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Bangalore: IT contra Palmblatt-Schätze / Chronik der Menschheit
Reisebericht von Hans-Jörg Müllenmeister
Gerade zu Neujahr, zur Prognose-Hochzeit, sind Prophezeiungen den Menschen stets willkommen, erst recht, wenn Vorhersagen den eigenen Lebenspfad aufhellen. Um Ihren Schicksalsweg zu enträtseln, können Sie auch gern mal nach Indien fliegen – nicht nur zur Silvesterzeit 2004.
Indien – seit jeher das Land der Mythen und Legenden, ist eine Reise wert. Im südindischen Bangalore erlebte ich den Kontrast zwischen der Moderne und einer uralten Tradition. Hier verbirgt sich im Häusermeer die bekannteste und größte Palmblatt-Bibliothek des Subkontinents: die Weltchronik der Menschheit. Das quirlige, indische „Silicon-Valley“ mit seinen heute mehr als 16 Millionen Einwohnern, ist Zentrum der Software- und Raumfahrt-Industrie Indiens, indes auch Mittelpunkt einer spirituellen, spannenden Begegnung mit seinem individuellen Palmblatt: Ein mystischer Informationsspeicher des eigenen Ich’s.
Neugierig nach der Zukunft
Als wissbegieriger Besucher möchte man in einer der ehrwürdigen Palmblatt-Bibliotheken etwas über seinen zukünftigen Lebensweg erfahren. Deshalb der „luftige 8-Stunden-Aus-Flug“ nach Indien. Der Wunsch nach einer aussichtsreichen Zukunftsprognose bleibt vielen Tausenden der hier schaffenden IC-Programmierern verwehrt. Fast wöchentlich beenden einige dieser beruflich extrem Geforderten vorzeitig ihr hektisches Leben – eine weltweit traurige Suizit-Bilanz. Während die Menschen kontemplative Ruhe finden in ausgedehnten Parks mit uraltem Baumbestand, liegt anderenorts einiges im Argen: Riesig aufgetürmte Müllhaufen werden vor Ort schwelend verbrannt, und außerdem sinkt der Grundwasserspiegel bereits dramatisch. Ein moderner Moloch überwuchert mehr und mehr das traditionell Gewachsene. Bunte, zerlumpte Gestalten überschwemmen einige Stadtviertel wie angespültes Strandgut eines sterbenden Ozeans. Nie zuvor habe ich einen größeren Kontrast zwischen extrem-arm und stein-reich gesehen.
Auf dem Weg zur Palmblatt-Bibliothek
Fernöstliche Atmosphäre schnuppern, auch das gehört zu einem Palmblatt-Besuch. Für einen Mitteleuropäer verläuft die Fahrt zur begehrten Stätte fast abenteuerlicher als es das angepeilte Ziel selbst darstellt. Das versteckt sich in einem halb verfallenen, unscheinbaren Gebäude. Der Straßenverkehr im nahezu schilderfreien Bangalore erinnerte mich an einen lärmenden, auf Bewegungsänderung kollektiv abgestimmten Vogelschwarm. Jedes Bestreben der einzelnen Verkehrsteilnehmer in eine Lücke zu schlüpfen die das Chaos für einen Herzschlag lang freigibt, läuft koordiniert und ohne Hektik ab. Auf deutschen Straßen mit all den Vorschriften wäre so ein Verkehrsdurchsatz an Fahrzeugen der unterschiedlichsten Art undenkbar. Glücklich kann sich derjenige schätzen, der auf dem Weg zur nächsten Ampel die Pole Position ertrotzt. An der Kreuzung wird der Countdown in großen Leuchtziffern durch Herunter-Zählen der Sekunden auf Null bis zum Ergrünen der Ampel angezeigt. Bereits Sekunden zuvor braust das Konzert der Motoren mächtig auf, umwabert vom giftigen Abgasqualm der dreirädrigen, gelben Taxi-Wespen. Trotz des Höllenlärms scheinen die Verkehrsteilnehmer geradezu entspannt, teilweise sogar mit heiteren Minen hinter ihrem Steuer zu sitzen. Vespa-Beifahrerinnen im Damensitz halten zum Telefonieren mit selbstverständlicher Geste ihr Handy ans goldberingte Ohr.
Die Suchprozedur nach dem individuellen Palmblatt
Jede der insgesamt zwölf Palmblatt-Bibliotheken pflegt ihre eigene oft schweißtreibende Suchprozedur, um aus Tausenden von Palmblatt-Manuskripten gerade eines der Lebensschicksale auf einem 3 bis 6 cm breiten Palmblatt herauszupicken: Ihr Palmblatt. Das liegt mit anderen hundert Palmblättern, zu einem Bündel geschnürt, zwischen zwei schmalen Holzdeckeln. Einem Ondit zufolge, soll das größte Archiv rund 1,3 Millionen Palmblatt-Manuskripte umfassen.
Wissenswertes zur Akasha-Chronik
Der Legende nach gab es im alten Indien vor 7.000 Jahren mythologische Wesen, die Rishis, die einer prähistorischen Hochkultur angehörten. Ursprünglich stammten sie vermutlich vom versunkenen Mutterkontinent Mu. Ihr Verbleib verliert sich in den Abgründen der Geschichte. Diese Wesen gravierten das Wissen der Akasha-Cronik um das „Weltgeschehen“ auf Steintafeln und bestimmten Metallplatten. Von dieser Urbibliothek wurden Informationsfragmente auf zwölf Palmblatt-Bibliotheken ins Alt-Tamil oder Sanskrit übertragen und von Familiengeneration zu Familiengeneration behütet weitergereicht. Eben diese besagten Rishis beherrschten angeblich die Umkehr der Gravitationskraft, denn sie konnten mit ihren Vimanas (Raumschiffen) von der Erde abheben. Davon berichtet das Ramayana-Epos. Nach heutigem Erkenntnisstand der Physik wäre das schier unmöglich.
Wertvolle Palmblatt-Informationen
Die uralten Palmblatt-Schätze der Bibliotheken sollen sämtliche Informationen aus Vergangenheit und Zukunft für alle wahrhaftig Suchenden enthalten – Erinnerungen und Vorhersagen für Millionen. Sie sollen sogar Informationen von Menschen beherbergen, die noch gar nicht geboren sind. Selbst Informationen über die Zukunft bestimmter Länder sind in der geheimnisumwitterten Palmblatt-Datenbank gespeichert, etwa die Entwicklung Europas. Auch das individuelle Schicksalsblatt eines Fragenden lässt sich angeblich wiederfinden. All diese Geschichten erschienen mir so rätselhaft absurd, dass ich allein wegen ihrer nach Indien aufbrach, um „meinem“ Palmblatt nachzuspüren.
Schwierigkeiten und Skepsis bei der Interpretation der Palmblatt-Texte
Gibt es überhaupt für die Jahrtausende alten Palmblatt-Texte in Alt-Tamil oder Sanskrit ein sprachliches Äquivalent in unserer heutigen Begriffswelt? Sicherlich fehlten damals für unsere modernen technischen Errungenschaften die Wörter. Deshalb fragte ich nach einer der Sitzungen gezielt den Reader, den Interpret der Palmblatt-Information. Ruhig antwortete er mit einem Beispiel: „Sehen Sie, wenn ich eben sagte, sie seien wohl Ingenieur, dann ist in ihrem Palmblatt die Rede davon, dass Sie technische Dinge für andere Menschen ins Werk setzen“ (téchne bedeutet schon bei den alten Griechen „ins Werk setzen“). Allein diese Transformationsleistung aus dem Stegreif finde ich beachtlich.
Meine volle Hochachtung gilt aber den kalendarischen Umrechnungen. Der Reader ist in der Lage, aus der Palmblatt-Beschreibung genannte astronomische Konstellationen in den für uns gültigen Gregorianischen Kalender umzurechnen. Allein diese astro-mathematische Kunst ist in Indien ein eigener Wissenschaftszweig. So ist es kaum verwunderlich, dass der Palmblatt-Leser (Reader) eine langwierige und umfassende Ausbildung genießt. Mehr noch, dazu zählen auch besondere geheime Einweihungen und gewisse spirituelle Fähigkeiten.
Jeder weiß: Eine Kopie ist nicht gleich dem Original. So fragte ich mich, wie hoch ist die Fehlerquote, wenn seit Jahrtausenden von der Urschrift alle drei bis vier Jahrhunderte eine Kopie der Kopie usw. der Palmblätter angefertigt wird. Das ist übrigens deswegen notwendig, weil Palmblätter als organische Substanz irgendwann zerfallen würden. Sollten sich da nicht beim Abschreiben Fehler einschleichen? Dagegen sprechen die akribischen Fähigkeiten und Detailverliebtheit der Tamilen beim Übertragen der nur wenige Millimeter großen Schriftsymbole. Außerdem sind die Texte in einer Art Versmaß angelegt, so dass „Ungereimtheiten“ durch Übertragungsfehler sofort ins Auge springen würden.
Hintergründiges zur Palmblatt-Lesung
Die Lesung geht ja auf den weisen Begründer Brighu vor 5.700 Jahren zurück. Der Ratsuchende erfährt das „Drehbuch“ seines Lebens, keineswegs aber als fest eintretenden, unausweichlichen Schicksalsweg. Vielmehr ist daran eine geistige, praktische und psychologische Lebensberatung geknüpft, die alle menschlichen Bemühungen einschließt, um damit das eigene Schicksal zum Positiven verändern zu können.
Darin sind nicht nur individuelle Schicksale, sondern auch Weltereignisse der Menschheitsgeschichte gespeichert, darunter auch Hinweise, wie sich die Zukunft der Menschheit entwickelt. Dieses geheime, brisante Wissen bleibt aber nur den Palmblatt-Lesern vorbehalten. Sie verlören ihre spirituellen Fähigkeiten, wenn sie dieses Weltwissen unverantwortlich preisgäben. Die Reader verstehen sich nämlich als Medium, als Interpreten der Rishis. Diese Bibliotheken sind also keine Brennpunkte des Touristenrummels, die lediglich die Neugier auf die Zukunft befriedigen. Es sind Stätten der Lebenshilfe, keine Fluchtburgen des Karmas vor der eigenen Verantwortung. Im Westen wird ja Karma als unabwendbares Schicksal begriffen. Karma bedeutet vielmehr in Sanskrit „Handlung“, d.h. alles das, was wir mit unseren Gedanken, Gefühlen, Worten und Taten bewirken und damit entsprechende Ergebnisse erzielen, das ist gemeint. Keinem Neugierigen wird es gelingen, per Ferndiagnose seinen Lebensweg oder den eines anderen Menschen zu erfahren; der Rat-Suchende muss schon physisch bei der Lesung anwesend sein.
Prozedere der Lesung in Bangalore
Ohne viel Brimborium erfährt der Besucher zunächst seine astrologischen Daten, falls ausdrücklich gewünscht, bis zu seinem mutmaßlichen Tode. Da heißt es durchatmen! Der Reader nennt bestimmte Erfahrungen und Ereignisse sowie Berufe und Tätigkeiten aus früheren Leben, die unbewusst auf die derzeitige Inkarnation einwirken können. So wurde mir beispielsweise gedeutet, dass ich im Mittelalter in einer südeuropäischen Armee ein bekannter Waffenmeister war. Da würde es naheliegen, so meinte er, dass ich „vorgeprägt“ sei und im jetzigen Leben deshalb wohl den Ingenieurberuf ausübe. Daran anknüpfend, kommt der Reader auf charakterliche Eigenschaften zu sprechen. Er nennt offenkundige Fähigkeiten, aber auch brachliegende, verschüttete Talente, die man aus den Vorleben erwarb, doch bis jetzt nicht zu nutzen wusste.
Wichtig ist auch der folgende Part, der sich mit der gesundheitlichen Verfassung, psychisch wie auch physisch, auseinandersetzt. Gezielte prophylaktische Maßnahmen und Vorsicht werden ausgesprochen. Spätestens dann, wenn der Reader auf Partnerschaft und Familie mit der ganzen Bandbreite punktgenau auf Gefühle und Probleme eingeht, beginnt der Ratsuchende nachdenklich zu werden. Nichts überzeugt den Skeptiker mehr, als die Nennung bereits geschehener Dinge und Meilenstein-Daten aus seinem Leben. So beiläufig erklärte mit der Reader: „Sie haben während des Studiums ihrem Vater (er war Bäcker- und Konditormeister) nachts bei seiner Arbeit geholfen“. Ich war verblüfft, wie konnte er das wissen? Das sind kleine oder bedeutende Ereignisse, die bisher nur der Fragende als sein Geheimnis gehütet hat. Erst dann ist er innerlich bereit, seinen zukünftigen Lebensplan als Schicksalsweg aufgedeckt zu bekommen und Hinweise auf mögliche Lebensgefahren ernst zu nehmen.
Zweimal Bangalore hin und zurück
Gewiss, über die Zukunft lässt sich trefflich streiten, weil sie im Prinzip noch alle Freiheitsgrade zulässt. Prophezeiungen im Nahbereich lassen sich geduldig auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen. Was halten Sie z.B. davon, wenn Ihnen der Reader so nebenbei mitteilt, dass man sich bald schon wiedersehe. Für mich war diese Aussage Nonsens, denn warum sollte ich eine teure Indienreise ohne triftigen Grund wiederholen? „Das kann unmöglich sein“, widersprach ich trotzig. „Es steht aber hier“ entgegnete der Reader gelassen, aber bestimmt. Dieser mehrfach gehörte Satz bedeutete immer das Aus für weitere Fragen. Der Reader sollte recht behalten. Meine späteren Palmblatt-Erzählungen beeindruckten einen Freund so sehr, dass er mich einlud, mit ihm gemeinsam noch einmal dem Mysterium weiterer Palmblatt-Bibliotheken nachzuspüren. Bereits ein halbes Jahr später saß ich wie selbstverständlich wieder vor meinem einstigen Reader.
Fazit: Eine lohnende Indien-Reise für Geist und Seele
Gewiss, die angeborene Sehnsucht des homo speculans, seine eigene Zukunft zu erkunden, und das in einer zunehmend unberechenbaren Welt, treibt oft üppige Blüten. Um sein Schicksal zu erfahren, bieten sich ominöse Geldmaschinen mit Perpetuum mobili-Charakter an. Ob Wahrsager, Schamanen, Hindu-Priester oder Gaukler, alle wollen nur unser Bestes, und für manchen Ratsuchenden ist es das, was er im Portemonnaie hat. Auch in Indien! Für Indien-Reisen heißt das: Wahrhaftige Reader sind rar gesät; trennen Sie die Spreu vom Weizen! Sei’s drum, denn unser Schicksal haben wir selbst in unserer Hand. Hoffentlich ergeht es uns nicht wie dem nach verborgenem Wissen dürstenden Faust, den Mephisto so trefflich mit diabolischem Zynismus so charakterisiert:
„Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben,
Der ungebändigt immer vorwärts dringt
Und dessen übereiltes Streben,
Der Erden Freuden überspringt,
Den schlepp’ ich durch das wilde Leben,
Durch flache Unbedeutenheit…“
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Sollten Sie Interesse haben am Schicksalsweg eines außergewöhnlichen Menschen, dem es wohl beschieden war, mein Vater zu werden, dann empfehle ich den Roman in zwei Bänden „Der Weg vom Don zur Isar“. Vadim Grom erzählt seine abenteuerliche Lebensgeschichte von 1932 in Russland bis 1945 in Deutschland. Dieser Lebensweg ist gespickt mit glücklichen Fügungen, ohne die er all die Widrigkeiten nicht überlebt hätte. Ja, mein Vater hatte im Lauf der Jahre ein tiefes Vertrauen in höhere Fügungen entwickelt. Junge Leser haben die Frage gestellt: „Kann ein Mensch überhaupt so viel erlebt haben?“ Ja, er hat, auch wenn das heutzutage kaum vorstellbar ist. Bestellen Sie „Der Weg vom Don zur Isar“ in zwei Bänden direkt beim Verlag hier oder erwerben Sie sie in Ihrem Buchhandel. In diesem Werk erfahren Sie auch, wie es dazu kam, dass mein Vater mit Namen Vadim Grom geboren wurde und mein Name heute Peter Haisenko ist.