Was wir aus den 1950er Jahren lernen sollten
Von Peter Haisenko
Die Zeit der 1950er Jahre war in Deutschland eine Zeit des Aufbaus, der Erholung und der Hoffnung auf bessere Zeiten. In beiden Teilen des zerrissenen Landes. Es war aber auch die Zeit des beginnenden Kalten Kriegs und so war die Zeit keineswegs angstfrei. Der normale Bürger war mit sich selbst beschäftigt und hatte an der großen Politik kaum Interesse. Es war aber auch eine Zeit der Lügen, wiederum auf beiden Seiten. Lügen, die sich bis heute auswirken. Insbesondere die Medien in der jungen BRD standen unter Kuratel der Alliierten.
Nur wer die (wahre) Geschichte kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten!
Reinhard Leube hat wieder einmal eine akribische Arbeit geleistet, indem er Zeitzeugen und Archive befragt hat und so Tatsachen aufdeckt, die auch mir nicht geläufig waren. So erstaunlich es klingt, war es Stalin gleichgültig, ob die DDR (damals noch als SBZ bezeichnet) kommunistisch regiert wird. Stalin wollte ein vereinigtes Deutschland, Adenauer und die USA nicht. Warum war das so? Leube gibt die Antwort. Sie sehen schon, dass man in dem neuen Werk von Leube „Auf des Messers Schneide“ Dinge erfahren wird, die man kaum aus anderer Quelle erfahren kann.
Wie war damals der Umgang zwischen West- und Ostpolitikern? Welche Gestalten wechselten in den Westen und machten in erstaunlich kurzer Zeit Karriere in der Politik der BRD und warum war das so? Wer war Genscher wirklich? Oder Guillaume. Wann wurde der ins Umfeld von Willy Brandt geschleust? Und die alte Frage: Wieviele NSDAP-Mitglieder waren in Adenauers Regierung integriert und noch wichtiger, welche Ziele hatten die? So oder so, es war eine Zeit, in der die Politik in Bonn noch die Interessen Deutschlands als oberste Maxime vertrat, auch wenn das nicht immer offensichtlich war. Doch lesen Sie, was ein Leser dazu schreibt, der Leubes Werk schon vorab lesen durfte:
Von einem, der die ersten acht Bände gelesen hat.
Dies ist der neunte Band einer aufregenden Reihe historischer Betrachtungen, die auf Tatsachen beruht. Es geht um die deutsche und europäische Geschichte der Neuzeit. Neuzeit? Nun, der vorliegende Band beleuchtet die Jahre von 1952 bis 1960. Was ist daran Neuzeit, könnte man sich fragen. Die Buchreihe setzt sogar zu den Lebzeiten Napoléons ein. An dieser Stelle stellt sich die Frage: In welchen Zeitfenstern denken wir, wenn es um die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft geht? Genügt es, in seiner eigenen Lebensspanne Erfahrungen zu sammeln, oder ist die Biografie viel zu subjektiv? Sollte man nicht wirklich mehr darüber erfahren, was andere Menschen an anderen Orten in verschiedenen Zusammenhängen erlebten?
Als historisch interessierter Mensch begeben Sie sich mit Leubes Bänden auf ein Abenteuer sondergleichen. Selbst für jene, die sich durch Carroll Quigleys Hoffnung und Tragödie, durch Gene Sharps Von der Diktatur zur Demokratie, Michael Grandts Adolf Hitler – eine Korrektur, Der Krieg, der viele Väter hatte von Gerd Schultze-Rhonhof, die kritische Edition Hitler, Mein Kampf, Caspar von Schrenck-Notzings Charakterwäsche, Thorsten Schultes Fremdbestimmt oder als weiteres von unzähligen Sachbüchern Zbigniew Brzezińskis Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft durchgekämpft haben, bleibt die vorliegende Buchreihe ein besonderer Genuss, weil sie schmerzhaft nahe wie aus der Sicht von Zeitzeugen Geschehnisse betrachtet, dabei die vielschichtigen Schleier geheimer Diplomatie, Verrat und Patriotismus lüftet.
Hat man diese Bücher gelesen, passiert etwas ganz Eigenartiges: Zerrbilder werden klarer, Mosaiksteine schärfen das Gesamtbild. Bisher Gelerntes, glaubhaft von Vertrauten vermittelte Geschichten können ihren Zauber verlieren und zu einer Ernüchterung führen, die nur mit einem schweren Kater nach einer illustren Sause zu vergleichen ist. Man spürt buchstäblich, wie im Hirn verankerte Denkbausteine umgestapelt oder gar unter Schmerzen ausgemerzt werden. Das Ergebnis ist das klare Erkennen von Zusammenhängen, das besser erklärt, warum bis hin zu dem blutigen Ringen in der Ukraine passiert, was passiert.
In dem Werk England, die Deutschen, die Juden und das 20. Jahrhundert bohrte schon Peter Haisenko an einem Jahrhunderte alten, immer hinter Schleiern gehaltenen Thema. Der Titel ist überaus brisant, heute wieder. Es lohnt, sich diesen Text als Einstieg in die Problematik zu Gemüte zu führen. Reinhard Leube setzt unabhängig davon mit seinen Büchern an Themen an, die seit dem Kriegsende tunlichst vermieden, verschwiegen, verbogen und politisch vergewaltigt wurden. Also, liebes Publikum, in welchen Zeitfenstern betrachteten Sie bisher, was in der Welt geschieht?
Wir können an der Stelle resümieren, dass zum Verständnis der Irrungen und Wirrungen in der Gegenwart ein Blick durch die Lupe in teils über 100 Jahre alte Dokumente notwendig ist. Herr Leube bietet Quellen aus Tagebüchern, zwischenstaatlichen Verträgen, Memoiren oder aus Zeitungen des letzten Jahrhunderts und lässt Erlebnisse aus früheren Zeiten wundersam für heute auferstehen. Die Entscheidung des Autors, stringent den Jahreszahlen zu folgen, innerhalb der Abschnitte chronologisch den Jahresläufen entsprechend, versetzt das interessierte Publikum in die Lage, sich zeitlich zu orientieren. Oft hilft diese Art der Geschichtsaufarbeitung, bestimmte Gesprächsfetzen aus Begegnungen mit Vorfahren zuzuordnen und das Erzählte mit dem wirklich Passierten zu vergleichen. Und dann passiert etwas Besonderes: Missverständnisse werden geradegerückt, viel zu spät bereut man unnötige Streitgespräche in der Jugend. Wir sind alle Kinder unserer Zeit. Das entbindet uns aber nicht davon, ein gesundes Maß an Zweifel oder wenigstens den Willen zum Hinterfragen zu trainieren. Und dafür sind die Bücher von Leube ein Fitnessklub für die Denkmuskeln.
Dem Autor gelingt es in einer nahezu traumwandlerischen Art und Weise einen Stil zu entwickeln, durch den man fast beiläufig echtes Basiswissen vermittelt bekommt. Nach der letzten Zeile bleiben immer noch ein dichtes Quellenverzeichnis und Verweise zur persönlichen Weitersuche.
Was das vorliegende Buch angeht, waren die 1950er Jahre bis in den Beginn der 60er für das geteilte Deutschland trotz unterschiedlicher Ideologieverwaltungen die offenkundig fruchtbarsten: Keiner wollte wieder Krieg, jeder wollte Wohlstand, eine glückliche Zukunft für Familien, Zugang zu Bildung und Arbeit. Die Drohungen der Kalten Krieger hielten uns einen Krieg vom Leib und die Menschen in ganz Europa fanden zu Lebenswillen, Fleiß und Lebenstüchtigkeit zurück. Das große Lebensglück schien zum Greifen nahe. Im Rhythmus der „modernen“ Zeit begann die breite Masse der Deutschen die Übersicht zu verlieren – mit einer wichtigen Ausnahme: die alte Garde des Kreisauer Kreises. Lassen Sie sich überraschen, was in Deutschland möglich war und wie verschlungen und vermeintlich widersprüchlich Entscheidungen getroffen werden mussten, um den lauernden Aasgeiern aus England und den USA nicht tatsächlich ganz Deutschland zum Fraß vorzuwerfen. Nehmen Sie Anteil am Weg der Verhinderer der Wiederholung der Katastrophe nach Versailles. Mit diesem Buch wird unerbittlich deutlich, dass die heutigen Staatslenker in Berlin nicht mehr wissen, wie man Krieg vom deutschen Boden durch eine raffinierte Politik fernhalten kann.
Michael Schwede Berlin, 1. September 2023, Weltfriedenstag
Bestellen Sie Ihr Exemplar „Auf des Messers Schneide“ direkt beim Verlag hier oder erwerben Sie es in Ihrem Buchhandel.