Berg Karabach – Wer hat die Lunte angezündet?
Von Peter Haisenko
Die gesamte Kaukasusregion dürfte das Gebiet sein mit den meisten Ethnien und Sprachen auf engem Raum. So ist der Kaukasus ein Pulverfass, ähnlich dem ehemaligen Jugoslawien oder der Ukraine. Es ist aber auch die Südflanke der Russischen Föderation und deswegen für den Westen von Interesse.
Im Jahr 2005 war die Botschaft der USA in Armenien, in Eriwan, die größte der USA. Sie umfasst ein Gelände von 90.496 Quadratmetern. Sie ist wie eine Festung umgeben von einer hohen Mauer, die kaum Einblicke gestattet. Später hat ihr die US-Botschaft im Irak den Rang abgelaufen. Sie ist jetzt fünfmal größer als die in Eriwan. Ein ähnlich großes Areal umfasst nur noch die US-Botschaft im Kosovo, in Mitrovica. Von dieser wissen wir, dass dort Terroristen für den Krieg in Syrien ausgebildet und bewaffnet worden sind. Da steht die Frage im Raum, welchem Zweck die riesige Botschaft in Eriwan dient. Selbstverständlich unterhalten die USA auch eine große Botschaft in Aserbaidschan, in Baku.
2008 fand der kurze Georgien-Krieg statt. Wie der EuGH später festgestellt hat, war Georgien für diesen Krieg verantwortlich. Dennoch verurteilte der EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) Russland 2023 (!) zu einer Strafzahlung an Georgien von 130 Millionen Euro, weil Russland angeblich Plünderungen und Folter nicht verhindert hat. Ob das dem allgemeinen Einprügeln auf Russland geschuldet ist, möge jeder selbst beurteilen. Unnötig darauf hinzuweisen, dass auch in Tiflis/Georgien eine übergroße US-Botschaft installiert ist. An dieser Stelle erinnere ich an Evo Morales, den damaligen Präsident von Bolivien. Der hat auf die Frage geantwortet, warum es in den USA noch nie einen Umsturz gegeben hat: „Weil es dort keine US-Botschaft gibt.“
Russland soll vom Süden her eingehegt werden
Die Südflanke Russlands zu besetzen war schon für das British Empire ein begehrtes Ziel. 1853 mit dem Krimkrieg hat London versucht, die Krim zu erobern. Auch dieser Krieg war von London vom Zaun gebrochen, denn Russland hatte sich schon vorher aus den umstrittenen Gebieten an der westlichen Schwarzmeerküste zurückgezogen. Auch die sogenannte Kuba-Krise hatte ihren Ursprung darin, dass die USA Mittelstreckenraketen mit Atomsprengköpfen in der Türkei stationiert hatten. Eben auch an der Südflanke Russlands. In diesem Sinn sollte alles betrachtet werden, was sich im Kaukasus abspielt. So ist es heute kein Geheimnis mehr, dass es die CIA war, die den Tschetschenien-Krieg (1999 bis 2009) organisiert hat. Wer hat also jetzt in Berg Karabach die Finger drin?
Die Lage im Südkaukasus ist kompliziert. Die Interessen der Türkei, des Iran, Georgiens, der Armenier, Kurden und Aseris und natürlich Russlands treffen hier aufeinander. So muss man ehrlicherweise zugeben, dass es in dieser Region nie so friedlich war, wie zur Zeit der Sowjetherrschaft. Man erinnere sich an Jugoslawien unter Tito. In der postsowjetischen Zeit sind die ursprünglichen Interessenskonflikte wieder aufgebrochen, mit tatkräftiger Hilfe der CIA, und die unsinnigsten Konstrukte sind entstanden. Paradebeispiel dafür ist Berg Karabach. Hauptsächlich von ethnischen Armeniern bewohnt, ist es rundherum von Aserbaidschan eingeschlossen.
Zu viele „Korridore“
Zu allem Überfluss gibt es innerhalb Armeniens noch eine Exklave mit Aserbaisdschanern an der Grenze zum Iran, die wiederum durch einen armenischen Korridor vom Hauptland abgeschnitten sind. Dem sollte Rechnung getragen werden mit schmalen Zugangskorridoren. Dass so etwas nicht auf Dauer funktionieren kann, musste man schon vor dem WK II am „Danziger Korridor“ lernen. Aktuell ist wieder der russische Landzugang zur Exklave Königsberg durch Litauen zum Zankapfel geworden. Will man also den Südkaukasus befrieden, muss einiges neu geordnet werden. Bei gutem Willen sollte das möglich sein, zum Beispiel mit autonomen Regionen. Dieses Lösungsmodell, das in Südtirol gut funktioniert, hat der Westen aber schon in der Ukraine hintertrieben. Wer glaubt also daran, dass es derselbe Westen sein könnte, der überhaupt ein Interesse haben könnte, die Südflanke Russlands und die Nachbarschaft des Iran zu befrieden?
Berg Karabach selbst ist im Wesentlichen ein weites Hochtal mit eher wenigen Einwohnern. 145.000. Davon sind nach Meldungen bereits knapp 100.000 ethnische Armenier nach Armenien geflüchtet. Da ist es beinahe schon nebensächlich, dass der Status von Berg Karabach aufgelöst wird. Es wird diese Exklave nicht mehr geben. Die Frage dabei ist aber, warum so viele ihre Heimat verlassen haben. Das ist wohl den Erfahrungen geschuldet, die Menschen dort mit Baku machen mussten. Die nächste Frage muss lauten: Warum hat der Wertewesten jetzt nicht sofort interveniert, als Baku Bergkarabach angegriffen und so doch eine erhebliche Menge an Toten verursacht hat. Ist es nicht mehr sanktionswürdig, wenn ein Angriffskrieg geführt wird? Ach ja, ich vergaß, Deutschland, die EU und die USA stehen auf der Seite von Baku, wollen Gas aus Aserbaidschan, anstatt russischem. Aserbaidschan steht folglich auf Seiten der Guten und die führen keine Angriffskriege.
Wer mit Russland Freund ist, steht auf der Abschussliste
Armenien hingegen steht eher auf der russischen Seite und so ist alles, was gegen Armenien und Armenier verbrochen wird gut und nicht kritikwürdig. Auch Georgien, das schon seit Langem in die EU und die NATO gezogen werden soll, darf sich alles erlauben. Alles in Allem gilt für die Kaukasusregion, dass im Sinn des Westens alles gut und förderungswürdig ist, was die Region destabilisiert und so dem Ziel dienen kann, russische Kräfte dort zu binden. Zudem kann dann auch wieder Russland an den Pranger gestellt werden, wenn es eben nicht möglich ist, die geschürten Konflikte gewaltfrei zu beenden. Siehe Tschetschenien. So wird auch aktuell Russland vorgeworfen, seine Schutzfunktion für Berg Karabach nicht gewaltsam durchgesetzt zu haben. Tatsache ist aber, dass genau diese bedachte Haltung vermieden hat, dass aus diesem lokalen Konflikt ein übernationaler Krieg entstanden ist. Die Zurückhaltung des Kreml hat so viele Menschenleben geschont.
Ähnlich wie zur Sowjetzeit ist es in den nördlicheren Kaukasusregionen eher ruhig und friedlich, die sich der Russischen Föderation angeschlossen haben. Ebenfalls wie zur Sowjetzeit werden dort lokale Sprachen und Gebräuche nicht nur toleriert, sondern aktiv gefördert. Das gilt für die gesamte Russische Föderation, obwohl für alle die russische Sprache das verbindende Element ist. Nehmen wir beispielhaft Dagestan, das im Norden am Kaspischen Meer an Aserbaidschan grenzt. In dieser Republik der Russischen Föderation leben am meisten ethnische und sprachliche Gruppen auf engstem Raum zusammen. Nicht weniger als 20 Volksgruppen kommen miteinander ohne Konflikte zurecht, mit beinahe derselben Anzahl an unterschiedlichen Sprachen. Eigentlich müsste das ein Pulverfass sein, ist es aber nicht. Dagestan ist so friedlich, dass nur die Wenigsten jemals von Dagestan gehört haben und kaum wissen, dass es diese Dreimillionen-Republik überhaupt gibt und wo sie sich befindet. Warum ist das so?
…Weil es dort keine US-Botschaft gibt
Zunächst dürfte es daran liegen, dass man sich dort unter dem Schirm Moskaus befindet. Man sollte aber auch bedenken, dass es in Dagestan keine US-Botschaft gibt. Nur das eine oder andere Konsulat, aber Konsulate haben eben nicht den Status und die Mittel von Botschaften. Da erinnere ich doch gern an Evo Morales: Warum gab es in den USA noch nie einen Umsturz... So kann man feststellen, dass genau die Staaten und Regionen nicht zur Ruhe kommen, wo sich US-Botschaften befinden, insbesondere unsinnig große. Ganz aktuell erleben wir, dass der Kosovo nicht zur Ruhe finden kann. Und ja, dort, in Mitrovica, gibt es die übergroße Botschaft der USA.
So ist es zwar schwierig zu beweisen, dass die USA die Finger drin haben, bei den aktuellen Ereignissen in Berg Karabach. Aber der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen. So komme ich zu dem Schluss, dass es unumgänglich ist, US-Botschaften auf ein Normalmaß zu stutzen und deren Aktivitäten streng zu überwachen, wenn man eine friedliche Zukunft haben will. Man bedenke: Armenien hat nur 2,8 Millionen Einwohner. Welchen Sinn kann es da haben, eine Botschaft zu unterhalten, mit einer Größe von 90.496 Quadratmetern? Ein Schelm, wer da Böses vermutet.