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Mit so einem Flugzeug ist der DDR-Pilot in den Westen geflüchtet 

 

Die Unschuldsvermutung ist tot

Von Peter Haisenko 

Das wichtigste Element einer freiheitlichen Gesellschaft ist die Unschuldsvermutung. Ohne diese ist ein Staat geradezu gezwungen, seine Bürger bis ins Detail zu regulieren und zu überwachen, ja seine eigenen Bürger wie potentielle Feinde zu behandeln. Das kann nur zu Totalitarismus und Diktatur führen. Wo stehen wir da in der BRD?

Der Anfang vom Ende der Unschuldsvermutung begann in den frühen 1970er Jahren. Weltweit. Nach diversen Flugzeugentführungen wurden alle Passagiere wie Schwerverbrecher behandelt. Bevor man ein Flugzeug besteigen durfte, musste man sich einer peinlichen Leibesvisitation unterwerfen, obwohl jeder „Insider“ wusste, dass das eben nicht zuverlässig verhindern konnte, dass Waffen an Bord gebracht werden. Das hat sich bis heute nicht geändert, aber die Menschen haben sich daran gewöhnt und ertragen es stoisch. Sie tragen auch die erheblichen Kosten dafür, die an Personal und Organisation entstehen. Der Punkt dabei ist, dass niemand ernsthaft sagen kann, ob und wieviele Entführungen dadurch tatsächlich verhindert worden sind.

Der entscheidende Unterschied zwischen dem „freien Westen“ und den real existierenden kommunistischen/sozialistischen Staaten war, dass es in letzteren die Unschuldsvermutung nicht gab. Mit allen Folgen, die dadurch zwangsläufig entstehen. Inklusive des Kosten- und Personalaufwands. In diesem Sinn nannte man diese Staaten Diktaturen. Zu Recht. Aber warum ist die Unschuldsvermutung so wichtig? Auch im täglichen Umgang miteinander? Da hilft ein Blick zurück in den ehemaligen „Ostblock“ oder in die Hitler-Zeit. Da galt die Regel, man muss jedem mißtrauen, selbst Freunden und Verwandten. Jeder konnte ein Denunziant sein, der einen heimlich anschwärzt. In diesem Sinn gab es sogar im Privatbereich keine Unschuldsvermutung. Die Folge war, dass man seine Zunge immer im Zaum halten musste, anstatt frei das zu äußern, was man wirklich denkt. Das macht etwas mit der Psyche der Menschen und das hat Langzeitwirkung.

Die Angst bleibt

Am 31.07.1979 ist ein Agrarpilot der DDR mit einen Agrarflugzeug, Frau und zwei Kindern, in die BRD geflüchtet. Diesen Pilot hatte ich etwas später fünf Tage lang als Auszubildenden zum Copilot der Condor dabei. Nach Dienstschluss zogen wir zwei „um die Häuser“ und tranken gemeinsam das eine und andere Bier. Er war ein netter Kerl, aber es war schwierig, einen normalen Gedankenaustausch mit ihm zu führen. Er hatte die Vorsicht im Umgang mit anderen Menschen derart verinnerlicht, dass er nicht in der Lage war, mit mir frei zu sprechen. Und das, obwohl er jetzt im „freien Westen“ war. Übrigens konnte er nicht zur Lufthansa kommen, weil die LH auch in den Ostblock flog, die Condor aber nicht. Überhaupt „Republikflucht“: Die DDR ließ die Unschuldsvermutung nicht gelten für den Fall einer Reise ins Ausland. Nämlich dass die DDR-Bürger zurückkehren würden und so durfte man eben gar nicht ins westliche Ausland reisen.

An diesem Beispiel zeige ich auf, wie sehr die Absenz der Unschuldsvermutung selbst im privaten Bereich die Psyche der Menschen verstümmelt. Davon waren wir im Westen verschont. Aber stimmt das auch? Da gibt es im Rechtssystem der BRD den § 130, Volksverhetzung. Von Anfang an. Dieser § verbietet sogar, auch nur nach Beweisen für die Anzahl ermordeter Juden zu fragen. Wer dennoch an diesem Thema forschen will, muss vorab beweisen, dass er diese Zahl nicht anzweifeln wird. So ist dieses Thema ein Tabuthema, das bis in den familiären Bereich wirkt. Man kann an diesem Beispiel sehen, dass wir „Wessis“ auch in dieser Hinsicht keinen Grund haben, die Nase allzu hoch zu tragen. Für jeden, der dieses Thema anfasst, gilt die Unschuldsvermutung nicht. Das wird gerade jetzt deutlich, denn man muss sich vorab kundig machen, ob ein paar Worte, die man sagt, nicht schon von irgendjemandem während der Hitlerzeit benutzt worden sind. Für ein einfaches „Alles für Deutschland“ kann man vor Gericht landen. Keine Angst vor einem Strafprozess muss man hingegen haben, wenn man sich vor ein Plakat stellt, auf dem steht „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“. Da kann man dann sogar noch Bundestagsvizepräsidentin werden.

Kassenbons und die Unschuldsvermutung

Doch wie weit geht die Absenz der Unschuldsvermutung im täglichen Leben? Nehmen wir den Einzelhandel als eines von vielen möglichen Beispielen. Dem wurde während der letzten Jahre die Pflicht auferlegt, Kassenbons an die Kunden auszuhändigen, bei jedem Einkauf. Klingt harmlos? Ist es aber nicht. Ginge man davon aus, dass alle Einzelhändler eine korrekte Abrechnung im Sinn der Steuergesetze machten, bräuchte es diese Kassenzettelverordnung nicht. Das wiederum heißt aber, dass der Staat annimmt, dass dort vorsätzlich betrogen wird, Steuern hinterzogen werden. Für Einzelhändler gilt die Unschuldsvermutung schon mal nicht. So, wie man alle Flugpassagiere wie Terroristen behandelt, werden Geschäftsleute pauschal wie Steuerbetrüger behandelt. Was sagt das aber über das Verhältnis zwischen Staat und Bürger?

Um zu verstehen, was die Absenz der Unschuldsvermutung anrichtet, sehen wir uns die kleinste Gemeinschaftsform an. Die Ehe oder eine eheähnliche Partnerschaft. Eine Ehe kann nur gut funktionieren, wenn beide Partner davon ausgehen, dass der andere immer nur freundlich positiv eingestellt sein kann. Das heißt, wenn man in einem Gespräch, in einer Diskussion, etwas nicht richtig verstanden haben könnte, dann muss man davon ausgehen, dass es sich nicht um etwas handeln kann, was negativ, verletzend oder bösartig gemeint gewesen sein kann. In diesem Sinn fragt man in positiver Weise nach, wie die missverständliche Passage wirklich gemeint war. Sie kann ja gar nicht böswillig gewesen sein.

Wenn jedes Wort zum Krieg führt

Wenn eine Beziehung aber so weit verkommen ist, dass jede Missverständlichkeit negativ interpretiert wird, ohne den Versuch einer Aufklärung zum Positiven, dann ist diese Beziehung am Ende. Unrettbar am Ende und sie müsste aufgelöst werden, zum Wohle aller Beteiligten. Um es anders auszudrücken: Wenn im internen Verhältnis von Partnern die Unschuldsvermutung nicht mehr die Grundlage der Beziehung ist, dann kann aus dieser Beziehung nichts Positives mehr erwachsen. Das gilt für Ehepaare aber eben auch für das Verhältnis zwischen Bürgern und der Staatsgewalt. Und sogar für das Verhältnis zwischen Staaten. Da kann der andere tun was er will, er wird nur noch negativ aufgefasst werden. Die Folge ist ein mehr oder weniger offensichtlicher Ehekrieg oder, wenn es um Staaten geht, richtiger Krieg. Oder ein zerrüttetes Verhältnis zwischen dem Staat und seinen Bürgern.

Das Leben beginnt immer mit absolutem Vertrauen. Der Säugling kann gar nicht anders, als sein Leben vertrauensvoll in den Händen seiner Mutter zu wissen. Erst im weiteren Verlauf seines Lebens muss er lernen, dass es auch Menschen gibt, denen er nicht vertrauen kann. Das heißt, dass das Zusammenleben von Menschen auf einem Urvertrauen aufgebaut ist. So ist es schlimm genug, dass es Psychopathen gibt, die dieses natürliche Urvertrauen missbrauchen und so zerstören. Dennoch sollte man zuerst immer von den guten Absichten seiner Mitmenschen ausgehen, bis man eines anderen belehrt wird. Für manche führt das soweit, dass sie überhaupt niemandem mehr vertrauen. Aber was ist das dann noch für ein Leben? Am schlimmsten ist es aber, wenn Menschen gerade denjenigen nicht mehr vertrauen (können), in deren Obhut sie sich befinden. Eben der Regierung.

Diplomaten oder Militär?

Sehen wir dazu kurz nach Hollywood. Die meisten Filme, die sich mit Kontakten zu Außerirdischen befassen, zeigen die Mentalität der Produzenten. Beim Erstkontakt werden nicht Diplomaten vorgeschickt, sondern ein gewaltiger Aufmarsch von Militär. Das ist an sich schon irrsinnig, denn wenn eine außerirdische Zivilisation die Fähigkeit besitzt, unsere Erde zu besuchen, dann verfügt diese über Technologien, denen wir Menschen nichts entgegensetzen können. Natürlich sind diese Werke hypothetisch, aber sie zeigen auf, welch Geistes Kind diese Psychopathen sind. Sie gehen davon aus, dass sogar das gesamte Universum genauso machtgierig und zerstörerisch ist, wie ihr eigenes Denken. Genau das ist es, was das friedliche Zusammenleben von Staaten zerstört. Es wird immer angenommen, dass alle anderen genauso handeln, wie es diese Psychopathen selbst tun, auch wenn die anderen es nicht tun oder nicht einmal vorhaben.

Und da müssen wir jetzt leider kurz das Verhältnis zu Russland ansprechen. Der Wertewesten, die NATO, hat nach 1990 ihren Machtbereich bis an Grenzen Russlands vorgeschoben, entgegen abgegebener Versprechen. Nachdem man sich selbst derart aggressiv verhalten hat, bis zu den öffentlich gemachten Zielen, die Russische Föderation wirtschaftlich zu ruinieren und in kleinere Staaten zu zerschlagen, wie kann man da Moskau glauben, dass es nicht vorhat, andere Staaten zu erobern? In welchem Licht würde man dastehen, wenn zugegeben würde, dass man der einzige ist, der derart aggressiv denkt und vorgeht? So können diese machtgierigen Psychopathen gar nicht anders als anzunehmen, dass alle anderen genauso bösartig sind, wie sie selbst.

Die Absenz der Unschuldsvermutung führt in die Diktatur

Damit komme ich zurück zu Unschuldsvermutung und Urvertrauen. Wer selbst böse Absichten hat, kann das urdemokratische Prinzip der Unschuldsvermutung gar nicht anwenden. Aus reinem Selbstschutz muss er davon ausgehen, dass alle anderen genauso niederträchtig denken und handeln wie er selbst. Die logische Folge davon ist, dass diese bösartigen Menschen ein System der Kontrolle und Überwachung etablieren müssen. Mit jedem erfolgreichen Versuch, das zu unterlaufen, muss das Netz immer enger gespannt werden. Schließlich wird jeder als Feind gesehen, als Gefahr für die eigene Machterhaltung, für „unsere Demokratie“, der sich nicht bedingungslos unterordnen will. In der Sowjetunion unter Stalin führte das zu massenhaften Inhaftierungen und diese wurden in Arbeits- oder besser Todeslager zur Arbeit gezwungen, eben bis zum Tod. „Normale“ Kriminelle wurden besser behandelt, denn diese gehören irgendwie zu jedem System.

Die Unschuldsvermutung ist die unabdingbare Voraussetzung für Freiheit und Demokratie. Der Abbau derselben geht immer schleichend voran. Hier eine kleine Einschränkung mehr, dort wieder eine Vorschrift mehr dies und das zu melden oder zu unterlassen. Ganz heimtückisch ist es aber, eine Vorschrift zu publizieren, die aber nicht strafbewehrt ist. Da hat man dann einen Indikator, wie weit die Bevölkerung schon „erzogen“ ist, einfach alles zu akzeptieren, selbst wenn sie es nicht müssten. So oder so, die schleichende, ja beinahe unmerkbare stückweise Abschaffung der Unschuldsvermutung kann nur in die Diktatur führen. In Zustände, für die kommunistische Staaten dereinst verabscheut und bekämpft worden sind. Mit der schleichenden Aushöhlung des Prinzips der Unschuldsvermutung nähert sich „unsere Demokratie“ immer mehr den Zuständen in Stalins Reich an. Wenn die Unschuldsvermutung tot ist, stirbt auch die Freiheit und die Demokratie. Letztlich wird aber jeder solche Staat an sich selbst scheitern. Auch das hat die Geschichte gezeigt. 

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