Sanktionen haben immer das Ziel, missliebige Regierungen zu stürzen
Von Peter Haisenko
Vor drei Jahren gab es noch ehrliche Stimmen, die den Zweck der Sanktionen gegen Russland benannt haben: Wir werden Russland solange sanktionieren, bis es der Bevölkerung so schlecht geht, dass sie gegen Putin aufstehen. Sanktionen gegen Staaten treffen immer die einfache Bevölkerung und es war noch nie anders, als dass damit ein Umsturz, eine Revolution herbeigeführt werden sollte, weil ein Staat sich nicht bedingungslos dem Diktat des Kapitals unterwerfen wollte.
Gibt es einen Unterschied zwischen Sanktionen und Embargos? Eigentlich nicht. Beides zielt darauf ab, einem Land Schaden zuzufügen, es von der allgemeinen (technischen) Entwicklung und ungestörtem Handel fern zu halten. Embargos sind die ältere Form desselben, lassen aber deutlicher erkennen, worum es geht: Einer alternativen Staatsform mit willkürlicher Arroganz von Anfang an jede Chance auf Erfolg zu nehmen. Siehe Kuba. Seht her, jeder andere Weg als der reine Kapitalismus kann nicht zum Erfolg führen – das ist die Botschaft. Für das betroffene Land selbst und seine Bürger heißt die daraus folgende Aufforderung: Wenn ihr wieder neue Autos oder andere wichtige Güter haben wollt, dann jagt eure Regierung zum Teufel, die sich so unbotmäßig dem Diktat des (angelsächsischen) Kapitals widersetzt!
Es gibt keine neutrale Instanz, die über die Angemessenheit von Sanktionen befindet
Kuba hat seit mehr als fünfzig Jahren unter Embargos der USA zu leiden, doch das erklärte Ziel, der Umsturz, wurde bis heute nicht erreicht. Auch nicht in Libyen, Irak, Iran oder Syrien und schon gar nicht in Nordkorea. Auch die Sowjetunion ist nicht durch wechselnde Embargos zu ihrem Ende gekommen, sondern durch einen internen Prozess der Wandlung, die jedoch von Gorbatschow ganz anders geplant war, als ihr vom Westen und dessen Vasallen Jelzin aufgedrückt worden ist. Vergessen wir dabei nicht, dass zur Wahl 1996 Jelzin mit 500 Millionen US-Dollar aus den USA unterstützt wurde, wie die New York Times berichtete. Er hat denn auch die Wahl gewonnen, gegen einen Kandidaten, der ursprünglich weit vor ihm lag, aber nur drei Millionen für seinen Wahlkampf zur Verfügung hatte. So viel zum Thema, wer Wahlen in anderen Ländern manipuliert.
Etwa zeitgleich mit der Erfindung von „Schurkenstaaten“ und „Achsen des Bösen“ wurde die Terminologie von Embargo zu Sanktionen geändert. Was aber sind „Sanktionen“ wirklich? Vor allem dann, wenn sie selbstherrlich von einer Seite „verhängt“, befohlen werden? Länder sollen „betraft“ werden, selbstverständlich ohne eine Instanz anzurufen, die darüber befinden könnte, ob eine „Bestrafung“ überhaupt angebracht, angemessen sein könnte. Welchem Ziel dient die „Bestrafung? Kann es wirklich um „Menschenrechte“ gehen, die hier angeblich angemahnt werden? Betrachtet man die Länder, die zwar grausame Diktaturen waren oder sind und nicht sanktioniert, bestraft wurden und werden, dann wird überdeutlich, dass diese Aktionen ganz anderen Zielen dienen.
Die USA gerieren sich als Kläger und Richter zugleich
In einem Rechtsstaat, in einem globalen Rechtssystem, ja sogar bis hinunter in den familiären Bereich, darf es eine Bestrafung nur geben, wenn eine berufene und möglichst neutrale Instanz das für angemessen befunden hat. Das Ziel jeder Bestrafung ist eine Verhaltensänderung, die auf der Einsicht beruht, falsch gehandelt zu haben. Das allgegenwärtige Problem bei einem solchen Verfahren aber ist die Frage, wer darüber bestimmen darf, was „richtig“ oder „falsch“ ist. Zu oft hat die Geschichte gezeigt, dass diesbezügliche Rechtsnormen keinen Bestand hatten. Darf man jemanden dafür bestrafen, wenn er zwar stets rechtskonform gehandelt hat, die diesbezügliche Rechtsnorm aber später geändert worden ist? Nicht nur der Fall des ehemaligen NS-Prozessbeobachters Helmut Schmidt ist dazu guter Anschauungsunterricht, auch die jüngsten Entwicklungen in der Türkei zeigen auf, wie heikel diese Frage ist. Darf, kann, muss ein Bürger erkennen, wann er einer Rechtsnorm nicht Folge leisten darf? Besonders dann, wenn er damit sein Leben in Gefahr bringen könnte?
Zurück zu Sinn und Ziel von Sanktionen. Nehmen wir das aktuelle Beispiel Russland. Da wurden Sanktionen ausgesprochen, zum einen auf der Basis, dass Russland für den Abschuss der MH 17 verantwortlich sein soll, zum andern dass es angeblich die Krim gewaltsam annektiert habe. Beide Behauptungen sind unbewiesen, ja objektiv falsch, und genau deswegen wurde peinlich vermieden, diese Angelegenheiten vor einem neutralen Gremium verhandeln zu lassen, wie zum Beispiel dem Haager Gerichtshof. Es reichte aus, dass die USA das behauptet und dann ihren Vasallen befohlen haben, auch Sanktionen auszusprechen. Es ist das bewährte und leider bis heute nicht hinterfragte Verfahren der „Nürnberger Prozesse“: Die USA gerieren sich als Kläger und Richter in einer (juristischen) Person – was jedem rechtsstaatlich demokratischen Prinzip widerspricht.
Nur bei vollständiger Unterwerfung werden Sanktionen aufgehoben – vielleicht
Aber unter welchen Voraussetzungen könnten diese Sanktionen wieder aufgehoben werden? Hier zeigt sich das wahre Ziel dieser „Strafaktionen“. Erst wenn Russland alle Forderungen des Klägers und Richters in Personalunion erfüllt hat, könnten die Sanktionen stückweise aufgehoben werden. In anderen Worten: Allein die vollständige Unterwerfung unter das Diktat wird wohlwollend betrachtet. Das kommt einer bedingungslosen Kapitulation sehr nahe und eigentlich soll eben erreicht werden, dass in Moskau wieder eine Vasallenregierung Washingtons an der Macht sein muss, bevor die Zwangsmaßnahmen – vielleicht – beendet werden. „Vielleicht“ deswegen, weil der Umgang mit dem Iran gezeigt hat, dass es noch lange nicht ausreicht, die von Washington diktierten Bedingungen zu erfüllen. Auch nach dem Abschluss des Atomabkommens sind die USA nicht bereit, die Sanktionen aufzuheben. Im Gegenteil haben sie – wieder aus fadenscheinigen Gründen – weitere Strafmaßnahmen verhängt. Das Ziel, einen Umsturz in Iran herbeizuführen, ist eben noch nicht erreicht.
Dazu sollte man kurz die unterschiedlichen Arten von Sanktionen betrachten. Einmal geht es ganz konkret um Handelsbeschränkungen und diese haben in Wahrheit das Ziel, mögliche Wettbewerber zu beschädigen. Dann aber gibt es rein propagandistische Sanktionen. Diese werden mit großen Trara verkündet, beziehen sich jedoch oft nur auf irgendwelche Einzelpersonen, deren Reisefreiheit und Zugang zu ihrem eigenen Geld eingeschränkt wird. Was soll der Blödsinn? Glaubt wirklich jemand, dass das eine Regierung so beeindrucken kann, dass man eigene Prinzipien dafür aufgibt? Dass man sich dem Diktat unterwirft? Aber es klingt einfach gut, wenn man wieder verkünden kann, neue Sanktionen verhängt zu haben. Aus welchen konstruierten und unbewiesenen Gründen auch immer.
Putin könnte dem Westen richtig wehtun
Gerade die Sanktionen gegen Russland zeigen die ganze Perversität auf. Da gibt es unüberwindliche Abhängigkeiten von russischer Vertragstreue, zum Beispiel was den Betrieb der ISS betrifft, oder die Lieferungen von Titan und Raketentriebwerken. Ganz zu schweigen von den Energielieferungen und den offenen Flugrouten über Sibirien. Mit großer Selbstverständlichkeit wird angenommen, dass Russland diese Teile an Verträgen erfüllt, während mit Sanktionen andere Verträge seitens des Westens einfach annulliert werden. Wie die letzten Jahre gezeigt haben, sitzt Moskau hier am längeren Hebel. Die Sanktionen haben nichts bewirkt, im Gegenteil sind die Russen zusammengerückt und haben im Land neue Kapazitäten entwickelt, die sanktionierte Importe überflüssig machen. Nicht zu vergessen, der jetzt blühende Handel mit China. Was aber wäre, wenn Putin der Kragen platzt, den Luftraum über Sibirien sperrt und die Transporte zur ISS für den Westen einstellt? Die Ausweisung der 755 amerikanischen Diplomaten ist da eher lächerlich. Und ohne Titan aus Russland sind große Teile der US-(Luftfahrt)-Industrie einfach platt. Putin könnte dem Westen richtig wehtun, wenn er wollte. Über russisches Gas will ich hier gar nicht nachdenken.
Werfen wir einen Blick auf Syrien. Seit 2011, also etwa zeitgleich mit dem Einströmen von Söldnern und Waffen – gesteuert durch die USA – wurden Sanktionen gegen Syrien verhängt. Hier war es auch einigermaßen ehrlich, denn es wurde klar gesagt: Assad muss weg! Wie im Irak sind diesen Sanktionen wegen fehlender Medikamente und anderem Tausende Zivilisten, darunter viele Kinder zum Opfer gefallen. Jetzt, nachdem Donald Trump die Zahlungen und Waffenlieferungen an die Terroristen einstellen ließ, haben diese nahezu postwendend um Frieden ersucht. Die syrische Armee befreit Stadt um Stadt und laut UNHCR sind bereits eine halbe Million Syrer in ihre Heimat zurückgekehrt. Wer ehrlich Flüchtlingsströme zurückführen und den Menschen helfen wollte, müsste jetzt Hilfsaktionen starten. Das Gegenteil ist der Fall. Die Sanktionen bleiben bestehen. Na ja, Assad ist ja noch nicht weg, das Ziel eines Umsturzes durch Sanktionen noch nicht erreicht.
Wäre es nicht an der Zeit, die USA zu bestrafen?
Sanktionen sollen angeblich bestrafen. Wie abartig ist es aber, wenn der größte Kriegsverbrecher und Mörder zumindest der letzten 70 Jahre, die USA, andere bestrafen will? Wie arrogant ist es, wenn ein Land sich anmaßt, alle anderen seiner Bestrafung zu unterwerfen, wenn sie nicht dem imperialen Imperativ Folge leisten? Wäre es nicht an der Zeit, die USA zu bestrafen und Wiedergutmachung zu fordern für die Unzahl an völkerrechtswidrigen Kriegen mit all ihren Zerstörungen? Aber nein, die USA selbst dürfen weiterhin Strafen verhängen nach Gutdünken und ihre Vasallen klatschen Beifall.
Realistisch betrachtet sind Sanktionen eine Kriegserklärung. Das war schon so beim Ersten und Zweiten Weltkrieg. Sanktionen haben ihr Ziel noch nie erreicht – es sei denn, das Ziel war Krieg. Die jetzige Sanktions-Inflation zielt offensichtlich auch darauf ab, die Sanktionierten solange zu reizen, bis sie den Fehler machen, mit Gewalt darauf zu reagieren. Da können wir nur von Glück reden, dass in Russland der kluge und geduldige Putin regiert und dass mit Donald Trump ein US-Präsident im Amt ist, der zwar neue Sanktionen unterzeichnen musste, diese aber als verfassungswidrig erklärt hat und von einem Gericht überprüfen lassen will. Und weil es eben der böse Trump ist, erkennen jetzt auch Politiker in Europa, dass die Russlandsanktionen genauso gegen Europa und hier speziell gegen Deutschland gerichtet sind.
Trump will die Sanktionen nicht, Putin will sie nicht und neuerdings die meisten Regierungen in Europa – anders als Frau Merkel – auch nicht. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist sowieso dagegen. Die Neocons in den USA allerdings wollen die Sanktionen unbedingt und somit letztlich Krieg, auch gegen Trump. Er hat das Ziel eines Regimechanges in Syrien zumindest zurückgestellt und gegen Putin hat er auch nichts. Wieder ist es Merkel, die da noch anders tickt. Aber gottlob ist es nicht sie, die letztlich darüber zu entscheiden hat. Damit gibt es doch noch einen Funken Hoffnung, dass der verlogene Sanktionswahnsinn ein Ende findet. Die Entwicklung der letzten Jahre macht es notwendig, über ganz neue Gesellschaftsformen nachzudenken. Werden aber alle Versuche in dieser Richtung sanktioniert, dann steht zu befürchten, dass wir mit dem Kapitalismus im Endstadium untergehen, weil vielleicht doch ein Sanktionierter eines Tages die Geduld verliert.
Dem Angriff auf Pearl-Harbor gingen Embargos der USA gegen Japan voraus, die derart zerstörerisch waren, dass sich Japan gezwungen sah, die USA anzugreifen. Mit den Embargos gegen Japan haben die USA doppelt Erfolg gehabt. Aus Bündnistreue musste das Dritte Reich den USA folgend den Krieg erklären, obwohl die USA bereits im Sommer 1941 faktisch Deutschland den Krieg erklärt hatten. „Shoot on sight on every German ship“, war die Anordnung von Präsident Roosevelt. Man vergleiche hier den Kriegseintritt des Deutschen Reichs in den Ersten Weltkrieg, der auch aus Bündnistreue zu Österreich-Ungarn erfolgte. Mehr darüber erfahren Sie im Werk von Peter Haisenko „England, die Deutschen, die Juden und das 20. Jahrhundert“. Erhältlich im Buchhandel oder direkt zu bestellen vom Verlag hier.