigenschaften wenigstens bei einer das Gegenteil vorweisen, wären meine Chancen auf eine mich lautstark unterstützende Lobby schon um hundert Prozent gestiegen. Würde mein Selbstportrait in allen Punkten gegenläufig sein, wäre ich ein anerkannter, hoch bezahlter Medienstar und könnte mich vor Einladungen zu Talkshows und so genannten Expertenrunden (irgendwelche verblödeten Halbsätze vor sich hin zu rülpsen klappt doch immer, notfalls helfen zwei, drei Whiskys in der Maske) nicht retten. Lifestyle-Hochglanzmagazine würden Schlange stehen, um mich als Kolumnist zu gewinnen, der den geschätzten Leserinnen und Lesern die Geheimnisse meines Erfolges nahe bringt. Selbst angesehene Tageszeitungen würde nicht zögern, mir ein ordentliches Honorar zu zahlen, wenn ich mich bereit erklärte, der irritierten Finanzwelt zu erklären, wie man als migrationshintergründige Steuerhinterzieherin ohne nennenswerte Kenntnisse der deutschen Sprache Karriere als lesbische Aktionskünstlerin machen kann. Just do it and have fun.
Sie meinen, ich übertreibe. O nein, das tue ich nicht. Nehmen wir nur einmal das Kainsmal: „männlich“. Das Gegenteil ist, wie wir alle wissen, weiblich. Charlotte Roche ist irgendwie weiblich. Sie schreibt ein total verblödetes, gänzlich unerotisches, pubertär linkisches Buch aus der Sicht einer Frau, die ihre anale Phase noch nicht überwunden hat und immer noch gerne mit ihren Restknöteln spielt. Was soll das? Wen interessiert das?
Die Sprache ist jenseitig, ebenso wie die meisten der beschriebenen vaginal-analen Schmuddelszenen. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: ich bin kein Kostverächter und – die, die mich kennen werden es bestätigen – das Gegenteil eines Moralapostels. Für erotischen Spielereien, durchaus auch der etwas anderen Art – bloß nicht Licht aus und unter der Decke – habe ich ein echtes Faible. Schon immer. Ungewaschene Höschen und müffelnde Mösen törnen mich ab, das war auch schon immer so.
Aber wir wollen hier nicht ins Detail gehen, das haben ja weit mehr als eine Million LeserInnen schon freiwillig getan. Welch ein Irrsinn! Diese gequirlte Kacke (im wahrsten Sinne des Wortes) ziehen sich die, die üblicherweise vor der Glotze hocken und auf „Big Brother“ abfahren, mit Begeisterung rein. Klar, verstehe ich so gesehen: das Banalitätslevel ist adäquat. Den Martin Walser, der zeitgleich mit Roches Machwerk „Feuchtgebiete“ erschien, ließ diese Klientel natürlich links liegen. Das hat ja auch mit Literatur zu tun, noch dazu mit Goethe. Pfui ba ba, so’n Scheiß. Deshalb landete Martin Walser in der ersten Woche, in der die Roche Platz 1 in der Spiegel-Bestseller-Liste erklomm, nur auf Platz 13. Und das auch nur, weil Walser eben schon ein Etablierter ist und eine treue Fangemeinde hat. Hätte ein No-Name ein vergleichbares Buch geschrieben, wäre er in der Bestseller-Liste gar nicht aufgetaucht.
Worum es mir an der Stelle wirklich geht, ist: Hätte irgend ein Mann – selbst wenn er über VIVA oder MTV sein Mediengesicht schon etwas aufpoliert gehabt hätte – ein vergleichbares Buch wie „Feuchtgebiete“ aus männlicher Sicht geschrieben, wäre er von der vereinigten Emanzenriege verbal kastriert worden. Der Titel „Chauvischwein des Jahres“ wäre ihm sicher gewesen. Vorausgesetzt natürlich, das Buch hätte überhaupt einen Verleger gefunden und wäre gedruckt worden. Genau das wage ich zu bezweifeln.
Es heißt zwar immer, in den Aufsichtsräten und Vorständen der großen Unternehmen sitzen zu wenige Frauen. Das mag sein, darüber lese ich nur in der Zeitung. Aber was ich definitiv weiß: auf der operativen Ebene, also dort, wo im Tagesgeschäft die Entscheidungen getroffen werden, sei es in Redaktionen, in Lektoraten, in Agenturen… sitzen fast nur Frauen, und zwar von der Sorte Bindestrich-Klaferzen (gottlob hat man ihnen den zweiten Bindestrich mit dem dritten Namen versagt).
Wäre also das Manuskript eines männlichen Autors von der Qualität „Feuchtgebiete“ auf dem Tisch einer Lektorin in welchem Verlag auch immer gelandet – die, im günstigsten Falle kommentarlose, Absage wäre ihm sicher gewesen. Wahrscheinlich hätte er sich in dem Begleitbrief aber auch noch anhören müssen, was für ein versautes, dummes, spätpubertierendes Arschloch er sein. Das ist die Wahrheit und nichts als dieselbe.
Nehmen wir das Kainsmal: „heterosexuell“. Ja, was ist das denn!? Nicht ein bisschen schwul? Wo kommen wir denn da hin? Diese verblödeten Normalos, die auf Arsch und Titten reinfallen (in gewisser Weise natürlich auch wieder ein berechtigter Vorwurf) – was wollen die denn? Wo ist denn da der Kick? Wie sollen die sich denn medienwirksam outen? Für die gibt es weder eine Parade, noch eine Fahne, noch spezielle Clubs oder Saunen, nicht einmal Selbsthilfegruppen. Die sind einfach da, so wie sie sind. Wie langweilig! Wenigstens ein bisschen „bi“ möchte schon sein. Nur einfach hinter Rockzipfeln her sein und dann auch noch Kinder in die Welt setzen – igitt! Das hat doch keinen Stil.
Der Makel des Heteros ist nur dann zu kompensieren, wenn man daraus eine machomäßig lange Latte aus Gewaltdelikten vorzuweisen hat. In welcher Form und an welchem Ort sich diese – angeblich Testosteron-gesteuerte – Gewalt Bahn bricht, ist letztlich unerheblich. Ob als Springerstiefel-bewehrte Dumpfbackenglatze in Cottbus oder als Springmesser-schwingender Ali Asylanti in Berlin-Kreuzberg ist für das Opfer, das es erwischt, nicht wirklich relevant. Die Faust mit Migrationshintergrund tut genauso weh wie die, die aus deutsch-nationalen Motiven ein Nasenbein zertrümmert.
Das Bemerkenswerte ist: wenn ich als Mann ohne Lobby einem arglosen Passanten in die Fresse haue, weil ich sein Handy haben will, oder eine alte Frau platt mache, weil sie mir im Weg steht, würde ich sofort und ohne über Los zu gehen in den Knast wandern. Ich müsste zahlen, bis ich schwarz werde, würde einen Teil meiner bürgerlichen Rechte verlieren und würde als Makel der Gesellschaft gebrandmarkt. Eben weil ich viel zu viele Eigenschaften in mir vereine, die nicht geeignet sind, dass irgendeine Stimme sich zu meinen Gunsten erhebt. Als deutscher Normalo hat man gefälligst nicht aufzumucken, den Kopf einzuziehen und die Schnauze zu halten. Das Sagen haben sie Anderen, die mit Lobby und jeder Menge Rechtfertigungsgründen, weshalb sie so sind, wie sie sind.
Um speziell im kreativ-künstlerischen Bereich Erfolg zu haben, reicht es schon lange nicht mehr, in dem, was du tust, gut zu sein. Diese Vorstellung ist lächerlich naiv. Du brauchst Beziehungen. Du brauchst jemand, der dich richtig pusht, dir Wege ebnet und Türen öffnet und ordentlich Geld in Dein Projekt punpt. Denn die, die da schon sind, haben die ausgeprägte Neigung, unter sich bleiben zu wollen. Wenn sie es zulassen, dass ein Neuer von außen dazu kommt, muss er/sie mit bestimmten Qualitäten aufwarten. Pralle Weiblichkeit, die gekonnt eingesetzt wird, ist in jedem Falle hilfreich. Schwul sein ist prima, schwarz hilft auch, das Fähnchen des „politisch Verfolgten“ schwingen zu können, ist exzellent. Mit diesen Attributen ausgestattet kannst du jeden Mist gewinnbringend absetzen und erhältst jede Menge Öffentlichkeit.
Die Frage, ob das, was du tust, künstlerisch wertvoll ist oder sonst eine wie immer geartete Qualität in sich birgt, ist völlig irrelevant. Was zählt, ist allein dein in heißen Tränen hingegossener Außenseiterstatus. Die Lobby ist da und wird sich voller Begeisterung und mit militanter Inbrunst für dich stark machen. Innerhalb der verschworenen Gemeinschaft schiebt man sich die Bälle zu, jeder drängt sein ganz persönliches Anliegen in den Vordergrund – sei’s in pseudointellektuell kaschierten Verbalinjurien, sei’s verbrämt mit irgendeiner „künstlerischen“ Aktivität (besonders beliebt sind raumgreifende Installationen, die dem Sperrmüll huldigen). Der Rest der Welt wagt nicht, sich kritisch dazu zu äußern oder das „Kunstwerk“ gar abzulehnen, denn das wäre politically not correct. Allzu schnell würden sich diejenigen, die Entscheidungen über Wohl und Weh zu treffen haben, der Gefahr aussetzen, als frauen-, ausländer-, schwulen-, migranten- oder sonst wie -feindlich diffamiert zu werden. Und einen solchen Makel will natürlich niemand auf der blütenweißen Gutmenschwest tragen.
Einem Mann ohne Lobby in den Arsch zu treten, ist dagegen ganz einfach. Das interessiert kein Schwein und ist darüber hinaus auch noch pc. – Ich danke auch recht schön. Wenn ich es genau betrachte, reduziert sich meine Existenzberechtigung in diesem unserem Lande letztlich auf meine Eigenschaft als braver Steuerzahler. Also solcher – und nur als solcher – bin ich wohl gelitten. Nach oben hin bin ich Lichtjahre von der millionenschweren Trickser- und Betrügerkaste entfernt, die ihre Kohle am Fiskus vorbei ins Ausland schafft. Mit den Handaufhaltern am unteren Ende der sozialen Skala habe ich genauso wenig zu tun, da ich noch nie in meinem Leben staatliche Hilfen in Anspruch genommen habe. Ergo gehöre ich zu den zehn Prozent Doofen, die rund 60 Prozent dessen erwirtschaften, was den ganzen Laden, genannt Sozialstaat, am Leben erhält.
Diese ernüchternde Selbsterkenntnis trägt nicht wirklich zu meinem emotionalen Wohlbefinden bei und ist wenig geeignet, mich für neue steuerlich relevante Höchstleistungen zu motivieren.
O wie wunderbar wäre es, eine Lobby zu haben, eine tat- und schlagkräftige Gemeinschaft von Gleichgesinnten hinter mir zu wissen, in der ich mich aufgehoben und beschützt fühlte. Ich könnte sagen und schreiben, was immer mir in den Kopf kommt, ohne auch nur einen Gedanken daran verschwenden zu müssen, ob ich denn auch gehört oder gedruckt würde. Dafür würde meine Lobby sorgen, mit vollem Einsatz und ohne Wenn und Aber.
Doch eine Lobby für Mutlosgewordene gibt es nicht. Leider. Es wäre ein Widerspruch in sich, denn gäbe es eine solche Lobby, wären die, um die es geht ja nicht mehr mutlos, usw. Also werde ich eines Tages das Zeitliche segnen, ohne jemals vom süßen Nektar der Macht genascht zu haben, den jene von einer potenten Lobby getragenen Kinder des Glücks Tag für Tag in Mengen verschlingen.