Katalanisches Verwirrspiel: Puigdemonts Egotrip hat niemand etwas gebracht
Von Hubert von Brunn
Quidquid agis, prudenter agas et respice finem (Was immer du tust, tue klug/sorgsam und bedenke das Ende). Diese mittelalterliche Sentenz, die auf eine ähnlich lautende Aussage des griechischen Fabeldichters Aesop zurückgeht, dürfte dem gewesenen katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont nicht geläufig sein. Andernfalls hätte er als verantwortlicher Politiker für 7,5 Millionen Menschen nicht ein derartiges Chaos anrichten dürfen, wie er es mit der von ihm vehement propagierten Unabhängigkeitsbestrebung Kataloniens vom spanischen Mutterland de facto getan hat.
Im Vorfeld des Referendums vom 1. Oktober konnte er seinen Anhängern keinen klaren, nachvollziehbaren Aktionsplan vorgelegt, wie es im Falle einer Mehrheit für die Abspaltung dann konkret für Katalonien weitergehen soll. Ebenso wenig hat er auf die juristischen, politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten hingewiesen, die mit diesem Schritt notgedrungen einhergehen. Er hat lediglich einen diffusen, emotionalen und auf historische Ressentiments begründeten Nationalstolz der Katalanen befeuert. Das allein reicht nicht, um auf demokratischen Weg eine fundamentale Neuordnung herbeizuführen.
Es soll an der Stelle nicht verschwiegen werden, dass im Vorfeld des Referendums weder Spaniens Ministerpräsident Rajoy, noch König Filipe VI. besonders klug reagiert haben. Zu dem Zeitpunkt waren die Katalanen mehrheitlich durchaus für einen Verbleib im Mutterland. Erst der massive Einsatz der Guardia Civil und die gewaltsame Behinderung des Wahlvorgangs haben die Stimmung gegen Madrid angeheizt. Und die Ansprache des Königs war keineswegs angetan, um Versöhnung, Verständigung und Gemeinsinn zu befördern.
Die spanische Zentralregierung konnte gar nicht anders, als Artikel 155 zu ziehen
Nachdem bei dem Referendum mit einer Beteiligung von 42,3 % rund 90 % mit „Ja“ gestimmt hatten (eine objektive Bewertung ist aufgrund der chaotischen Zustände, unter denen das Referendum zustande gekommen ist, nicht möglich), trat Puigdemont vor die versammelte Presse und schwafelte von einer Art Unabhängigkeit, aber nicht so ganz. Das klang wie „ein bisschen schwanger“. Unsinn also. Befürworter wie Gegner und erst recht objektive Beobachter von außen waren verunsichert und fragten sich: Was will er denn wirklich? Das Regionalparlament machte dieser Schaukelpolitik dann am 28. Oktober ein Ende und verkündete die Unabhängigkeit Kataloniens. Dabei musste allen Beteiligten klar gewesen sein, dass die spanische Zentralregierung gar keine andere Wahl hat, als den Artikel 155 der Verfassung zu ziehen. Dieser sieht vor, dass die Regierung einer autonomen Region, die der Verfassung oder anderen Gesetzen nicht Folge leistet, entmachtet werden kann. Madrid kann die Autonomie außer Kraft setzen und die direkte Kontrolle über die Gemeinden in Katalonien übernehmen. Genau das ist jetzt geschehen, Puigdemont und das gesamte Regionalparlament sind abgesetzt. Kann das das Ziel der Separatisten gewesen sein?
Und nun diese Flucht nach Brüssel. Asyl wolle er nicht beantragen, verkündete Puigdemont, sondern hier in der europäischen Hauptstadt seine Politik der Abspaltung weiter betreiben. Na toll! Er will also nichts fordern, was es ohnehin nicht geben kann. Ein Mitgliedsstaat der EU gewährt keinem Bürger eines anderen EU-Staates Asyl, da ja sowieso die absolute Bewegungsfreiheit innerhalb der EU gegeben ist. Gleichwohl hat sich Puigdemont in Brüssel als erstes mit einem auf Asylrecht spezialisierten Anwalt getroffen. Wozu das also?
Heute oder morgen sollte er – zusammen mit weiteren 13 separatistischen Lokalpolitikern – auf Vorladung vor dem spanischen Staatsgerichtshof in Madrid erscheinen. Die in Barcelona verbliebenen Mitstreiter werden dieser Vorladung voraussichtlich Folge leisten. Der Chef indes verweilt in Brüssel, von wo aus er – einer wiederum diffusen Ankündigung zufolge – eine Exil-Regierung etablieren will. Mit wem und wie sollte sich eine Exilregierung in einem mit Spanien befreundeten Staat konstituieren? Das ist alles wirr, konfus, undurchdacht. Inzwischen drängt sich mir ein Verdacht auf: Puigdemont ist ein an Selbstüberschätzung leidender Egomane. Sein Coup hat ihn herauskatapultiert aus der relativen Bedeutungslosigkeit des spanischen Provinzfürsten in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Plötzlich kennt jeder seinen Namen, sein Gesicht erscheint auf allen Fernsehkanälen und alle Welt verfolgt staunend sein Tun.
Übersteigertes Ego ohne klaren Verstand ist niemals ein guter Ratgeber
Vielleicht ist er ein Don Quichote, der gegen Windmühlen kämpft, vielleicht eifert er Til Eulenspiegel nach, der die Menschen und vor allem die Obrigkeit an der Nase herumführt, vielleicht ist er ein Michael Kohlhaas, der sich einfach nichts gefallen lassen will und auf Biegen und Brechen auf sein Recht beharrt. Wahrscheinlich hat Puigdemont von allen etwas, doch was ihn von den bekannten literarischen Figuren unterscheidet ist: Die wussten genau, was sie tun und was sie mit ihrem Tun erreichen wollen. Das Verhalten des Katalanen lässt eine solche Klarheit nicht erkennen. Inzwischen erscheint er eher als ein armes Würstchen, das sich wichtig machen will, sich ein paar Wochen oder Monate lang im Scheinwerferlicht der Medien sonnen will, um dann bestenfalls im Nirwana der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Weniger günstig, aber durchaus realistisch ist die Perspektive einer mehrjährigen Haftstrafe wegen Rebellion und Unterschlagung öffentlicher Gelder, wie es die spanische Verfassung für die von ihm begangenen Vergehen nun einmal vorsieht.
Da erscheint es geradezu putzig, dass er nun von Brüssel aus sein Einverständnis mit den von der spanischen Zentralregierung für den 21. Dezember angesetzten Neuwahlen erklärt, was er noch vor wenigen Tagen vehement abgelehnt hat. Ja, wen interessiert es denn noch, ob sich Herr Puigdemont für oder gegen etwas ausspricht? Er ist entmachtet und hat nichts mehr zu melden. Er hat den Karren in den Dreck gefahren und darf froh sein, wenn „die Wahlen im Dezember den verfassungsmäßigen Dialog in Spanien wieder herstellen“, wie der Chef der spanischen Grünen/EFA-Fraktion, Philippe Lamberts, es formulierte. Diese Hoffnung ist durchaus nicht unbegründet, denn wie es scheint, hat sich die Stimmung in Katalonien inzwischen gedreht und die Bevölkerung ist mehrheitlich gegen eine Abspaltung ihrer Provinz von Spanien.
Übersteigertes Ego ohne klaren Verstand ist niemals ein guter Ratgeber und muss notgedrungen früher oder später zum Desaster führen. Wie die Geschichte um Puigdemont letztlich ausgeht, ist noch nicht klar. Aber sie wird kein gutes Ende nehmen, so viel ist sicher. Da er sich weigert, die Vorladung des spanischen Gerichts anzunehmen, kann es passieren, dass internationaler Haftbefehl gegen ihn erlassen wird. Wenn dieser entsprechend begründet wird, kann sich auch die belgische Regierung dem nicht widersetzen und muss ihn ausliefern. Ist es das, was er wollte? Sich als Märtyrer einer demokratischen Diktatur zu gerieren? Der ganze Vorgang ist absurd und sollte anderen Politikern, die ähnlich schwankend auf dem dünnen Seil des Egotrips balancieren, zu denken geben: Quidquid agas…