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Kein freies Geleit für Edward Snowden! – Wo bleibt das deutsche Asylrecht?

Von Peter Haisenko 

Die Bundesregierung hat am 27. Mai 2014 bekanntgegeben, dass sie nicht für die Sicherheit Edward Snowdens garantieren kann, wenn er in Deutschland einreisen sollte, um vor dem Untersuchungsausschuss auszusagen. Wie kann es sein, dass das größte Land Europas nicht für die Sicherheit eines dringend benötigen Zeugens garantieren kann, ihm nicht einmal freies Geleit versprechen will? In welcher Weise könnte die Sicherheit Edward Snowdens gefährdet sein, wenn er sich in Deutschland aufhält? Wäre das Verhalten der deutschen Regierung ein anderes, wenn Snowden aus einem anderen Land als den USA käme?

Selbst in Zeiten des finstersten Mittelalters wurde das „freie Geleit“ als eines der höchsten Güter für diplomatische Bemühungen jenseits direkter Waffengänge allseits respektiert. Derjenige, der freies Geleit zusagte, war auch verantwortlich für die Unversehrtheit des Emissärs. Freies Geleit (oder sicheres Geleit) bezeichnet eine Zusage an eine bestimmte Person, nicht belästigt, angegriffen oder verhaftet zu werden. Im modernen Prozessrecht bezeichnet „Sicheres Geleit“ die Zusage eines Gerichts an einen Beschuldigten, ihn im Zugriffsbereich der Justizorgane nicht in Gewahrsam zu nehmen. Eine solche Zusage soll wichtige Zeugen eines Verfahrens, die sich im Ausland aufhalten, zur Einreise und Aussage bewegen. In Deutschland bildet § 295 StPO die Rechtsgrundlage für eine solche Zusage.

Snowden ist nicht zur Fahndung ausgeschrieben

Auch in völkerrechtlichen Vereinbarungen über die Rechtshilfe in Strafsachen gibt es häufig Bestimmungen, deren Zweck es ist, bei der Überstellung eines Zeugen vom In- ins Ausland oder bei seiner Ladung zu einer Vernehmung im Ausland zu gewährleisten, dass er im Ausland nicht wegen einer früheren Tat verfolgt wird. Sie können als Ausdruck einer jedenfalls begrenzten Anerkennung des Rechts auf freies Geleit verstanden werden. Das trifft zweifellos zu für den Fall, dass Edward Snowden vor dem NSA-Untersuchungsausschuss aussagen soll. Warum also kann die Bundesregierung in diesem Fall kein freies Geleit garantieren?

Die USA haben bereits einen Auslieferungsantrag für Edward Snowden in Deutschland gestellt. Trotzdem ist Snowden in Deutschland nicht zur Fahndung ausgeschrieben. Er muss also nicht sofort verhaftet werden, wenn er deutschen Boden betritt. Ein geschickter Schachzug unserer Kanzlerin, die so dezent zum Ausdruck bringt, dass sie nicht mit der US-Einschätzung konform geht. Deutsches Asylrecht beschreibt explizit das Recht auf Asyl, wenn es sich um einen Verfolgten handelt, der aus politischen Motiven der Verfolgung ausgesetzt ist. Das trifft im Fall Snowden zu. Er ist nur seinem Gewissen gefolgt. Unsere Regierung müsste folglich mindestens zwei solide Gründe haben, Edward Snowden nicht an die USA auszuliefern, sogar für seine Sicherheit zu garantieren. Besonders dann, wenn er als Zeuge geladen wird. Warum also kann sie das nicht garantieren?

Was, wenn Snowden nicht Amerikaner wäre?

Ich sehe dafür nur zwei mögliche Erklärungen: 1. Die Beziehungen zu den USA sind wichtiger als deutsches und internationales (Asyl-)Recht. 2. Deutschland ist de facto nicht wirklich ein souveräner Staat, sondern untersteht nach wie vor der Weisungshoheit der USA, also dem Besatzungsstatut. Die traurige Wahrheit ist: Beides trifft zu! Wäre Snowden Bürger irgendeines anderen Landes auf der Welt (außer USA und Groß Britannien), würde er als politisch Verfolgter nach deutschem Recht Asyl bekommen, und die deutschen Behörden würden alles dafür tun, seine Unversehrtheit zu bewahren, so lange er sich hier aufhält.

Da Deutschland nach offizieller amerikanischer Lesart aber immer noch „Feindland“ ist, ist ein Auslieferungsgesuch der USA für einen US-Bürger gleichbedeutend mit einem Auslieferungsbefehl. Sich einem solchen Befehl zu widersetzen, traut sich unsere Regierung nicht. Zu groß ist die Angst vor diplomatischen, politischen und wirtschaftlichen Verwerfungen. Wenn hier oder dort Zweifel an der Souveränität des deutschen Staats gegenüber den USA geäußert werden, wie selbst Minister Schäuble es getan hat, dann werden diese Zweifel durch die Haltung unserer Regierung zum Fall Snowden ganz gewiss nicht zerstreut.

Ich traue den USA durchaus zu, Edward Snowden in einer Geheimdienstoperation zu entführen, sobald er sich in Deutschland aufhält. Sie haben ähnliche Operationen in allen möglichen Ländern hundertfach durchgeführt, und etliche der meist unschuldigen Delinquenten befinden sich nach wie vor unrechtmäßig in Folterhaft in Guantanamo. Gleichwohl sollte die deutsche Regierung in der Lage sein, eine solche Entführung zuverlässig zu verhindern. Die Frage lautet also: Darf sie das? Darf die deutsche Regierung geheimdienstliche Zugriffe der Amerikaner auf deutschem Boden verhindern?

Die Antwort ist ein eindeutiges: Ja! Sie darf es, sie kann es und sie muss es. Die Snowden-Affaire wäre sogar eine günstige Gelegenheit, um den Amerikanern deutlich zu machen, dass die Deutschen nicht länger gewillt sind, das Besatzungsstatut anzuerkennen und endlich einen ordentlichen Friedensvertrag mit den USA (und Groß Britannien) schließen wollen. Dann nämlich wäre Deutschland wirklich souverän. Einen anderen Aspekt dürfen wir natürlich auch nicht außen vor lassen, nämlich den, dass unsere Regierung befürchtet, die Aussage Snowdens vor dem NSA-Untersuchungsausschuss könnte weitere Rechtsbrüche belegen. Zum Beispiel auch die grundgesetzwidrige Zusammenarbeit des BND mit der NSA. Eine beweiskräftige Offenlegung solcher Machenschaften durch Edward Snowden käme unserer Regierung ganz und gar nicht gelegen.

Düsteres Bild der US-Administration im deutschen TV

Wie in der Dokumentation von ZDF-info am 27. 5. 2014 „USA-Operation Allmacht“ eindrücklich dargestellt wird, verstoßen die USA vorsätzlich mit Finten und Drohungen unterlegt gegen ihre eigene Verfassung – mit einer „Presidential Order“ ihres damaligen Präsidenten George W. Bush. Dieser hat kurz nach dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 die streng geheime Order erteilt, alles und jeden abzuhören und zu speichern – auch amerikanische Bürger. In dieser Doku ist auch belegt worden, dass die Pläne und die Software dafür bereits vor, ich wiederhole, vor dem 11. September bereitlagen. Der 11. September hat dann nur noch die „moralische Rechtfertigung“ geliefert für die Durchführung. Ein Schelm, der hier Schlechtes denkt!

Auch die zweiteilige Dokumentation des ZDF von Elmar Tevesen am 27./28. Mai „Verschwörung gegen die Freiheit“ zeichnet ein düsteres Bild der US-Regierung. Unzweifelhaft wird belegt, wie die Vergehen der US-Regierung gegen die eigene Verfassung mit Geheimhaltung und Repression umgeben werden. Menschen, die ihrem Gewissen folgend ihre Zweifel öffentlich machen, werden mit Prozessen überzogen, bedroht und ihres Vermögens beraubt. Der Aufschrei der Medien bleibt aus. Man stelle sich vor, ähnliche Vorwürfe könnten gegen Russland erhoben werden!

Dem aufmerksamen Betrachter dieser Dokumentationen stellte sich unweigerlich die Frage: Wie kann irgendjemand dieses Land mit dieser Regierung als „Freund“ haben wollen? Ein Land das nicht nur die ganze Welt ausspioniert und (militärisch) dominiert, sondern auch die eigenen Bürger verfassungswidrig pauschal unter Generalverdacht stellt; die Unschuldsvermutung ins Gegenteil verkehrt, eine der Säulen jeder Demokratie? Ein Land, das permanent „Krieg gegen den Terror“, also gegen alles und jedes führt?

Die Kardinalfrage nach der Souveränität Deutschlands

Passend dazu hat Präsident Obama am 28. Mai erklärt, dass die USA die führende Weltmacht bleiben müssen und hierfür alle „nötigen Mittel“ einsetzen werden. Perfide der Zusatz, dass die USA in Zukunft ihre Vasallen anhalten wollen, ihre eigenen Soldaten für die Ziele der USA in die Welt zu schicken. Da werden Erinnerungen wach an die Geschichte des Zweiten Weltkriegs, als die USA die Sowjetunion mit Material und Ausrüstung in unvorstellbarem Ausmaß beliefert hatten, um gegen die Deutsche Wehrmacht die Hauptarbeit unter enormen Verlusten zu erledigen. Erst als die Niederlage Deutschlands deutlich sichtbar geworden ist, nach Stalingrad, sind die USA in diesen Krieg eingetreten.

Sollte Edward Snowden deutschen Boden betreten und dann an die USA ausgeliefert werden, wird die Kardinalfrage nach der tatsächlichen Souveränität Deutschlands nicht mehr zu vermeiden sein. Ob der Fall Snowden letztlich der Impulsgeber zur Klärung dieser Frage sein wird, bleibt abzuwarten. Sicher ist: Der Tag ist nicht mehr fern, an dem diese Sache zur Sprache kommen muss. Dazu trägt auch der Konflikt um die Ukraine bei. Die Amerikaner beschließen vollmundig Sanktionen, den Schaden haben die Europäer, allen voran Deutschland. Bei aller freundschaftlichen Verbundenheit mit den USA: Das mächtigste Land Europas darf sich nicht länger am angloamerikanischen Gängelband durch die Arena treiben lassen.

Lesen Sie dazu auch: Sind die USA noch unsere Freunde? – Falsche Frage!

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