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Kategorienfehler: Die Wissenschaft, die Frage nach Gott und das große Durcheinander

Von Karl Pongracz 

Es ist schon verwirrend genug, dass wir in zwei „Welten“ leben, die dennoch eine sind. Sagen wir, es sind zwei Aspekte des Einen. Die eine Welt ist digital, die andere analog. Die Konfusion (nach dem lateinischen confusio, „Vereinigung“, „Vermischung“) entsteht, wenn man diese Welten durcheinanderbringt, zumeist infolge eines Kategorienfehlers. 

Die digitale Welt 

Galileo Galilei, der Begründer der exakten Wissenschaften, sprach vom Universum als einem großen Buch, das vor unseren Blicken liegt. „Aber das Buch ist nicht zu verstehen, wenn man nicht zuvor die Sprache erlernt und sich mit den Buchstaben vertraut gemacht hat, in denen es geschrieben ist. Es ist in der Sprache der Mathematik geschrieben …“ (Il Saggiatore) 

Wenn wir, so Galilei, das Universum verstehen wollen – und das wollen die Naturwissenschaften –, dann müssen wir statt Buchstaben Zahlen (auch Algebra) nehmen: Mathematik. Ihm wird auch zugeschrieben, das Wesentliche der wissenschaftlichen, mathematischen, digitalen Welt ausgesprochen zu haben: Messen, was messbar ist, und messbar machen, das noch nicht messbar ist. Zyniker fügen hinzu: Und ableugnen, was nicht messbar gemacht werden kann. (Ob diese Worte tatsächlich von Galilei stammen, ist allerdings strittig, niemand gibt die konkrete Quelle an, ich finde sie auch nicht; mir kommt es aber lediglich auf die wissenschaftliche Relevanz an.) 

Die digitale Welt ist diskret, sie besteht aus Elementen, die zwar sehr klein sein können, doch letztlich endet ihre Teilbarkeit im atomos, im Unteilbaren. So sagte schon Demokritos von Abdera gegen 400 v. Chr.: „Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter, in Wirklichkeit gibt es nur Atome und leeren Raum.“ Heute wissen wir, dass Atome mitnichten unteilbar sind, doch die Unteilbarkeit hat sich lediglich nach unten, zu noch kleineren Einheiten verschoben. Der Nobelpreisträger Richard Feynman bemerkte sinngemäß: „Sollte ich einer außerirdischen Intelligenz den Stand unseres Wissens in einem einzigen Satz erklären, müsste dieser Satz ohne Zweifel lauten: Alles besteht aus kleinsten Teilchen, aus körnigen Strukturen.“ 

Das ist die digitale Welt, selbst dann, wenn sie dadurch relativiert wird, dass die Infinitesimalrechnung eine Funktion in beliebig kleinen Abschnitten beschreibt. Doch diese beliebig kleinen Stufen sind in der Physik insofern irrelevant, als unterhalb der Planckeinheiten eine weitere gedankliche oder mathematische Unterteilung physikalisch sinnlos ist (beispielsweise bei einer kürzeren als der Planckzeit von 5,4 mal zehn hoch  -44 Sekunden verliert der Begriff „Zeit“ ihre Bedeutung). 

Die kleinsten Einheiten, welche das körnige Universum erbauen, sind die Quanten. Körnig wohl, weil man sie nicht mehr unterteilen kann, aber keine Teilchen. Quanten haben eine Doppelnatur, sie sind, je nach dem Experiment, Wellen oder Teilchen. Doch selbst dieses Bild ist unvollständig. Im Universum gibt es streng genommen nur schwingende Quantenfelder (oder auch Strings, die Frage ist noch nicht entschieden), mit bestimmten Schwingungszuständen oder Schwingungsknoten, die man als Teilchen bzw. Wellenpakete interpretieren kann (was sie sind, weiß niemand, aber das ist wissenschaftlich unerheblich). 

Eine Möglichkeit, die „geisterhaften“ (Kraft-)Felder zu erklären, die man nur indirekt über ihre Wechselwirkungen nachweisen kann, ist, das Feld als kontinuierlichen Zustand des Raumes aufzufassen, welches in jedem Raumpunkt aber nur diskrete Werte annehmen kann. So gesehen hatte Feynman absolut recht. 

Der Teufel steckt im Ausdruck „kontinuierlicher Zustand“, denn dieser bildet eine Verbindung zur analogen Welt. Das Feld bedeutet letztlich etwas Geister- oder Geisthaftes. Und der analoge Aspekt der Realität ist nicht diskret, sondern beschreibt ein Kontinuum. Wohl kann die Mathematik (als Hilfswissenschaft der Physik) sich einem Kontinuum beliebig annähern – erreichen oder erfassen kann sie es letztlich nicht, weil das Kontinuum einer anderen Kategorie angehört als die digitale Sphäre der Mathematik. 

Dieser kurze Abriss der digitalen Welt wäre unvollständig, ohne auf Kurt Gödels Unvollständigkeitssätze einzugehen. Seine Sätze zertrümmerten nicht nur das Weltbild einiger Mathematiker (die dann ihren Beruf frustriert aufgaben), sondern sie zerpulverten auch das bequeme und selbstgenügsame Ruhekissen jener Zeitgenossen, die meinten, der Weisheit letzten Schluss gefunden zu haben. In der Logik gilt der Satz vom ausgeschlossenen Dritten: Etwas existiert oder existiert nicht. Es gibt keine dritte Möglichkeit. Und dann kam Gödel … 

Kurt Gödel, ein verrücktes – oder genauer: krankes – mathematisches Genie (er verhungerte im Wahn, man wolle ihn vergiften), verfasste 1931 seine Schrift Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme. Die „Principia Mathematica“, worauf er sich bezog, war ein epochales dreibändiges Werk über die Grundlagen der Mathematik von Betrand Russel und Alfred North Whitehead, erschienen zwischen 1910 und 1913. Diese Arbeit stellte den Versuch dar, alle mathematischen Wahrheiten aus definierten Sätzen von Axiomen und Schlussregeln der Logik herzuleiten. Gödels erster Unvollständigkeitssatz besagt jedoch, dass jedes hinreichend mächtige formale System entweder widersprüchlich oder unvollständig ist. Der zweite Unvollständigkeitssatz zeigt, dass jedes hinreichend mächtige konsistente formale System seine eigene Konsistenz nicht beweisen kann

Gödel bewies diese Sätze mit den Mitteln der Mathematik und der Logik. Formalwissenschaftliche Beweise sind wahr, somit echte Beweise, die für alle Zeiten im gesamten Universum gelten. Damit wurde Kurt Gödel unsterblich. 

Gödels Sätze stellen einen unfassbar wertvollen Schatz dar, wie wir etwas später noch sehen werden. 

Die analoge Welt 

Es ist beinahe trivial, dass der digitalen Welt eine analoge gegenübersteht. Das ist jene Ebene, auf der es sinnlos, ja lächerlich ist, mit Zahlenwerten oder Messskalen vorzugehen. Wenn ein Mann zu seiner Frau sagt, „ich liebe dich heute 3,14-mal mehr als vor einem Jahr“, wird er entweder Kopfschütteln ernten oder sie wirft ihm etwas Schweres an den Kopf. Genugtuung, Freude, Trauer, Begeisterung, Verwirrung, Freundschaft, Hass, Erstaunen, der Schauer vor dem Heiligen und allen voran Liebe lassen sich nicht in Zahlenwerten, auch nicht irgendwie reproduzierbar angeben. Gefühle und Empfindungen, wie auch die Skepsis oder die Verbissenheit eines Wissenschaftlers kann man nicht messen. Auf welchen Skalen denn? 

In diesem Kontinuum sind Zahlenwerte sinnlos. Es ist aber nicht zu verwechseln mit der Kontinuumshypothese der Mathematik, einem mengentheorethischen Problem, das im System der Mengenlehre unentscheidbar ist. Sie ist eines der konkreten Beispiele für die Unvollständigkeitssätze Gödels. 

Natürlich gibt es Überschneidungen zwischen der analogen und der digitalen Welt, wie man leicht am Beispiel der analogen Uhr oder eines Quecksilberthermometers erkennen kann. Doch beide werden im Allgemeinen an Skalen abgelesen, und dadurch gehören sie doch hauptsächlich der digitalen Welt an, weil die Uhr die Zeit, das Thermometer die Temperatur misst. Es ist aber kein Gerät denkbar, das Liebe misst (abgesehen von der fundamentalen Unmöglichkeit, „Liebe“ überhaupt zu definieren). 

Die Unmessbarkeit par excellence jedoch, weil unermesslich in jeder Hinsicht, ist Gott. Ich werde mich hüten, eine Definition Gottes zu versuchen, weil jede Definition, also Abgrenzung, Gott doch begrenzen würde, was wiederum seiner Unermesslichkeit widerspricht (und so gesehen eine Gotteslästerung bedeutet). Doch eines kann man gesichert sagen: Gott ist nicht digital (fassbar). Wenn wir aber den Gottesbegriff verwenden, müssen wir irgendwie sagen, was wir darunter verstehen. Also: Gott ist nicht denkbar, nicht vorstellbar, nicht ermessbar, nicht begrenzbar, nicht vergleichbar, nicht irgendeinem Gesetz unterworfen (auch nicht den Gesetzen der Logik!). Wir sehen, man kann auf Gott nur negativ hinweisen. Meister Eckhart wird der Lehrsatz zugesprochen: „Was auch immer ihr über Gott sagt, das ist er nicht.“ (Für seine Lehren wurde Eckhart von Hochheim vor die Inquisition gezerrt, doch er starb vor der Urteilsverkündung.) 

Physiker und Mathematiker hassen die Singularität, weil bei ihr alles undefiniert wird. Nach dem Standardmodell ist unser Universum aus einer Singularität entstanden. Über diesen „Punkt Null“ kann man nur verlässlich sagen, was er nicht ist. „War“ wäre auch falsch, denn die Singularität hat alles hervorgebracht: Raum, Zeit, Energie, Naturgesetze. Es gab vorher nichts, ja es gab überhaupt kein Vorher. Und „in“ der Singularität findet sich natürlich auch keine Zeit, weshalb man nur auf sie verweisen, sie aber nicht in zeitlichen Begriffen der Sprache oder mittels der Mathematik beschreiben kann. 

Nein, die Singularität ist nicht Gott! Aber es stimmt, beiden kann man sich nur in negativen Begriffen nähern. Neulich las ich eine typische Spekulation über Gott, worin der Autor von einem „physikalischen Gottesmodell“ schreibt und Gott in Verbindung mit der Lichtgeschwindigkeit bringt. Die Einzelheiten sind hier unerheblich, ich möchte nur auf den Ausdruck Gottesmodell hinweisen. Der Autor fragt sich selbst, „wie wäre das denkbar?“ Nun – überhaupt nicht. Gott ist nicht denkbar, und Modelle über ihn, gar physikalische, auch nicht. Ich sage es ganz ausdrücklich mit Meister Eckhart: Was auch immer man über ihn sagt, das ist er nicht. Mehr noch: Wer IHN anders sieht, der sieht nicht Gott, sondern einen Götzen. Und das möchte ich begründen. 

Unser Wissen über die Schöpfung 

… ist sehr bescheiden. Aber wir kennen das Alter des Universums, wir können sogar die Verhältnisse bis zur Planckzeit nach Null zurückrechnen, wir kennen seine ungefähre Größe und wir kennen viele seiner Strukturen. Bei der Hierarchie der Bausteine des Universums gelangen wir von den Quarks und den Elektronen über die Kernbausteine zu den Atomen (in der Größenordnung von weniger als einem milliardstel Meter), über Moleküle zu Materiestrukturen etwa in Menschengröße (Meterskala). Dann folgen astronomische Objekte wie Kometen, Monde und Planeten, gefolgt von Sonnen, Sonnensystemen (Größenordnung von ca. einem Lichtjahr) und Galaxien (mehrere Hunderttausend Lichtjahre im Durchmesser). Diese ordnen sich zu Galaxienhaufen (Durchmesser ca. 10 Millionen Lichtjahre) und Superhaufen (etwa 200 Millionen LJ). Noch größer sind die Filamente in der Größenordnung von einer Milliarde LJ. Die größten bekannten Strukturen im Universum sind die so genannten Large Quasar Groups mit Ausdehnungen bis zu vier Milliarden Lichtjahren. 

Vorstellen kann man sich das lange nicht mehr, aber damit sind wir noch nicht am Ende – wenn es überhaupt ein Ende gibt. Man hat nämlich gute Argumente dafür, dass das Universum gar nicht das Universum (alles Seiende) ist, sondern jenes, das wir Universum nennen, nur den Teil einer unfassbar größeren Struktur darstellt, zu der sich unser Universum möglicherweise verhält wie Sterne zu Galaxien (etwa hundert Milliarden Sonnen) oder vielleicht auch wie Sterne zum bekannten Universum (etwa zehn Trilliarden). Noch ist das alles Theorie (und der experimentelle Nachweis dürfte ziemlich schwierig werden), doch die Hinweise verdichten sich, dass unser Universum ebenso wenig einzigartig ist wie unsere Sonne (ein durchschnittlicher G-Stern), unser Sonnensystem (aktuell sind mehr als 3800 Planetensysteme bestätigt) oder die Galaxis (nach neuesten Informationen des Teleskops GAIA eine flockige Spiralgalaxie – flocculent spiral galaxy –; diese Form stellt ca. 30 % aller Spiralnebel dar). Wenn es aber Strukturen gibt, die über unser Universum hinaus reichen und aus denen es entstanden ist, muss es – rein physikalisch gedacht – eine Art Über- oder Hyperzeit geben, selbst dann, wenn „unsere“ Zeit mit unserem Universum angefangen hat. Und auch noch einen Hyperraum, Hyperenergien etc., womöglich in mehreren oder unbekannt vielen Stufen. 

Gödels Giftpfeil und die Selbstreferenz 

Kurt Gödels Arbeit enthält den Zusatz „und verwandter Systeme“. Darunter versteht er in erster Linie mathematische bzw. logische Systeme, ich denke aber, man tut ihm nicht Unrecht, wenn man die Grenzen dieser „verwandten Systeme“ etwas weiter steckt. Gödels genialer Kunstgriff war, die Mathematik mit mathematischen Mitteln auf sich selbst zu beziehen: Selbstreferenz. Häufig, nicht immer, führt Selbstbezüglichkeit zu einer Irritation, zu Paradoxien und Aporien oder zu einer Art verunsicherter Vibration des Geistes. So eine Irritation entsteht etwa, wenn wir uns in einem Spiegel betrachten, der sich in einem zweiten Spiegel spiegelt. Oder wenn wir Metaebenen des Geistes betreten, wo wir etwa über das Nachdenken nachdenken oder über die Philosophie philosophieren. Man denke auch an einen falsch eingestellten Thermostaten. Die Selbstreferenz nennt sich dort Rückkoppelung, und wenn das Temperaturintervall zu kurz ist, schaltet der Thermostat die Heizung ein, bei der geringsten Erwärmung wieder aus, dann sofort wieder ein … Er vibriert. Ähnlich beginnt der Geist zu „vibrieren“, wenn er auf sich selbst zurückgeworfen wird. 

Ich denke, also bin ich! Ja, schon, aber wer denkt? Wer ist dieses Ich? Mein Gehirn? Wieso mein? Ich bin doch das Gehirn, oder? Wenn nein, wer denkt da, und wenn ja, wieso sage ich „mein Gehirn“? – Vibration. 

Der zuvor erwähnte Bertrand Russel hat auch etwas zertrümmert, namentlich die naive Mengenlehre (1903): Um die später nach ihm benannte Russellsche Antinomie zu lösen, führte er die Typentheorie ein, in der Klassen einen höheren Typ darstellen als ihre Elemente. Das eigentliche Paradoxon war die Frage, ob es eine Menge aller Mengen geben kann, die sich selbst nicht als Element enthält (seine Antwort lautete: nein). Später veröffentlichte Russell für die Antinomie ein anschauliches Beispiel in der Form des Barbierparadoxons. Darin definiert er einen Barbier als den, der ausschließlich all jene rasiert, die sich nicht selbst rasieren. Die knifflige Frage lautet: Rasiert sich der Barbier selbst? Nach der Typentheorie bilden „alle, die sich nicht selbst rasieren“ eine Klasse, die von höherem Typ ist als die Elemente (die einzelnen Männer). Somit lautet die Lösung des Paradoxons: Es gibt keinen Barbier, der nur jene rasiert, die sich selbst nicht rasieren. 

Hier begegnen wir neben der Selbstreferenz auch noch Klassen oder – wie wir sie anders nennen können – Kategorien. Dazu gleich mehr. 

Gödels Giftpfeil besteht darin, dass man „verwandte Systeme“ mit einiger Berechtigung auch auf komplexe, nichtmathematische Systeme übertragen kann, weil sie einer ähnlichen Kategorie angehören. Somit könnte man philosophische (analoge) oder physikalische (digitale) Systeme hoher Komplexität aus sich selbst heraus niemals gänzlich erfassen, sondern erst, wenn man aus ihnen auf eine höhere Ebene oder Klasse oder Kategorie aufsteigt.

Ein gutes Beispiel dafür bildet das Wetter, ein hochkomplexes nichtlineares System, das dem nichtdeterministischen Chaos gehorcht. (Deterministisches Chaos bedeutet, es sind alle relevanten Parameter bekannt, nicht jedoch ihre genauen Werte bzw. Anfangsbedingungen; das führt zum sogenannten Schmetterlingseffekt. Beim nichtdeterministischen Chaos sind nicht einmal alle maßgeblichen Parameter bekannt.) Das Wettersystem kann von der Meteorologie nicht hinreichend erfasst werden, es werden auch Astrophysik, Atmosphärenphysik, Geologie, Ozeanografie etc. benötigt, um einigermaßen klar zu sehen. Das System selbst ist dennoch prinzipiell unberechenbar

Einen weiteren Hinweis liefert die Divergenz wissenschaftlicher Erkenntnis. Weit davon entfernt, eine Theorie von Allem (TOE, Weltformel) zu finden, die alle physikalischen Vorgänge im Universum (!) genau zu beschreiben, zu verknüpfen und zu erklären imstande ist, kann man eher behaupten: Für jede Frage, welche die Wissenschaft „beantwortet“, tauchen mindestens zwei weitere Fragen auf. Die einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen sind bereits so zersplittert, dass sogar ein extremer Spezialist die Flut von Veröffentlichungen auf seinem eigenen Spezialfachgebiet nicht mehr zu überblicken vermag. Aus dieser Sicht kann man die Behauptung aufstellen – sich auf Gödel berufend – es ist selbst für eine „Superintelligenz“ nicht einmal theoretisch möglich, das Universum aus sich heraus zu begreifen. Dazu müsste sie aus dem Universum in eine höhere Sphäre übertreten – wo sie dann wiederum vor dem gleichen Problem stünde. Auch darin besteht Gödels unsterbliche Tat und zugleich sein Giftpfeil. 

Kategorienfehler 

Den Begriff des Kategorienfehlers entwickelte Gilbert Ryle 1949 in seinem Werk The Concept of Mind (dt. Der Begriff des Geistes, 1969), durchaus Russels Typentheorie folgend. Er streitet darin vor allem gegen den Cartesianischen Dualismus von Geist und Körper an und behauptet, dabei liege ein Kategorienfehler vor, eine falsche Zuordnung von Begriffen in eine Kategorie. Damit wollte Ryle zeigen, dass viele philosophische Probleme verschwinden, wenn man die richtigen Kategorien verwendet. Ryles Verständnis des Kategorienfehlers ist Russels Typenfehler analog, doch – und hier schlägt das Teuflische des Selbstbezugs voll zu – warf er den Logikern vor, selbst einen Kategorienfehler zu begehen, wenn sie meinten, Kategorienfehler könne man nicht formalisieren, womit sie für die exakte Wissenschaft ohne Bedeutung seien. 

Ein klassisches Beispiel für einen Kategorienfehler ist der Ausspruch: „Ich habe einen linken, einen rechten und ein paar Handschuhe.“ Hierbei werden leicht erkennbar unterschiedliche Kategorien miteinander gleichgestellt. Doch Kategorienfehler sind nicht immer so leicht zu identifizieren. 

Die digitale und die analoge Welt stellen eindeutig unterschiedliche Kategorien höherer Art dar, wobei – wie bei sprachlichen oder philosophischen Kategorien grundsätzlich – eine scharfe Abgrenzung nicht möglich ist (das meinte Russell). Dennoch gelten Kategorienfehler auch in der digitalen Welt (das meinte Ryle), was man an folgendem Beispiel leicht erkennen kann: Viele, und nicht wenige Physiker, verwechseln Wärme (eine extensive Prozessgröße, gemessen in Joule) mit Temperatur (einer intensiven Zustandsgröße, gemessen in Kelvin) oder auch mit thermischer Energie (einer extensiven Zustandsgröße, gemessen in Joule.) Solche Kategorienfehler sollen sogar Klimaforschern unterlaufen. 

Große Verwirrung entsteht immer dann, wenn unterschiedliche Kategorien miteinander gleichgestellt oder vermischt werden. Auch, wenn es oft nicht leicht ist, verschiedene Kategorien als solche zu erkennen, sollten wir uns doch darum bemühen. 

Die Gotteskategorie 

Der Begriff Gottes gehört neben Ausdrücken wie „Geist“, „Wahrheit“ oder „Wirklichkeit“ zu den häufigsten Begriffen, mit denen Kategorienfehler begangen werden. Wie wir gesehen haben, ist bereits der Stufenbau des bekannten Universums so ungeheuer gigantisch, dass es einem die Sprache verschlägt. Wir wissen nicht, wo das alles aufhört, ob es überhaupt aufhört. Wir wissen nicht, ob die größten aller Strukturen – vielleicht Universen von Universen von Universen etc. – sich zu einer Schleife biegen und sich unfassbar verborgen im Kleinsten, im Elementarteilchen wiederfinden. Verrückt? Dann vertiefe man sich in die Quantenphysik. (Noch etwas zur Selbstreferenz: Richard Feynman sagte, wer glaube, die Quantentheorie verstanden zu haben, der hat sie nicht verstanden.) 

In welche Kategorie gehört angesichts dieser unfassbaren Größen Gott? Diese Frage zu beantworten, ist ein schwieriges Unterfangen. Ich will dennoch den Versuch wagen. 

Zunächst nehme ich Anleihe bei Russell und stelle Typen für die Idee Gottes auf. 

Der naive Typ sieht Gott als eine Art von „superheftig Übervater (mit Bart)“, der vieles kann (den Elfmeterball ins Tor setzen) und vieles sieht, aber nicht alles (wenn man etwa im Namen Gottes mordet). 

Der tiefgläubige Typ hält Gott für den Schöpfergeist, der alles erschaffen hat und alles beäugt, damit es nach seinem Plan ablaufe. 

Der Philosophie-Typ sagt viel Kluges über Gott, was sich aber bei näherer Betrachtung weniger als Wissen, mehr als Besserwissen herausstellen mag. Da gelangt man schon zu Ausdrücken wie „Kontingenzgottesbeweis“. 

Der Eckhart-Typ sagt nichts (Positives) über Gott, drückt sich höchstens negativ aus. 

Der Wissenschafts-Typ sieht Gott als „Fluchtpunkt-Sein“ jenseits des wissenschaftlichen Horizonts. So meint der Astrophysiker Erich Jantsch in seinem überaus lesenswerten Buch Die Selbstorganisation des Universums, Gott sei vielleicht nicht der Schöpfer, sondern der Geist des Universums. 

Der Physikalist-Typ sieht überhaupt keinen Gott, nur Physik. 

Ihm ähnelt der Gott-ist-tot-Typ, der Gott aus unterschiedlichen Motiven für tot erklärt, sei es, weil Gott den Holocaust zugelassen hat, sei es aus anderen Strängen der Theodizee

Diese Aufzählung kann nicht vollständig sein, sie will nur zum Nachdenken anregen. Ich möchte lediglich ausdrücken, dass wir es mit verschiedenen Gottesbegriffen zu tun haben, die zwar auf einen „Gott“ zeigen, von denen sich jedoch am ehesten der Eckhart-Typ von anthropomorphen, menschenähnlichen Bildern distanziert. Selbst Religionen mit Bilderverbot machen sich im übertragenen Sinn „Bilder“ von Gott, nicht selten in bedrohlicher Nähe zur naiven Kategorie. 

Die Gotteskategorien sind also menschengemachte Bilder oder Vorstellungen (meinetwegen Modelle) von Gott; sie ähneln dem Finger, der auf ein Foto des Mondes zeigt, nicht einmal auf den Mond selbst. 

Kurz möchte ich noch auf das Theodizeeproblem zu sprechen kommen, das im Kern aus Fragen der Art besteht: Wieso greift Gott angesichts des vielen Übels in der Welt nicht ein und beseitigt sie? Kann er nicht oder will er nicht? Er wird wohl können, also will er nicht. Doch wie ist das bei einem liebenden Gott möglich? 

Das Theodizeeproblem zeigt deutlich, wie sehr der Mensch dazu neigt, Gott zu vermenschlichen. Wenn aber Gott für unser beschränktes Denken unfassbar ist, dann kann man ihm auch nicht mit Logik kommen. Kategorienfehler!

Bekannt ist diesbezüglich die (Pardon: blöde) Argumentation, Gott könne nicht einen Stein erschaffen, so schwer, dass selbst er – allmächtig! – ihn nicht heben könne. Da so ein Vorgang unmöglich sei, weil er Gottes Allmacht widerspreche, könne selbst Gott dieses Unmögliche nicht möglich machen. Merken wir, wie das Denken vibriert? Was kann Gott oder kann nicht? Wer ist der Mensch, der sich ein Urteil darüber anmaßt? Mittels Logik? Der menschlichen Logik muss selbst Gott gehorchen? Wie sich in der Singularität alles aufhört, was sonst im Universum gilt, so gilt für Gott nichts, was in der menschlichen Welt Geltung hat oder Wirkung zeigt. 

Wir sind zu klein, zu gering, unser Denken zu kümmerlich, um etwas so alles Übersteigendem auch nur von Weitem zu begegnen (die Wortwahl fällt mir schwer). Da wir aber Menschen sind, ist unser Bedürfnis nach einer Orientierung in diesem unfassbaren Kosmos und in diesem nur allzu oft ungerechten Leben durchaus verständlich. Wir sind verloren ohne die Gottheit – so macht sich doch jeder sein eigenes Bild von Gott, selbst dann, wenn er behauptet, Gott sei tot. 

Seit Anbeginn der Menschheit sehnen wir uns nach einer höheren Macht, die uns behütet, vielleicht auch bestraft, wenn wir „gesündigt“ haben, allenfalls nach einer überlegenen Wesenheit, einem Übervater, besser, einer Übermutter. Denn Gott gleicht eher der Mutter, die uns Kinder geboren (geschaffen) hat, uns beschützt und gegebenenfalls auch straft, an die wir uns jedoch immer wenden können, wenn wir verletzt sind, uns etwas wünschen oder die Dunkelheit fürchten. 

„Wenn es Gott nicht gäbe, so müsste man ihn erfinden.“ Diesen Spruch Voltaires kann man auch so verstehen, dass jeder einen Gott braucht und auch findet. Manchmal heißt dieser Gott „Geld“, manchmal „Macht“, manchmal „Wissenschaft“, manchmal fühlt sich einer selbst gottgleich, was gar nicht so selten vorkommt. 

Die meisten Menschen sind aber einfach nur verwirrt angesichts der ungeheuren Komplexität der Welt, die sie nicht verstehen, nicht verstehen können. Simple Geister tun sich da noch leichter als jene, die um das Verstehen ringen. 

Es ist nichts Verkehrtes daran, zu Gott zu beten, wenn man das Bedürfnis dazu verspürt. Vielleicht sollte man sich aber darüber klar werden, in welche Kategorie man sein Gottesbild steckt. Und vielleicht sollte man ihn nicht zu sehr vermenschlichen. Die ungeheure Größe der Schöpfung lässt viele sprachlos werden, vor allem viele Wissenschaftler. „Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“, sagte Wittgenstein. Aber man kann sein Staunen, sein Erschauern auch anders ausdrücken. Durch Kunst, durch Tanz, durch eine Verbeugung, einen Kniefall. Und man kann Gott, so unendlich weit weg er auch sein mag, in all seinen Schöpfungen widerspiegelt sehen, im Tautropfen, im Gesicht eines Kindes, in einer Galaxie. 

Das mag ein Kategorienfehler sein – aber ein lässlicher.

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