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Glück: das Parfüm der Seele
Ein kleiner philosophischer Exkurs
Von Hans-Jörg Müllenmeister
Bevor wir uns dem Glück, dem launischen Fürsten des Zufalls, philosophisch widmen, wollen wir das Glück im menschlichen Sinne als ein poetisches Geschenk an die Seele darstellen – eine lyrische Vision, statt einer prosaischen Definition.
Seit der Affe begann, auf zwei Beinen zu wandeln und menschliche Züge annahm, kämpfte der Mensch mit einem inneren Zwiespalt. Es gibt flüchtige Momente, erfüllt von einer zarten Sehnsucht. Wie ein Schatten schleicht das Glück auf leisen Sohlen durch die Menschenmenge, berührt hier und da eine mitschwingende Seele und entwischt dann, kaum greifbar. Glück ist ein chamäleonartiges Fluidum, in unzähligen Formen gegenwärtig, begrüßt es uns kurz wie ein wohlwollender Monarch, um dann am Horizont der Seele zu verblassen und im Glück des Anderen wieder aufzuleben, um uns mit süßen Gaben der Zuneigung zu überschütten. Doch stellt sich die Frage: Ist Glück dauerhaft, gestaltbar, vermehrbar – existiert ein unverfälschtes Glück?
Gelegentlich liegt unser Glück direkt in unseren Händen, ähnlich einem Bildhauer oder Schmied, der aus rohem Material eine Form erschafft. Die Fähigkeit, unser Glück zu gestalten, ist uns innewohnend, muss jedoch erlernt und geübt werden. Glück verweilt nur dort, wo es mit offenen Armen empfangen wird. Ein ständiger Gast namens ‚Glück‘ existiert nicht; das wäre zu himmlisch und langweilig. Doch dürfen wir nicht die groteske Chimäre des Glücks, das ‚Unglück‘, vergessen; denn auch das Unglück ist nicht von Dauer – und das ist ein „Glück!”
Das Glück, philosophisch betrachtet
Seit der Antike begreift man das Glück im philosophischen Sinne als vielschichtig. Es geht dabei nicht nur um das Erleben von Freude oder Zufriedenheit, sondern auch um das Erreichen eines guten, sinnvollen Lebens. Die philosophische Lehre des Aristoteles dazu, nennt man Eudaimonie, und eine, die nach rein sinnlicher Lust und Vergnügen strebt, Hedonismus.
Eudaimonie. Diese Form des Glücks steht für eine tiefe innere Zufriedenheit, die durch ein ethisches, tugendhaftes Leben erreicht wird. Aristoteles sah das Glück als das höchste Ziel menschlichen Lebens an. Es entstünde, wenn sich die eigene Tugend innerhalb der Gemeinschaft entfaltet.
Hedonismus. Diese Form des Glücks bezieht sich auf sinnlichen Genuss und kurzfristige Freuden. Es geht darum, Lust zu optimieren und Schmerz zu vermeiden.
Heutzutage versteht man unter Glück nicht nur das Erleben positiver Emotionen, sondern auch das Ergebnis eines wohlüberlegten Lebensstils und dem Verwirklichen des eigenen Potenzials. Demnach gilt es, sinnvolle Ziele zu verfolgen, wie die Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und Zugehörigkeit.
Der Zustand Glück beschreibt intensive und dauerhafte Zufriedenheit. Dieser unterscheidet sich vom Vergnügen, das immer nur kurz andauert. Während wir Momente des Vergnügens kennen, so erreichen doch nicht alle diesen inneren Frieden, der das Glück auszeichnet. Dies gilt umso mehr, als es häufig von einem glücklichen Schicksal, vom Zufall, abhängt, ob man diesen Zustand erreicht, und nicht allein vom eigenen Zutun und Verdienst. Mehr als Ideal denn als Realität betrachtet, ist das Glück (eudaimonia) für die Stoiker der Geisteszustand eines Weisen, der, nachdem er sich alle wichtigen Tugenden angeeignet hat, stets das Gute betrachtet und praktiziert. Glücklichsein beschreibt dann sowohl einen psychischen Zustand als auch eine moralische Pflicht.
Die Denker des 17. Jahrhunderts, wie Descartes oder Spinoza, nennen die Freude jene Leidenschaft, die die Seele stärkt. Mit dem Aufkommen der Demokratie legitimiert „das Streben nach Glück“, wie es in der amerikanischen Verfassung verankert ist, die Forderung nach einem gewissen materiellen Wohlstand, den die Konsumgesellschaft erfüllen soll. Während sich Vergnügen auch unter Einsatz künstlicher Mittel finden lässt, wendet sich die Suche nach dem Glück eher der Natur zu: Der Echtheit des einfachen Lebens, welches das „Gefühl des Daseins“ erfahrbar macht (das Zitat „Zurück zur Natur“ wird Rousseau unterstellt).
Die Phalanx der philosophischen Glücksritter
Die Glücksphilosophie beschäftigt sich seit der Antike mit der Natur und den Wegen zur Glückseligkeit. Hier sind einige der wichtigsten Glückstheorien:
Platon, ein Schüler des Sokrates, sah im Glück darin die Bedeutung des Gleichgewichts zwischen Vernunft, Willen und Begehren. Er meinte, ein Mensch sei nur glücklich, wenn alle diese Seelen-Komponenten im Einklang sind.
Epikur betonte Ausgeglichenheit und Mäßigung. Und für den heutigen Zeitgeist ganz selbstlos und irre: Man sollte nicht arbeiten, um Besitztümer zu erwerben, sondern aus Liebe zur Arbeit.
Immanuel Kant vertrat die Ansicht, dass das Glück eine der höchsten Pflichten des Menschen ist. Gleichzeitig sollten wir uns durch unser Handeln würdig machen, es zu verdienen.
Friedrich Nietzsche verglich die Konzepte „Glückseligkeit“ und „Glück“. Glückseligkeit bedeutet Wohlbefinden, da die Umstände günstig sind, Glück ist jedoch ein flüchtiger Zustand.
Der französische Naturwissenschaftler Blaise Pascal und das Glücksspiel
In der Mathematik hat Pascal vor allem Beiträge zur Wahrscheinlichkeitstheorie geleistet, die sich mit dem Zufall und damit indirekt auch mit Aspekten des Glücks beschäftigen. Das Konzept des Glücks liegt in der berühmten Pascalschen Wette. Diese Wette verwendet eine Art Kosten-Nutzen-Analyse des Glaubens und Nichtglaubens und betrachtet die möglichen Ergebnisse nach dem Tod. Wenn man an Gott glaubt und er existiert, erreicht man unendliches Glück (den Himmel). Existiert Gott aber nicht, erleidet man nur ein endliches Unglück (oder keinen Verlust).
Echtes Glück ist dagegen eher ein Zustand vollkommener Zufriedenheit, ein ausgeprägtes Wohlbefinden und Hochgefühl auf ganzer Ebene. Vor allem ist Glück eins: absolut subjektiv. Ob Hufeisen, Sternschnuppen oder Kleeblatt: das Glück folgt keinem Glückssymbol, keinem Wunschdenken. Der einzig reale Effekt von Glücksbringern ist der Placebo-Effekt, eine Art Selbsterfüllung.
Glückskinder dieser Welt
Auch 2023 steht Finnland wieder an der Spitze der glücklichsten Länder, gefolgt von Dänemark, Island, Israel und den Niederlanden. Deutschland rutschte auf Platz 16. Laut einer Umfrage ist auch jeder Zweite von uns in Deutschland glücklich; das war wohl eher vor der Corona-Pandemie. Kurios: Im Staat Buthan wurde sogar „Glück“ zum Staatsziel ernannt. Der König sagte dazu einmal sehr weise: „Das Brutto-National-Glück ist wichtiger als das Brutto-Inlandprodukt.“
Genau: Das Glück wird anderswo sogar als Parameter für die Lebensqualität eines Landes herangezogen. Vor zehn Jahren maß man diese noch am Bruttoinlandsprodukt, heute geht es ums „Brutto-Glücksprodukt“.
Man sieht, dass die glücklichsten Länder der Welt gut funktionierende Demokratien mit hohem Einkommen sind – insbesondere solche mit einem hohen Maß an sozialer Gleichheit, Vertrauen und guter Regierungsführung. Glücksforscher sind sich auch einig: Herzliche Beziehungen sind die größte Glücksquelle.
Das liebe Geld ist nicht des Pudels Kern
Völlig überschätzt in unserer Gesellschaft ist das liebe Geld als Zufriedenheitsfaktor. Eine Studie kommt zu dem Schluss, dass ein hohes Einkommen zwar Lebenszufriedenheit erzeugt, sich damit aber kein Glück erkaufen und fixieren lässt. Ab einem Jahreseinkommen von etwa 70.000 Euro werde man eh nicht glücklicher, heißt es. Hohes subjektives Wohlbefinden führt zu einer besseren Gesundheit, einer höheren Lebenserwartung, besseren sozialen Beziehungen und zu mehr Produktivität in der Arbeit – ein erstrebenswerter Gesamtzustand, der wiederum glücklich macht.
Worin besteht das Glück einer Nation?
Experten zufolge stellt die finnische Politik das Bürgerwohl voran, was eine Kultur des Glücks begründet. Ich rate unserer Regierung: Widmet euch ernsthafter Arbeit, nehmt euch ein Beispiel an Finnland, befreit euch von ideologischen Gespinsten. Erweckt in unserer Nation vergessene Tugenden durch Hingabe, Arbeit und Optimismus zu neuem Leben, um das gemeinsame Wohlergehen und Glück zu fördern. Fleiß, Arbeitswillen, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Durchhaltevermögen und Demut sind beispielhafte Tugenden, die wir anstreben sollten, um das Wohlergehen und das Glück unserer Gesellschaft zu fördern. Diese Werte bilden das Fundament für eine starke Gemeinschaft und ein erfülltes Leben.
Eine verbesserte Schulbildung, der Abbau von Egoismen, ein Ende der medialen Ablenkungen und gesellschaftliche Vorbilder sind wesentliche Schritte, um eine starke, aufgeklärte Gemeinschaft zu fördern. Diese Maßnahmen können dazu beitragen, dass sich jeder Einzelne für das gemeinsame Wohl engagiert und somit das Glück und den Erfolg der Gesellschaft als Ganzes vorantreibt. Unsere Schulklassen sollten kein Fleckenteppich der Völkervielfalt sein, sondern ein Ort der Vorbereitung auf ein harmonisches Leben.
Die Frage nach der Ehrlichkeit einer Regierung gegenüber ihren Bürgern ist eine andere, ja heikle Angelegenheit, insbesondere wenn Volksvertreter ihre Integrität auf dem Altar der Ehrlichkeit opfern. Es soll vorkommen, dass gewisse hochbezahlte Leute die Kernthesen zu einem Ausstieg aus der Kernenergie manipulieren, um sie an ihre Ideologie märchenhaft geschmeidig anzupassen.
Die westlichen Gesellschaften leben noch in Sicherheit und im Überfluss. Hinter dem Streben nach Glück steckt eher eine Sinnsuche. Heute verbreiten sich Ersatz-Religionen als Sinnstifter; es boomen deshalb Coaches, Kurse und Ratgeber, die den Weg zum individuellen Glück verheißen. Im Verein mit all den grellen, werbungsdurchseuchten Medien, entsteht ein völlig verzerrtes, ja fast schon toxisches Bild von Glück. Indes erreicht man eine glückliche Gesellschaft nur, wenn Menschen sich gegenseitig – und nicht nur sich selbst – glücklich machen.
Glücksfaktoren
Manche sprechen von unverdientem, ja unverschämtem Glück. Da gibt es einen spannenden Widerspruch! Einerseits sind viele davon überzeugt, Glück sei purer Zufall. Zugleich denken andere, man könne es sich verdienen!
Echte Glücksfaktoren sind: Rundum gesund, eine glückliche Beziehung, persönliche Freiheit und ein erfüllter Beruf. „Keinesfalls wohnt das Glück nicht im Besitze und nicht im Golde, das Glücksgefühl ist in der Seele zu Hause (Demokrit)“. Und selten kommt das Glück allein: Im Gepäck hat es Gesundheit, Zufriedenheit, stabile Beziehungen und Erfolg.
Positive Erinnerungen machen glücklich
Denken Sie daran: Das Gedächtnis speichert positive Erlebnisse, die uns prägen. Was mit starken, positiven Emotionen verbunden ist, übernimmt gern unser Langzeitgedächtnis. Diese Erinnerung daran löst wiederum die damit verbundenen Emotionen aus. Und wer Neugier, Dankbarkeit, Optimismus, Humor und Enthusiasmus trainiert hat, spürt einen Anstieg seiner Lebenszufriedenheit.
Glücksmetaphern
Warum sind Glückspilze schlechte Läufer? Nun, weil sie immer stehen bleiben, um das Glück zu pflücken.
Glück ist wie ein Schmetterling. Je mehr du ihm nachjagst, desto mehr entwischt er dir. Doch wenn du dich ruhig verhältst, kommt er vielleicht und setzt sich auf deine Schulter.
Jeder von uns kann dazu beitragen, dass sich die Menschen in unserem Umkreis wohl fühlen. So werden wir selbst zu Machern des Glücks.
Schließlich gibt es im menschlichen Bereich eine Variable, die der Mathematik ein Schnippchen schlägt. Wie sagte schon Albert Schweitzer:
„Das Glück ist das einzige, was sich verdoppelt, wenn man es teilt“, also ( G : 2 = 2G ). Welch ein Faszinosum ist die Denksportaufgabe des erfüllten Lebens.