Erdogans Krakenarme über ganz Europa – Interpol leistet Handlangerdienste
Von Hubert von Brunn
Früher bin ich oft und gern in die Türkei gereist, habe die Schönheiten des Landes, die Gastfreundschaft der Menschen und das gute Essen genossen. So lange Erdogan an der Macht ist, werde ich dieses Land aber gewiss nicht mehr betreten. Schließlich habe ich mich oft genug kritisch mit dem Kalifen von Ankara und dessen Politik der sukzessiven Entdemokratisierung der Türkei auseinandergesetzt und damit bin ich in seinen Augen ein Terrorist. Mein deutscher Pass würde mir im Zweifelsfalle nicht viel helfen. Vielleicht sollte ich vorerst aber auch nicht mehr in andere europäische Staaten reisen, wenn selbst in dem EU-Land Spanien ein deutscher Pass nicht vor Verhaftung schützt – wie jetzt bei dem türkischstämmigen Schriftsteller Dogan Akhanli geschehen, der seit 2001 die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt.
Dass meine Sorge vor dem Betreten türkischen Territoriums nicht unbegründet ist, hat spätestens der Fall des Menschenrechtlers Peter Steudtner gezeigt. Er – Biodeutscher wie ich – wurde im Juli festgenommen, weil er in Istanbul bei einem Workshop von Amnesty International über Datensicherheit referierte. Vorwurf: Unterstützung einer Terrororganisation und geheimdienstliche Tätigkeit. Sein deutscher Pass konnte ihn vor der Verhaftung nicht bewahren, ebenso wenig wie der seines schwedischen Kollegen, der seitdem ebenfalls in Untersuchungshaft sitzt. Auch Bürger aus anderen europäischen Staaten wie der französische Journalist Loup Bureau sitzen in der Türkei wegen ähnlicher „Vergehen“ hinter Gittern. Damit machen Erdogan und die ihm willfährige Justiz deutlich, welchen Wert sie ausländischen Persönlichkeitsdokumenten zubilligen: NULL!
Trügerische Sicherheit für deutsche Staatsbürger
Aber das reicht dem selbstherrlichen Despoten R.T.E. noch nicht. In seiner paranoiden Verfolgungswut gegen vermeintliche „Verräter, Terroristen und Geheimagenten“ streckt er seine gierigen Krakenarme über ganz Europa aus – bis ins entlegene Spanien. Dort wollte Dogan Akhanli ein paar unbeschwerte Urlaubstage verleben, als deutscher Staatsbürger und in Besitz ausschließlich eines deutschen Passes. Was sollte da passieren? Damit, dass Interpol sich von Erdogan instrumentalisieren lässt, hat er nicht gerechnet. Seine Arglosigkeit hat ihm mindestens eine Nacht in einem spanischen Gefängnis beschert und die Auflage, Spanien vorerst nicht verlassen zu dürfen. So lange, bis die türkischen Behörden innerhalb einer bestimmten Frist eine juristisch stichhaltige Begründung für das Auslieferungsersuchen vorlegen. Dann muss ein spanischer Richter darüber entscheiden, ob er diesem Ersuchen stattgibt. Nach Lage der Dinge wird er das vermutlich nicht tun, doch es bleibt die Frage, weshalb die spanische Justiz dem höchsten Fahndungsauftrag von Interpol „Red Notice“ – Bitte um Verhaftung und Auslieferung – im Fall Akhanli überhaupt nachgegangen ist.
Das hätte sie nicht tun müssen, so wie das deutsche BKA (Ansprechpartner von Interpol), das ein identisches Festnahmeersuchen die Person Akhanli betreffend bereits 2013 abgelehnt hat. Sobald nämlich das BKA einen politischen Hintergrund vermutet – wie in dem vorliegenden Fall – werden das Innenministerium und das Auswärtige Amt eingeschaltet. Umgekehrt hätte auch Interpol die Möglichkeit gehabt, das türkische Ersuchen zügig auszusortieren oder zumindest als „problematisch“ zu kennzeichnen. Schließlich untersagen die Richtlinien der Interpol strikt alle Interventionen, bei denen es um politische, militärische, religiöse oder ethnische Angelegenheiten geht. Die 1923 gegründete Einrichtung firmiert juristisch als Verein und versteht sich mit ihren 190 Mitgliedsstaaten als globales Netzwerk zur Kriminalitätsbekämpfung.
Im Sinne ihrer Statuten hätte Interpol also eine Vorprüfung vornehmen müssen, um zu klären, ob Dogan Akhanli wirklich kriminelles Verhalten vorzuwerfen ist. Da das nicht geschehen ist, hat sich Interpol zum Handlanger Erdogans machen lassen, für den jeder, der ein kritisches Wort über ihn oder die Türkei sagt oder schreibt, per se ein Krimineller ist. Zumal die Türkei zeitweise vom Interpol-Datensystem suspendiert worden war, weil sie nach dem Putschversuch vom Juli 2016 etwa 60.000 Gesuchte eingespeist hatte. Den Verantwortlichen in der Interpol-Zentrale in Lyon muss also klar gewesen sein, dass sie sich im Fall Akhanli an der Hexenjagd des paranoiden Kalifen von Ankara beteiligen.
Deutsche Staatsangehörige sind automatisch auch Bürger der EU
Der 1957 in der Türkei geborene Schriftstellern Dogan Akhanli war schon immer ein streitbarer Geist. Nach dem Militärputsch 1980 ist er in den Untergrund gegangen, hat gegen die Militärdiktatur opponiert und saß dafür zwei Jahre im Gefängnis. 1991 ist ihm und seiner Familie die Flucht nach Deutschland gelungen. Das war also lange bevor Erdogan als türkischer Ministerpräsident ins politische Rampenlicht trat. Seit Mitte der 1990er Jahre lebt Akhanli in Köln und hat seit 2001 die deutsche Staatsbürgerschaft. Die erforderlichen Voraussetzungen, um Deutscher im Sinne des § 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) zu werden, hat der Schriftsteller offensichtlich alle erfüllt und in einem bei diesen Vorgängen üblichen Verwaltungsakt wurde ihm die Staatsangehörigkeitsurkunde überreicht. Dieser Staatsangehörigkeitsausweis der Bundesrepublik Deutschland (nicht zu verwechseln mit dem Personalausweis oder Pass) dokumentiert mit urkundlicher Beweiskraft den Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit. Hinzu kommt – und das ist im vorliegenden Fall sehr wichtig: Alle deutschen Staatsangehörigen sind automatisch zugleich Bürger der Europäischen Union. Demnach ist Akhanli auch Bürger Spaniens.
Parallel zum Einbürgerungsverfahren in Deutschland muss ein Ausbürgerungsersuchen bei den türkischen Behörden (Botschaft oder Konsulat) eingereicht werden. Recherchen im Internet haben ergeben, dass dieses Prozedere in der Regel recht problemlos über die Bühne geht und üblicherweise nach drei Monaten abgeschlossen ist. Ob Dogan Akhanli ein solches Ausbürgerungsersuchen gestellt hat und wie es beschieden wurde, ist nicht bekannt. Diesbezüglich sollte sich der Schriftsteller zeitnah äußern. Denn wenn er vor der Ära Erdogan vom türkischen Staat ausgebürgert worden ist, hat dieser heute überhaupt keinen rechtlichen Zugriff mehr auf seine Person. Falls nicht, steht im Vordergrund immer noch der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft mit allen Rechten und Pflichten.
War Akhali über den Haftbefehl informiert?
Und noch eine wichtige Frage verlangt nach Antworten: War Akhali darüber informiert, dass auf Betreiben der Türkei bei Interpol ein Haftbefehl gegen ihn vorlag? Dass das BKA in Übereinstimmung mit dem Bundesinnenministerium und dem Auswärtigen Amt diesen zwar ignorierte, dass dieser aber wirksam werden könnte, sobald er Deutschland verlässt? Sollte das nicht geschehen sein, ist der Bundesregierung ein großes Versäumnis anzulasten. Sie hätte den Schriftsteller in jedem Falle warnen und auf die Risiken einer Auslandsreise hinweisen müssen.
Zuletzt noch ein Blick auf das literarische Werk von Dogan Akhanli.
In dem Roman „Der Tag ohne Vater“ verarbeitet der Autor einen Teil deiner eigenen Lebensgeschichte. Ein junger Mann flieht Ende des 20. Jh. aus der Türkei und findet politisches Asyl in Köln. Die Erinnerungen an seinen Vater, einen genialen Mathematiker, und an seine Kindheit begleiten ihn. Politische Kämpfe in der Türkei der 1970er Jahre werden lebendig. Auf der 2. Ebene erzählt A. eine Liebesgeschichte.
Eine Zeitreise in die Türkei nach dem Putsch von 1981 beschreibt der Roman „Die Richter des Jüngsten Gerichts“. Mit Zeitsprüngen, Identitätswechseln und visionären Zukunftsbildern wird der junge Protagonist hineingerissen in die Geschichte der Türkei. Er findet Antworten auf Fragen nach seinem eigenen Ich und nach den Ursachen der staatlichen Gewalt in seiner Heimat, deren Opfer er wurde.
„Armenien: Tabu und Trauma 1: Die Fakten im Übersicht“ ist der Titel des Sachbuchs über den Völkermord an den Armeniern 1915 im damaligen Osmanischen Reich. Hier hat A. als einer von fünf Autoren (drei deutsche, zwei türkische) mitgewirkt.
In Bezug auf das letztgenannte Buch erinnern wir uns: Als das deutsche Parlament in einer Resolution im Juni 2016 das Massaker als „Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten“ eingeordnet hat, tobte der Kalif von Ankara vor Wut. Als Reaktion auf dieses ungebührliche Verhalten des deutschen Parlaments verweigerte die Regierung in Ankara deutschen Abgeordneten den Besuch deutscher Soldaten auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik im Osten der Türkei. – Wenigstens in dieser Sache hat die Bundesregierung einmal konsequent auf Erdogans Provokationen reagiert und die deutschen Kontingente aus Incirlik zurückgezogen.
Bleibt zu hoffen, dass sie diese konsequente Haltung auch im Fall Akhali und vor allem bei den deutschen Staatsbürgern, die Erdogan in Geiselhaft hält, an den Tag legt. Dem großmäuligen, arroganten, alle diplomatischen Spielregeln missachtenden Kalifen von Ankara muss endlich Einhalt geboten werden.