Dauerhafter Frieden für Nahost verlangt nach neuen Grenzziehungen
Von Peter Haisenko
Seit nunmehr 100 Jahren ist der Nahe und Mittlere Osten ein zuverlässiger Herd für kriegerische Auseinandersetzungen. Vor 1916 gehörte der größte Teil dieses Bereichs zum Osmanischen Reich und war friedlich – bis dieses vom British Empire angegriffen und zerschlagen worden ist. Wie in anderen Teilen der Welt hat das BE auch im Nahen Osten willkürliche Grenzen gezogen, die dauerhafte Konflikte garantieren – bis heute.
In der Betrachtung aller möglicher Konflikte wird vom Westen immer wieder auf die Unverletzlichkeit der bestehenden Grenzen verwiesen. Aber muss man nicht angesichts der offensichtlich unlösbaren Konflikte genau das hinterfragen? Schließlich handelt es sich um Grenzfestlegungen, die teilweise keine 25 Jahre alt sind (Ukraine), respektive keine 70, wenn es um Nahost geht. Nach Zerschlagung des Osmanischen Reichs vor 100 Jahren haben die Briten die Region selbstherrlich in neu geschaffene Staaten aufgeteilt und dabei keinerlei Rücksicht auf ethnische, soziologische, religiöse oder geopolitische Gegebenheiten genommen. Speziell das Volk der Kurden wurde gnadenlos zerrissen und auf vier Staaten aufgeteilt. Ohne eigenen Staat sind die Kurden überall dort eine Minderheit, folglich immer unterdrückt und latent aufrührerisch.
Die Strategie des British Empire: Teile und herrsche
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ist das Völkerrecht dahingehend weiterentwickelt worden, dass die jetzt existierenden Grenzen als sakrosankt erklärt worden sind. Ein Geniestreich der Briten, der garantieren soll, dass die von ihnen gesetzten Grenzen, die Konflikte garantieren, auf ewig Bestand haben sollen und so immer ihr Konfliktpotential behalten. Teile und herrsche. Nachdem im Zuge der Flüchtlingskrise die Konflikte der Region Europa erreicht haben, muss darüber nachgedacht werden, ob es sinnvoll sein kann, diese Aufteilung der Briten bestehen zu lassen. Speziell die Situation der Kurden muss überdacht werden.
Hinterfragt man nüchtern und kritisch, warum die Briten damals eine derart widersinnige Aufteilung der Region vorgenommen haben, ergibt sich eine eindeutige Antwort: Machtstreben! Auch damals schon ging es um die Weltherrschaft – und um Rohstoffe. 1903 sind die Ölvorkommen bei Mossul entdeckt worden. Das war weltbewegend, denn bis dahin konnte Öl in nennenswerten Mengen nur in drei Regionen gefördert werden: Russland, USA und Mexiko. Das BE hatte aber bereits seine Kriegsflotte auf Ölfeuerung umgestellt und damit eine Vervierfachung der Reichweite seiner Schiffe erreicht. Öl war zum strategischen Gut geworden und die Vorkommen bei Mossul standen vertragsgemäß unter deutscher Kontrolle. Das durfte nicht sein.
Der Einfluss Deutschlands musste untergraben werden
Nach Zerschlagung des Osmanischen Reichs bestand aus britischer Sicht die Gefahr, dass sich in der Region ein Staat formieren könnte, der vom Mittelmeer bis an die Grenze Persiens reicht. Das wäre ein Staat von weltpolitischer Bedeutung geworden, denn es hätte an nichts gemangelt und obendrauf das Öl. Ein Staat, in dem sich (europäische, deutsche) Juden mit Arabern freundschaftlich befruchtend in die Moderne hätten führen können. Das Schlimmste aber war die Aussicht, dass auch nach dem Ersten Weltkrieg der Einfluss und die Förderrechte des Deutschen Reichs dominierend gewesen wären.
In Palästina war die Besiedelung mit Deutschen und Juden aus Deutschland der bestimmende Faktor ebenso wie die Freundschaft zwischen den Osmanen und den Deutschen – Sultan Abdul Hamid II und Wilhelm II. Ohne auf die Entwicklungen hier detailliert einzugehen, die befeuert von den zerstörerischen Aktionen der Briten schließlich zur Gründung des Staates Israel geführt haben, weise ich auf die wenig bekannte Tatsache hin, dass die Briten konsequenterweise nach 1945 die Ausweisung aller Deutschstämmigen aus Palästina angeordnet haben, selbst wenn diese bereits in der dritten Generation dort heimisch geworden waren.
Betrachten wir nun, wie geschickt – im Sinne der britischen Herrschaftsansprüche – die Briten diese Region aufgeteilt haben. Jordanien mit nur einem Meerzugang am Golf von Akaba, der vollständig von den Briten kontrolliert werden konnte. Daneben ein undefiniertes Palästina, das unter wechselnder Kontrolle stand – bis diese 1920 an London ging. Der Libanon zu klein, um weltpolitisch irgendeine Rolle zu spielen; Syrien zwar halbwegs funktionsfähig, aber letztlich andauernd behaftet mit dem Palästina- und dem Kurdenkonflikt. Dem Irak mit seinen Ölvorkommen haben die Briten zusammen mit den Amerikanern sofort mit Knebelverträgen die totale Ausbeutung verordnet, indem den Irakern nur fünf Prozent der Gewinne aus den Ölverkäufen genehmigt wurden. Es war dasselbe Modell, das die Briten den Persern verordnet hatten, nachdem sie auch dieses Land 1944 überfallen und unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Der demokratische Aufstand dagegen ist dann auch dort mit Hilfe der CIA niedergeschlagen worden und seither haben wir die Probleme.
Ein souveräner Kurdenstaat würde viele Probleme lösen
Als Krönchen über allem fungieren die Kurden, eine Ethnie von immerhin rund 30 Millionen Menschen, aufgeteilt auf vier Staaten. Die Briten hatten bereits damals genaue Daten darüber, wo die Kurden mehrheitlich wohnten und welche der Ethnien sich nicht wirklich freundlich gesinnt waren. Sie wussten folglich genau, was sie dieser Region mit ihrer willkürlichen Aufteilung angetan haben. Ich erachte es als geradezu pervers, wenn heute darauf bestanden wird, die britischen Grenzen als unantastbar anzusehen. Wie gesagt, sie sind unsinnig und maximal 100 Jahre alt.
Wenn die Regionen des Nahen und Mittleren Ostens dauerhaft befriedet werden sollen, müssen die willkürlichen Grenzziehungen des BE revidiert werden. Was spricht dagegen, einen soliden, souveränen Kurdenstaat zu etablieren? Dieser Staat, dessen Grenzen sich schlicht an der mehrheitlichen Besiedlung durch Kurden orientieren sollten, wäre bestens funktionsfähig. Er könnte sogar einen schmalen direkten Zugang zum Meer haben und würde über jede Menge Öl verfügen. Es wäre auch darüber zu diskutieren, ob der Teil der Kurden dazugehören sollte, der jetzt unter Herrschaft des Iran steht, obwohl hier wenig Konfliktpotential sichtbar ist.
Wieder einmal geht es ums Öl
Aber Grenzen darf man nicht verändern? Selbst die jüngere Geschichte sagt das Gegenteil – der Sudan wurde geteilt in Nord und Süd. Allerdings gilt weiterhin, dass Grenzen nur verändert werden dürfen, wenn es den Angelsachsen in den Kram passt und das heißt, wenn es ihren geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen entspricht. So ist jetzt ein Plan bekannt geworden, wie die USA das geschundene Syrien neu aufteilen wollen. Sie gehen bei diesem Plan sogar so weit, dass sie ein Gebiet für den IS reserviert haben. Es geht folglich wieder einmal nicht darum, Grenzen so zu bestimmen, dass wirklich Frieden einkehren kann. Dabei wäre ein Kurdenstaat eine einfache und nachhaltige Lösung, aber genau diese wird in Washington nicht einmal angedacht, dafür aber ein Gebiet für den IS.
Betrachten wir die Folgen eines Kurdenstaats. Ankara wäre seinen landesinternen andauernden Konflikt mit den Kurden los und könnte seine Energien auf friedliche Ziele konzentrieren. Syrien wäre auch etwas kleiner, aber auch hier gilt, dass die Kurden im Land nicht wirklich zu Damaskus gehören wollen. Irak: Dieser Staat existiert nach den Verwüstungen durch die USA praktisch nicht mehr. Schon jetzt ist der kurdische Norden ein nahezu eigenständiges Gebilde und bereits unter Saddam Hussein wurden die Kurden massenhaft verfolgt und ermordet. Auch der Irak wäre von Konfliktpotential entlastet, wenn der kurdische Norden nicht mehr in der Verantwortung Bagdads stünde. Öl? Auch im Südirak gibt es davon reichlich. Bleibt nur noch die Folgen für die Türkei zu betrachten – und die werden Erdogan nicht schmecken.
Mit Erdogan wird es keine friedliche Lösung geben
Während alle Staaten der Region – auch der neue Kurdenstaat – über reichlich Öl verfügen können, ist die Türkei hier im Nachteil. Das dürfte denn auch der Hauptgrund für Erdogans Großmachtpläne sein: Endlich über Öl verfügen zu können, das er mit gewaltsamer Landnahme Richtung Syrien erreichen will. Man darf gesichert davon ausgehen, dass Erdogan auch davon träumt, den Norden Iraks mit seinen Kurden und dem Öl seinem Reich einzuverleiben. Hätte der Kalif von Ankara nicht den Frieden mit den Kurden aufgekündigt, könnte auch das als Lösung in Betracht gezogen werden: Alle Kurden vereinigt unter Führung Ankaras. Aber Erdogan hat den Frieden nicht einfach so aus einer Laune heraus gekündigt, sondern weil er weiß, dass die stolzen Kurden sich nicht so einfach Ankara unterordnen wollen. Somit kann das keine Lösung sein. Die Kurden sind sein erkorenes Feindbild und so lange Erdogan an der Macht ist, besteht keine Aussicht auf ein friedliches Miteinander von Türken und Kurden.
Die Welt ist in Aufruhr. Allenthalben gibt es offene Konflikte und die meisten von ihnen begründen sich auf die willkürlich schädlichen Grenzfestlegungen des British Empire vor hundert Jahren. Wer also wirklich Friedenslösungen sucht, für den dürfen diese Grenzziehungen nicht sakrosankt sein. Nicht nur diese. Sobald Staaten nicht in der Lage sind, ihre ethnischen Konflikte intern zu lösen, muss die internationale Gemeinschaft darüber nachdenken, eben neue und diesmal vernünftige Grenzen zu definieren und durchzusetzen.
Willkürliche Grenzen sind nicht sakrosankt
Italien zum Beispiel hat das Südtirol-Problem durch Autonomie in den Griff bekommen, um auch ein positives Beispiel zu nennen. Wo das nicht geht, muss eben radikal gehandelt werden. Ich denke hier auch an die Ukraine, deren Aufteilung in Ost und West wohl unumgänglich sein dürfte. Wie gut so etwas funktionieren kann, zeigt die Krim. Sie ist die einzige Region der Ukraine, die nicht in Armut, Chaos und Gewalt versunken ist, der es heute besser geht als vor zwei Jahren. Nach diesem Modell könnten in allen Konfliktregionen Volksabstimmungen abgehalten werden darüber, wie und unter welcher Herrschaft sich die Menschen vor Ort ihre Zukunft wünschen. Das wäre demokratisch und die einzige Chance, Regionen andauernder Konflikte dauerhaft zu befrieden. Es ist an der Zeit, die zerstörerischen Aktionen des British Empire zu revidieren, die der Welt ein Jahrhundert andauernder Konflikte beschert haben. Das könnte dann auch das Ende der vielen Flüchtlingsströme herbeiführen.
Nicht nur im Nahen Osten wirkt das zerstörerische Treiben des British Empire bis heute nach. Kaschmir, Pakistan, Sudan, Afghanistan, Afrika und eben nicht zu vergessen Mitteleuropa und hier Deutschland. Die Deutschland verordnete Geschichtsschreibung strotzt vor Auslassungen und sogar massiven Fälschungen. Damit Frieden in der Welt einkehren kann, müssen die Handlungsweisen der Briten und Amerikaner neu bewertet werden. Peter Haisenko hat das in seinem Buch „England, die Deutschen, die Juden und das 20. Jahrhundert“ getan. Entdecken Sie eine Sicht auf die Geschichte, die vieles erklärt, worunter nicht nur die Deutschen zu leiden haben. Im Buchhandel oder direkt bestellen beim Verlag hier.