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Rebellion durch Bücher

Liebe Leser, - ja, ich verwende das generische Maskulinum – dieser Text wurde mir vor einigen Wochen anonym per Brief zugestellt und ich empfinde ihn als amüsant und nicht gänzlich „aus der Welt“. So will ich Sie daran teilhaben lassen. Ich wünsche Lesevergnügen. Peter Haisenko 

Von einem Waldgänger 

In einem fernen Land, lange vor unserer Zeit gab es einen Brauch. Die Menschen schenkten Bücher, aber nicht nur ihren Liebsten zu Geburts- und Feiertagen, nein, sondern auch den Repräsentanten und Würdenträgern.

Der Präsident, der Kanzler, die Minister, der Truchsäss, der Kämmerer, Staatssekretäre, die Hüter der Verfassung und der ewigen Flamme, Richter und Staatsanwälte, die Professoren der Universitäten, die Funktionäre der Parteien, der Verbände, der Gewerkschaften, der Zünfte, der Gilden, der Kammern und der Vereine, die Herausgeber und Redakteure der Zeitungen, die Mitglieder der Räte und Kommissionen, die Generäle, Admiräle und der Feldmarschall und viele andere, sie alle bekamen von den einfachen Menschen immer mal wieder den einen oder anderen Klassiker geschenkt.

Aber warum? Warum schenkten Otto Normalverbraucher, Max Mustermann oder andere Helden der Arbeit ,,der Elite" - wie sie spöttisch genannt wurde - Bücher? Warum bekamen zum Beispiel die Abgeordneten jedes Mal, wenn sie sich mit Sturm und Drang die Diäten kräftig erhöhten, tausende Exemplare von Schillers ,,Die Räuber'' geschenkt?

Nun, dazu muss man wissen, dass die Menschen in jenem fernen Lande leidenschaftlich gerne diskutierten und die Meinungsfreiheit war das höchste Gut. Denn die Bürger jenes Landes wussten, Menschenwürde ohne Meinungsfreiheit ist nicht möglich. Wer sich nicht traut, seine Meinung frei zu äußern, wird zum Leibeigenen.

Nun konnte natürlich nicht jeder ,,hoher Würdenträger“ mit jedem potentiellen Debattanten die argumentative Klinge kreuzen und deshalb gab es den Brauch, jenen ,,Unerreichbaren" Bücher zu schenken. Und wer ein Buch geschenkt bekam, war dankbar und las.

Jenes ferne Land hatte natürlich auch ein Staatsoberhaupt, ,,den Salbungsvollen", vom Volk auch liebevoll ,,Tattergreis, Schuldkultpate, Märchenonkel oder Mumie" genannt. Der Märchenonkel hatte der Aufgaben nicht viele. An Festtagen hielt er feierliche Reden in ermahnendem Tone mit schicksalsschwerer Stimme. Er zitierte dann die großen Dichter und Denker und erinnerte daran, wie wichtig die Meinungsfreiheit und die Grundrechte seien. Er betonte dann gerne, dass es Meinungen gäbe, die er nicht teile und sogar solche, die er doof und falsch fände, aber dass er dafür kämpfen und sogar sterben würde, damit auch diese Meinungen immer und überall geäußert werden dürften. Ja, so einer war er, der Märchenonkel.

War seine Rede jedoch nicht feierlich genug, rhetorisch unausgereift, am Thema vorbei oder vergaß er sogar, Meinungsfreiheit, Menschenwürde und -rechte ausreichend zu würdigen, so bekam er von den Bürgern Bücher geschenkt, zum Beispiel ein Werk Karl Poppers oder eines von Marcus Aurelius oder von Hans Christian Andersen, egal, irgend ein Buch also, mit dem der Märchenonkel seinen Horizont in Bezug auf Moral und Ethik erneuern, seinen rhetorischen Fähigkeiten den Feinschliff geben konnte. Und er war dann dankbar und las.

Bekam der Märchenonkel viele Bücher geschenkt - also mehr als gewöhnlich - so wusste er, er müsse an sich arbeiten. Und in dem altehrwürdigen Schloss mit schöner Aussicht, in dem er residierte, wurde dann wieder einer der vielen unnützen Räume in eine Bibliothek umgewandelt mit Regalen aus Ebenholz, in denen all die vielen Schriften Platz fanden. Der Tattergreis las dann sehr viele Bücher, denn schließlich wollte er ein guter Märchenonkel sein, auf den die Bürger stolz sein konnten.

Die Menschen jenes fernen Landes liebten die Politik, weil in der Politik der Dissens so schön ausgelebt werden konnte. Deswegen gab es natürlich auch Parteien, sehr viele Parteien. Es gab die Obstesserbesserwisserpartei, die Partei-der-pickeligen, neunmalklugen Zwangsvollstrecker, die Bierbauch-Beführworter, die Gruppenzwangfetischisten, die Trittbrettfahrer, die Ewiggestrigen, die Alles-Abnickenden, die Leugnenden-Schwurbler, die Mein-Körper-gehört-mir-Partei, die Freie-Fahrt-für-freie-Nörgler-Partei und natürlich die Waldgänger und noch einige mehr. Und wenn die Mitglieder der Parteien so debattierten und frisch, fromm, fröhlich, frei so richtig Fahrt aufnahmen, so kristallisierte sich heraus, wer überzeugende Argumente in rhetorisch beeindruckender Weise vorzubringen vermochte und die Menschen nickten dann anerkennend und hoben die Daumen und kauften die Bücher ihrer Helden, um sie zu verschenken. (Natürlich nicht ohne sie vorher gelesen zu haben.)

Sie liebten es, den politischen Debatten zu folgen und wann immer möglich teilzunehmen. Allerdings gab es leider in jenem fernen Lande lange vor unserer Zeit beschränkte Zeitgenossen, die andere Meinungen nicht zu ertragen vermochten, die nicht verstanden, dass es bei Meinungsfreiheit immer um genau jene Meinung geht, die man selber eben nicht teilt und die deshalb forderten, allen Menschen mit anderer Meinung das Reden zu verbieten, da ohne jedweden Zweifel, ganz bestimmt nur ihre eigene Auffassung die einzig richtige sein könne. Diese ,,Intellektuellen" und,,Experten" - wie auch sie etwas spöttisch genannt wurden - bekamen dann natürlich sehr, sehr, sehr viel zum Lesen geschenkt. Und je mehr Bücher kamen um so mehr erkannten sie, sich zur nächsten Debatte einfach argumentativ und rhetorisch besser vorbereiten zu müssen, anstatt anderen Meinungen die Bühne nehmen zu wollen. Und so waren sie dankbar und lasen.

ln solchen Fällen erinnerte natürlich auch sofort der Märchenonkel daran, dass alle Meinungen zu hören seien und dass jede Entscheidung nur genau so gut sein könne, wie die Auseinandersetzung, die ihr vorausgegangen wäre. Sollte der Märchenonkel dies jedoch unterlassen, so bekam auch er wieder viele Bücher geschenkt.

Ganz besonders stolz waren die Menschen jenes Landes auf ihre Verfassung und ihre Gesetze, ihre Regeln und ihre Werte und Normen und auf ihre Sitten und Bräuche und auch auf ihre Küche und ihre Gärten. Die Richter und Advokaten dieses Volkes waren sehr kluge Leute, ganz unglaublich kluge Leute, die sogar die kompliziertesten Gesetzestexte auswendig wussten, während die meisten Bürger nur die Straßenverkehrsordnung, einige der Zehn-Gebote, den Anfang des Vaterunser und ein paar Grundrechte kannten, wie zum Beispiel, dass niemand eine bittere Arznei nehmen müsse, der dies nicht wolle, oder dass man niemanden in sein Zuhause lassen müsse, den man nicht mochte, auch nicht den Herrn Pastor und sogar der Gendarm musste draußen bleiben, wenn man dies so wollte.

Wie gesagt, die Richter waren wirklich beeindruckend klug und doch kam es vor, dass Urteile gefällt wurden, die vielen Menschen nicht einleuchteten oder sogar ungerecht erschienen, weil man meinte, die Richter hätten gemäß ihrer Parteibücher oder ihrer persönlichen Neigungen geurteilt oder vielleicht sogar die Grund- und Menschenrechte bei all ihrer Gelehrtheit aus den Augen verloren. Dann bekamen die Gerichte Bücher geschenkt. Und wenn es viele Bücher waren, so wussten die Richter, dass sie sich zukünftig mehr Mühe bei der Urteilsbegründung geben müssten und wenn es noch mehr Bücher waren, war es vielleicht an der Zeit, den Sinn und den Geist der Grundrechte erneut zu verinnerlichen. Und wenn es noch viel, viel mehr Bücher waren, so wechselten sie den Beruf und wurden vielleicht Koch oder Gärtner oder Schiffbauschlosser. Denn auch Koch und Gärtner und Schiffbauschlosser waren sehr angesehene Berufe in jenem fernen Lande lange vor unserer Zeil. Und natürlich lasen sie dann sehr viel.

Je länger ich über jenes ferne Land nachdenke, desto höher steigt es in meinem Ansehen und ich frage mich, sollte ich Herrn Steinmeier, Herrn Harbarth, Frau Buyx, Herrn di Lorenzo, Herrn Lesch, Uli Höneß, Frau Strack-Zimmermann, Herrn Montgomery und vielen anderen nicht Bücher schenken? Wäre dies nicht eine sehr angenehme, elegante Form des Respekterweisens wie auch des Kritikübens? Denn beleidigt wird schon mehr als genug, Hass und Hetze mag niemand.

Für Herrn Steinmeier etwas von Voltaire? Und für Harbarth Kafkas Der Prozeß? Ja vielleicht. Oder doch besser Die Schachnovelle von Stefan Zweig. Ob Steinmeier und Harbarth wissen, mit welchen Vorwürfen Stefan Zweig konfrontiert war, als die Gestapo sein Haus durchsuchte?
(Nein, falsche Maskenatteste waren es nicht. Das fing erst zwei totalitäre Regime später an.)

Für die Herren di Lorenzo, Höneß und Lesch ließe sich bestimmt etwas finden an anspruchsvoller Literatur, vielleicht mit bunten Bildern.

Welches Werk könnte man Frau Strack-Zimmermann schenken? Etwas von Carl von Clausewitz? Nein, ich denke, Clausewitz' gesammelte Werke hat sie bereits. Dann doch lieber eine Komödie Molieres, um ihr ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

Was aber schenkt man völlig vernagelten Kriegern des Lichtes wie Herrn Montgomery oder Frau Buyx, die als überzeugte Hüter der Wahrheit den Nürnberger-Kodex in seinem Sinn nicht verstanden haben oder ihn vielleicht sogar ablehnen? Da wird es schwierig. Vielleicht Äsops Fabeln. Dafür könnte es noch reichen.

Und welches Buch wäre das richtige für eine Berufsdauerempörte wie Frau Chebli (lch empöre mich also bin ich!?)

Oder für einen Oberstudiendirektor, der einer Schutzbefohlenen die Schlümpfe auf den Hals hetzt, weil sie eine andere Meinung hat als er?

Oder für Tessa Ganserer? Werden sie Hölderlin oder Novalis mögen? Krimis? Liebesromane?

Wie wäre es mit einer Sammlung wegweisender Zitate und Aphorismen des weltweit im höchsten Maße angesehenen deutschen Arztes, Karl Lauterbach? Oder doch lieber ein Abo für den Palliativ-Journalismus der Frankfurter Rundschau, also sozusagen die geballte, offene, ungeschminkte und nackte Wahrheit?

Würden diese ,,Säulen unserer Gesellschaft" ,,Schillers Wilhelm Tell" mit Begeisterung lesen oder doch eher verbieten oder sogar verbrennen wollen?

Fragen über Fragen!

Naja, man wird sehen.
Am besten, ich fange einfach mal an.

Übrigens, Ich persönlich freue mich immer sehr über jedes geschenkte Buch. Es ist auch nicht wirklich wichtig zu wissen, wer da an mich gedacht hat. Besonders schön finde ich es, die Bücher nach dem Lesen weiter zu verschenken.

Ja, wie geil ist das denn, oder?

Grüße, ein Waldgänger