Kapitalismus oder Sozialismus? Falsche Frage!
Von Peter Haisenko 18.08.2010
Mit dem ersten Weltkrieg ist die Suche nach der besten Gesellschaftsform in eine ideologische Sackgasse gelenkt worden. Die Diskussion beschränkte sich von da an auf einen unseligen Dualismus. Kapitalismus oder Sozialismus. Diese Frage hat das gesamte 20. Jahrhundert beherrscht und über die erbitterten ideologischen Kämpfe mussten Millionen Menschen ihr Leben lassen. Mit dem Eifer religiöser Alleinvertretungsansprüche stehen sich die Gegner unversöhnlich gegenüber. Bis heute.
Die Geschichte hat gezeigt, dass weder das eine System noch das andere in der Lage ist, wirklich geeignete Gesellschaftsformen für die Menschheit zu entwickeln. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn beide Systeme leiden unter identischen Grundproblemen: Sie stellen Menschen gegeneinander anstatt ein Miteinander und Füreinander zu fördern. Schon Karl Marx fordert in seinen Schriften einen Kampf von Menschen gegen Menschen. Das setzt sich fort durch alle sozialistischen Lehren, welche Namen sie auch immer zugeordnet bekommen haben. Auch im Kapitalismus steht oben an, dass eine privilegierte Gruppe ihre Pfründe gegen Angriffe verteidigt.
Der Kapitalismus bekämpft immer irgend etwas: Mal ist es der Sozialismus, mal ist es ein Schurkenstaat oder eine missliebige Religion. Während des gesamten 20. Jahrhunderts – bis heute – kämpft auf dieser Welt immer jemand gegen einen anderen. Das muss ein Ende finden, denn diese Kämpfe sind nur von sehr wenigen erwünscht. Wer eine Geschichte verstehen will, muss ihren Anfang kennen. Also müssen wir zurückblicken an den Anfang des 20. Jahrhunderts.
Um 1900 war die Diskussion über ideale Gesellschaftsformen wesentlich breiter angelegt als es heute möglich erscheint. Im Britisch Empire saßen zwar damals schon die Verfechter des reinen Kapitalismus, aber in allen anderen Teilen der Welt wurde über andere Wege nachgedacht. Besonders in Deutschland und Frankreich wurde der Humanismus entwickelt.
Der Humanismus unterscheidet sich vom Kapitalismus und dem Sozialismus dadurch, dass er Menschen nicht gegeneinander stellt. Im Gegenteil sollen nach humanistischen Prinzipien Menschen in gemeinsamer Anstrengung zu allgemeinem Wohlstand finden. Damit ist der Humanismus tatsächlich die Ideologie, die dem Kapitalismus die schärfste Konkurrenz bietet. Wer den Kapitalismus erhalten wollte, musste den Humanismus mit allen Mitteln bekämpfen.
Die Hochburg des Humanismus war im Deutschen Reich zu Hause. Hier wurden große Schritte eingeleitet auf dem Weg zu einer humanen Gesellschaft. Die Sozialgesetzgebungen und die Einführung des Rentensystems waren Meilensteine und wegweisend für weitere Entwicklungen, die die rasant fortschreitende Technik zum Wohl der Allgemeinheit nutzen sollte. Viele Länder folgten dem deutschen Beispiel. Ein Land jedoch hatte mit dieser Entwicklung größte Probleme: England.
England war um 1900 darauf angewiesen seine Kolonien maximal auszubeuten, um das Wohlleben seiner Oberschicht und das nackte Überleben seiner Arbeiterklasse weiterhin garantieren zu können. Der Humanismus lehnt eine derartige Ausbeutung aber grundsätzlich ab. Folglich musste England den Humanismus bekämpfen. Das war nicht einfach, denn auch in England fanden die menschenfreundlichen Ideen des Humanismus Anklang. Das Zentrum der guten Entwicklungen und der menschenfreundlichen Ideen, der Feind des Kapitalismus musste vernichtet werden: das Deutsche Reich.
Bereits Jahre vor dem ersten Weltkrieg hat England vor allem ein Ziel betrieben: Die Welt muss vom „deutschen Element“ gereinigt werden. Diese Formulierung findet sich dann auch so wörtlich in den Potsdamer Verträgen wieder, ist hier allerdings nur noch auf die deutschen Ostgebiete bezogen. Tatsächlich ist es aber so, dass während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Entgermanisierung der Welt von England in großem Stil betrieben worden ist. Unter anderem gab es in den 30er Jahren in weiten Teilen der USA ein Verbot, die deutsche Sprache öffentlich zu benutzen. Menschen wurden inhaftiert, weil sie deutsch gesprochen haben.
Das 21. Jahrhundert ist geprägt von einer umfassenden Dominanz angelsächsischer Werte. Diese sind vor allem kapitalistisch geprägt. Nach wie vor wird jeder Versuch soziale oder humanistische Werte in der Gesellschaft zu etablieren, sofort in die sozialistische Ecke verbannt und damit stigmatisiert. Ja, es findet sogar das Gegenteil statt: Wo es sie noch gibt, werden Sozialstandards mehr und mehr geschliffen. Das schlagende Argument ist immer wieder: Sozialismus schadet den Menschen.
Von Anfang an war es eine mediale Meisterleistung, die menschenfreundlichen Ideen des Humanismus aus den öffentlichen Diskussionen zu verbannen und statt dessen den Sozialismus zum Hauptfeind zu erklären. Einem Feind, der auf Grund seiner offensichtlichen Defizite von Anfang an kein echter Gegner sein konnte. Sozialismus und Planwirtschaft schließen echten Wettbewerb aus und das ist wiedernatürlich. Der Humanismus tut das nicht und ist deswegen eine mächtige Konkurrenz.
Allenthalben wird eine Grundrenovierung der westlichen Systeme gefordert. Sogar Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften fordern nicht weniger. Aber solange die Diskussionen auf Kapitalismus oder Sozialismus beschränkt bleiben, wird der Kapitalismus nicht zu überwinden sein. Nur wenn dem Kapitalismus die Ideen des Humanismus gegenüber gestellt werden, wird erkennbar werden, wie der Weg in eine bessere Zukunft aussehen könnte.
Legen wir also das Schreckgespenst des 20. Jahrhunderts, den Sozialismus beiseite und reanimieren wir den Humanismus! Die Frage muss heißen: Kapitalismus oder Humanismus.