Political correctness vs. Freiheit der Gedanken
Von Hubert von Brunn 31.12.2010
„Die Gedanken sind frei“, sagt man so unbekümmert daher.
Ja, ja, bin ich geneigt hinzuzufügen, so lange man sie für sich behält. Und sollte es dann und wann doch verkommen, dass man nicht mehr in Schweigen verharren und seinem Unmut über das Verhalten Anderer Luft machen will, sollte man sorgsam darauf achten, in welchem Kreise man das tut. Das falsche Wort in falsche Ohren kann fatale Folgen haben.
„Aber nicht doch“, werden Sie mir entgegenhalten, „die freie Meinungsäußerung ist eines der verfassungsmäßig verbrieften Grundrechte, auf die sich jeder Bundesbürger berufen kann.“
Ja, ja, bin ich geneigt zu erwidern, so lange die persönliche Meinung einher geht mit der auf Stromlinienform getrimmten veröffentlichten Meinung.
„Ach was“, höre ich Sie sagen und spüre, wie Sie ungeduldig werden, „so etwas wie Zensur gibt es bei uns nicht. In unserem Land herrscht Pressefreiheit, und auch dieses Recht ist im Grundgesetz verankert.“
Ja, ja, bin ich geneigt zu behaupten, in der Papierform ist das alles richtig, aber Papier ist geduldig. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Die so oft beschworene Meinungs- und Pressefreiheit ist nur eine Chimäre. Tatsächlich haben wir es mit einem Papiertiger zu tun, der auf dem einen Auge blind ist und seine Krallen nur dann ausfährt, wenn die Attacke in Richtung Mehrheit geht.
Bestimmte gesellschaftliche Minderheiten hingegen sind sakrosankt, und die vorbehaltlos kritische Auseinandersetzung mit Problemen, die originär mit Angehörigen dieser Gruppen zu tun haben, ist tabu. (Es sei denn, man hat schon einen so prominenten Namen wie Thilo Sarrazin. Dann kann man auch ein paar provokante Thesen in die Welt setzen, für die man erst ein bisschen Prügel einsteckt und als pekuniäres Trostpflaster später ein paar Milliönchen. Aber das ist, wie gesagt, die Ausnahme, die nur gelingt, wenn der Verlag aufgrund der Bekanntheit des Autors von vorn herein den großen Reibach wittert.)
Grundsätzlich steht Minderheitenschutz in der veröffentlichten Meinung über allem. Die Mehrheit ist gefordert, Toleranz zu üben und die spezifischen Eigenheiten und Bedürfnisse einer jeglichen Minderheit zu respektieren. Diese verordnete Großmutshaltung beinhaltet natürlich auch, dass sich der bundesrepublikanische Mehrheitstrottel gefallen lassen muss, von irgendeinem Halbwüchsigen mit Migrationshintergrund als „Nazischwein“ oder „Scheiß Deutscher“ beschimpft zu werden, wenn diesem weshalb auch immer gerade danach ist. Eine vergleichbare Verhaltensweise mit umgekehrten Vorzeichen hingegen wäre nicht akzeptabel und würde bei jenen, die uns sagen, was politically correct (p.c.) ist und was nicht, tiefste Empörung hervorrufen. Eine Stigmatisierung als ausländerfeindlicher „hässlicher Deutscher“ ließe nicht lange auf sich warten.
Im Umgang mit anderen Minderheiten verhält sich das ganz genau so.
Ein falsches Wort, eine kritische Bemerkung und schon bist du schwulen-, lesben-, juden-, roma-, behinderten- oder sonstwie-feindlich. Das geht verdammt schnell. Und dann beweise einmal, dass deine Äußerung so nicht gemeint war, dass du niemand verletzen wolltest, sondern du dir einfach nur das Recht herausgenommen hast (so wie es im Grundgesetz steht), diese oder jene Verhaltensweise kritisch zu kommentieren. Jetzt musst du dich verteidigen und für deine Meinung rechtfertigen. Das ist ganz schlecht, denn wer sich rechtfertigt, ist schuldig. So einfach geht das.
Und selbst wenn eine solche verbale Auseinandersetzung vor dem Kadi endet (durchaus keine Seltenheit) und das Gericht dich von dem Vorwurf der Soundso-feindlichkeit freispricht (soll auch vorkommen) – etwas bleibt immer hängen. Erst recht, wenn dein Casus zuvor schon von den Medien verhackstückt wurde. Dieser Makel bleibt haften, da hilft keine Gegendarstellung dieser Welt.
Wer sind denn nun jene Vorbilder, die uns sagen, was politically correct ist und streng darüber wachen, dass wir uns auch p.c. benehmen? Die grüne Claudia, die guteste aller Gutmenschinnen? Der eitle Michel mit dem gegelten Haar oder der ergraute ehemalige RAF-Sympathisant aus Kreuzberg? Übermutter Ursula, die in die Jahre gekommene Amazone Alice oder der Wanderprediger aus dem Saarland?
Keine leichte Frage. Die politische und persönliche Herkunft dieser Herrschaften (und all der anderen, die diesem erlauchten Kreis angehören und aus Platzgründen nicht genannt werden können), ist denkbar unterschiedlich. Ein ideologischer gemeinsamer Nenner ist ebenso wenig auszumachen wie überragende intellektuelle Potenz. Was die Auserwählten dieser Klientel verbindet, ist, dass sie bei jeder Talkshow auftreten und gebetsmühlenartig ihre gestanzten Sätze zum Besten geben; dass ihnen die Medien zu jeder Zeit und bei jeder Gelegenheit hinreichend Raum bieten, um ihren moralischen Zeigefinger zu heben und dem verdutzten Otto Normalo wieder und wieder ins Gewissen zu reden – auf dass das seine noch ein wenig schlechter und das ihre noch ein wenig gutmenschlicher werde.
Mir geht diese systematische Ungleichbehandlung im Namen der Demokratie ordentlich gegen den Strich. Nur weil ich der arbeitenden und Steuer zahlenden Mehrheit angehöre und obendrein noch einen deutschen Pass besitze (den ich, nebenbei bemerkt, noch nie verloren habe, wie es Angehörigen libanesischer und kurdischer Großfamilien pausenlos passiert), weil mir qua functionem keine Privilegien zustehen, die ich zu meinem persönlichen Vorteil nutze, bin ich nicht gewillt, mir den Mund verbieten zu lassen. Ich bin so frei, mir meine eigenen Gedanken zu machen und diese, auch und gerade, weil sie nicht p.c. sind, anderen Menschen näher zu bringen. Zumal ich weiß, dass ich mit meiner Meinung in vielerlei Hinsicht nicht alleine dastehe – und mit dem Zuspruch meine ich keineswegs bierselige Stammtischparolen, sondern den Tenor in Gesprächen mit klugen, gebildeten und intellektuell durchaus respektablen Persönlichkeiten, deren Denken in die gleiche Richtung geht, die sich nur nicht berufen fühlen, ihre Gedanken öffentlich zu machen, bzw. aus Sorge um mögliche berufliche/geschäftliche Nachteile darauf verzichten.
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Ich bin Publizist und will ausdrücklich Stellung beziehen, weil ich denke, dass in einer Demokratie auch der verordneten political correctness zuwiderlaufende Meinungen erlaubt sein müssen. Gedruckt werden solche Beiträge in auflagestarken, dem Mainstream verpflichteten Zeitungen und Zeitschriften nicht. Das habe ich oft genug versucht und dabei viel Ablehnung erfahren. Aber mit dem Internet und kritischen Online-Magazinen wie diesem gewinnt die Gedankenfreiheit neuen Raum, und dem Meinungsestablishment wird es nicht gelingen, diese Tür zu verschließen.
In der offen, sachlich und kontrovers geführten Diskussion liegt der Humus für ein neues Denken, und neues Denken tut Not, wollen wir in der geistigen Öde nicht jämmerlich vertrocknen.