„Insel der Erwählten“ – Ein Buch von eigenartiger Magie und unangenehmen Wahrheiten
Von Peter Haisenko, Verleger
Eine Rezension zu schreiben, gehört nicht zu meinen originären Aufgaben als Verleger. Wenn ich es jetzt dennoch tue, hat das seinen Grund. Der AnderweltVerlag hat sich in den letzten Jahren einen Namen gemacht mit der Herausgabe von außergewöhnlichen Sachbüchern, explizit zur Geschichte des 20. Jahrhunderts. Belletristik ist in unserem Sortiment eher die Ausnahme. Doch der Roman „Insel der Erwählten“ von unserem Top-Autor Hubert von Brunn ist inhaltlich, konzeptionell und sprachlich so jenseits des Mainstreams, dass ich es mir nicht nehmen lasse, ihn unseren Lesern zu empfehlen.
Friedrich Hasentreiber, genannt „Herr Fred“, ist ein lebender Anachronismus: Loyal, empathisch, ehrlich, hilfsbereit, uneigennützig, gutgläubig … Ausgestattet mit diesen Charaktereigenschaften ist er prädestiniert, in unserer Ellbogengesellschaft ausgenutzt und betrogen zu werden. Als Mensch mit hohen moralischen Ansprüchen will Fred es möglichst allen recht machen. Er hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und leidet selbst sehr darunter, wenn ihm Unrecht widerfährt. – Als ihm mit dem Verlust seines Arbeitsplatzes tatsächlich eklatantes Unrecht zuteil wird, gerät er völlig aus der Bahn.
Er fühlt das „Kainsmal des Versagers“ auf der Stirn, zieht sich immer mehr zurück und als der Würgegriff der Einsamkeit immer unerträglicher wird, beschließt er, dem „Trauerspiel, das andere Leben nennen“, ein Ende zu setzen. Zwei Suizid-Versuche scheitern kläglich – aber dann ist da jene geheimnisvolle blonde Frau in Rot, die immer wieder auftaucht und zunehmend Einfluss auf sein Leben nimmt. Ihr war er gleich zu Beginn – am Tag seiner Entlassung – erstmals begegnet. Schließlich überzeugt „Frau Constanze“ Fred, sich von dieser Welt, in der er nichts mehr gewinnen kann, zu verabschieden und ihr seine gesamten Ersparnisse zu überlassen, damit sie ihn einschreiben kann als Kandidat für die Insel der Erwählten
Das Streben nach Glück ist dem menschlichen Wesen immanent
Nach einem bislang unspektakulären, erlebnisarmen Leben gerät Fred durch die Begegnung mit der Frau in Rot hinein in eine Abfolge absurder Ereignisse, die er nicht einordnen und schon gar nicht begreifen kann. Der Faszination, die von der Frau ausgeht, steht er hilflos gegenüber. Er macht, was sie von ihm verlangt – und er verliebt sich in sie. Das wird ihm aber erst bewusst, als der „Point of no Return“ überschritten ist. Dennoch scheint noch alles gut zu werden, als Frau Constanze ihm im „Vorbereitungscamp“ auch ihre Liebe gesteht. Tief überzeugt von der Idee der Insel der Erwählten, die sie zuvor sehr erfolgreich verkauft hat, hat auch sie alles aufgegeben und ihr gesamtes Vermögen der Organisation überlassen in der Erwartung, an jenem paradiesischen Ort den Rest ihres Leben zusammen mit Fred zu verbringen.
Dazu kommt es nicht, denn die Insel der Erwählten existiert nicht. Das heilversprechende „Geschäftsmodell“ stellt sich als ein durchtriebener, von langer Hand vorbereiteter und professionell durchgeführter Betrug heraus. Unzählige Anleger sind auf die Versprechungen hereingefallen und haben – wie Fred und Constanze – alles verloren: Ihr Geld, ihre sozialen Kontakte, ihre angestammten Rechte und ihre im Laufe ihres Lebens geformte Identität in der alten Welt. Ihre Sehnsucht (oder Gier) nach Glück hat sie alle in den Ruin getrieben.
Das Streben nach Glück ist dem menschlichen Wesen immanent. Jeder stellt sich etwas anderes unter Glück vor, aber finanzielle Sicherheit, die ein weitgehend sorgenfreies Leben ermöglicht, gehört immer dazu. Menschliche Nähe, Geborgenheit, Anerkennung für das, was man tut, Respekt vor der eigenen Person, Liebe… sind weitere wesentliche Aspekte für das Glück, nach dem Menschen sich sehnen.
Eine Allegorie auf die alltägliche Macht – und den Missbrauch derselben
Wenn du erkennen musst, dass all diese Faktoren in deinem Leben fehlen, stellt sich Verzweiflung ein und je nachdem wie eine Charaktere gestrickt ist, kann sich aus diesem Defizit leicht das Selbstverständnis des „Versagers“ manifestieren. Depressive Anfälle sind dann durchaus normal und in letzter Konsequenz kann daraus die Sehnsucht erwachsen, diesem „Trauerspiel“ ein frühzeitiges Ende zu setzen.
Das ist die eine Seite. Gleichzeitig bist du in dieser hilflosen Situation aber auch sehr anfällig für Heilsversprechungen. Die Insel der Erwählten ist so illusorisch wie das Versprechen eines Bankers, dass diese oder jene Anlage eine Rendite von 15 oder 20 Prozent – sicher – abwirft. Wer sich darauf einlässt, wird sein Geld – sicher – verlieren und am Ende viel ärmer sein als zuvor. Die einzigen Gewinner sind ausgekochte Betrüger, die von langer Hand ein Scheinsystem aufbauen, mit dem sie gutgläubige Menschen ködern – und ins Verderben stürzen. Genau das geschieht Fred und all den anderen, die den hohlen Versprechungen von einem großartigen Leben auf jener Insel auf den Leim gegangen sind.
Dieser Roman ist eine Allegorie auf die alltägliche Macht – und den Missbrauch derselben. Egal zu welcher Zeit und in welcher Situation: Es wird immer Gewinner und Verlierer geben – und wer in den Verlierermodus hineingeboren wird, nicht das Durchsetzungsvermögen, nicht die potenten Unterstützer an seiner Seite hat, und dazu auch noch gutgläubig ist, wird unweigerlich verlieren. Das ist keine besonders optimistische Botschaft, aber sie wird zum Nachdenken anregen, was zu tun ist, um nicht in den Strudel des scheinbar Unvermeidlichen hineingezogen zu werden.
Ganz allmählich lässt von Brunn den Leser teilhaben an Freds bescheidener Welt, bis er sich spätestens ab der Mitte des Buches mit dem schrägen „Helden“ identifiziert, mit ihm fühlt und mit ihm leidet. Wie bei Kafka ist man an einigen Stellen geneigt, dem Protagonisten zuzurufen: „Tu’s nicht! Lass es sein!“, doch der kann nicht anders, als seinen Weg zu gehen. Der Roman „Insel der Erwählten“ ist von einer eigenartigen Magie, der sich der Leser bis zum Ende nicht entziehen kann. Ein Buch, das eine ganze Reihe unangenehmer Wahrheiten unserer Gesellschaft thematisiert und dem Leser jede Menge Stoff zum Nachdenken hinterlässt. – Das ist der Anspruch des AnderweltVerlags.
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