Erdogans Weltrekord: Die Türkei ist der größte Journalisten-Knast
Von Hubert von Brunn
Wenn der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan etwas nicht ausstehen kann, dann ist es, nicht ganz vorne in der ersten Reihe zu stehen. In einer Disziplin hat er es nun tatsächlich an die Weltspitze geschafft: Sein Land ist der größte Journalisten-Knast auf der ganzen Welt. Nicht Saudi Arabien, nicht der Iran, nicht Nordkorea – nein, die Türkei, der EU-Beitrittskandidat, darf diesen unrühmlichen Titel für sich in Anspruch nehmen. Seit dem Putschversuch im vergangenen Sommer wurden 150 Medienhäuser geschlossen und ebenso viele Journalisten sitzen im Gefängnis. Das muss ihn doch stolz machen, den Recep, er hat einen Weltmeistertitel.
Einer der derzeit auch in Polizeigewahrsam ist, ist der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel. Der Mann lebt in Deutschland, arbeitet für eine große deutsche Zeitung – aber er hat es vorgezogen, zwei Pässe haben zu wollen. Mal so, mal so, wie’s gerade genehm ist. Jetzt gereicht ihm sein türkischer Pass offensichtlich zum Nachteil. Den deutschen Pass ignorieren die türkischen Behörden, denn als Türke kann Herr Yücel in seinem Heimatland, wo immer noch Ausnahmezustand herrscht, jederzeit festgenommen werden, weshalb auch immer. Hätte er „nur“ einen deutschen Pass – so wie ich beispielsweise – dann könnte das eventuell zu diplomatischen Verwicklungen führen. Dann könnte das Auswärtige Amt sagen: Hallo, Moment mal, ihr könnt einen deutschen Staatsbürger nicht einfach auf Verdacht einsperren und nach 14 Tagen noch immer nicht darlegen, was genau man ihm eigentlich vorwirft. Hätte sich Herr Yücel voll und ganz zu Deutschland bekannt, ginge es ihm jetzt vermutlich besser.
Die Presse mundtot zu machen, ist zutiefst undemokratisch
Aber das ist nur ein Nebenaspekt. Als Journalist, der ich immer war und immer sein werde, läuten bei mir alle Alarmglocken, wenn ich erfahren muss, dass Kollegen ihre Arbeit nicht machen dürfen, oder schlimmer noch, wenn sie dafür bestraft werden. Wenn der Präsident eines demokratischen Staates die ihm vom Volk per Wahl verliehene Macht missbraucht, um unliebsame Stimmen zum Schweigen zu bringen, dann verletzt er eine der wesentlichen Regeln jeder Demokratie, nämlich die der Presse- und Meinungsfreiheit. Keine Frage: Nicht alles, was gedruckt oder gesendet wird, entspricht der Wahrheit. Da wird aus politischem Kalkül auch schon mal verdreht, weggelassen, verschwiegen, uminterpretiert… Das zu durchschauen und die dahinter stehenden Motive zu entlarven, ist alles andere als einfach – für den normalen Konsumenten schon gar nicht.
Aber bei aller Kritik, die man diesbezüglich bei manchen Medien und dem entsprechend bei den für sie arbeitenden Kollegen anbringen kann: Sie mundtot zu machen, ist zutiefst undemokratisch. Der politische Diskurs lebt vom Widerstreit unterschiedlicher Meinungen und in einem Staat, der sich „demokratisch“ nennt, muss es erlaubt sein, auch die Führungseliten, die Inhaber der Macht und deren politisches Wirken zu kritisieren – ohne dafür sanktioniert zu werden.
Das gilt im übrigen auch für Donald Trump, der sich nach eigenem Bekunden mit den Medien „im Krieg“ befindet und dieses Machtspiel auch munter vorantreibt. Die Berichterstattung von CNN, New York Times und einigen anderen Medien ist ihm ein Dorn im Auge und so werden Vertreter dieser Medien kurzerhand von der Teilnahme an Presse-Briefings ausgeschlossen. Nach meinem Verständnis findet hier eine Vorzensur statt nach dem Motto: Wenn du etwas sagst oder schreibst, was mir nicht gefällt, wirst du vom Informationsfluss abgeschnitten.
Ich kenne das amerikanische Presserecht nicht en détail, aber ich denke, man kann davon ausgehen, dass es auch dort eine Informationspflicht der Regierenden gegenüber dem Volk gibt. Und wenn das so ist, dann haben auch alle Medien das Recht, über offizielle Verlautbarungen aus dem Weißen Haus aus erster Hand informiert zu werden. Einzelnen Journalisten dieses Recht zu verwehren, ist in höchstem Maße diskriminierend und eines Präsidenten der Vereinigten Staaten nicht würdig. Ich würde mich nicht wundern, wenn Trumps „Krieg mit den Medien“ auch noch die Gerichte auf den Plan ruft, denn die Presse- und Meinungsfreiheit ist – soweit mir bekannt – auch in der amerikanischen Verfassung verankert. Und dass es in den USA noch eine unabhängige Justiz gibt, hat sich erst vor wenigen Wochen gezeigt, als einige Gerichte den Präsidenten mit seinem Einreise-Dekret gegen Angehörige von sieben muslimischen Staaten erst einmal zurückgepfiffen haben.
Gewaltenteilung gibt es in der Türkei de facto nicht mehr
Die Lage in der Türkei stellt sich diesbezüglich natürlich ganz anders dar. Der Kalif von Ankara hat seinen Allmachtsanspruch, den er im April qua Referendum endgültig durchsetzen will, von langer Hand vorbereitet. Unliebsame Staatsanwälte und Richter, bis hin zu obersten Verfassungsgericht, wurden längst ihrer Ämter enthoben und durch willfährige Erfüllungsgehilfen ersetzt. Eine unabhängige Judikative – essenziell wichtiges Standbein jeder Demokratie – ist in der Türkei de facto nicht mehr existent. Gewählte Volksvertreter oppositioneller Parteien wurden kurzerhand aus dem Parlament geworfen und können an der Gesetzgebung nicht mehr teilnehmen. Damit ist auch die Legislative nur noch ein Erdogan-gesteuerter Torso. Im Kalkül des Autokraten ist es deshalb nur logisch, auch die „Vierte Gewalt“ aus- bzw. gleichzuschalten. Eine Diktatur kann freie Meinungsäußerung und kritische Berichterstattung in den Medien nicht zulassen; sie muss die absolute Kontrolle haben über das, was das Volk erfahren darf und was nicht. Die Diktatur braucht gleichgeschaltete Medien zum Machtaufbau und Machterhalt. Wohin das führen kann, wissen wir alle!
Wehret den Anfängen!
Eben diese Erkenntnisse aus der jüngeren deutschen Geschichte sind es, die mich immer wieder mahnend den Zeigefinger erheben lassen, wenn ich Vorgänge erkenne, die eine vorbehaltlose Akzeptanz von Presse- und Meinungsfreiheit seitens der Führungseliten infrage stellen. So habe ich vor knapp einem Jahr heftig kritisiert, dass im Zuge der Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz die amtierende Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) es ablehnte, an einer Fernsehdiskussion teilzunehmen, zu der auch Vertreter der AfD geladen waren. Ein völlig inakzeptables Verhalten. Am Ende musste der SWR-Intendant, der zunächst geneigt war, der Forderung von Frau Dreyer zu entsprechen, zurückrudern, um nicht ganz dem Ruch der Parteilichkeit anheim zu fallen.
An anderer Stelle bin ich mit der AfD ins Gericht gegangen, als die Partei bei einem ENF-Kongress den Vertretern einiger deutscher Medien die Akkreditierung verweigerte. www.anderweltonline.com/politik/politik-2017/beschaemender-umgang-mit-den-medien-auf-dem-enf-kongress-in-koblenz/
Derart pressefeindliches und damit undemokratisches Verhalten darf man nicht stillschweigend hinnehmen. Dass bei der Medienvielfalt in einer pluralistischen Gesellschaft unterschiedliche Meinungen aufeinander prallen, dass auch Halbwahrheiten und Lügen verbreitet werden, dass durch Verdrehung oder gänzliches Weglassen von Fakten bewusst manipuliert wird, liegt in der Natur der Sache. Hier sind Aufmerksamkeit und kritisches Hinterfragen der Konsumenten gefordert, um nicht blauäugig in jede Informationsfalle zu tappen. Wenn aber die Exekutive, also die Regierungsmächtigen, gezielt daran arbeiten, um die „Vierte Gewalt“ mundtot zu machen bzw. gleichzuschalten, damit nur noch in ihrem Sinne berichtet wird – dann werde ich immer in der ersten Reihe stehen, um dagegen meine mahnende Stimme zu erheben. Wehret den Anfängen!