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Frankreichs Misstrauen gegen die NATO läutet neue europäische Politik ein

Von Peter Haisenko 

Vor lauter Terroralarm und Migrantenproblemen geht die eigentliche Sensation von historischer Bedeutung unter: Frankreich misstraut der NATO und ruft den innereuropäischen Bündnisfall aus. Der Artikel 42, Absatz 7 des sogenannten Lissabon-Vertrags wird erstmals aufgerufen. Er verpflichtet die europäischen Partner zu militärischer Hilfeleistung, wenn ein europäischer Staat angegriffen wird und – wie jetzt Frankreich – darum bittet. Warum ruft Frankreich nicht den NATO-Bündnisfall aus?

Schon Charles de Gaulle hat der NATO misstraut und Frankreich war über lange Jahre aus dem Bündnis ausgetreten. Die NATO steht de facto unter dem Kommando der USA und die „Grande Nation“ wollte das nicht einfach hinnehmen. Frankreich hat auch nicht vergessen, dass die Zerstörungen im eigenen Land während des Zweiten Weltkriegs vor allem dem rücksichtslosen Vorgehen der US-Army geschuldet sind. Nicht nur für Frankreichs Premier Hollande muss in den letzten Monaten unübersehbar geworden sein, dass die USA in Syrien und Umgebung ein doppeltes Spiel spielen. Ihre „Luftschläge“ – seit einem Jahr angeblich gegen den IS gerichtet –haben keinerlei Wirkung gezeigt. Dann kam Putin.

Russlands Erfolg in Syrien zwingt die USA zum umdenken

Abgesehen davon, dass einzig die Einsätze Russlands in Syrien völkerrechtskonform sind, hat Russland innerhalb weniger Wochen den IS ins Mark getroffen. Die russische Initiative hat ein weltweites Umdenken bewirkt und sogar die USA, Saudi-Arabien und den Iran an einen Tisch zu Konferenzen in Wien gezwungen. Es ist durchaus als sensationell zu bewerten, dass bei diesen Treffen nicht nur leere Worthülsen produziert wurden, sondern konkrete Ergebnisse in nie dagewesen kurzer Zeit verkündet worden sind. Erwartungsgemäß zögerlich, aber schließlich doch geben nun die USA, die den Schlamassel im gesamten Mittelmeerraum angerichtet haben, klein bei und stimmen zu, dass die Regierung Assad nicht von außen – also von den USA – gestürzt werden darf. Eine dramatischere Kehrtwendung ist kaum vorstellbar, wenn die USA jetzt nur – und nur dem syrischen Volk selbst das demokratische(!) Recht zugestehen, über seine Regierung und seine Zukunft zu bestimmen. Das Mantra „Assad muss weg“ ist der Vernunft gewichen, dass nur die rechtmäßige Regierung Assad dem Morden des IS ein Ende setzen kann.

Ich zitiere Einstein: „Probleme können niemals mit derselben Denkweise gelöst werden, durch die sie entstanden sind.“ In den letzten Monaten durfte in einigen Diskussionen ein Zipfelchen der Wahrheit angesprochen werden in dem Sinn, dass es die USA sind, die die Verantwortung für das Chaos rund ums Mittelmeer tragen müssen. Es hat lange gedauert, zu lange, bis die Erkenntnis nun allmählich auch bei den Transatlantikern durchsickert, wie wenig sinnvoll es sein kann, darauf zu warten, bis die USA das von ihnen verursachte Morden beenden. Die neue Linie der USA zu Syrien ist nicht tieferer Einsicht geschuldet, sondern dem Umstand, dass Russland der Welt aufzeigt, wie gegen Terroristen vorgegangen werden muss, wenn, ja wenn man wirklich Erfolge erzielen will.

Schallende Ohrfeige für Washington

Die Toten von Paris haben Frankreich und Europa erschüttert. Markus Söder hat gesagt, Paris verändert alles. Wie er das gemeint hat, weiß nur er selbst. Ich stimme ihm insofern zu, dass durch dieses Ereignis wohl einige Europäer erwachen und erkennen, dass die Ziele Washingtons nichts mit den Interessen der Europäer gemein haben. Hollande, der Präsident der getroffenen Nation, hat nun die Konsequenzen gezogen. Er kann das, was unsere USA-gesteuerte Kanzlerin nicht kann: Er erteilt Washington eine schallende Ohrfeige. Wie anders kann das interpretiert werden, wenn Frankreich die Zusammenarbeit mit der NATO ablehnt und eine Allianz mit Russland vorzieht? Genau darum geht es, wenn eben nicht der NATO-Bündnisfall ausgerufen wird, sondern der innereuropäische. Nur so ist es möglich, mit Russland zusammen zu arbeiten, ohne die störenden Interventionen aus Übersee.

Die Anschläge des IS in Paris sind ein Zeichen der Schwäche – des IS. Innerhalb weniger Wochen hat die Intervention Russlands den IS in eine prekäre Situation gebracht. Großflächig wird er von Assads Truppen mit Unterstützung der Russen verjagt und die USA evakuieren mittlerweile mit Hilfe der Saudis und der Türkei ihre IS-Kämpfer Richtung Jemen. (Aus diesem Grund haben sie wohl in Wien angekündigt, 50 Soldaten – völkerrechtswidrig – nach Syrien zu entsenden.) Munitionsvorräte sind zerstört und Kommandozentralen vernichtet. Frankreich fliegt nun Angriffe gegen echte Ziele – in Raffa zum Beispiel – anstatt nur Bomben, deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, in der Wüste zu entsorgen. Plötzlich melden sogar die Amerikaner, dass sie Konvois von Tanklastwagen zerstört haben. Warum erst jetzt? Weil sie von Russland düpiert sind. Solange niemand vorgeführt hatte, wie es richtig zu machen ist, konnten die USA behaupten, es ginge nicht besser. Aber vielleicht können sie es wirklich nicht besser? Wenn dem so wäre, wäre Frankreichs Schwenk Richtung Moskau noch verständlicher. Schließlich hat Frankreich – und mit ihm ganz Europa – ein echtes Interesse am Ende des Terrors und muss sich so dem Partner zuwenden, der wirklich helfen kann und will.

Tiefe Zäsur in der internationalen Politik

Hollande hat direkt nach den Anschlägen gesagt, er wüsste, wer dafür verantwortlich ist. Wen er meinte, hat er nicht gesagt. Er mag in Erinnerung an die Anschläge auf „Charlie Hebdo“ die Mörderbanden des IS gemeint haben, womöglich hatte er aber auch noch andere Gedanken. In jedem Falle ist es höchst bemerkenswert, dass er eine militärische Zusammenarbeit mit NATO/USA gar nicht erst in Betracht zieht, sondern sofort die Unterstützung durch die Europäer und Russland präferiert. Nicht nur Hollande, alle Politiker Europas können nicht mehr ignorieren, in welchem Ausmaß Washington für die Ukraine-Krise und die militärischen Auseinandersetzungen dort verantwortlich ist. Sie wissen auch, dass die Sanktionen gegen Russland nur die europäische Wirtschaft treffen, nicht die amerikanische.

Die Ausrufung des europäischen Bündnisfalls durch Frankreich ist eine tiefe Zäsur in der internationalen Politik. Europa darf der NATO nicht mehr trauen. Wir wissen, in welchem Ausmaß der NATO-Partner Türkei den IS unterstützt und jetzt Europa mit den Migrantenströmen erpresst. Wer einigermaßen bei klarem Verstand ist, weiß, dass Russland weder aggressiv ist, noch irgendwelche Absichten haben kann, sein Territorium, das sowieso das größte der Welt ist, mit militärischen Mitteln auszuweiten. Wir wissen aber auch, dass es die USA sind, die mit 1.500 Militärbasen weltweit die „Pax Americana“ der ganzen Welt aufzwingen wollen. Wir müssen sehen, wie dieses Ziel weite Teile der Welt zerstört. Warum handelt Washington so? Wahrscheinlich weil die Amerikaner nicht alleine untergehen wollen.

Die USA stehen mit dem Rücken zur Wand

Betrachten wir die Realität: Während überall auf der Welt teilweise rasante Fortschritte zu beobachten sind, besonders in Russland und China, ist der fortschreitende Verfall der USA unübersehbar. Große Städte müssen in die Insolvenz gehen, die Infrastruktur ist flächendeckend in einem jämmerlichen Zustand und 45 Millionen US-Bürger können nur dem Hunger entkommen, weil sie von Lebensmittelmarken leben. Der größte Schuldner der Welt sind die USA. Sie sind pleite und es ist kein Lichtstreif am Horizont erkennbar. Das also soll das Modell für das Gedeihen der Welt sein?

Seit etwa zwei Jahren arbeiten China und Russland daran, die Dominanz des Dollars zu brechen, die Grundlage für das System, mit dem die USA die ganze Welt ausbeuten. Auch die Waffen und Gehälter des IS werden in Dollar bezahlt. Dollar, die von den USA in beliebiger Menge einfach gedruckt werden. Die USA selbst wissen es: Sobald der Dollar nicht mehr dominant ist, ist Schluss mit der amerikanischen Herrlichkeit. Schluss mit gekauften Parlamenten und Mördern. Sie stehen mit dem Rücken zur Wand. Nicht einmal mehr auf ihr Militär können sie setzen, wenn sie einem ernstzunehmendem Gegner wie Russland oder China direkt gegenüberstehen. Nur so ist erklärlich, warum sie jetzt auf der Wiener Konferenz von ihrem schrecklichen Kurs abweichen, der uns Europäern so große Probleme beschert hat.

Humane Marktwirtschaft für eine friedliche Zukunft

Frankreich und Hollande haben wohl erkannt, dass Europa die NATO nicht mehr braucht, und zwar bereits seit 1990, nachdem die Sowjetunion aufgehört hat zu existieren. Russland ist nicht unser Feind und gegen wen sonst sollte uns die NATO „verteidigen“? Mit der Ausrufung des europäischen Bündnisfalls tut Frankreich folgerichtig das, was Deutschland nicht darf: Europa auffordern, selbstständig seine Interessen zu vertreten, ohne die NATO. Die militärische Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Russland lässt die Hoffnung aufkeimen, dass wenigstens Frankreich erkannt hat, was Europa wirklich weiter bringt: Eine friedliche Zusammenarbeit in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum von Wladiwostok bis Lissabon. Und zwar unabhängig davon, wie sehr auch immer Washington dagegen intrigiert. Wofür hat denn Europa seine „schnelle Eingreiftruppe“ aufgestellt? Eben damit Europa auf Herausforderungen reagieren kann, wie sie jetzt in Syrien gemeistert werden müssen. Gegen Russland brauchen wir sie nicht.

Bei allen politischen Überlegungen darf eines nicht übersehen werden. Das destruktive Treiben der USA ist nur möglich, weil sich die Welt deren Finanzdiktat nach wie vor beugt. Wenn wir also Frieden, den Weltfrieden wollen, dann müssen wir uns schleunigst von diesem Turbokapitalismus amerikanischer Prägung verabschieden. Wir dürfen uns nicht mehr mitschuldig machen, indem wir auch noch das US-Militär mit finanzieren. Doch welche Alternative gibt es zum bestehenden System, ohne durch extreme politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Verwerfungen chaotische Zustände herbeizuführen, die noch mehr Krieg, noch mehr Terror, Hunger, Elend, Vertreibung und Tod über die Menschheit bringen? Seit wenigen Tagen gibt es eine: Mit der Humanen Marktwirtschaft haben wir – Hubert von Brunn und ich – ein System vorgestellt, das die Anhäufung von gigantischen Geldmengen im herkömmlichen Sinn ausschließt und damit die undemokratische Macht des Kapitals bricht. Lesen Sie das Buch und entscheiden Sie selbst, ob das der Weg in eine gerechte und friedliche Zukunft sein kann.

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