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Bernd Biedermann antwortet auf dringende Fragen zur Zeit

Bernd Biedermann, Militärexperte und erfahrener Diplomat beantwortet Fragen zur aktuellen Lage. Die Fragestellerin Ilona Schäfer und ihr Mann Johannes sind uns bekannt als rührige Aktivisten für die wahren „westlichen Werte“, die sie als ehemalige DDR-Bürger immer weniger als Leitmotiv der Politik erkennen können. Sie stellen die Fragen sozusagen aus dem Volk, die uns von den Qualitätsmedien nicht ehrlich oder hinreichend beantwortet werden.

Ilona Schäfer

Wir haben gesehen und gehört, wie Wladimir Putin während der UNO-Vollversammlung in New York eine weltweite Antiterrorkoalition vorgeschlagen und angemahnt hat, um den Krieg in Syrien zu beenden und eine weitere Ausbreitung des Flächenbrandes zu verhindern.

Das wurde von Obama und in den Medien verächtlich abgetan. Frau Merkel und Herr Steinmeier sahen sich gerade mal zu Äußerungen veranlasst, es sei an der Zeit, Russland „mit ins Boot zu holen“. Bescheiden klang das gerade nicht, aber immerhin ein Lichtblick in der Ratlosigkeit angesichts der Ergebnisse „eigener“ Politik?

Bernd Biedermann

Die Rede des russischen Präsidenten vor der UNO war in jeder Hinsicht bemerkenswert und überzeugend. Ich habe sowohl den russischen Text als auch die die deutsche Übersetzung von Reinhard Lauterbach gelesen. Wladimir Putin hat aufrichtig und glaubhaft gesprochen, ohne die übliche diplomatische Verschleierung. Mehrfach hat er sich direkt an seine anwesenden Kollegen, die Staatsoberhäupter und Regierungschefs, gewandt. Sehr deutlich wurde er, als er sagte, „dass die Weltlage, wie sie sich entwickelt hat, nicht mehr auszuhalten ist.“ Wörtlich sagte er: „Ich möchte alle, die eine solche Situation geschaffen haben, einfach nur fragen: Versteht ihr wenigstens jetzt, was ihr angerichtet habt?“

Kurz zuvor hatte ja sogar Papst Franziskus in Südamerika auf seine Weise gesagt, dass das System nicht mehr zu ertragen ist.

Abschließend appellierte Putin, die Anstrengungen zur Erhaltung des Friedens zu vereinen und eine weltweite Antiterror-Koalition zu schaffen. Man wird sehen, wer dazu wirklich bereit ist.

Ilona Schäfer

Wie beurteilen Sie die Aktion der Russischen Luftwaffe in Syrien? Was sagen Sie zu dem Vorwurf, Moskau hätte damit eigenmächtig in den „Bürgerkrieg“ eingegriffen?

Bernd Biedermann

Der Vorwurf wird unbegründet erhoben, denn Moskau hat nicht eigenmächtig eingegriffen, sondern auf Bitten der syrischen Regierung von Baschar Al-Assad und nach einem entsprechenden Beschluss des Parlaments der Russischen Föderation. Noch vor Beginn der ersten Angriffe russischer Flugzeuge gegen Positionen des IS hat der russische Militärattaché in Damaskus seinen US-amerikanischen Kollegen darüber informiert. Das war ein völlig korrektes Vorgehen, wie es sich in solchen Fällen gehört.
Ohne zu sehr in militärische Details zu gehen, hier doch ein paar Angaben zu den russischen Kräften und Mitteln in Syrien. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind auf einem Flugplatz bei Latakia etwa 50 Kampfflugzeuge unterschiedlicher Typen und Bewaffnung stationiert. Schon zwei Tage nach Beginn ihres Einsatzes zeigte sich, dass sie ungleich wirksamer waren als die vorherigen Aktionen US-amerikanischer und französischer Flugzeuge.

Johannes Schäfer

Es wird behauptet, die russische Militäraktion werde die Zerstörung Syriens auf die Spitze treiben, indem sie das Assad-„Regime“ verteidigt. Die russische Luftwaffe dürfe außer dem „Islamischen Staat“ keine „gemäßigten“ „oppositionellen“ Gruppierungen angreifen. Vorwiegend ablenkende Rhetorik oder Beweis dafür, dass die USA besonders empfindlich getroffen wurden?

Bernd Biedermann

Aus meiner Sicht besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass die russischen Flieger auch Stellungen der sog. „gemäßigten, moderaten Gruppierungen“ angegriffen haben und mit Sicherheit auch weiter angreifen werden. Diese Gruppierungen sind, wie in zahlreichen Berichten bereits nachgewiesen, personell, finanziell und militärisch durch den CIA ausgerüstet worden.

Ihre Aktionen zielen darauf ab, die legitime Regierung Syriens zu liquidieren, wie man es auch in Tunesien, in Libyen, im Irak, in Afghanistan und in Jemen, früher schon in Chile und nicht zuletzt in der Ukraine betrieben hat, entweder als „Revolution“, als „Arabischen Frühling“ bzw. als „Bürgerkrieg“ präsentiert. Diese Politik des Westens hat die Zerstörung Syriens ausgelöst und den „IS“ auf den Plan gerufen. Insofern werden natürlich die USA empfindlich getroffen.

Es ist schon sehr plump gelogen, wenn behauptet wird, die russische Militäraktion würde die Zerstörung Syriens auf die Spitze treiben. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Ohne eine legitime Regierung in Syrien würde nicht nur das Land selbst ins Chaos stürzen, sondern auch die gesamte Region. Wer das auch angesichts der mörderischen Kampfführung des „IS“ und der Zerstörung von einmaligen Denkmälern der Geschichte nicht wahrnehmen will, muss die Folgen in Kauf nehmen.

Übrigens: Bei „IS“-Kämpfern, die im Umfeld des Flugplatzes von Latakia von russischen Soldaten gefangen genommen wurden, fand man neueste Satellitenfotos, auf denen ziemlich genau zu erkennen war, welche Flugzeuge dort stationiert sind. Angesichts der Tatsache, dass die USA bis heute keine Satellitenbilder veröffentlicht haben, auf denen die Lage am Tag des Absturzes von MH17 über der Ostukraine zu erkennen ist, darf man fragen: Welches perverse Spiel wird hier gespielt?

Ilona Schäfer

Noch bevor der erste russische Kampfjet gestartet war, wurden schon „Nachrichten“ verbreitet, Zivilisten seien getötet worden. Gleichzeitig wird jetzt täglich „gewarnt“, Russland verletze immer wieder die türkische, also die NATO-Lufthoheit.

Ist mit einem Schritt der NATO zu rechnen, um Russland einen Krieg aufzuzwingen?

Bernd Biedermann

Diese Art der vorausschauenden Berichterstattung mit willkürlichen Anschuldigungen und Drohungen ist inzwischen Gang und Gäbe. Abgesehen davon, dass man anschließend meist keine Beweise vorbringen kann, an ein Dementi denkt schon kaum noch jemand. Wenn man die sog. Rebellen als Zivilisten ansieht, dann würde die Behauptung stimmen. Sie sind im militärischen Sinne keine Zivilisten, sondern bewaffnete Kombattanten. Sie töten täglich Menschen, die die legitime syrische Staatsmacht vertreten, und auch Unschuldige. Sie zu schonen, wäre sehr gefährlich.

Was die Verletzung des türkischen Luftraums angeht, so muss man wissen, dass es für einen Piloten sehr schwierig ist, zu jedem Zeitpunkt des Fluges genau festzustellen, ob er noch im eigenen oder bereits im gegnerischen Luftraum fliegt. Ländergrenzen sind ja aus der Luft nicht erkennbar. Natürlich hat die türkische Luftwaffe angesichts der Lage nun ständige Abfangjäger im grenznahen Raum in der Luft. Schon bei der Annäherung eines Flugzeuges an die Grenze werden Abfangaktionen eingeleitet. Im konkreten Fall hat sich die russische Seite dafür entschuldigt, dass es infolge eines Navigationsfehlers zu einer Verletzung des türkischen Luftraums während mehrerer Sekunden gekommen war. Wie oft die türkische Seite schon den syrischen Luftraum verletzt hat, ohne sich zu entschuldigen, kann nur vermutet werden.

Wie „es der Zufall wollte“, haben die USA in der Nacht darauf das Krankenhaus der „Ärzte ohne Grenzen“ in Kabul bombardiert und zahlreiche unschuldige Menschen getötet. Die lapidare Erklärung, es handle sich um einen Kollateralschaden, ist wieder einmal ganz im Sinne US-amerikanischer „Menschenrechte“ und zugleich doch keine Begründung, es sei denn, man wertet sie als Eingeständnis militärischer Unfähigkeit. Aber immerhin: Der Friedens-Nobelpreisträger Obama hat sich ja auf der Gangway „entschuldigt“.

Die NATO muss sich genau überlegen, ob sie Russland einen Krieg aufzwingen will. Dort, wo sie es versuchen könnte, ist das militärische Kräfteverhältnis keineswegs zugunsten der NATO, zum Beispiel auch im Baltikum und im Raum des Schwarzen Meeres. Außerdem steht fest, dass Europa, insbesondere Zentraleuropa, insgesamt kriegsuntauglich ist. Das gilt für jeglichen Krieg, ob mit oder ohne Kernwaffen. Allein die Anfälligkeit der modernen Infrastruktur ist extrem hoch. Ein Krieg in Europa würde das Ende der europäischen Zivilisation sein.

Ilona Schäfer

Jetzt wird vorausgesagt, der Flüchtlingsstrom werde sich noch enorm verstärken. Das wird wohl stimmen.

Halten Sie die sich ergebenden Befürchtungen in der Bevölkerung – und auch in unserem Publikum – für berechtigt?

Was lässt sich über die wahrscheinlichen Zuspitzungen sagen? Was kann man dazu beitragen, vernünftige Entscheidungen zu erzielen?

Bernd Biedermann

Die verantwortlichen Politiker müssen die Befürchtungen und Ängste der Menschen ernst nehmen, die angesichts des Flüchtlings-Tsunami nicht nur in Deutschland aufkommen. Ohne die Bereitschaft breiter Kreise der Bevölkerung ist die Bewältigung der dadurch entstehenden Probleme nicht möglich.

Momentan habe ich den Eindruck, dass jetzt bereits ein Kontrollverlust des Staates, ja der Europäischen Union, eingetreten ist. Es stellt sich die Frage, ob man mit Härte oder mit Nachsicht reagieren soll. Selbstverständlich verdienen die Flüchtlinge Mitgefühl und Hilfe. Aber eine wirkliche Hilfe kann, wie Wladimir Putin vor der UNO ausführte, …“nur darin bestehen, dass die staatlichen Strukturen dort, wo sie vernichtet wurden, wiederhergestellt werden.“ Seiner Meinung nach besteht der Weg darin, …“den in Schwierigkeiten geratenen Ländern […] allseitig zu helfen: militärisch, wirtschaftlich und materiell.“ Das ist auch voll und ganz meine Meinung.

Frau Merkel hat am 7. 10. – nicht etwa in einer Kabinettsitzung, sondern in einer Sendung der ARD – ihr Verantwortungsgefühl für die Flüchtlinge erläutert. Die Regierenden bauen offensichtlich darauf, dass sich 75 Prozent der Wähler damit begnügen, ob sie Politiker sympathisch finden oder nicht. Insofern war das eine „vertrauensbildende“ Sendung.

Angesichts der Lage sind aber höchste Aufmerksamkeit und Realitätssinn geboten. Mit Notunterkünften und schneller Abschiebung wird nicht alles zu regeln sein.

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