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Die universale Sehnsucht des Menschen ist die Freiheit

Ein Essay von Hubert von Brunn

Seit Tagen werden wir mit schrecklichen Bildern aus der Ukraine konfrontiert. Bilder von brennenden Häusern, zerschossenen Fahrzeugen, getöteten Soldaten und Zivilisten. Bilder des Schreckens, die Angst machen, Bilder, die zum Nachdenken zwingen. In meinen Überlegungen zu den Geschehnissen in der Ukraine spielt ein Begriff eine zentrale Rolle: Freiheit!

Ich habe (noch) die Freiheit, meine Gedanken zu formulieren, niederzuschreiben und zu veröffentlichen. Das war mein ganzes Leben so. Als Mensch, dem „die Gnade der späten Geburt“ zuteil wurde, kenne ich es nicht anders. Und im letzten Drittel meines irdischen Daseins angekommen, hatte ich keine Zweifel, dass das bis zum Ende meiner Tage so bleiben würde. Dessen bin ich mir inzwischen nicht mehr so sicher. Deshalb benutze ich das Wort „noch“, denn mir ist klar geworden, was für ein fragiles Konstrukt die Freiheit ist, die ich stets für selbstverständlich wahrgenommen und in Anspruch genommen habe. Angesichts der Bilder eines noch vor weniger als zwei Wochen unvorstellbaren Krieges gewissermaßen vor der Haustüre und des menschlichen Leids, das damit einher geht, ist mir bewusst geworden, dass der Fortbestand meiner Freiheit alles andere als gesichert ist. Im Sog der Französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) hat die Aufklärung im europäischen Kulturkreis die Oberhand bekommen und der Freiheit des Individuums nicht nur Raum gegeben, sondern sie geradezu gefordert: „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ (Immanuel Kant). Das tue ich!

Die Aufklärung war der Wegbereiter für den Freiheitsgedanken

Dieses Postulat der individuellen Freiheit, das im Islam ebenso fehlt wie in der Ideologie des Kommunismus, hat dazu geführt, dass die europäischen Nationen in ihrer politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklung so erfolgreich sein konnten. Da ist im Laufe der Jahrhunderte gewiss nicht alles glatt gelaufen – eine Vielzahl von Kriegen und nicht zuletzt zwei Weltkriege geben Zeugnis für mannigfaches Versagen. Die Mehrheit der Herrschenden – und auch des Volkes – waren noch zu sehr im alten Denken verhaftet und mithin noch nicht bereit für den Freiheitsgedanken. Doch letztlich hat er sich durchgesetzt. Zuletzt eindrucksvoll unter Beweis gestellt vor gut 32 Jahren, als die Bürger der DDR genug hatten von Unterdrückung, Bevormundung, Gängelung und Eingesperrtsein. Die universale Sehnsucht der Menschen ist die Freiheit. Sie wollen ihre Meinung äußern, ohne befürchten zu müssen dafür ins Gefängnis gesteckt zu werden. Sie wollen reisen, wohin sie wollten, die Welt entdecken. Sie wollen den Beruf ausüben, der ihren Fähigkeiten und Talenten entspricht, und nicht eine Tätigkeit, die gerade in der Planwirtschaft gefragt ist und die der Staat/die Partei ihnen zuweist. Freiheit war in der ehemaligen DDR das Zauberwort – und das Volk hat gewonnen über die Apparatschiks und Unterdrücker.

Bemerkenswert ist, dass „Freiheit“ sehr oft im Konzert mit anderen Begriffen von universeller Bedeutung in Erscheinung tritt. Die französische Revolution habe ich schon genannt, aber auch in der deutschen Nationalhymne ist sie in guter Gesellschaft: Einigkeit und Recht und… Sehr oft kommt die Freiheit natürlich auch einher mit Frieden. Klar, wo Krieg herrscht, kann keine Freiheit sein. Die einen werden gezwungen, die Waffe in die Hand zu nehmen und auf andere Menschen zu schießen, die anderen – ohne Waffen – können sich nicht wehren und haben bestenfalls den Ausweg zur Flucht. Freiheit sieht anders aus. Und wenn man die Freiheit des Denkens und Handelns, die Freiheit von Zustimmung und Verweigerung einmal in Relation setzt zum Denken und Vorgehen von Autokraten, Despoten und Diktatoren, dann wird offenkundig, dass genau dort ihr größtes Angstpotenzial schlummert. Da mögen die Waffensysteme noch so elaboriert, die Armeen noch so gewaltig sein – gegen die universale Sehnsucht der Menschen nach Freiheit können sie nichts ausrichten. Wenn die Massen sich gegen Unterdrückung und Bevormundung erheben, können selbst die dicksten Mauern fallen.

Meine persönliche Freiheit endet dort, wo deine Freiheit beginnt

Die französischen Existenzialisten wie Sartre und Camus haben es klar formuliert: ‚Meine persönliche Freiheit endet dort, wo deine Freiheit beginnt’. Hier kommt ein weiterer wesentlicher Begriff ins Spiel: Respekt. Respekt ist eine herausragende Qualität für die Existenz von Freiheit. Wenn eine Seite der anderen die Existenzberechtigung versagt, dann macht sie deutlich, dass sie keinen Respekt hat vor dieser Existenz und wird übergriffig. Genau das aber haben die Existenzialisten verneint. Und sie haben Recht. Das gilt im Kleinen genauso wie im Großen. Wenn einer mit seinem Monster-SUV meint, er könne mich nötigen, behindern, gefährden, nur weil er die größere Karre hat, kann ich ihn anzeigen und ein Gericht wird darüber urteilen. Wenn ein großes Land ein kleines überfällt und das Volk dort mit Waffengewalt nötigt, behindert und gefährdet, ist das leider nicht so einfach. Da gibt es zwar einen Internationalen Gerichtshof, aber im Gegensatz zu dem rabiaten Autofahrer ist der Aggressor nicht so leicht zu bewegen, sich dort zu verantworten. Und wenn er nicht kommt – dann war’ das.

Meine persönliche Freiheit ist (noch) gegeben und ich kann (noch) sagen und schreiben was ich denke. Ich hoffe, es wird so bleiben, so lange ich denken und schreiben kann. Die über viele Jahre angenommene Sicherheit gibt es nicht mehr. Noch bin ich frei, aber wenn ich mir am nächsten Morgen wieder neue Schreckensbilder aus der Ukraine ansehe und offizielle Statements aus dem Kreml anhöre, dann beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Ich hätte meinen Lebensabend gern in dieser Blase von Frieden und Freiheit verbracht, die ich spätestens nach dem Fall der Mauer und dem Ende des Kalten Krieges als glückliche Fügung des Schicksals empfunden habe. Den Fall der Mauer und die Euphorie der Menschen über diesen Sieg der Freiheit über die Diktatur habe ich am 9. November 1989 in Berlin hautnah miterlebt. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl hat mich in jener Nacht an der Invalidenstraße ergriffen. Ich kann nur hoffen, dass mir das Glück hold bleibt.   

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