------------------------------------

---------------------------------------

-------------------------------------

-------------------------------------

Verhindert den drohenden Bürgerkrieg nach 2014 in Afghanistan

Von Dr. Kader Wadan

Ende 2014 beginnt für Afghanistan eine ungewisse Zukunft. Man könnte von neuen Perspektiven und Chancen sprechen, jedoch ebenso vom Anfang einer Wiederholung der Fehler, die in der Vergangenheit sowohl von der internationalen Gemeinschaft als auch von den Afghanischen Politikern und Intellektuellen gemacht worden sind. Fehler, die auf Unkenntnis der afghanischen Gesellschaft, Geschichte und Traditionen zurückzuführen sind, aber auch darauf, dass die westlichen Regierungen immer noch glauben, man könne mit militärischer Macht und wirtschaftlicher Überlegenheit alles erreichen.

Was Afghanistan betrifft, hat die Welt erfahren, dass sich die Afghanen keiner militärischen Weltmacht beugen und einen wirtschaftlichen Wohlstand niemals als Ersatz für ihre Freiheit und Souveränität akzeptieren. Das ist die Lehre, die man nicht nur aus der jüngsten Geschichte der vergangenen 35 Kriegsjahre des Landes ziehen sollte.

Korrupte Regierung stärkt die Taliban

Die augenblickliche Situation in AFG ist charakterisiert durch die Präsenz bewaffneter Zivil- und Militäreinheiten aus mehr als 45 Nationen, und durch die Alleinherrschaft der Nordallianz. Nachdem sich die Warschauer Paktstaaten unter der Führung der damaligen Sowjetunion 1992 geschlagen zurückziehen mussten, herrschte bis Ende 2001 in AFG Bürgerkrieg zwischen den Taliban, die über 90% des Landes unter ihrer Kontrolle hielten, und der Nordallianz, die durch USA und Nato an die Macht gebracht wurde. Heute stehen die Taliban militärisch und moralisch stärker da als je zuvor.

Der Grund für die Unterstützung der Taliban durch weite Teile der Bevölkerung ist ihr Kampf gegen die Präsenz ausländischer Militärs sowie gegen die korrupte und inkompetente Regierung in Kabul.

Durch die Alleinherrschaft der Nordallianz im Schatten ihrer Unterstützer, der USA und Nato, sind gesellschaftliche, politische und kulturelle Ungerechtigkeiten entstanden, die man als zweiten wichtigen Faktor anführen muss, der zur Unterstützung der Taliban durch die Masse der Benachteiligten im Volke geführt hat. Weite Teile der Bevölkerung betrachten die bewaffnete Opposition als Verteidiger und Bewahrer ihrer Religion und Kultur und als Befreier des Landes von der Nato, die sie als Besatzer und Unterstützer der korrupten Nordallianz empfinden.

Nach 13 Jahren sinnlosen Kriegs und Zerstörung sollen Ende 2014 die letzten Nato-Kampfeinheiten das Land verlassen haben. Was übrig bleibt, ist ein politisch, ethnisch kulturell und gesellschaftlich zutiefst gespaltenes Land. Die Regierung ist korrupt, das Land hat ohne Unterstützung keine wirtschaftliche Überlebenschance, und die Ordnungskräfte ANA (Afghan National Armee) und ANP (Afghan National Police) sind in politisch und ethnisch verfeindete Gruppierungen zersplittert. Die Vorbereitungen für eine kriegerische Auseinandersetzung um die Machtverteilung nach 2014 laufen dort bereits auf Hochtouren.

Die Nordallianz wird mit Unterstützung der noch übrig gebliebenen Nato-Einheiten ihre Privilegien verteidigen. Dabei wird sie, wie in der Vergangenheit auch, durch Iran, Tadschikistan, Usbekistan und Russland unterstützt. Die bewaffnete Opposition, die sich schon jetzt als Sieger über USA und Nato sieht, wird mit großem Selbstvertrauen den dann wesentlich leichteren Kampf gegen die Nordallianz und ihre verbliebenen Unterstützer nicht scheuen. Es droht ein erneuter Bürgerkrieg, dessen gefährliche Konsequenzen für Afghanistan, die gesamte Region und die Welt unabsehbar sind.

Eine schnelle politische Lösung ist gefragt, sonst droht ein neuer Bürgerkrieg

Die innere Zersplitterung von ANA und ANP ist keine Ausnahme, sondern spiegelt vielmehr den Zustand der Regierung wider –mit all den politischen und gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten der jetzigen Machthaber. Die Gefahr, dass sich die unterschiedlichen Gruppierungen in marodierende und gegeneinander kämpfende Einheiten aufspalten, ist außerordentlich groß. In letzter Zeit mehren sich sogar die Anzeichen, dass es auch zu einer militärischen Auseinandersetzung zwischen ANA und den Nato-Truppen kommen könnte.

Wenn es wieder zu einem Bürgerkrieg kommt, wird ein instabiles, in verfeindete politische Lager, Regionen und Ethnien zersplittertes Afghanistan erneut zu einem bedrohlichen Gefahrenherd. Und das, weil die Fehler der Vergangenheit wiederholt und die historischen Chancen nicht wahrgenommen wurden.

Damit das Land am Hindukusch nach 2014 nicht wieder im Chaos versinkt, muss umgehend eine praktikable politische Lösung erarbeitet werden. Hier gibt es keine Zeit mehr zu verlieren – es ist bereits fünf vor Zwölf. Von größter Wichtigkeit dabei ist, dass der Lösungsweg von den Afghanen selbst gefunden werden muss. Diktate oder Vorschriften von außen haben keine Aussicht auf einen nachhaltigen Erfolg. Die beiden Bonner Konferenzen sind unter anderem Beispiele dafür.

Dialogbereitschaft ist offensichtlich vorhanden

Die positiven Signale, die zurzeit sowohl von der Nordallianz als auch von der bewaffneten Opposition gesendet werden, geben  durchaus Anlass zur Hoffnung. Das jüngst in Paris organisierte Treffen zwischen den verfeindeten Lagern hat gezeigt, dass diese Hoffnung nicht ganz unbegründet ist. Treffen dieser Art sollten nur viel häufiger organisiert und gefördert werden. Wie es scheint, sind offensichtlich beide Seiten an einer Versöhnung vor 2014 interessiert und bemühen sich um eine innerafghanischen Dialog.

Die Nordallianz, weil sie so ihre totale Entmachtung und den Verlust all ihrer jetzigen Privilegien zumindest teilweise verhindern möchte. Die Taliban, weil sie annehmen, ohne Krieg den Großteil der Macht für sich beanspruchen zu können. In jedem Falle ist die  Bereitschaft zu so einem „Versöhnungsdialog“ zu begrüßen, auch wenn natürlich die Gefahr besteht, dass sich die jeweiligen Interessengruppen mit ganz unterschiedlichen Intentionen an den Verhandlungstisch setzen.

Unterstützende Hilfe ohne direkte Einflussnahme

Ein so erzieltes Abkommen zwischen Jahrzehnte lang verfeindeten Lagern kann jedoch nicht von Dauer sein, da es ausschließlich auf militärisch-taktische Überlegungen gegründet sein wird. Um das zu verhindern, bedarf der Lösungsprozess unbedingt der ehrlichen und unterstützenden Begleitung seitens der USA und der Nato-Länder als Hauptbeteiligte in diesem Konflikt. Der Schlüssel für eine dauerhafte Versöhnung liegt bei den Regierungen, die zurzeit in Kabul die wahren Machthaber sind – und das sind hauptsächlich die westlichen Nationen. Die regionalen Akteure wie Iran und Pakistan spielen dann keine große Rolle mehr, wenn die westliche Allianz sich entsprechend einbringt.

Ich kann es nur noch einmal betonen: Die USA und die Nato haben auch die moralische Verpflichtung, den Afghanen bei der Lösung ihrer Probleme zu helfen, da sie mit verantwortlich sind für die enormen Schwierigkeiten, mit denen das Land zu kämpfen hat. Unterstützende Hilfe ist gefragt, ohne direkte Einflussnahme auf die Versöhnungsverhandlungen. Das ist sicherlich nicht einfach und erfordert großes diplomatisches Geschick.

Angesichts der drohenden Gefahren, die von einem wirtschaftlich und militärisch abhängigen und gesellschaftlich und politisch instabilen Afghanistan ausgehen, sind diesbezügliche Anstrengungen jedoch aller Mühe wert.

Die USA müssen Vertrauen zurückgewinnen

Die Fortsetzung der Politik der einseitigen kulturellen und politischen Unterstützung eines bestimmten afghanischen Lagers führt zu gesellschaftlicher Ungerechtigkeit und schürt den Bürgerkrieg unter den afghanischen Völkern. Konspirative Treffen mit afghanischen Separatisten erzeugen nur noch mehr Misstrauen gegen den Westen, und Versuche, die verschiedenen Gruppierungen der bewaffneten Opposition gegeneinander auszuspielen, sind einem dauerhaften Frieden nicht dienlich. Diese Politik ist kontraproduktiv und muss sofort beendet werden. Stattdessen soll der Westen versuchen, das verlorene Vertrauen – vor allem in der islamischen Welt – zurückzugewinnen.

Zu den vertrauensbildenden Maßnahmen, die der Westen ergreifen könnte, gehören die Freilassung von politischen Gefangenen aus Guantanamo, Bagram und anderen geheimen Gefängnissen weltweit. Dazu gehört auch, den politischen Gegnern mit Respekt und mit demokratischen, rechtsstaatlichen und politischen Mitteln zu begegnen, statt mit willkürlicher Entführung, Folter und Ermordung, neuerdings verstärkt durch den völkerrechtswidrigen Einsatz von Drohnen.

Die militaristisch-aggressive Grundhaltung sollte einem friedlichen, humanen und verantwortungsvollen Denken Platz machen.

Den neuesten Signalen seitens der bewaffneten Opposition ist zu entnehmen, dass sie unter Umständen bereit wäre, an den für April 2014 angesetzten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen teilzunehmen. Diese positiven Signale müssen von der Weltgemeinschaft ernst genommen werden, sonst könnte es wieder geschehen, dass eine einmalige Gelegenheit zur Versöhnung verpasst wird.

Das Afghanistan-Komitee e.V. in Berlin ist bereit, alle Bemühungen und Initiativen zum innerafghanischen Dialog zu unterstützen. Es ist höchste Zeit, dass ein Treffen, ähnlich wie in Paris, auch hier in Deutschland, z.B. in Berlin, organisiert wird. Dazu brauchen wir allerdings die politische, moralische und logistische Unterstützung der deutschen Bevölkerung und der deutschen Regierung.

Afghanistan hat viel zu bieten – die ganze Welt kann davon profitieren

Von einem unabhängigen, souveränen und wirtschaftlich und politisch stabilen Afghanistan können nicht nur Afghanen und die unmittelbare Region, sondern auch der Westen profitieren. Das Land ist reich an Bodenschätzen. Nach neuesten Schätzungen lagern unter der Erde Rohstoffe im Wert von mehreren Billionen US-Dollar. Dazu gehören nicht nur Erdöl, Erdgas, Gold, Kupfer, Uran und Eisen, sondern auch seltene Erden wie Lithium, die in moderner Elektronik unverzichtbar sind. Ihr Abbau und die wirtschaftliche Nutzung soll allen Afghanen zugute kommen und nicht nur ein paar korrupten Marionetten und Kollaborateuren.

Afghanistan ist ein Vielvölkerstaat und daher reich an Kultur und Geschichte. Die Völker Afghanistans sind miteinander in jeder Hinsicht untrennbar verbunden. Es gibt kaum eine Familie, die nicht auch Verwandte und Freunde aus anderen Ethnien des Landes hat. Unglücklicherweise haben die Kriege der letzten Jahre auch dazu geführt, das afghanische Volk in verschiedene Ethnien, in sprachlich- und regionalen Gruppen nach dem alten Motto „divide et impera“ zu spalten. Deshalb ist es so wichtig, dass alle afghanischen Gruppen an einem Friedensprozess beteiligt werden.

2014 – Schicksalsjahr für Afghanistan

Es muss ein Afghanistan für alle Afghanen geben – ohne Diskriminierung und Benachteiligung! Das ist der Wunsch aller Menschen, egal welcher Ethnie, die sich nicht länger für die persönlichen Interessen einigen Warlords ausnutzen lassen wollen.

Das Ziel des innerafghanischen Dialogs muss sein, ein Versöhnungsabkommen zu vereinbaren, das die Modalitäten der Machtübertragung an die Afghanen und die Zeit nach 2014 in allen Details regelt. Zu ihrer Einhaltung und Durchführung müssen Garantien gegeben werden. Nicht nur vom Westen, sondern auch seitens der UNO, der islamischen Konferenz, der arabischen Liga sowie der Shanghaier Vertragsstaaten.

Daher richte ich meinen Appell an alle friedliebenden Menschen, Organisationen und Parteien, den Friedensprozess in AFG zu unterstützen und alles zu tun, um den drohenden Bürgerkrieg nach 2014 zu verhindern. Bringen Sie Ihre Regierungen dazu, es endlich mit dem Frieden und den Menschenrechten in Afghanistan ernst zu meinen. 

Das Jahr 2014 ist nicht nur für Afghanistan schicksalhaft. Wir müssen den Abzug fremder Truppen als eine neue Chance sehen, und diese sollten wir alle zusammen ergreifen. Wir müssen jetzt handeln, bevor es zu spät ist.

Nach oben