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Nikolaus in Corona-Zeiten: Ein undankbarer Job

Petrus war ungehalten. Wie jedes Jahr hatte er seine Tausendschaft Nikoläuse antreten lassen, um den Weißbärten ein letztes Briefing zu geben für ihren diesjährigen Einsatz auf Erden. Aber die Kerle verbreiteten eine derartige Unruhe, dass es ihm unmöglich war, seine Ansprache zu halten. Um sich Gehör zu verschaffen, griff er nun zu einer Pressluft-Tröte, so ein Gerät wie es von den Fußballfans eingesetzt wird, und gab ein dreifaches Signal. Tatsächlich senkte sich der Geräuschpegel und als Petrus seine Tröte noch einmal in Betrieb nahm, war endlich Stille.

„Jungs, hört mir zu“, ließ Petrus seine sonore Stimme erklingen. „Was ich euch zu sagen habe, ist äußerst wichtig und ihr könnt nur dann einen guten Job machen, wenn ihr euch meine Worte zu Herzen nehmt. In diesem Jahr ist alles anders…“
Murmeln und Grummeln machte sich breit, so dass er seine Tröte ein weiteres Mal einsetzen musste.
„Ja, ich weiß. Die meisten von euch haben es mitbekommen, da unten herrscht derzeit eine Pandemie, so heißt es, und die Leute spielen total verrückt. Alle rennen mit Masken vorm Gesicht rum, kein Kino, kein Theater, keine Gaststätten – alles dicht. Sogar die Weihnachtsmärkte haben sie abgesagt. Alles, was den Menschen Freude macht, ist verboten. Deshalb kommt es in diesem Jahr ganz besonders auf uns an, ein wenig Licht in diese Tristesse zu bringen.“
Erneut machte sich Unruhe unter den Weißbärten breit.
„Jetzt haltet endlich die Klappe“, platzte es aus Petrus heraus. „Ich kann es nicht ändern und es gefällt mir auch nicht. Aber wir haben eine Aufgabe und die wird erledigt, basta!“ 

Allmählich trat wieder Ruhe ein und Petrus konnte seinen Vortrag mit gesenkter Stimme fortsetzen. „Damit alles reibungslos verläuft, müssen wir gut vorbereitet sein. Erstens: Jeder hat eine FFP2-Maske in der Manteltasche, die er aufzieht, bevor die Haustür sich öffnet. Zweitens: Jeder hat einen Impfpass dabei, in dem ihm drei Corona-Impfungen bestätigt werden. Die gelben Lappen liegen am Ausgang bereit und wenn ihr nachher geht, steckt jeder einen ein. Drittens: Wenn ihr zur Arbeit aufbrecht, wird euch an der Himmelspforte noch eine Test-Bestätigung in die Hand gedrückt. – Hat das jeder kapiert? Ich will es hoffen. Mit dieser Ausstattung seid ihr bestens gerüstet und es dürfte eigentlich nichts schief gehen. Also Männer: Denkt an meine Worte und macht euch an die Arbeit.“
„Das ist doch ausgemachter Blödsinn“, meldete sich eine ärgerliche Stimme aus der Menge zu Wort. „Da haben wir schon den dichten Bart um den Mund und wenn wir dann auch noch eine Gesichtsmaske aufsetzen sollen, ist von uns überhaupt nichts mehr zu sehen. Abgesehen davon werden nicht wenige von uns wegen akuter Atemnot in Ohnmacht fallen. Das kann doch niemand wollen.“

Wenn der Chef grantig ist, ist es besser, man verkrümelt sich

„Ich finde das auch nicht gut“, gab Petrus zurück, „und wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich Nikolaus dieses Jahr ausfallen lassen. Doch als ich dem Chef diesen Vorschlag unterbreitet habe, wurde er richtig zornig und gab mir unmissverständlich zu verstehen, dass er das auf keinen Fall erlaube. Wenn die Menschen schon auf alles verzichten müssen, was ihnen Spaß macht, grollte er mir noch hinterher, dann müssen wir erst recht Flagge zeigen. Den Nikolaus kann niemand verbieten, niemand außer mir… – Da hatte ich mich dann aber schon aus dem Staub gemacht und konnte den Rest von seinem Donnerwetter nicht mehr verstehen. Wenn der Chef grantig ist, ist es besser, man verkrümelt sich. So, jetzt wisst ihr Bescheid. Der Chef will, dass ihr wie jedes Jahr runter auf die Erde geht und vor allem für die Kinder als Nikoläuse ein wenig vorweihnachtliche Stimmung in die Häuser bringt. Amen!“

„Verehrter Meister Petrus“, meldete sich ein Mann in der ersten Reihe zu Wort, „ich habe dann aber doch noch eine technische Frage. Darf ich?“
„Nur zu.“
„Welche Namen werden denn in den Impfpässen und auf den Test-Bestätigungen stehen?“
„Was für eine dusselige Frage?“, gab Petrus genervt zurück. „Da steht nur ein Name, und zwar der, unter dem ihr dort unten allenthalben bekannt seid: Nikolaus. Oder hat dich in den letzten Jahren mal jemand mit Johannes angeredet?“
„Nö, das nicht“, gab der Mann kleinlaut zu.
„Na, siehst du. – Noch Fragen? Dann Abmarsch.“
Langsam und geordnet setzte sich die Schar der Weißbärte Richtung Ausgang in Bewegung. Petrus ließ es sich indes gefallen, dass ein aufmerksamer Engel herangeflattert kam und ihm mit einem weichen Tuch die Schweißperlen von der hohen Stirn wischte. Ein anderer kredenzte ihm einen Maßkrug. So ließ er es sich gefallen, nahm einen kräftigen Schluck aus dem Krug und lehnte sich behaglich zurück in seinem Wolkensessel. Er hat getan, was zu tun war und konnte jetzt nur hoffen und beten, dass auch dieser Nikolausabend gut über die Bühne gehen würde. Ganz wohl war ihm nicht in seiner Haut. Irgendwie hatte er ein ungutes Gefühl.

Indes begegneten sich an der Himmelspforte Oskar und Franz, zwei alte Kumpels, die sich schon zu Lebzeiten kannten und gemeinsam durch einen Autounfall in Petrus’ Vorgarten gelandet sind.
„Was hältst du von der ganzen Geschichte“, fragte Oskar und nippte an seiner Ambrosia-Limo.
„Tja, schwer zu sagen“, seufzte Franz, während er die Test-Bestätigung, die er gerade in Empfang genommen hatte, zusammenfaltete und in seine Manteltasche steckte. „Normal ist das alles nicht und ich muss dir sagen, von Vorfreude, wie ich sie sonst hatte, bevor es losging, ist dieses Mal keine Spur.“
„Nee, bei mir auch nicht. Hast du übrigens mal versucht, die Maske aufzusetzen?“
„Grauenvoll! Es ist so, wie der Kollege gesagt hat: Du kriegst keine Luft mehr, Schweiß bricht aus, die Brille beschlägt… Eine einzige Tortur.“
„Wo bist du unterwegs?“
„Na, wie immer in meiner Vorstadtsiedlung mit den Einfamilienhäusern. Überwiegend Mittelstand, Leute die hoffentlich nicht so überdreht sind.“
„Da wäre ich an deiner Stelle mal nicht zu optimistisch. Gerade dort, habe ich gehört, sei die Corona-Manie besonders ausgeprägt.“
„Wie dem auch sei, wir haben einen Auftrag. Also lass uns gehen.“

Ein herzliches Willkommen sieht anders aus

In seinem Quartier angekommen, zückte Franz seine Adressliste und machte sich sogleich auf den Weg. Ein bisschen Schnee wäre schön gewesen. Das hätte seiner Stimmung gut getan, und den Transport seines schweren Sacks auf dem Schlitten erleichtert. Doch es hat seit Tagen geregnet und auch jetzt nieselte es leise vor sich hin. Franz war dankbar, wenn sich entlang der Straße am Rand mal ein Grünstreifen zeigte, auf dem sich der Schlitten leichter ziehen ließ als auf dem Asphalt. Die erste Anlaufstelle auf seiner Liste war das Haus eines Oberstudienrats. Franz hatte den Sack geschultert und betätigte die Türklingel. Nach einer kurzen Weile öffnete sich die Haustür und ein maskierter Mann mit schütterem Haar stand vor ihm.
„Maske“, rief dieser unwirsch und deutete mit ausgestreckter Hand auf den Nikolaus. Oh weh, das hatte er ganz vergessen. Schnell stellte er seinen Sack ab, nestelte die Gesichtsmaske aus seiner Manteltasche und zog sie sich über Nase und Mund. Augenblicklich beschlug die Brille und er konnte nichts mehr sehen. Also zog er die Augengläser runter zur Nasenspitze und blickte darüber hinweg. So konnte er immerhin verhindern, über irgendwelche Spielsachen zu stolpern, die im Flur herumlagen. Im Wohnzimmer angekommen bauten sich der Mann, seine Frau und die beiden Kinder – selbstverständlich alle maskiert – in einer Reihe auf. „Wir hören“, befahl der Mann. 

Franz zog seine Kladde hervor, in der alle Vorträge, die er zu halten hatte, der Reihe nach aufgeschrieben waren. Ohne Brille konnte er das aber nicht lesen. 

„Darf ich kurz die Maske abnehmen? Zum Lesen brauche ich meine Brille und mit der Maske beschlägt sie.“
„Kommt gar nicht in Frage, dass Sie uns das Virus ins Haus tragen. Drücken Sie den Metallbügel ihrer Maske über der Nasenwurzel ganz fest an und schieben Sie die Brille drüber. Dann kann keine Luft mehr durchkommen und die Gläser laufen nicht an.“
Franz tat, wie ihm geheißen, und tatsächlich konnte er jetzt ein wenig besser sehen und stammelte mühsam seinen Text herunter. Jetzt bekamen die Kinder von der Mutter den Auftrag, ein Lied zu singen. Artig gaben sie ihr Bestes, aber mit der Maske vorm Gesicht ist Singen nicht so einfach. Endlich waren sie fertig und Nikolaus konnte ihren wunderschönen Vortrag loben. Als das erledigt war, kramte er die für die beiden Kinder gedachten Geschenke aus seinem Sack, überreichte sie und verabschiedete sich.
„Nichts für ungut, dass ich es etwas eilig habe“, entschuldigte er sich, „aber es gibt noch viel zu tun.“ Üblicherweise hatte es bei dem Pädagogen nach dem Verteilen der Geschenke zum Dank noch ein schönes Gläschen Rotwein gegeben. Aber das war in diesem Jahr offensichtlich nicht vorgesehen, denn dann hätte der Nikolaus ja seine Maske abnehmen müssen und das durfte in diesem Haus nicht geschehen.

Dokumenten-Check an der Haustür

Endlich draußen, riss sich Franz die Maske vom Gesicht, wischte sich mit seinem Schnupftuch den Schweiß von der Stirn und atmete tief durch. „Noch so ein Auftritt und ich bin fertig“, stieß er halblaut durch die Zähne. Nachdem er sich etwas erholt hatte, legte er sich das Zugseil für den Schlitten um die Brust und marschierte los. Die nächste Anlaufstelle war nicht weit entfernt und so konnte er schon nach wenigen Minuten die nächste Klingel bedienen. Laut Klingelschild wohnten hier die Wimmers. Diese Familie gehörte früher nicht zu seinem Klientel und er war gespannt, was ihn erwartete.
Als sich die Tür öffnete, stand eine groß gewachsene Frau mittleren Alters mit hoch gesteckten blonden Haaren vor ihm. Eine Gesichtsmaske trug sie nicht.
„Sie wünschen?“
„Ich, äh, ich bin der Nikolaus, den Sie bestellt haben“, nuschelte er durch seine Maske, die er dieses Mal nicht vergessen hatte aufzusetzen.
„Der Nikolaus, so, so. Dann zeigen Sie mir erst einmal Ihren Impfpass.“ Gehorsam reichte Franz der Frau das Dokument, das sie eingehend prüfte. „Als Name steht hier Nikolaus. Das kann ja jeder sagen. Haben Sie einen Personalausweis dabei?“
„Alle Weißbärte in roten Kitteln, die diesen Job machen, heißen Nikolaus. Und nein, einen Personalausweis habe ich nicht, weil der dort, wo ich herkomme, nicht gebraucht wird.“
„Ach sieh an“, sagte die Frau schnippisch und gab ihm seinen Impfpass zurück. „Ich will doch hoffen, dass Sie frisch getestet sind“, schnappte sie.
„Aber ja, hier meine Test-Bestätigung.“
„Hier steht ja auch nur Nikolaus“, rief sie empört aus, nachdem sie das Papier überflogen hatte.
„Ja was denken Sie denn?“, blaffte Franz zurück. Diese Frau war ihm zutiefst unsympathisch. „Sollte da vielleicht Osterhase stehen oder Klabautermann? – Es ist Nikolausabend und ich gehöre jener aussterbenden Spezies an, die an diesem Abend unterwegs sind, um den Kindern eine Freude zu machen.“
„Werden Sie bloß nicht unverschämt“, sagte die Frau streng. „Wie es scheint, hat mein Mann Sie engagiert, dann soll der sich auch mit Ihnen herumärgern. Ich habe damit nichts zu tun.“ Sie ging ins Haus zurück und Franz hörte sie rufen: „Robert, du hast Besuch!“
Ein hagerer Mann mit Maske erschien. „Ach der Nikolaus, wie schön“, sagte er sanft. „An Sie habe ich gar nicht mehr gedacht. Dumm nur, dass unser Sohn jetzt gar nicht da ist. Wir haben ihn bei Oma und Opa untergebracht. Die sind dreifach geimpft und dort ist er sicher vor dem Virus.“
„Und hier nicht?“
„Na ja, ich bin auch dreifach geimpft, aber meine Frau will das nicht. Und sie weigert sich auch, einen Mundschutz zu tragen.“
„Und was ist mit der Schule?“
„Ja, das ist ein weiterer Grund dafür, dass er bei meinen Eltern besser untergebracht ist. Sie haben viel mehr Zeit, ihn beim Homeschooling zu begleiten. – Sein Geschenk dürfen Sie gerne hier abgeben. Ich werde dafür sorgen, dass er es erhält.“
Franz kramte das entsprechende Paket aus dem Sack, übergab es dem Mann und verabschiedete sich. Nachdem er sich die Maske vom Gesicht gerissen hatte, setzte er sich auf seinen Schlitten und sprach seinen Frust in die freudlose Nacht:
„Was die hier veranstalten, ist ja unsäglich. Da macht es doch überhaupt keinen Spaß, Nikolaus zu sein. Ich habe keine Lust mehr, aber einen Versuch mache ich noch. Der Chef hat’s befohlen, also muss ich mein Bestes geben.“

Den Notrufknopf betätigen und nichts wie weg

Bei der nächsten Adresse ging es noch chaotischer zu als bei den beiden vorangegangenen. Als sich die Haustür öffnete, blickte Franz in den Lauf einer Jagdflinte. Ein maskierter Mann im Ganzkörperkondom visierte ihn an und befahl: „Stehen bleiben!“
„Aber ich bin doch nur der Nikolaus und Sie haben mich bestellt“, gab Franz eingeschüchtert zu bedenken.
„Das mag sein, aber das ist schon eine Weile her. Inzwischen hat sich die Situation geändert und niemand betritt mein Haus. Verstanden?“
„Natürlich, wenn Sie es sagen. Ich kann die Geschenke ja vor die Tür legen und Sie geben sie Ihren Kindern.
„Nichts da mit Geschenken. Die könnten mit dem Virus kontaminiert sein. Nehmen Sie das Zeug wieder mit. Dieses Jahr gibt es nichts zum Nikolaustag. Ende der Durchsage.“ Sekunden später knallte die Tür ins Schloss. Einen solchen Auftritt hatte Franz nicht erwartet, aber jetzt reichte es ihm. Wie sollte man unter solchen Bedingungen einen ordentlichen Nikolaus abgeben? Ausgeschlossen! Da mag der Chef sagen, was er will: So geht es nicht und unter diesen Umständen macht er auch nicht mehr mit.
Was niemand weiß, ist ein kleines Geheimnis, das jeder Nikolaus mit sich trägt. Der dritte Knopf von oben an seinem Mantel ist ein Notrufknopf. Der darf nur im äußersten Notfall bedient werden, aber wenn er gedrückt wird, wird der Nikolaus mit allem, was er bei sich hat, auf Petrus’ Wolke zurückgebeamt. Völlig erschöpft, aber erleichtert, dem Chaos auf Erden entronnen zu sein, machte sich Franz auf den Weg, dem Alten Bericht zu erstatten.

Als Petrus ihn ankommen sah, verzog er schon sein Gesicht. Er ahnte nichts Gutes. Höflich wie er war, bot er Franz einen kleinen Wolkensessel an und forderte ihn auf zu reden. Nachdem jener seinen Rapport beendet hatte, senkte Petrus sein Haupt und fragte mit Ehrfurcht gebietenden Stimme: „Alles hat sich so zugetragen, wie du berichtest? Bist du sicher?“
„Aber ja Meister, ich schwöre.“
„Das hört sich nicht gut an. Ich muss überlegen, wie ich das dem Chef klar mache.“
„Ich fürchte, das wird nicht einfach sein. Aber vielleicht erleichtert es deine Position, wenn ich dir jetzt schon meinen Rücktritt aus der Nikolaustruppe erkläre. Es ist ein großes Privileg, dort tätig zu sein und einmal im Jahr auf die Erde zurückkehren zu dürfen. Ich habe diese Aufgabe immer mit großer Sorgfalt erledigt und war stolz darauf, dazu zu gehören. Heute habe ich versagt und unter den gegebenen Umständen will ich da nicht mehr runter. Schließlich bin ich nach meinem Ableben im Himmel gelandet und nicht in der Hölle. Aber das, was dort gerade abläuft, das ist die Hölle. Jedenfalls für einen rechtschaffenen Nikolaus.“

Petrus’ schwerer Gang zum Chef

Während die beiden miteinander sprachen, machte sich im Vorgarten Unruhe breit. Dutzende Nikoläuse strebten auf Petrus’ Refugium zu und begehrten Einlass. Die Wachen hielten sie auf und meldeten an den Alten: „Meister, da kommen immer mehr Nikoläuse an, die sich mit dem Notrufknopf haben zurückbeamen lassen. So etwas hatten wir noch nie. Sie sind alle sehr ungehalten und wollen unbedingt mit dir reden.“
„Siehst du“, nahm Franz die Gelegenheit wahr, für sich zu sprechen, „ich bin nicht der Einzige, und ich spinne nicht.“
Mit sorgenvoller Miene erhob sich Petrus aus seinem Wolkensessel. „Hilft alles nichts. Ich muss dem Chef Meldung machen. – Geh in dein Quartier, Franz. Erst einmal bleibt alles beim Alten.“ 

Mühsam erklomm Petrus die Stufen von seinem paradiesischen Vorgarten hoch zum Olymp. Nur wenige hatten dort Zutritt. Er war einer davon und ihm war sehr wohl bewusst, dass er gute Gründe haben musste, um von diesem Recht Gebrauch zu machen. Der Erzengel Gabriel stand vor dem Eingang zum Allerheiligsten Wache. „Was ist dein Begehr?“, fragte er streng.
„Es gibt Ärger mit den Nikoläusen“, stöhnte Petrus, der auch von dem Aufstieg noch etwas außer Puste war.
„Ach, schon wieder die Nikoläuse. Darüber wird der Chef nicht begeistert sein, zumal er gerade mal wieder beim Kartenspiel ist.“
Verflixt und zugenäht, dachte Petrus. Einen ungünstigeren Moment, als den Chef beim Kartenspiel zu stören, konnte es kaum geben. Aber es nützt ja nichts, er musste mit ihm reden. Im Salon angekommen, sah er die üblich Runde um den großen Kartentisch sitzen: Der Chef, Shiva, Buddha und Zeus. Früher hatte Allah große Anstrengungen gemacht, mitspielen zu dürfen. Aber der Chef war dagegen. Wer sich als den einzig wahren Gott ausgibt, hat in dieser Runde nichts verloren, hat er konstatiert. Hier herrschte göttliche Vielfalt. So kam Zeus in Spiel, den der Chef zwar für einen Hallodri hielt, aber für einen sehr amüsanten. Außerdem war seine Zeit ja vorbei. Der war als Gott nicht mehr konkurrenzfähig.

Als der Liebe Gott den Petrus erblickte, schmiss er die Karten wütend auf den Tisch. „Komm mir bloß nicht wieder mit den Nikoläusen“, blaffte er.
„Doch Chef, es tut mir leid, aber mit genau diesem Thema muss ich dich wieder belästigen.“ Dann erzählte Petrus die Geschichten von Franz und den anderen, die alle das Handtuch geworfen hatten, weil die Zustände auf Erden derzeit derart unerträglich seien, dass eine seriöse Arbeit als Nikolaus nicht möglich ist. Die drei anderen Kartbrüder schüttelten ungläubig den Kopf. So etwas wie Nikoläuse gab es bei ihnen nicht und sie hatten großes Mitleid mit dem Christen-Chef. Dieser stand auf und umrundete gemessenen Schritts mehrere Male den Kartentisch.
„Du bist absolut sicher, dass sich alles so zugetragen hat, wie deine Leute berichten“, wandte er sich an Petrus.“
„Da gibt es keine Zweifel, Chef. Ich lege für jeden Einzelnen meine Hand ins Feuer. Die Jungs arbeiten seit vielen, vielen Jahren für mich und noch nie, wirklich noch nie hat einer den Notrufknopf bedient, um vorzeitig nach oben zu kommen. Sie sind stolz darauf, in meinem Nikolaus-Geschwader aufgenommen worden zu sein – was nicht so leicht ist – und sie machen ihre Arbeit mit größter Hingabe.“ Mit voller Inbrunst verteidigte Petrus seine Nikoläuse und er tat das aus tiefster Überzeugung. 

Unvermittelt stoppte der Chef seine Tisch-Umrundung und verkündete: „Wenn es so ist, wie du sagst – und ich habe keinen Grund an deinen Worten zu zweifeln, dann bestimme ich hiermit, dass der Nikolausabend als Teil der christlichen Tradition beibehalten wird. Allerdings werden auf absehbare Zeit keine Nikoläuse aus Petrus’ Truppe mehr auf der Erde zum Einsatz kommen. Die da unten sollen sich selbst um die Bespaßung ihrer Kinder kümmern. Und wenn einer die rote Kutte anzieht, sich den weißen Bart umbindet und den Nikolaus mimt – meinetwegen. Ich habe es gut gemeint, doch wer die Gnade Gottes derart missachtet, muss damit rechnen, sein freudloses Leben alleine zu gestalten. Alle Nikoläuse sind entlassen!“ 

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