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Kakophonie des Schreckens – Kein Ausweg aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit

Von Hubert von Brunn 

Das Stakkato von Horrormeldungen über menschliche Grausamkeiten, Gewalt, Erniedrigung, Krieg, Vertreibung, Not und Elend, das tagtäglich über uns hereinbricht, ist gewaltig und maßlos. Um dieser Kakophonie des Schreckens zum Trotz den eigenen Anforderungen des Alltags doch noch gerecht werden zu können, bleibt dem denkenden und fühlenden Individuum nichts übrig, als seine Sensoren an einer bestimmten Stelle abzuschalten. Das ist reiner Selbstschutz. Doch dann gibt es Tage, an denen auch das nicht mehr hilft. Tage, an denen die Empathie für das Leid, das Menschen zu ertragen haben, stärker ist als die antrainierte Distanz des kritischen Betrachters. Ein solcher Tag war der 18. März 2015.

Drei „herausragende“ Ereignisse an jenem Tag haben uns in erschütternder Vielfalt und mit brutaler Wucht vor Augen geführt, dass die Welt (wieder einmal und offensichtlich unrettbar) dabei ist, aus den Fugen zu geraten. Die bei weitem überwiegende Mehrheit der Menschen will nichts anderes, als in Ruhe und Frieden ohne Not und weitgehend sorgenfrei zu leben. Genau das aber soll nicht sein. Mit einer glücklichen und zufriedenen Mehrheit können die Machteliten und die im Hintergrund agierenden Strippenzieher der Macht nichts anfangen. Sie brauchen Zersplitterung, Unfrieden und Destabilisierung in der Gesellschaft, um Fraktionen zu generieren, die sie für die Durchsetzung ihrer egoistischen Ziele instrumentalisieren können.

Das Diktat der Mächtigen ist wahrlich nichts Neues in der Menschheitsgeschichte. Es war immer da und es wurde immer eingesetzt. Nur: In wessen Händen lag in früheren Zeiten die Macht? Stammesfürsten, Kaiser, Könige, Fürstbischöfe, Feldherren, Diktatoren… Diese Figuren waren bekannt und wenn sie allzu selbstherrlich und gemein wurden, hat sich das Volk zusammengetan und, nötigenfalls auch unter großen Entbehrungen und Opfern, nicht eher Ruhe gegeben, bis das alte, despotische Regime durch ein neues, besseres ersetzt wurde. Die Auflehnung (z.B. amerikanischer Unabhängigkeitskrieg, Französische Revolution, Bauernkriege, Oktoberrevolution…, um nur wenige Beispiele zu nennen) hat sich in aller Regel aus einer Stimmung des allgemeinen Unmuts aus der Mitte des Volkes heraus entwickelt. Charismatische Persönlichkeiten und kämpferische Intellektuelle haben dann die diffusen Forderungen des Volkes aufgegriffen und pointiert formuliert in Deklarationen und Manifesten. Jetzt hatte die Rebellion einen definierten Inhalt und Gewicht – und mit den Persönlichkeiten auch ein Gesicht.

Im Würgegriff entpersönlichter Macht-Strukturen

Das hat sich fundamental geändert, auf beiden Seiten. Kein Mensch vermag mehr eindeutig zu erkennen, wer – als Person – welche Macht inne hat und im Zweifelsfalle auch – persönlich – dafür verantwortlich gemacht werden kann. Heute haben wir es überwiegend mit Macht-Strukturen zu tun, entpersönlicht und institutionalisiert und damit für den Einzelnen nicht mehr durchschaubar und noch weniger (an-)greifbar. Ein unbestimmtes Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins macht sich breit, die normalmenschliche Reaktion darauf ist Angst, zuweilen Wut. Die Rebellion gegen indifferent gelenkte Macht kann deshalb auch nicht mehr aus der Mitte des Volkes kommen, sondern geht von Randgruppen in der Gesellschaft bzw. von radikalisierten (ideologisch und/oder religiös verbrämt) Minderheiten aus, die rücksichtslos jedes Recht für sich in Anspruch nehmen, ihre egoistischen Interessen durchzusetzen. Im Widerstand gegen etablierte Macht-Strukturen hat sich inzwischen eine Un-Kultur hemmungsloser Zerstörungswut und menschenverachtender Brutalität entwickelt, die immer häufiger und in immer erschreckenderem Ausmaß zutage tritt.

Der „normale Mensch“ – auch gerne der „brave Bürger“ genannt – sieht sich also in die Zange genommen von entpersönlichten, rücksichtslos agierenden und sich in unversöhnlicher Feindschaft gegenüberstehenden Kräften, für die das einzelne Individuum nichts, aber auch gar nichts zählt. Diese Polarisierung wirkt dem mehrheitlich angestrebten Traum von einer friedlichen Welt diametral entgegen. Wenn es uns nicht gelingt, zurückzufinden zu einem kritischen Dialog, der nur das eine Ziel haben kann, Probleme einvernehmlich, gewaltfrei und zum Wohle der Menschen zu lösen, dann wird die „selbst verschuldete Unmündigkeit des Menschen“ (I. Kant) zu einem Desaster führen, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Werfen wir also einen kurzen Blick auf die drei „herausragenden“ Ereignisse an jenem 18. März.

1. Gewaltexzesse in Frankfurt/Main

Die Europäische Zentralbank (EZB) ist eine jener diffus agierenden, entpersönlichten Institutionen, die dem Normalbürger eher Angst einjagt, denn Vertrauen ausstrahlt. Ein artifizielles Konstrukt, geschaffen als oberste Währungshüterin in der Europäischen Währungsunion und Aufsichtsbehörde über die europäischen Zentralbanken. Der derzeitige Chef kommt aus Italien, heißt Mario Draghi, hat sein „Handwerk“ u.a. bei der Weltbank und bei „Goldman Sachs“ erlernt, und residiert ganz oben in dem 1,2 Milliarden Euro teuren Turm, dessen Einweihung jetzt der Auslöser für die Gewalt auf Frankfurts Straßen war. Allein die schiere Größe dieses Glaspalastes deutet darauf hin, dass hinter der glitzernden Fassade eine gehörige Portion Macht versammelt sein muss. Dieser Eindruck täuscht! Gemessen an der tatsächlichen Macht der EZB nimmt sich der Turm geradezu bescheiden aus. Die EZB kann nach Belieben Geld drucken und auf den Markt werfen (was die Amerikaner mit ihrem Dollar schon lange tun). Sie kann Staatsanleihen kaufen und verkaufen, Volkswirtschaften stützen oder an den Rand des Abgrunds bringen und sie kann Zinsen erhöhen oder senken – notfalls bis null Prozent mit der Folge, dass Ersparnisse immer weniger wert sind. Was die Europäer auf politischer Ebene nicht zu leisten vermochten, hat das Bankenkartell mit der EZB an der Spitze geschafft: Eine europäische Zentralregierung mit nahezu uneingeschränkter Machtfülle. Rund 2.300 Mitarbeiter mit „Super Mario“ an der Spitze lenken die monetären Geschicke von mehr als 500 Millionen Europäern in 28 Ländern. Die Sache hat nur einen ganz bösartigen Schönheitsfehler: Weder EZB-Boss Draghi, noch seine Handlanger haben eine durch demokratische Wahlen herbeigeführte Legitimation.

Die andere Seite ist eine unter dem Sammelbegriff „Blockupy“ vereinte Opposition, die sich genau gegen diese demokratisch nicht legitimierte Machtfülle und eine Währungspolitik nach „Gutsherrenart“ wehrt. Der friedliche Protest besorgter Bürger ist Ausdruck ihrer vom Grundgesetz garantierten Meinungs- und Demonstrationsfreiheit und damit absolut legitim. Doch – wie so oft auch bei anderen Gelegenheiten an anderer Stelle – waren in Frankfurt eben nicht nur friedliche Demonstranten unterwegs. Mindestens 4.000 schwarz vermummte Berufs-Chaoten, aus der gesamten Republik und dem benachbarten Ausland angereist, hatten nichts Anderes im Sinn, als ihrer blinden Zerstörungswut freien Lauf zu lassen. 150 verletzte Polizeibeamte, Sachbeschädigung in Millionenhöhe, darunter auch Privateigentum von Menschen, die dummerweise an der falschen Stelle ihr Geschäft betreiben oder ihr Auto geparkt haben – diese Bilanz des Terrors kommentierte Hannah Eberle, eine Mitorganisatorin von „Blockupy“, am nächsten Tag mit kaum zu überbietendem Zynismus: „Wir blicken auf einen erfolgreichen politischen Tag zurück“. Nein, politisch erfolgreich war in Frankfurt gar nichts. Wenn berechtigte Anliegen friedlicher Demonstranten durch die Gewaltexzesse diskreditiert werden, und eine Protestbewegung, die sich „Antifa“ nennt, blanken Faschismus an den Tag legt, dann ist der demokratische Diskurs am Ende.

2. Islamistische Terroristen töten 23 Menschen in Tunis

In Tunesien hatte der „Arabische Frühling“ im Dezember 2010 begonnen. Als einziges nordafrikanisches Land hat es Tunesien seitdem tatsächlich geschafft, eine neue, liberale Regierung zu wählen, eine demokratische Verfassung zu verabschieden, derzufolge beispielsweise die Rechte der Frauen entschieden gestärkt wurden. Die ohnehin vergleichsweise liberale Gesellschaft konnte sich nun noch weiter öffnen, jenseits der religiösen Übermacht der Mullahs. Diese freiheitliche Orientierung der Mehrheit der tunesischen Gesellschaft, war den Dschihadisten, Salafisten und sonstigen extremen Religionsfanatikern, von denen es im Lande jede Menge gibt, natürlich ein Dorn im Auge. Schließlich sind sie, die gestrengen Gotteskrieger, die Einzigen mit der Wahrheit Gesegneten, und jeder, der anders denkt und sich anders verhält, darf und muss vernichtet werden.

Dieser perfiden Logik folgend, verüben mindestens zwei Attentäter einen feigen Anschlag auf das viel besuchte Bardeo-Museum in Tunis und töten 23 Menschen, überwiegend ausländische Touristen. Damit schlagen die Islamisten (der IS soll sich inzwischen offiziell dazu bekannt haben) nach ihrem mittelalterlichen Weltverständnis zwei Fliegen mit einer Klappe: Ungläubige aus dem Westen, die sowieso weniger wert sind als ein Sandfloh, werden getötet. Je mehr desto besser, und wenn es den Attentätern gelungen wäre, ihre mitgeführten Sprengsätze zu zünden, wäre die Zahl der Opfer noch wesentlich höher gewesen. Gleichzeitig wird das tunesische Volk, das sich erdreistet hat, eine freiheitlich-demokratische Regierung zu wählen, auf das Brutalste bestraft. Hängt doch jedes zweite in Tunesien erzielte Einkommen direkt oder indirekt vom Tourismus ab. Wenn die Touristen ausbleiben – und das werden sie nach diesem Anschlag – wird die Regierung geschwächt, weil die Wirtschaft nicht wächst, sondern schrumpft. Das schürt die Unzufriedenheit in der Bevölkerung, Aufruhr liegt in der Luft, der nächste Bürgerkrieg ist nah. Genau diese Destabilisierung des Landes ist gewollt – wer immer neben und hinter dem IS noch seine Finger im Spiel gehabt haben mag – und sie wird stattfinden. Wieder verbreiten entpersönlichte Macht-Strukturen Angst und Schrecken, wieder ist die wohlmeinende Mehrheit dem Egoismus einer radikalen Minderheit hilflos ausgeliefert.

3. Netanyahu gewinnt die Wahlen in Israel

Hier ist – im Gegensatz zu den beiden anderen „herausragenden“ Ereignissen vom 18. März – die handelnde Figur wohl bekannt: Israels langjähriger Ministerpräsident Benjamin Netanyahu. Bei ihm wissen die Israelis, die ihn mehrheitlich erneut gewählt haben, und der Rest der Welt ziemlich genau, welche unerbittliche Haltung er vertritt und was von seiner Politik zu erwarten ist: Nichts Gutes! Sein Herausforderer Isaac Herzog, der für soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Demokratie steht, der Israels Siedlungspolitik einschränken und den Friedensprozess mit den Palästinensern voranbringen wollte, hat bei diesen Wahlen den Kürzeren gezogen. Für die jungen, modernen, aufgeklärten, des ewigen Kämpfens überdrüssigen Israelis ein Schlag ins Gesicht, wie für alle, die mit den Wahlen die Hoffnung auf einen Politikwechsel im „Heiligen Land“ verbunden haben.

Zwar braucht Netanyahu Koalitionspartner für eine Regierung, doch die werden sich unter den anderen rechten und religiösen Parteien ohne größere Schwierigkeiten finden lassen. Sie werden keine Mühe haben, die wahlentscheidenden Kernaussagen der konservative Likud-Partei mitzutragen: rücksichtslose Siedlungspolitik, keine Zweistaatenlösung mit den Palästinensern und kompromissloser Konfrontationskurs gegen den Erzfeind Iran. Eher werden sie an manchen Stellen sogar noch extremere Haltungen einnehmen.

In diesem Falle hat die Bedrohung also nicht nur einen Namen, sie ist obendrein sogar demokratisch legitimiert, was den Umgang mit Israel in den nächsten Jahren nicht leichter machen wird. Nicht für die erklärten Gegner, aber auch nicht für Freunde und Partner. Hier wird die Angst vor der Zukunft geschürt von der (bekannten) Unberechenbarkeit religiös motivierten Starrsinns. Das klingt paradox, ist aber, wenn man sich die jüngere Geschichte Israels ansieht, ein flammendes Menetekel an der Wand, das sagt: Das gegenseitige Morden zwischen Israelis und Palästinensern wird weiter gehen, der Hass wird weiter geschürt, die Menschen auf beiden Seiten werden nicht zur Ruhe kommen.

Das allein wäre schon schlimm genug, doch damit ist es nicht getan. Konflikte, in die Israel involviert ist, werden nämlich nie regional begriffen, es geht immer die ganze Welt an. Das ist der Exzeptionalitätsanspruch, den das „auserwählte Volk“ nun einmal hat. Israel ist und bleibt der Unruheherd im Nahen Osten, wir sind – gefragt oder ungefragt – mitten drin und dürfen in jedem Falle negative Folgen, die sich unweigerlich aus der Konfrontationshaltung Israels ergeben werden, an vorderster Front mit ausbaden. Präsident Obama hat bereits zu verstehen gegeben, das Verhältnis der USA zu Israel überdenken zu wollen. Vielleicht sollte auch Kanzlerin Merkel ihre vollmundige Äußerung, das Existenzrecht Israels gehöre zur Staatsraison Deutschlands, noch einmal überdenken. Ich würde mir das sehr wünschen und ich bin sicher, die Mehrheit der Deutschen auch.

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