Über das schwierige Verhältnis zwischen Deutschen und Türken: Misstrauen, Unterstellungen und Sturheit – es könnte auch anders gehen
Von Hubert von Brunn
Das deutsch-türkische Verhältnis ist kein besonders gutes. Es ist wie mit Geschwistern, die, von verschiedenen Vätern gezeugt, nun in einer Patchwork-Familie miteinander klarkommen müssen. Man gibt sich Mühe, aber Liebe ist es nicht. Wenn wenigstens Vertrauen da wäre, aber damit ist es auch nicht weit her. Einige Vorkommnisse aus der jüngsten Zeit stehen exemplarisch für dieses in vielfacher Hinsicht belastete Miteinander.
Das Gerichtsverfahren gegen die rechtsextreme Terrorgruppe NSU um Beate Zschäpe, die aus purer Fremdenfeindlichkeit zehn Menschen, darunter acht Türken, ermordet hat, steht bevor, und schon knistert es wieder einmal mächtig im Gebälk zwischen Deutschland und der Türkei. Schuld ist dieses Mal das Oberlandesgericht München, das keinen Platz hat für türkische Journalisten, wenn am 17. April der Prozess eröffnet wird.
Formaljuristisch mag das ja alles in Ordnung sein. Wenn die 50 Presseplätze nach Eingang der Akkreditierung vergeben werden, und die Türken zu spät kommen, dann haben sie eben Pech gehabt. So sieht es zumindest das OLG München, aber diese Sichtweise ist falsch, weil sie jedes diplomatische Fingerspitzengefühl vermissen lässt.
Damit wir uns richtig verstehen: Die unabhängige, an keine Weisung gebundene Judikative ist eine der drei Säulen, auf denen die demokratische Grundordnung in unserem Lande basiert. Das hat sich seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland außerordentlich bewährt, und das soll auch weiterhin so sein. Anders als in der Türkei, wo knapp zwei Drittel der Bevölkerung den eigenen Gerichten nicht traut. Andererseits: Wer einmal vor Gericht gestanden hat – nicht einmal in einer Strafsache, sondern nur in einem Zivilverfahren – weiß, dass sich die Damen und Herren Richter auch gerne als Götter in Schwarz aufführen. Sie sprechen Recht. Ob es denn auch immer gerecht ist, ist eine andere Frage.
Wer auf welchem Platz sitzt, spielt keine Rolle
Das mag bei persönlicher Betroffenheit außerordentlich ärgerlich sein, in dem speziellen Falle um den NSU-Prozess ist es nicht nur dumm, sondern zutiefst beschämend. Einige deutsche Medien wie die Bildzeitung haben kollegialerweise angeboten, ihren reservierten Platz für Vertreter türkischer Medien zur Verfügung zu stellen. Das OLG sagt NEIN! Weshalb? Wer da letztendlich auf dem für die Presse reservierten Stuhl sitzt, kann dem Gericht doch völlig egal sein.
Politiker und Juristen (außerhalb Münchens) haben empfohlen, die Verhandlung per Video in einen Nebensaal zu übertragen, damit eben mehr Journalisten dabei sein können. Das OLG sagt NEIN! Warum? Dass dieser Prozess international auf sehr großes Interesse stoßen würde, war sicherlich allen Beteiligten klar. Und wenn der Schwurgerichtssaal im Münchner OLG zu klein ist, dann kann die Verhandlung per Video in Echtzeit doch auch in andere Räume im Gerichtsgebäude übertragen werden. Was spricht dagegen? Wem schadet das?
Zehn Nebenkläger haben ihre Teilnahme an den Verhandlungen im Vorfeld bereits abgesagt. Damit sind zehn Plätze frei geworden, die man doch jetzt mühelos dem türkischen und dem griechische Botschafter und ausländischen Journalisten anbieten könnte. Das wäre doch immerhin eine versöhnliche Geste. Juristisches Denken und gesunder Menschenverstand haben selten etwas gemein, oft liegen Welten dazwischen. Das ist mir wohl bekannt. In diesem Falle wäre es jedoch absolut angebracht gewesen, einmal über den judikativen Tellerrand hinaus zu blicken.
Bleibt festzuhalten: Die arrogante Sturheit des Gerichts trägt nicht dazu bei, das angeknackste Vertrauensverhältnis zwischen Deutschland und der Türkei zu verbessern. Einzige Aufgabe der Richter ist die Wahrheitsfindung, um am Ende nach dem Buchstaben des Gesetzes zu einem gerechten Urteil zu kommen. Es ist ganz und gar nicht ihre Aufgabe, zum Politikum zu werden und den guten Ruf unseres Rechtsstaates in der Welt zu beschädigen. So viel gesunder Menschenverstand sollt doch auch in ihren Köpfen vorhanden sein.
Misstrauen und Unterstellungen vergiften das Klima
Auf der anderen Seite sind natürlich auch Verhaltensweisen auf der anderen Seite zu kritisieren. Wo kommen wir hin, wenn der türkische Botschafter ziemlich unverhohlen sein Recht auf einen Sitzplatz im Verhandlungssaal reklamiert? Wo kommen wir hin, wenn das (ungeschickte) Beharren des Gerichts auf seine (formal korrekte) Entscheidung von türkischer Seite gleich als Ausdruck von Vorurteil und Parteilichkeit gewertet wird. Das ist nicht weniger arrogant und ungehörig.
Und wenn türkische – inzwischen aus falsch verstandener Solidarität auch deutsche – Medien vor dem BVG in Karlsruhe einen Platz im Gerichtssaal einklagen wollen, ist das ebenso dumm wie lächerlich. Soll doch keiner glauben, dass die Karlsruher Richter ihre Münchner Kollegen wegen „diplomatischer Ungeschicktheit und arroganter Sturheit“ rügen, wenn diese formal alles richtig gemacht haben! So naiv kann doch kein vernünftig denkender Mensch sein.
Das deutsch-türkische Verhältnis ist geprägt von Misstrauen und Unterstellungen. Wie tief der Stachel sitzt, wird immer dann überdeutlich, wenn in Deutschland ein Unglück geschieht, von dem Menschen türkischer Herkunft betroffen sind – wie jüngst bei dem Wohnhausbrand in der süddeutschen Kleinstadt Backnang. Eine Mutter und sieben ihrer Kinder kommen dabei ums Leben. Das ist furchtbar, eine menschliche Tragödie, die uns alle berührt und mit Trauer erfüllt.
Von offizieller türkischer Seite indes wird sofort lauthals der Verdacht geäußert, es handle sich um ein scheußliches Verbrechen, begangen aus fremdenfeindlichen Motiven. Und deshalb, so der „logische Schluss“, müssten an der Aufklärung der Brandursache auch türkische Spezialisten beteiligt werden. Das haben die deutschen Behörden zunächst abgelehnt. Doch selbst nachdem feststeht, dass kein Verbrechen vorliegt, sondern fahrlässiges Verhalten eines Familienmitglieds zu diesem Brand geführt hat, fordern die Angehörigen hartnäckig die Einschaltung türkischer Gutachter, weil sie den deutschen Ermittlungsbeamten nicht trauen. Die türkischen Spezialisten sollen dann möglichst zu der Erkenntnis kommen, dass ein elektrischer Defekt das Feuer verursacht hat. Wenn schon keine Neonazis zur Verantwortung zu ziehen sind, dann wenigstens ein deutscher Hausbesitzer.
Es geht auch anders
Dass es auch anders geht, zeigt sich jetzt im Fall des vor einem halben Jahr am Berliner Alexanderplatz von einer Gruppe aggressiver Jugendlicher totgeprügelten Schülers Jonny K.. Der Hauptverdächtige Onur U. hat sich kurzerhand in die Türkei abgesetzt, und da er die doppelte Staatbürgerschaft besitzt (wie praktisch doch manchmal zwei Pässe sein können), lehnte die türkische Justiz ein Auslieferungsersuchen der deutschen Gerichte schlicht ab. Das wiederum hat in der deutschen Öffentlichkeit für ziemlich viel Unmut gesorgt.
Plötzlich kommt Bewegung in die Geschichte, und die türkische Justiz nimmt tatsächlich die Ermittlungen gegen den mutmaßlichen Totschläger u. a. wegen des Verdachts des vorsätzlichen Mordes an Jonny K. auf. Vermutlich nicht ganz aus freien Stücken, sondern wohl eher auf Empfehlung (oder Druck?) des türkischen Staatschefs Erdogan. Dieser wiederum hätte sich wohl auch weiterhin bedeckt gehalten, hätte nicht Angela Merkel bei ihrem letzten Türkeibesuch im Februar d.J. in Sachen Onur U. interveniert und deutlich gemacht, dass sie hier eine aktive Fahndungsarbeit seitens der türkischen Justiz erwartet.
Und siehe da, am 9. April 2013 landet Onur U. in Begleitung seines Anwalts in Berlin-Tegel und stellt sich der deutschen Behörden. Na also, geht doch! Hätten ihn die türkischen Behörden nicht zur Fahndung ausgeschrieben, hätte er sich weiter einen schlauen Lenz in seiner 1. Heimat gemacht. Die Aussicht, dort nach Erwachsenenstrafrecht zu einer sehr hohen Freiheitsstrafe verknackt zu werden und diese dann in einem Gefängnis absitzen zu müssen, in dem es definitiv weniger kuschelig zugeht als in der Wellness-Oase einer deutschen JVA, hat den Knaben sehr schnell dazu bewogen, sich doch lieber einem Gericht in seiner 2. Heimat zu stellen. Wie praktisch doch manchmal zwei Pässe sein können!
Wie dem auch sei, hier hat der politische Druck etwas bewirkt, das die Juristen alleine nicht zustande gebracht hätten. Vielleicht sollte unsere Kanzlerin auch einmal in München anrufen und den Richtern am dortigen OLG mit dem ihr eigenen diplomatischen Geschick verklickern, dass sie keinen Deut von ihrer verfassungsmäßig garantierten Unabhängigkeit aufgeben, wenn sie bei der Platzvergabe zum NSU-Prozess ein wenig von ihrer formaljuristischen Starrköpfigkeit abrücken und stattdessen mit etwas Entgegenkommen ein wenig zur Klimaverbesserung in dem schwierigen Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei beitragen.