Der Vollender der ersten Weltumseglung: Juán Sebastián Del Cano
Von Florian Stumfall
Mit der Irrfahrt des Christoph Kolumbus nach Mittelamerika beginnt die große Epoche der neuzeitlichen Entdeckungen der Welt. Neuzeitlich, muss man einschränken, denn rund vor 40 000 Jahren haben die Vorfahren der Australier ihren abgelegenen Kontinent erreicht, einige tausend Jahre später überquerten altsibirische Stämme die Beringstraße und nahmen Amerika in Besitz, Melanesier besiedelten im Grau der Geschichte den ganzen pazifischen Raum und, um einen größeren zeitlichen Sprung zu tun, um 600 v. Chr. umsegelten die Phönizier im Auftrag des ägyptischen Pharao Necho den afrikanischen Kontinent.
Dies führt zu einer zweiten Einschränkung, die Entdeckungen der Welt betreffend. Denn diese sind neu aus der Sicht der Europäer, die Indianer aber haben den Kolumbus, die Australier James Cook, und die Buschleute am Kap die Phönizier nicht als Entdecker betrachtet, da sie doch jeweils selbst die ersten auf ihren Ländern gewesen sind. Die Teile der Welt wurden in der frühen Neuzeit für Europa erschlossen, seiner Gier und Wissbegier, nicht für die Menschheit.
Große Namen, die Herausragendes geleistet haben
Und dennoch - die Männer, welche sich da hervorgetan, als Seefahrer durchwegs, in lächerlich kleinen Schiffen, mit eingeschränkten nautischen Möglichkeiten, unzuverlässigen oder gar keinen Karten, ohne medizinische Versorgung auf viele Monate langen Reisen, mit unzureichender Verpflegung und oft genug mit Mannschaften, die vom Abschaum der Hafen-Spelunken und Gefängnisse durchsetzt waren – diese Männer haben Nachruhm verdient, und er ist ihnen zuteil geworden. Die Namen Bartolomeu Diás, Vasco da Gama, Kolumbus, Magellan, Amerigo Vespucci, Abel Tasman und James Cook sind in die Annalen nicht nur der Seefahrt, sondern der Menschheitsgeschichte insgesamt eingetragen.
Jeder von ihnen hat Herausragendes geleistet und einer den Ruhm als erster Umsegler der Welt erworben: Ferdinand Magellan. Doch hier stockt der Chronist bereits. Denn Magellan befehligte zwar die erste Reise, die um die ganze Erdkugel führen würde, er tat es aber nicht zu diesem Zweck und er tat es vor allem nicht zur Gänze. Als er nämlich nach unsäglichem Leid und Mühen den Globus halb umrundet hatte und zu den Molukken gekommen war, fiel er dort im Kampf mit Eingeborenen. Es war also ein anderer Mann, der das Werk vollendete und ein Schiff, die „Victoria“, eines wenigstens von fünfen, zurück nach Spanien brachte, nach einer weiteren halben Erdumrundung. Dieser Mann hieß Juán Sebastián Del Cano, und es sind wenige, sehr wenige, die noch von ihm wissen. Von ihm soll hier erzählt werden.
Eine schicksalhafte Begegnung
Es ist an dem, dass man zwar über Magellan, Admiral Seiner Majestät des Königs Carlos I., schreiben und reden kann, ohne Del Cano zu erwähnen, nicht aber umgekehrt über diesen schreiben, ohne jenen zu nennen. Das liegt daran, dass sich Del Canos Leben in nichts Bedeutendem von demjenigen anderer Seeleute seiner Zeit unterschieden hatte, bevor sich sein Weg mit dem Magellans kreuzte. Ums Jahr 1487 geboren, zählte Del Cano keine 25 Jahre, als er bei dem Admiral anheuerte. Er tat dies indes nicht ganz freiwillig. Denn er gehörte zwar nicht zu dem bewussten Abschaum der Hafenstädte, war sogar trotz seiner Jugend bereits Kapitän eines spanischen Frachtschiffes gewesen, mit dem er zwischen Spanien, der Levante und Afrika Handel trieb. Doch dabei hatte er sich einen Verstoß gegen spanisches Recht erlaubt.
Del Cano war nämlich arg verschuldet, sicher eine Folge jugendlichen Leichtsinns, im Verein mit den Versuchungen eines wilden, freien Lebens. Um aber seine Schulden tilgen zu können, übergab er sein spanisches Schiff an einen genuesischen Bankier als Pfand. Das rief die spanischen Behörden auf den Plan, und Del Cano stand mit einem Male vor der Wahl, im Schuldturm zu landen oder aber bei Magellan Handgeld zu nehmen. Er tat, was jeder Seemann getan hätte, und heuerte an, immerhin als Offizier, eingedenk seines Standes als Kapitän.
Am anderen Ende der Welt lockten die Gewürzinseln
Magellans fünf Schiffe sollten von San Lucar de Barrameda aus in See stechen, Richtung West. Anlass hierzu war allerdings keineswegs der Wunsch, ewigen Ruhm, sondern irdisches Vermögen zu erwerben. Am anderen Ende der Welt lockten nämlich die Gewürzinseln in den Gewässern der sagenumwobenen Molukken, und dort gab es Nelken, Zimt und Muskatnüsse, welche alle in Europa buchstäblich teurer waren als Gold, was längst die Begehrlichkeit nicht nur der Spanier geweckt hatte. Tatsächlich waren die Portugiesen schon zu den Gewürzinseln vorgedrungen, allerdings auf dem bereits bekannten Weg um das Kap der Guten Hoffnung und den Indischen Ozean. Dass Magellan die Route nach Westen einschlug, hatte einen triftigen Grund, und der lag nicht an Problemen der Seefahrt, sondern denen der Politik.
Zwischen Spanien und Portugal hatte sich nach des Kolumbus erster Fahrt ein Streit darüber entsponnen, wie es sich mit zu erwartenden überseeischen Ansprüchen der beiden seefahrenden und miteinander im Wettbewerb liegenden Mächte verhalten, und wie man Streit und Krieg darüber vermeiden solle. Um es kurz zu machen: Im Vertrag von Tordesillas wurde 1494 durch Vermittlung von Papst Alexander VI. für Recht erklärt, dass alles Land und Seegebiet 370 Meilen westlich der äußersten Kapverdischen Insel entlang einer Linie zwischen Nord- und Südpol Hoheitsgebiet der Katholischen Könige Ferdinand und Isabella werden, alles östlich davon portugiesischem Anspruch unterliegen solle.
Damit sie aber zu ihren westlichen Gebieten segeln könnten, wurde den Spaniern das Recht der Durchfahrt durch portugiesische Gewässer gewährt, auf kürzestem Wege. Um nicht gegen diesen Vertrag zu verstoßen, gab König Karl von Spanien, der spätere Römische Kaiser Karl V., in seiner Kapitulation, die er mit Magellan schloss, die ausdrückliche Order, keine portugiesischen Gewässer zu befahren und also von einer Umrundung der Erde abzusehen. Somit blieb für die Flotte des Magellan nur der Weg nach Westen. Das Ziel: die beiden Molukken-Inseln Tidore und Ternate.
Stefan Zweig besingt Magellan und ignoriert Del Cano
Magellans Geschwader befand sich also bereit, in See zu stechen, und niemand hat das eindringlicher beschrieben als Stefan Zweig in seinem Werk, in dem er das Leben des Magellan besingt: “Noch einmal empfängt in der kleinen Kirche von San Lucar nach geleisteter Beichte Magellan mit der gesamten Mannschaft das Abendmahl. Mit dem Morgengrauen - es ist Dienstag, der 20. September 1519, und es wird ein Datum der Weltgeschichte sein - klirren die Anker empor, die Segel flattern, die Geschütze donnern hinüber zum entschwindenden Land: die weiteste Entdeckungsfahrt, das kühnste Abenteuer in der Geschichte der Menschheit hat begonnen.“
Es kann natürlich nicht unsere Absicht sein, dem großartigen Werk des Stefan Zweig einen kurzen, dürren Abriss folgen zu lassen, es wäre allzu vermessen. Zudem hat er das Leben des Magellan – nicht dasjenige des Del Cano – beschrieben. Doch als Zeuge mag er uns dienen, wenn er auch auf Del Cano spät und nur wie nebenher zu sprechen kommt. Schon von Anfang an war die Reise gekennzeichnet von Schwierigkeiten. Vor Sierra Leone liegt die Flotte mehrere Wochen lang in einer Flaute, Magellan lässt wegen eines lässlichen Vergehens einen seiner Kapitäne festsetzen, einen Cartagena und Granden Spaniens!
Ein Abenteuer unter schwierigsten Bedingungen
Schon hier brennt die Luft zwischen dem portugiesischen Befehlshaber und seinen spanischen Kapitänen. Schließlich gelang die Überfahrt über den Atlantik, und man erreichte die Bucht, in der heute Rio de Janeiro liegt. Nachdem man wieder Segel gesetzt hatte, glaubte nach weiteren Tagen Magellan, er habe die Durchfahrt zum Pazifik gefunden, doch es war, wie sich nach allzu langem Suchen herausstellte, die Mündung des Rio de la Plata. Südlich des 49. Breitengrades befiehlt Magellan die Überwinterung – unter misslichsten Umständen. Es bricht eine Meuterei aus, getragen von den spanischen Granden. Einer von ihnen, Luis de Mendoza, kommt dabei ums Leben, die Meuterei wird niedergeschlagen.
Zweig zollt im Rückblick, bei aller Bewunderung für Magellan, den Meuterern Respekt: „Klar steht also das Recht auf Seiten der Offiziere, die Not auf Seiten Magellans. Wenn sie ihm jetzt derart dringlich auf den Leib rücken, so ist ihr Drängen nicht müßige Neugier, sondern gebotene Pflicht. Gesagt muss auch sein zu ihrer Ehre: nicht heimtückisch haben die Kapitäne Magellan überfallen. Noch einen letzten Wink geben sie ihm, um ihn wissen zu lassen, ihre Geduld sei am Ende, und wenn er wollte, könnte Magellan das Zeichen verstehen.“
Hier hätte Zweig auch die Rolle des Juán Sebastián Del Cano beschreiben können, er tat es jedoch nicht. Dieser aber hatte sich zu den Meuterern geschlagen und fand sich nach dem Scheitern vor dem Standgericht wieder. Doch Del Cano hatte, was man leichthin Glück nennt, und er wurde von der Todesstrafe verschont. Tatsächlich war es eine klare Überlegung, die Magellan zu diesem gnädigen Urteil hatte kommen lassen. Er brauchte Del Cano und dessen seemännische Erfahrung. So wurde dieser zwar begnadigt und degradiert, aber doch wieder in den Dienst übernommen.
Del Cano brachte zu Ende, was Magellan begonnen hatte
Das Unheil geht weiter. Ein Schiff zerschellt an der Küste und erst Monate später findet Magellan die Durchfahrt in den Pazifischen Ozean. Nicht dass damit alle Not gewendet wäre, ganz im Gegenteil. Der Admiral veranschlagt die Entfernung zu den Molukken auf 600 Seemeilen, doch er wird sie erst nach 20 000 Meilen erreichen. Dort angekommen, findet er nicht die beiden Gewürzinseln, sondern den Tod.
Die Lage der Seefahrer unter Spaniens Krone ist erschreckend: Von fünf Schiffen, die einst ausgefahren waren, sind noch zwei vorhanden, der Rest ging durch die See, Desertion und Meuterei verloren. Von den Offizieren ist keiner mehr am Leben, von den Besatzungen, ursprünglich 256 Mann stark, warten noch 115 Mann auf neue Befehle – doch wer soll sie ihnen geben? Dies ist die Stunde des Juán Sebastián Del Cano.
Rein nach dem Reglement betrachtet, konnte an ihm kein Weg vorbeiführen, denn er war der Dienstälteste der zusammengeschmolzenen Truppe. Doch was zählen Rang und Statut am Ende der Welt? Es sind Del Canos Führungskraft, seine Tüchtigkeit als Seemann und sein Charisma, was die Kameraden bewegt, ihn zu ihrem Kapitän zu wählen. Und als solcher gibt er Order, die Suche nach Tidore und Ternate fortzusetzen. Das Kommando über die beiden verbliebenen Schiffe wurde geteilt: Del Cano wies dem Gonzalo Gómez de Espinosa die „Trinidad“ zu, er selbst übernahm die „Victoria“.
Unvollständiger Vertrag führte zu neuen Problemen
Gegen jede Wahrscheinlichkeit erreichen nach einer Suche von weiteren hunderten Seemeilen im November 1521 Del Cano und seine Männer tatsächlich Tidore. Diesmal finden sie gutes Einvernehmen mit den Einheimischen, König Almanzor begrüßt die Spanier herzlich und beginnt mit ihnen einen umfangreichen Handel. Pfeffer, Nelken, Zimt und Muskatnüsse füllen bald die Holztonnen in den Bäuchen der beiden Schiffe – ein ungeheures Vermögen, das darauf wartet, nach Spanien gebracht zu werden.
Als aber die Waren verstaut, die Männer gekräftigt, die Vorräte aufgefüllt und die Schiffe zum Lichten der Anker bereit sind, stellt sich heraus, dass der Vertrag von Tordesillas unvollständig ist. Sicher: Er beschreibt auf die Meile genau, wie der Atlantik zwischen Spanien und Portugal geteilt werden soll, die darin liegenden Inseln und die Küsten, die ihn säumen; doch wie steht es mit dem Pazifischen Ozean? Mit der Rückseite der Erdkugel, die man in Europa nur vom Hörensagen kennt, die nicht erforscht, geschweige denn kartographiert ist? Wie verhielte es sich mit den Gewürzinseln, wenn man in Gedanken jene Linie vom Nord- zum Südpol weiterzöge, gegenüber, vom Südpol wieder nach Norden? Auf welcher Seite würden die Molukken liegen, wo Tidore und Ternate? Und was wäre zu tun, wenn die Scheidelinie mitten durch diese riesige, verwirrende Inselwelt verliefe?
Es ist offenkundig: Bevor es je möglich wäre, im Geiste des Vertrages von Tordesillas auch auf der anderen Seite der Welt den päpstlichen Schiedsspruch zur Geltung zu bringen, geschähe dort das, was der Vertrag in atlantischen Raum zu verhindern sucht – die Entscheidungen fielen nach dem Recht des Schnelleren und Stärkeren und der europäische Zwist, nur oberflächlich beigelegt, wäre um den ganzen Erdball getragen. Das Recht versagt, wenn es nicht exekutiert werden kann, Anspruch ohne Macht gilt für nichts, Titel verfallen, wenn es kein Gericht gibt, sie einzuklagen.
Nur eines von fünf Schiffen kehrte zurück
Del Cano, der Seemann, sah sich vor eine harte Entscheidung gestellt, die umso schwerer lastete, als ihre Beschaffenheit von rechtlicher, nicht nautischer Natur war. Del Cano hatte damit zu tun, aber ebenso sein Gegenüber Espinoza, der Kapitän der „Trinidad“. Und hier liegt eine Entscheidung vor, die wahrscheinlich nur von ihrem Ergebnis her zu begreifen ist. Unterlagen oder gar Aussagen von Beteiligten sind nicht überliefert. Auch Antonio Pigafetta, Magellans über den Tod hinaus getreuer Chronist, den auch Stefan Zweig immer wieder zum Zeugen ruft, sagt nichts darüber, warum Espinoza mit der „Trinidad“ Kurs nach Osten nahm, um zurück über den Pazifik, dann durch die neu entdeckte Passage in den Atlantik zu segeln, und somit getreu der königlichen Order portugiesische Gewässer zu meiden bis auf den unvermeidlichen Zugang zu Spanien.
Nichts hört man auch von Pigafetta, dem genauen, gründlichen Logbuch-Schreiber, aus welchem Grund Del Cano anders entschied und mit seinen Leuten den Kiel der „Victoria“ nach Westen wendete, um über den Indischen Ozean zu segeln, dann um das Kap der Guten Hoffnung und über den ganzen tropischen Atlantik und darüber hinaus nach Nord in Richtung Heimat. Wahrscheinlich haben sich die beiden Kapitäne im Streit voneinander getrennt. Verfolgen wir also das Schicksal der „Victoria“, denn von der „Trinidad“ hat man nie wieder gehört.
Die Portugiesen erklärten Del Cano und die Seinen für vogelfrei
Allein die seemännische Leistung war kolossal, und Del Cano wie seine Männer wussten bei Antritt der Rückreise, dass gewaltige Aufgaben sie erwarteten, nach allem, was sie schon erlitten hatten. Doch diese Gefahren stellten nur eine Seite dessen dar, was ihnen dräute. Denn diese Rückreise durch die halbe Welt musste fast ausschließlich in Gewässern geschehen, die der Vertrag von Tordesillas den Portugiesen zugeschrieben hatte. Diese aber hatten längst erfahren, dass Magellans Mission den Gewürzinseln gegolten hatte, welche sie als ihr Eigen betrachteten. Daher waren sie finster entschlossen, an jedem Rache zu üben, der seine Hand für die ruchlose Tat gereicht hatte. Tatsächlich wurden Del Cano und die Seinen von Portugal gebrandmarkt und für vogelfrei erklärt, und sie wussten davon. Denn noch auf Tidore hatten sie von einem abtrünnigen Portugiesen erfahren, dass König Manoel Befehl gegeben habe, jedes Schiff Magellans, dessen man habhaft würde, abzufangen und zu sequestrieren und die Mannschaften als Piraten in Haft zu nehmen.
Jeden Tag also mussten die Männer der „Victoria“, musste Del Cano fürchten, von den Portugiesen aufgebracht zu werden, als sie am 13. Februar 1522 vor der Insel Timor Anker lichteten. Sie hatten Verpflegung und Wasser gefasst, das Schiff ausgebessert und kalfatert und vertrauten sich dem Ostwind an, der von Achtern für gute Fahrt sorgte. Mit an Bord war der Chronist Pigafetta, was sehr erstaunlich anmutet, denn er hegte gegen Del Cano eine derart deutliche Abneigung, dass man ihn an Bord von Espinozas „Trinidad“, hätte vermuten sollen.
Das Leben an Bord war die Hölle
War schon die Reise der Flottille Magellans von Spanien zu den Molukken gekennzeichnet von unsäglichen Opfern und Mühen, so wurde aus der einsamen Rückreise der „Victoria“ ein Auftritt des Schreckens. Die frischen Vorräte, auf Timor geladen, reichten nur eine Weile, denn was an Fleisch geladen war, verkam bald, es fehlte an Salz, um es brauchbar zu erhalten. Außerdem hatte die „Victoria“ nicht für mehr Proviant Platz gehabt: die kostbaren Fässer mit den Gewürzen nahmen allzu viel Stauraum ein.
Als aber der Hunger wieder wach wurde unter den Männern, wurde ihnen die vom Hohn enthüllte Wahrheit bewusst, dass man gegen ihn mit Nelken und Pfeffer nicht ankommt – wenn es denn jemand gewagt hätte, sich an der Ladung zu vergreifen. Bald hatten sie nur noch Reis und Wasser, welches aber stockig und dann faulig wurde. Längst war der Vorrat an Schiffszwieback zu Staub zerfallen, in dem sich Würmer ringelten, und die Ratten ihre Exkremente hinterließen. Die Männer aßen Lederstücke, soweit sie noch beißen konnten, denn der Skorbut forderte wieder seine Opfer. Der Hunger aber schreckte sie umso mehr, als sie daran schon im Pazifik gelitten und dort gesehen hatten, wie leicht er einen geschwächten Matrosen ins Seemannsgrab geleiten kann.
Es ist Del Canos eisernem Willen zu verdanken, dass die Mannschaft ungeachtet der Qualen und Ängste das Äußerste gab. Am Kap der Guten Hoffnung geraten sie in einen Sturm, der den Fockmast über Bord reißt und den Hauptmast zersplittern lässt. Mit der Kraft der Verzweiflung bessert die Mannschaft die Schäden aus. Doch als das Kap umrundet war, durfte Del Cano nicht wagen, den hilfreich von der Antarktis an Afrika nach Nord fließenden Benguela-Strom zu nutzen, denn hier wären sie sicheres Opfer der Portugiesen geworden. Also wich man im großen Bogen um den südatlantischen Wirbel nach West aus, in spanische Gewässer, Richtung Südamerika, um dann nach langer Fahrt wieder einzubiegen auf den Kurs, der sie zu den Kapverdischen Inseln führen würde. Dort kamen sie nach einer Schreckensfahrt von fünf Monaten an.
Entscheidung von großer Tragweite
Allerdings: die Kapverden sind portugiesisch, das und die beißende Not zwingen Del Cano zu einer List. Er schickt ein Beiboot in den Hafen von Santiago und gibt den Männern den Auftrag, dort folgendes vorzubringen: Ein Sturm habe sie von Amerika hergetrieben, die portugiesischen Autoritäten möchten also den Notfall einsehen, der sie zur Grenzverletzung und dazu gezwungen habe, nun um Lebensmittel zu bitten. Der üble Zustand des Schiffes macht die Lüge glaubhaft, und so kann die „Victoria“, auf Reede liegend, über eine Pinasse Fleisch, Brot, Zwiebel und vor allem frisches Wasser bunkern. Ein paar Mal rudern die Seeleute die Pinasse hin und wider, bis sie ausbleibt. Del Cano erkennt sofort, dass sie aufgeflogen sind, wahrscheinlich hat einer seiner Matrosen in der Kaschemme geplaudert.
Wieder verlangt das Fatum von Del Cano eine schwere Entscheidung. Die Besatzung der Pinasse weiß er in den Händen der Portugiesen, diese aber werden nun ihr ganzes Trachten darauf richten, auch die „Victoria“ zu entern. So ist der Kapitän gezwungen, um seiner verbliebenen Leute, um seiner selbst und um seiner Mission willen, jene im Stich zu lassen und zu retten was noch möglich ist. Er gibt Befehl zum Anker Lichten und Segel Setzen und flieht mit 18 Mann aus dem feindlichen Hafen. Die Matrosen: Ein kläglicher, verzweifelter Rest der einst 257 Mann starken Besatzungen, das Schiff: Leck und nicht mehr fest in den Fugen, es dringt ständig Wasser ein, und die erschöpften Männer müssen pumpen, unablässig pumpen um ihr bisschen Leben.
Von den fünf Galeonen des Magellan, deren einzige „Victoria“ noch unter Segeln steht, hatte der portugiesische Spion Alvarez, schadenfroh im Vorgriff, vor Antritt der Reise aus dem Hafen von San Lucar an den Hof in Lissabon gemeldet: „Sie sind sehr alt und zusammengeflickt. Mir wäre es schon schrecklich, sollte ich mit ihnen nur bis zu den Kanarischen Inseln fahren, denn ihre Rippen sind so weich wie Butter.“ Darüber sind drei Jahre und eine Weltumseglung vergangen, und den Überlebenden an Bord, die man kaum mehr Mannschaft nennen mag, kommt es vor, als wären es 30 gewesen.
Ritterstand und eigenes Wappen für den vergessenen Helden Del Cano
Doch alles irdische Leid hat ein Ende: Am 6. September 1522 gelangt die „Victoria“ in die Mündung des Guadalquivir nach San Lucar. Die Reise ist beendet, der Auftrag erfüllt. Dem Kaiser berichtet Del Cano, auf die Frage nach dem schweren Los eingehend, das er und die Seinen erlitten: „Wir beschlossen, lieber zu sterben, als uns den Portugiesen in die Hand zu geben.“ Der Kaiser lohnt dem Kapitän, was er geleistet. Del Cano wurde seine Beteiligung an der Meuterei nicht angelastet, vielmehr wird er in den Ritterstand erhoben und mit einem eigenen Wappen geehrt. Dieses ist geteilt, wobei oben eine Burg zu sehen ist, die untere Hälfte zeigt gekreuzte Zimt-Stäbe mit Muskatnüssen und Nelken. Auf der Helmzier aber thront eine Erdkugel mit der Aufschrift: „Primus circum dedisti me“ - Du hast mich als erster umrundet.
Doch die hohen Ehren tragen keinen Glanz mehr. Juan Sebastián Del Cano ist vergessen, nur in den Kreisen der spanischen Marine geistern noch Erinnerungen an den Mann, der das Werk des unsterblichen Ferdinand Magellan vollendet hat und ohne welchen dieser nie zu Ruhm gekommen wäre. Ohne die Heimkehr der „Victoria“, ohne Del Cano hätte Magellan nur eine weitere Zeile in dem langen Register der verschollenen, gescheiterten und meist unbekannten Seeleute gefüllt. Stefan Zweig aber sagt mit Blick auf Del Cano: “Mehr großmütig als gerecht entscheidet das Los für den Unverdienten, ...den einstigen Aufrührer wider den Admiral“.
Doch woher das rüde Urteil? Hat nicht Zweig selbst den spanischen Kapitänen und ihrer Rolle als Anführer der Meuterei Ehrenhaftigkeit zugebilligt? Soll dies denn nicht auch für Del Cano gelten, der Mittäter war, nicht Hauptperson? Als Erklärung mag dienen: Zweig, der immer redliche, vorurteilsfreie und ebenso kenntnisreiche wie ausgewogene Mann, hat sich bei seinem Werk über Magellan selbstverständlich an Pigafetta gehalten, und dieser verabscheute Del Cano aus tiefem Herzen. In seiner ausführlichen Beschreibung der Rückkehr der „Victoria“ über die halbe Welt erwähnt er ihn mit keinem Wort.
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Hat Ihnen die Art gefallen, wie Florian Stumfall vergessenen Helden posthum wenigstens ein kleines Denkmal setzt? Dann wird Ihnen sicherlich auch das Werk dieses Autors gefallen, in dem er sich mit dem Afrika der letzten Jahrzehnte auseinander setzt. Bevor wir hier mehr darüber erzählen, verweisen wir auf drei Rezensionen zu „Tripoli Charlie“, die Sie hier einsehen können:
https://www.anderweltonline.com/kultur/kultur-2019/tripoli-charlie-feuer-der-hochfinanz-in-afrika/
https://www.anderweltonline.com/klartext/klartext-20202/von-warlords-und-buergerrechtlern/
https://www.anderweltonline.com/kultur/kultur-2017/tripoli-charlie-feuer-der-hochfinanz-in-afrika/