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Deutsche Sprache schwere Sprache – und dann auch noch der Tretroller

Von Peter Haisenko

Es gab Zeiten, da musste ein Nachrichtensprecher noch korrektes Deutsch beherrschen. Die Rechtschreibung als solche ist mit den zwei überflüssigen “Reformen” schon unter die Räder gekommen. Mir drehen sich die Fingernägel auf, wenn ich heutzutage zuhören muss, wie die deutsche Sprache auch im ÖRR regelmäßig mit absurden Redewendungen vergewaltigt wird. Weiß überhaupt noch jemand, was ein Tretroller ist?

Es ist schon schlimm genug, wenn anstatt des korrekten “wofür” oder “wogegen” allenthalben ein “für was” oder “gegen was” verwendet wird, um hier nur zwei Beispiele zu nennen. Auch die geradezu zwanghafte Verwendung von Anglizismen trägt nicht zu meiner Freude bei. Zumal festzustellen ist, dass diese meist eher “Denglisch” sind, denn die korrekte Bedeutung im Englischen wiedergeben. So trägt die Verwendung von Anglizismen dazu bei, die ehedem für ihre Genauigkeit berühmte deutsche Sprache unscharf zu machen, zu marginalisieren. Es war schon immer so, dass Fremdworte angewendet wurden, um sich entweder der – oftmals nicht einfachen – Aufgabe zu entziehen, seine Gedanken in verständlichem Deutsch auszudrücken oder den Stand seiner “höheren Bildung” zu demonstrieren.

Englische four letter words sind keine Bereicherung der deutschen Kultur

Manch einer hat noch gelernt, dass es unfein ist, gewisse Kraftworte zu verwenden. Das gilt auch für den englischsprachigen Raum und die meisten anderen. Es gilt aber nicht, wenn Ausdrücke einer Fremdsprache verwendet werden, selbst dann, wenn diese im ursprachlichen Raum ebenso geächtet sind. Beispielhaft greife ich hier “shit” und “fuck” auf. Diese und andere werden als “four letter words” umschrieben und sollten in ordentlicher Gesellschaft nicht ausgesprochen werden. Ihre Verwendung identifiziert seinen Anwender als niederes Mitglied der Gesellschaft. Dennoch haben sie Einzug in den deutschen Sprachgebrauch gefunden. Vielleicht weil sie von nicht-anglophonen nicht als Ausdruck niederen Sprachgebrauchs empfunden werden, wegen mangelnder Sprachkenntnis gar nicht empfunden werden können.

Als ich als junger Mann einige Zeit in den USA gelebt hatte, war ich unangenehm berührt vom Gebrauch des Kraftworts “fuck” oder “fucking”. Fuck heißt auf deutsch ficken oder sanfter vögeln. Wer würde als Deutscher “ficken” sagen, wenn man sein Missfallen ausdrücken will? Oder fickendes – fucking – Irgendwas, das gerade nicht so funktioniert, wie man es wünscht? Dennoch haben diese “Unterschichten-Ausdrücke” Eingang gefunden in den deutschen Sprachgebrauch und wurden sogar “germanifiziert”. So ist heute zu beklagen, dass im “Deutsch-Sprech” andauernd Redewendungen zu hören sind wie “fick dich” oder ich “ficke deine Mutter/Schwester” etc. Die Verwendung solcher an sich unsinniger Redewendungen hat breite Kreise erobert und das kann kaum als Bereicherung unserer Sprache oder Kultur gesehen werden.

Wie war das noch mal mit dem Roller oder E-Roller oder Tretroller – oder was?

Doch zurück zum Tretroller. Ein Roller ist kein Tretroller und schon gar kein Scooter. Im Englischen wird ein Roller nämlich auch als “Kick-bike” bezeichnet. Schon lange ist die Unsitte zu beobachten, dass versucht wird, die Beschreibung eines Vorgangs durch unsinnige Adjektive aufzupeppen. So wird zum Beispiel zu oft davon gesprochen, dass eine Versammlung “hermetisch abgeriegelt” worden ist. Was für ein Unsinn! Etwas hermetisch abriegeln heißt, es luftdicht abzuriegeln. Wie kann eine Versammlung unter freiem Himmel luftdicht abgeriegelt werden? Vollständig oder undurchdringlich wäre hier eher angemessen. Die Sucht, einfache, aber in ihrer Bedeutung völlig ausreichende Worte unsinnig auszuschmücken, zieht sich durch die Medien. So wird wohl das einfache, klar definierte Wort “Roller” als zu profan empfunden und mit einem “Tret” davor zu etwas ganz anderem gemacht.

Ein Tretroller ist ein Roller, der auf seinem Trittbrett eine Wippe hat, die eine Zahnstange bewegt, die mit einer Ratsche das Hinterrad antreibt. Man musste als stolzer Besitzer eines teuren Tretrollers diesen nicht mehr mit Tritten auf den Boden vorantreiben, sondern bewegte sich flott voran, indem man die Wippe auf und ab bewegte. Als Besitzer eines Rollers hat man mit einem gewissen Neid auf die Tretrollerfahrer geblickt, die sich schneller und eleganter fortbewegen konnten. So ist es nur noch blanker Unsinn, wenn im Zusammenhang mit E-Rollern von E-Tretrollern gesprochen wird.

Eine hochmoderne Version eines Tretrollers

Wenn man bei Wikipedia “Roller” aufruft, findet sich im Text ein Satz für die korrekte Beschreibung eines Tretrollers: “Tretroller sind Roller, die mit einer Kraftübertragungsmechanik bewegt werden (Tretklappe, Zahnstange, Ritzel).” Versucht man aber über Google Bilder von Tretrollern zu finden, werden massenweise Roller präsentiert und erst ganz weit unten ein echter Tretroller. Klickt man dieses Bild an, kommt man zu einem “Tretroller-Vergleich”, der allerdings vier Roller vorstellt und nur einen Tretroller. Bei der Beschreibung dieses Tretrollers wird es vollends abenteuerlich: “Dieser auf den ersten Blick futuristisch wirkende Scooter vereint den traditionellen Tretroller mit einem innovativen Wipp-Scooter und schafft so noch zusätzliches Fahrvergnügen.” Man kann sich nur mit Grausen abwenden, ob einer derart unsinnigen Ansammlung von krampfhaft zusammengestellten Anglizismen, die nichts anderes aufzeigen, als dass die Autoren und Tester den Unterschied zwischen einem Roller und Tretroller gar nicht kennen.

Man muss nicht biken, wenn man radeln will

Sucht man im Lexikon “scoot” oder scooter” findet man: 1. rasen, flitzen; 2. “abhauen”. Scooter: 1. (Kinder-, a. Motor) Roller; 2. Eisjacht. Wir alle kennen den Autoscooter auf den Volksfesten. Wie üblich ist das Englische ungenau mit mehrfachen Bedeutungen. Warum also bleibt man nicht bei der klar definierten deutschen Sprache, anstatt diese mit Anglizismen zu kontaminieren? Es gibt Roller, Tretroller und jetzt E-Roller. Warum ist es plötzlich ein “E-Bike” anstatt eines “E-Rads”? Wer sich eine rundere Sprache wünscht, kann sich leicht bei deutschen Dialekten bedienen. Es kann also ein (E-)Radl sein und man muss nicht “biken”, wenn man radeln will und Radfahren zu lang erscheint.

Die Sprache bestimmt unser Sein. Wenn wir also unsere Sprache mit Anglizismen durchseuchen, vereinfachen und unschärfer, ungenauer machen, marginalisieren wir uns selbst. Wenn uns vorzugsweise englische Musik serviert wird mit Texten, die die wenigsten wirklich verstehen, dann werden wir auf eine andere Kultur synchronisiert. Wenn “happy birthday” gesungen wird anstatt “alles Gute zum Geburtstag”, dann ist den wenigsten bewusst, dass das einen ganz anderen Gehalt hat. Ich möchte einem Freund alles Gute zum, anlässlich seines Geburtstags wünschen und nicht nur einen glückseligen Geburtstag. Würden die meisten verstehen, welchen Inhalt viele englische Lieder (songs) haben, müssten sie feststellen, dass sie Gleichwertiges in deutscher Sprache als grausame Schnulze oder komplett inakzeptabel ablehnen würden. Damit bin ich beim Punkt.

Wer deutsch sprechen will, muss denken können

Wer Anglizismen verwendet, der das tut meist in der auch unbewussten Absicht, seiner Aussage eine Unschärfe zu verleihen; eine gewisse Beliebigkeit der Interpretation. Es ist ein Unterschied, ob ich “das macht Sinn” sage oder “ich halte das für sinnvoll”. Im ersten Fall berufe ich mich auf eine anonyme Autorität ohne mich selbst festzulegen und im zweiten gebe ich meinen persönlichen Standpunkt bekannt. Die deutsche Sprache ist die komplexeste und höchstentwickelte Kultursprache der Neuzeit. Ihr Gebrauch fördert die Fähigkeit, hochkomplexe Zusammenhänge zu beschreiben und durchdenken. Sie hat es nicht nötig, andere Sprachen zu Hilfe zu nehmen, ganz gleich, um welchen Sachverhalt es sich handelt. Wer sich also unmissverständlich ausdrücken will, der sollte das in klarem Deutsch können und auch tun.

Gerade am Beispiel Tretroller wird deutlich, was wir unserer Sprache antun. In den Medien findet sich dazu ein wirres Gemisch. Mal ist es ein Roller, dann ein Tretroller oder auch Scooter. Das zeigt auf, dass Redakteure und Nachrichtensprecher die deutsche Sprache mittlerweile so wenig beherrschen, dass sie nicht einmal mehr den Unterschied zwischen einem Roller und einem Tretroller kennen und deswegen dann auf den Anglizismus “Scooter” ausweichen, der aber alles mögliche sein kann. Pflegen wir die deutsche Sprache, denn sie ist es, was uns als Deutsche definiert. Lasst uns protestieren, wenn Nachrichtensprecher “für was” sagen, anstatt wofür oder wogegen. Oder weswegen. Deutsche Sprache schwere Sprache! Aber genau das ist es, was sie so wertvoll macht.

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Hier können Sie ein kurzes Gespräch (18 Min.) zwischen Peter Haisenko und Friedrich Michael Vogt ansehen mit dem Titel: "Deutsche Sprache – deutsches Denken – deutsche Identität"

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